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III WOHNWELTEN

DIE PERIPHERIE DER STADT

Die Peripherie wird durch den Gebirgszug beherrscht, der die Stadt im Osten einfasste. Dieser war nicht nur die Grenze der Stadt und die natürliche Abgrenzung gegen die dahinterliegende Wüste, sondern besaß auch religiöse Bedeutung. An jedem Morgen erschien hier die Sonnenscheibe hinter dem dunkel wirkenden Profil des Gebirges – in Abhängigkeit von der Jahreszeit über den Horizont wandernd. In einer Senke des Höhenzugs bildeten die aufgehende Sonne und das Gebirge die Umrisse der Hieroglyphe „Horizont“. Dies führte dazu, den Kleinen Aton-Tempel auf diese Senke auszurichten.

Und daher gab man der Stadt wohl auch den Namen Achet-Aton, „Horizont des Aton“.

Aber das war nicht der einzige Bezug nach Osten. Während man nach den bis dahin beste-henden Vorstellungen davon ausgegangen war, dass der Westen der Ort des Jenseits war, glaubte Echnaton, diesen Ort hier im Osten zu finden. Echnaton ignorierte die bisherigen Vorstellungen von Unterwelt und Totengericht, setzte sich selbst an die Stelle von Osiris und wollte seinen Beamten durch tägliche Opfer eine dauernde Existenz gewähren. Und so ließ Echnaton auch das neue „Tal der Könige“ im Osten anlegen, wie es in der Gründungsproklamation genannt war.

Auch die Friedhöfe lagen im Osten. Die hohen Beamten wurden auf dem Nordfriedhof, nahe dem Wadi, das zum Grab des Königs führt, bestattet. Ihre Titel machen die Nähe zum König deutlich. Auf dem Südfriedhof dagegen lagen die Beamten, die sich um den Aufbau der Stadt verdient gemacht hatten. Alle Gräber waren nach einem ähnlichen Schema in den Fels getrieben: Der Eingang war mit einer Hohlkehle geschmückt, der erste Raum zeigte an den seitlichen Wänden häufig den König und die Königin auf der einen Seite und den Grabherrn im Gebet auf der anderen. In der dann folgenden Säulenhalle waren die Wände mit Reliefs geschmückt (Abb. 11). Auch hier wurden wieder Echnaton und Nofretete gezeigt. Besondere Bedeutung kam einer Szene zu, in der der Grabherr in Anerkennung seiner Verdienste das „Ehrengold“ durch den König in Empfang nahm. Ein Durchgangsraum führte dann – häufig über eine Wendeltreppe – in den tiefer gelegenen Grabraum. Der letzte Raum schließlich nahm das Sitzbild des Grabherrn und seiner Gemahlin auf. Die Raumfolge lässt erkennen, dass es Ähnlichkeiten mit der Anlage der Wohnhäuser gab. Erst in den letzten Jahren entdeckte man auch die Gräber der Unterschicht. Deren

ABB. 12 Gesamtansicht des königlichen Gartens Maru-Aton (Modellaufnahme).

ABB. 13 Der Nordpalast von Amarna. Blick von Westen in die Anlage. Im Vordergrund der Emp-fangshof, in der Mitte das Wasserbecken und Wirtschaftsbauten, dahinter die Räume des Königs (Modellaufnahme)

Angehörige wurden in dem südöstlich gelegenen Wadi beigesetzt. Reste von Grabbauten sind hier nicht zu erkennen.

Im Süden der weiten Ebene sind weitere Baukomplexe nachweisbar. Dort lag eine Gartenanlage, die offenbar der königlichen Familie vorbehalten war (Abb. 12). Sie war durch zwei große Gartenhöfe charakterisiert, die miteinander verbunden waren. Der kleinere Gartenhof wies das Empfangsgebäude auf. Es besaß eine fünfschiffige Empfangshalle, mehrere Peristylhöfe und einen Altarhof. Beide Gärten sind durch große Wasserbecken geprägt. Der größere nahm zudem die königlichen Wohn-räume, ein Empfangsgebäude und Kioske – von Wassergräben umgeben oder mit Wasserbecken versehen – auf. Bemalte Fußböden, Blumenrabatten, kleine Alleen, Brücken über einen Kanal und die nach oben offenen kleinen Tempel gaben ihm den naturverbundenen Charakter, der für diese Epoche so charakteristisch war. Ein zweiter Komplex, Kom el-Nana genannt, weist neben zahlreichen Versorgungseinrichtungen einen Kultbau auf, der auf einem Podium liegt.

Im Osten der Ebene liegen zwei Arbeitersiedