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DER WERKSTATTKOMPLEX DES THUTMOSIS

BAUBESCHREIBUNG DER ANLAGE UND FUNDSITUATION

Bereits am zweiten Tag der aktiven Ausgrabungstätigkeit während der Winterkampagne 1912/13 ließ Borchardt seinen besten Vorarbeiter, Mohammed Ahmed es-Senussi, mit der Freilegung eines Hauses beginnen, das die schlichte Nummerierung P 47.1 erhielt.1Das so benannte Areal entpuppte sich im Laufe der Grabung als eine Reihe kleiner, sehr bescheidener Wohnungen und Werkstätten, die sich um einen Hof mit Brunnenanlage gruppierten. Die Gesamtstruktur der Anlage klärte sich in den folgenden vier Wochen, in denen die nördlich anschließenden Gebäudekomplexe P 47.2 und P 47.3 freigelegt und dokumentiert werden konnten, in denen die wichtigsten Funde der gesamten Grabung am 6. Dezember 1912 zum Vorschein kommen sollten. In dieser erstaunlich kurzen Zeit wurde mit einer Anzahl von ungefähr 150 beschäftigten Arbeitern nicht nur dieses 75 x 45 m große Areal ausgegraben, sondern auch weitere Gebäude in den angrenzenden Planquadraten wurden in Angriff genommen. Im Überblick lässt sich die Anlage P 47.1–3 nach den Beschreibungen und Plänen von Borchardt und Ricke entsprechend ihrer Bauabfolge wie folgt charakterisieren:2Das genannte Areal liegt im südlichen Hauptstadtbereich an der so genannten „Oberpriesterstraße“3und unmit-telbar nördlich eines breiten Wadis bzw. Wüstentales, das die Stadt an dieser Stelle durchschneidet (vgl. Beitrag Tietze, Abb. 4). Der gesamte Bereich gliedert sich zunächst in zwei Teile: den nördlichen – von einer durchgehenden Mauer eingefassten – Komplex der Gebäude P 47.2 und P 47.3 sowie die südlich angrenzende, bereits erwähnte Gruppe kleinerer Wohn- und Werkstattparzellen P 47.1, die offensichtlich eine spätere Erweiterung der Hauptanlage darstellen (Abb. 1).

Das repräsentative Kerngebäude P 47.2 entspricht mit seinem fast quadratischen Grundriss von 17,10 m Kantenlänge einem mittelgroßen Stadthaus, das alle typischen Raumelemente – wenn auch in leicht abweichender Form – aufweist (vgl. Beitrag Kemp, Abb. 5, Blick auf die Ruinen von P 47.2). Man betritt das von einer Mauer eingefasste Grundstück über einen mit einem Vordach versehenen Eingang von der nördlich angrenzenden Seitenstraße aus und gelangt in einen großen Hof, der erst später zahlreiche Erweiterungsbauten aufnehmen sollte (Abb. 2). Über eine Freitreppe und ein kleines Vestibül (P 47.2, R 20)4sowie ein weiteres Vorzimmer (P 47.2, R. 15) wird man in die so genannte „breite Halle“ (P 47.2, R 14) geführt, in der auch Gäste empfangen und bewirtet wurden und die den „öf-fentlicheren“ Bereich des Hauses markiert. Zur Ausgestaltung dieses großzügigen Raumes gehörten auch zwei Holzsäulen, deren Kalksteinbasen noch in situ vorgefunden wurden. Wie in den großen Villen der Stadt waren auch hier die Wände im oberen Bereich mit dekorativen floralen Mustern und Girlanden ausgeschmückt. Bruchstücke dieser Malereien konnten von den Ausgräbern noch geborgen werden, doch haben sich keinerlei zuweisbare Fragmente mehr in den Berliner Depots er-halten. Die sich westlich anschließenden kleinen Räume (P 47.2, R 18 und R 19) dienten ursprünglich wohl als eine Art Anrichte oder Speisekammer zur Bewirtung der Gäste, da über eine kleine Tür

auch der direkte Zugang zum Hof, zum Brunnen und zu den Wirtschaftsgebäuden möglich war.

(Die Erläuterung der späteren Nutzung dieser beiden Kammern als Depot für die berühmten Bild-hauermodelle erfolgt weiter unten.) Im Innern des Hauses schloss sich an die „breite Halle“ die so genannte „tiefe Halle“ (P 47.2, R 5) – eine Art „Wohnzimmer“ – an, von der aus alle weiteren privaten Räume erreicht werden konnten. Hierzu gehörten unter anderem die Schlafkammer (P 47.2, R 9), das Bad (P 47.2, R 6) und die Toilette (P 47.2, R 7). Der Zugang in das Obergeschoss erfolgte über das rückwärtig gelegene Treppenhaus (P 47.2, R 1–3), von dem aus auch der Speicherhof über einen Ne-beneingang betreten werden konnte.

Nach der Fundlage wurden in den Wohnräumen des Haupthauses keinerlei Tätigkeiten ver-richtet, die mit dem Bildhauerhandwerk in Verbindung standen. Diese fanden ausschließlich in den Werkstätten statt, die zunächst nur in dem schmalen östlichen Streifen entlang des Wohnhauses in den Räumen P 47.2, R 24–31 eingerichtet wurden.

Zu einem typischen größeren Gehöft in Achet-Aton gehören neben dem Wohnhaus noch wei-tere Wirtschaftsbereiche, die sich ebenfalls auf diesem Grundstück wiederfinden lassen.5Hierzu zählen die große Brunnenanlage mit ihrem gewundenen Treppenabgang, die schon erwähnten Spei-cheranlagen mit den vier großen Kornspeichern, die Stallgebäude sowie die an die südliche Mauer angrenzenden vier Backöfen der hauseigenen „Bäckerei“.

Offensichtlich stieg das Auftragsvolumen für die Werkstätten bereits in den ersten Jahren nach der Inbetriebnahme recht schnell, so dass zahlreiche Erweiterungsbauten innerhalb des Ge-samtareals nötig wurden. Nun entstand auch die Hausanlage P 47.3, die von den Ausgräbern einem

„leitenden Bildhauer“ zugesprochen wurde (vgl. Abb. 1). Auch dieser recht stattliche Bau entspricht in seiner Anlage einem typischen Amarna-Wohnhaus mit der klassischen – wenn auch etwas ver-änderten – Raumaufteilung. Um das Haus herum gruppierten sich weitere Werkstätten sowie die Wohnungen für ungefähr drei Familien rangniedriger Handwerker unmittelbar entlang der nördlichen Grundstücksgrenze. Die Wirtschaftsgebäude und Stallungen wurden wahrscheinlich gemeinsam von beiden großen Haushalten und ihren Untergebenen genutzt, wobei die Hoheit über den Spei-cherhof und die Getreideausgabe offensichtlich bei dem Besitzer von P 47.2 lag. Zur Wahrung klarer Strukturen erhielt das Haus des „Werkmeisters“ von P 47.3 einen eigenen Zugang von der nördlichen Seitenstraße sowie eine Abgrenzung vom Hof des Haupthauses mittels einer schmalen Ziegelmauer.

Es entstand dabei zwar eine etwas verwinkelte Wegeführung zu diesem Anwesen, dies unterstrich aber andererseits die Bedeutung des dominierenden Hauptgebäudes.

Zur Versorgung mit Wirtschaftsgütern und den notwendigen Rohmaterialien für die Werk-stätten gab es – von der „Oberpriesterstraße“ aus – einen weiteren, breiteren Zugang in den Hofbe-reich an der Ostseite des Grundstücks gegenüber dem Brunnen. Mit der Anpflanzung einer Baumreihe entlang der südlichen Häuserwand von P 47.3, deren Gruben die Ausgräber dokumentieren konnten, versuchte man offensichtlich, einen Schatten spendenden Bereich zu schaffen (vgl. Abb. 2).

Im Laufe der Zeit scheint die Auftragslage für die handwerklichen Tätigkeiten derart gestiegen zu sein, dass jenseits der südlichen Grundstücksmauer eine Erweiterung der Werkstatt- und Wohn-bereiche vorgenommen werden musste, die als P 47.1 (vgl. Abb. 1) bezeichnet wird und aus 12 kleineren Wohneinheiten und einem etwas größeren „Westhaus“ bestand. Diese Gebäude, von Borchardt und Ricke als „Gesellenwohnungen“ bezeichnet und nach deren Beschreibung in „min-derwertigster Bauausführung“ errichtet, bestehen meist nur aus drei bis vier sehr kleinen Räumen, die gleichzeitig zum Wohnen und Arbeiten genutzt werden konnten. Die Verbindung zu den großen Werkstätten wurde über einen schmalen Durchgang mit Tür zwischen den zwei kleinen Wohnstätten P 47.3c und 47.3d hergestellt (vgl. Markierung in Abb. 2).

ABB. 1 Die drei Haus- und Werkstattkomplexe P 47.1–3 mit Kennzeichnung der Bauphasen FRIEDERIKE SEYFRIED

ABB. 2 Die Häuser P 47.1–3 mit ihren Raum-nummern nach der Bauaufnahme von Borchardt und Ricke

ABB. 3 Lokalisierte Fundpositionen nach den Grabungsunterlagen in P 47. 1–3

FRIEDERIKE SEYFRIED

ABB. 4 Die Fundpositionen in den Räumen P 47.1 (R 18 und 19)

FRIEDERIKE SEYFRIED

Wenngleich schon die ersten Funde der Grabung in den letzten Novembertagen 1912 nahelegten, dass man sich im Bereich einer großen Bildhauerwerkstatt befand, war bis zum 17. Dezember kein Fund zutage getreten, der den Namen des Besitzers eines der beiden Hauptgebäude genannt hätte.

Dies änderte sich durch den glücklichen Fund eines kleinen Elfenbeinobjektes (Berlin, ÄM 21193), das in einem zunächst als mögliche „frühere Abfallgrube“ bezeichneten Loch gefunden wurde. In dieser Grube, die allerdings zu der Reihe von „Baumgruben“ entlang des Hauses P 47.3 gehörte, fanden sich auch ein Alabasterfragment und ein Teil einer Feuersteinsichel (Berlin, ÄM 21294) (vgl. Abb. 3).

Das besagte Elfenbeinfragment, dessen Identifikation als Teil einer Scheuklappe erst im Jahre 1983 durch die Veröffentlichung von Rolf Krauss und dem maßgeblichen Hinweis von Marianne Eaton-Krauss zustande kam,6trägt die eingravierte, am Anfang zerstörte und nur in Teilen erhaltene Inschrift:

„der Gelobte des ̦guten Gottes‘,7der Aufseher der Arbeit, der Bildhauer Thutmosis“. Während die Ausgräber aufgrund des Titels letztlich zögerten, welchem Hausbesitzer sie den Namen zuweisen soll-ten,8hat sich Krauss aufgrund der Identifikation als Scheuklappe dafür entschieden, den Namen Thut-mosis eindeutig dem Haupthaus zuzuordnen.9Seine Argumentation beruht auf der besonderen Be-deutung des prestigeträchtigen Besitzes eines Pferdes mit Wagen, welches er nur dem Patron des Anwesens zugestehen möchte. Obwohl sich mittlerweile die Identifikation von jenem „Scheuklappen-Pferd-und-Wagenhalter“ Thutmosis mit dem Besitzer von P 47.2 zu einer geradezu „gesetzten“ Tatsache verfestigt hat, die ihn oft sogar als „den“ Bildhauer der Nofretete-Büste erscheinen lässt, sollte man mit einer sicheren Zuweisung vorsichtig sein. Letztlich können wir nicht mehr rekonstruieren, wie und unter welchen Umständen die Scheuklappe zerbrach und in die besagte Grube mit weiteren Gegen-ständen „weggekehrt“ wurde – oder ob sie z. B. von einem fremden Pferdegespann stammt. Wenngleich die Zuweisung nach wie vor sehr plausibel erscheint, fehlen weitere inschriftliche Belege, z. B. auf Ar-chitekturteilen, die eine zweifelsfreie Zuweisung ermöglichen könnten.

Bis auf den Namen des Bildhauers Thutmosis wurde im gesamten Werkstattkomplex nur noch ein weiterer Beleg für eine namentlich genannte Privatperson gefunden. Diese Erwähnung eines „Ramose“

gehört zu einer Ritzinschrift auf einem großen Vorratsgefäß (Berlin, ÄM 29881), das in einer Art Kellergrube unter einer Bettstatt in einem der kleineren Häuser aus P 47.1 „l“, R 3 eingelassen gewesen war.

Betrachtet man sich die Gesamtzahl der rund 400 Funde und ihre Zusammensetzung aus den drei Häuserkomplexen, darf man folgende Schlüsse ziehen, die im Großen und Ganzen bereits von den Ausgräbern so ausformuliert wurden und nur an wenigen Stellen modifiziert werden sollen.10Eine de-tailliertere Analyse des Fundguts ist häufig durch den Verlust zahlreicher Grabungsunterlagen nicht mehr möglich. Zunächst lässt sich konstatieren, dass aufgrund des Fundes eines Fingerringes mit der Nennung Tutanchamuns (Berlin, ÄM 34701) in P 47.3 sowie der Nennung eines „Regierungsjahres 1“ auf der Etikettierung einer Weinamphore (Berlin, ÄM 37391) aus P 47.2 die Nutzung der Wohn- und Werk-stätten über den Tod Echnatons hinaus belegbar ist, was ohnehin für die gesamte Stadtanlage zutrifft.

Den genauen Zeitpunkt des Verlassens des Anwesens kann man allerdings nicht näher eingrenzen.

Wie schon mehrfach seit den ersten Publikationen zu diesem Thema erwähnt,11nahmen die Bewohner der Stadt bei ihrem Auszug selbstverständlich diejenigen wertvolleren Gegenstände mit, die transportabel und weiter verwertbar waren. Daher gibt das Fundmaterial nur ein sehr begrenztes Spektrum eines altägyptischen Haushaltes wieder, und es verwundert auch nicht, dass Textilien, Metall und hölzernes Mobiliar nur in bescheidenem Umfang geborgen werden konnten. Hinzu kommt der natürliche Zerfall organischer Materialien durch Schädlinge oder Witterungseinflüsse und die anhaltende Plünderung der Häuser seit der Ramessidenzeit bis in die Moderne.12

Die noch erhaltenen 141 Objekte aus den kleinen Häusern und Werkstätten von P 47.1 lassen für diesen Bereich folgende Schlüsse zu: Neben wenigen unvollendeten Bildhauerwerken, zu denen

auch die kleine weihrauchopfernde Figur eines Königs (Berlin, ÄM 21238) gehört, und mehreren Bruch-stücken verschiedener Statuen und Statuetten fanden sich sehr viele Werkzeuge, die die Steinbear-beitung vor Ort bezeugen, sowie erstaunlich viele Tonmodel zur Herstellung von Fayence-Ringen, -Anhängern und -Kettengliedern. Wenngleich Brennöfen hier offensichtlich fehlen, scheint doch die Anfertigung von Fayence-Rohlingen in diesen Werkstätten gang und gäbe gewesen zu sein. Obgleich in den Fundlisten von P 47.1 aufgenommen, gehört der bemerkenswerte Fund eines Prinzessinnenkopfes (Berlin, ÄM 21223) streng genommen zum Hof des großen Anwesens von P 47.2, da er in einem Wirt-schaftsbereich nördlich der südlichen Hofmauer gefunden wurde. Unter den meist kleinteiligen Funden dieses großen Hofareals fällt auf, dass im Brunnen – neben den Fragmenten eines zerschlagenen Por-trätkopfes des kindlichen Königs aus Alabaster (Berlin, ÄM 21290; Kriegsverlust)13– zahlreiche Werk-zeuge, Statuenfragmente, Ringe, aber auch ein Scherbenfragment einer Weinamphore mit der Nennung des Regierungsjahres 11 (Berlin, ÄM 24435) geborgen werden konnten.

Aufgrund der von den Ausgräbern in den Werkstattbereichen westlich des Haupthauses gefundenen Gipsrohmaterialien und zahlreicher Calcit-Alabasterfragmente dürften diese Räume (P 47.2; R 24–R 31) hauptsächlich der Herstellung der berühmten Gipsmodelle und der Fertigung von Alabasterskulpturen gedient haben. Arbeiten in Granit scheinen dagegen auf den Häuserkomplex P 47.3 konzentriert gewesen zu sein, so dass eine deutliche Arbeitsaufteilung und Spezialisierung der Handwerker erkennbar wird.14 Im Haupthaus P 47.2 wurden keinerlei Handwerksutensilien gefunden, dafür aber Siegelplom-ben (Berlin, ÄM 36550–36554) und der bemalte Verschluss einer Weinamphore (Berlin, ÄM 21368) im Wohnbereich um die „tiefe Halle“ herum (P 47.2; R 5 und R 17), die den Genuss von Wein in den besagten Räumen belegen.

Als spektakulär sollte sich aber die Bergung der Funde aus den zwei kleinen Kammern (P 47.2;

R 18 und R 19) westlich der „breiten Halle“ am 6. und 7. Dezember 1912 herausstellen (vgl. Abb. 4). Die fast 80 registrierten Funde und Materialproben aus diesen beiden Räumen gehören zu den bedeutendsten Funden altägyptischen Skulpturenschaffens überhaupt. Nach der Bergung der bemalten Büste der Königin (Berlin, ÄM 21300) und der zahlreichen Gipsmodelle war Borchardt der Überzeugung, hier die „Modell-kammer“ des Bildhauers entdeckt zu haben. Allerdings fanden sich nicht nur „Modelle“ aus Gips, sondern auch zahlreiche unvollendete Skulpturenwerke aus Stein, so dass die Interpretation als Depot, das wahr-scheinlich erst eingerichtet wurde, als man die Werkstatt verließ, doch näherliegen dürfte.15

Ähnlich wie die Festzuschreibung des Namens Thutmosis an den leitenden Bildhauer und Besitzer von P 47.2, hat auch die von Borchardt 1923 publizierte Rekonstruktion des Aufstellungs-und Verwendungszweckes der königlichen Büsten (s. u.) in der Modellkammer eine Art allgemeiner Gültigkeit erfahren, die kaum hinterfragt wird.16Dabei hatte bereits Ricke mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Nutzung der Räume R 18 und R 19 als Aufbewahrungsort der Gips-modelle und Statuenfragmente sekundär gewesen sein muss.

Überprüft man die Bemerkungen im Grabungstagebuch und die ehemalige Funktion der Neben-räume als Durchgangs- und Anrichteraum für die „breite Halle“, dann darf man davon ausgehen, dass die Bildhauer und Handwerker beim endgültigen Verlassen der Stadt ihre Werkstätten aufgeräumt haben und diesen Raum als Depot nutzten. Aus welchen Gründen auch immer – sie mögen auch sehr persönlich gewesen sein – wurden die meisten der ihnen noch wichtig erscheinenden Modellstudien und unvollendeten Arbeiten in diese beiden Räume verbracht. Vielleicht wurde auch der Zugang zum Hof aus P 47.2, R 19 erst zu diesem Zeitpunkt vermauert, um die Kammer als Aufbewahrungsort zu verschließen. Auch die Datierung der niedrigen Unterteilungsmauer innerhalb von Raum 19 – mit der Einrichtung der so genannten „Truhe“ (die dann als Raum 18 bezeichnet wird) – kann nicht genau be-stimmt werden, doch dürfte diese eventuell schon zur früheren Nutzung des Bereiches gehören.17

FRIEDERIKE SEYFRIED

Selbstverständlich bleibt auch dieser Erklärungsversuch nur Spekulation und mag zu Recht angezweifelt werden. Andererseits fügt er sich passend zu einigen Befunden der Ausgräber und zu den Fund- und Erhaltungszuständen der Büsten, der Modelle und der Statuenfragmente, wie im Folgenden noch gezeigt werden soll.

GIPSMODELLE

Neben dem Fund der bemalten Kalksteinbüste der Nofretete gehört die Bergung von insgesamt 23

„Porträtköpfen“ und einem Gesichtsfragment, die alle aus Gips gegossen waren, zu den bemer-kenswertesten Ergebnissen der Grabung im Winter 1912/13. Die Fülle und Qualität des Materials, die außerordentliche Lebendigkeit einiger dieser Porträtstudien sowie die Frage nach ihrem Her-stellungsprozess haben seit ihrer Auffindung bis heute zahlreiche Wissenschaftler bewegt, und ihre Diskussion dürfte noch lange nicht abgeschlossen sein.

Die Beschäftigung mit diesen Gipsplastiken hat zu den verschiedensten Interpretationsan-sätzen ihrer Fertigungstechnik geführt und es lag nahe, unmittelbar während der Fundsituation an

„Totenmasken“zu denken, wie es auch Borchardt im Grabungstagebuch (S. 41) zu einem der ersten Funde notierte: „3. ‚Totenmaske‘ aus Gips, Nase bestoßen. Wie über ein Tuch abgegossen. Augen vielleicht nachgearbeitet. Keiner der kgl. Familie.“18(Berlin, ÄM 21280; zur Fundposition vgl. Abb. 4 im vorigen Abschnitt)

Als nach und nach immer mehr dieser „Gipsporträts“ und -köpfe zutage traten, war den Aus-gräbern recht schnell klar, dass sie ihre erste Benennung zu Recht in Anführungszeichen gesetzt hatten. Der Befund war zu heterogen, die Köpfe und Gesichter zu unterschiedlich gefertigt, als dass man bei diesem Begriff hätte bleiben können. Borchardt hat in den folgenden Jahren mehrfach seine Beobachtungen an den Gipsmodellen geändert und korrigiert,19sie aber insgesamt als „Le-bendmasken und Abgüssen von Statuen“20bezeichnet.

Die Gipsmodelle und unvollendeten Bildhauerwerke aus der so genannten Werkstatt des Thut-mosis erregten nach ihrem Bekanntwerden sowohl in der Fachwelt als auch bei Künstlern ein sehr großes Interesse – das bis heute anhält –, doch erschien erst 1941 eine bis heute maßgebliche Studie zu den Gipsmodellen von Günther Roeder.21Seine Beobachtungen an den Stücken haben in vielen Punkten nach wie vor ihre Gültigkeit bewahrt, was u. a. in den zahlreichen auf ihn Bezug nehmenden Ausführungen von Fachkollegen zum Ausdruck kommt und zuletzt insbesondere von Dorothea Arnold22gewürdigt wurde. Darüber hinaus entstand im Jahr 1995 eine unpublizierte Magisterarbeit an der Universität Göt-tingen,23die weitere interessante Beobachtungen zu möglichen Herstellungsverfahren notieren konnte und deren Verfasser in die laufenden Untersuchungen an den Objekten eingebunden werden wird.

Roeders grundlegende Erkenntnisse, die auch frühere Beobachtungen von Borchardt und Schäfer beinhalten,24lassen sich wie folgt zusammenfassen und an einigen Stellen durch die jüngsten Ergebnisse der computertomographischen Aufnahmen modifizieren. Das zu untersuchende Material lässt sich nach mehreren Kriterien klassifizieren, zerfällt aber grundlegend in zwei Kate-gorien: zum einen in Gipsmodelle „königlicher Personen“ und zum anderen in Studien von „Privat-personen“. Die Gruppe der königlichen Bildnisse umfasst insgesamt neun Studien,25davon vier voll-plastische Köpfe26und fünf Gesichter,27wobei nur einer der rundplastischen Köpfe unzweifelhaft eine Königin wiedergibt.28Auffällig an den königlichen Studien ist weiterhin, dass die meisten un-terlebensgroß gearbeitet sind und alle als „statuennah“29bezeichnet werden, da sie sämtlich Kro-nenansätze aufweisen und die Gesichter den Normen königlicher Statuen und Statuetten der Amar-nazeit entsprechen. Hinzu kommen die zum Teil vertieft ausgearbeiteten Augenbrauen und

ABB. 5 Computertomographische Aufnahme des „Siemens-Imaging-Science-Institute“ an der Charité Berlin; Leitung Prof. Dr. med.

A. Huppertz (Berlin, ÄM 21261) ABB. 6 Abguss einer Porträtstudie eines Königs, meist mit Amenophis III. identifiziert (Berlin, ÄM 21299)

ABB. 7 Computertomographische Aufnahme des „Siemens-Imaging-Science-Institute“ an der Charité Berlin; Leitung Prof. Dr. med.

A. Huppertz (Berlin, ÄM 21299)

Augenhöhlen an fünf der königlichen Studien, so dass die Annahme, es handle sich um Abformungen von bereits existierenden Statuen, immer noch im Raum steht.30

In der Gruppe der 14 „nicht-königlichen“ Studien befindet sich kein einziges vollplastisches Abbild und nur drei31werden von Roeder als „statuennah“ eingeordnet – darunter der berühmte Kopf eines älteren Mannes, der mehrfach dem späteren Pharao Eje zugeschrieben wurde. Im Ge-gensatz zu den königlichen Abbildern sind fast alle Gesichter lebensgroß gearbeitet und von einer solchen individuellen Lebendigkeit geprägt, dass ebenfalls bis heute darüber diskutiert wird, ob es sich um Abformungen von lebenden Personen gehandelt haben könnte.

Roeder hat diesen Ansatz allerdings mit durchaus vernünftigen Argumenten – insbesondere wegen der durchweg geöffneten Augenpartien32– verworfen und folgenden Fertigungsprozess für die nicht-königlichen Modellstudien vorgeschlagen, wobei er hauptsächlich die Frage nach den ursprünglichen Formen für die Gipsabgüsse in den Vordergrund stellte.33Nach seinen Beob-achtungen schuf der Bildhauermeister zunächst freihändig Tonmodelle der betreffenden Personen, die hierfür wohl auch Modell gesessen haben dürften. Da Tonmodelle bei den klimatischen Be-dingungen in Ägypten nicht lange ihre Form bewahren, sondern sich beim Trocknen Risse und Verzerrungen bilden, stellte man von diesen Tonmodellen in noch leicht feuchtem Zustand Gips-abformungen her. Diese konnten als Halbschalen gefertigt worden sein, um dann – erneut mit Gips ausgegossen – als Ergebnis die vorliegenden „lebensnahen“ Modellstudien hervorzubringen.

Im Falle einiger Modellgesichter, die feine wulstige Nähte aufweisen,34dürfte ein weiterer Zwi-schenschritt oder ein anderes Fertigungsverfahren vorliegen, das auch für die vollplastischen Kö-nigsköpfe zutreffen müsste. An den Gesichtern der Privatpersonen lässt sich jedenfalls deutlich zeigen, dass die Halbschalenformen zum Teil in mehreren Schritten ausgegossen wurden, da sich manche der Gipsschichten durch den unterschiedlichen Grad der Trocknung deutlich voneinander abgrenzen, was auch in der CT-Aufnahme des Gesichtes (Berlin, ÄM 21261; Abb. 5) deutlich zu sehen

Im Falle einiger Modellgesichter, die feine wulstige Nähte aufweisen,34dürfte ein weiterer Zwi-schenschritt oder ein anderes Fertigungsverfahren vorliegen, das auch für die vollplastischen Kö-nigsköpfe zutreffen müsste. An den Gesichtern der Privatpersonen lässt sich jedenfalls deutlich zeigen, dass die Halbschalenformen zum Teil in mehreren Schritten ausgegossen wurden, da sich manche der Gipsschichten durch den unterschiedlichen Grad der Trocknung deutlich voneinander abgrenzen, was auch in der CT-Aufnahme des Gesichtes (Berlin, ÄM 21261; Abb. 5) deutlich zu sehen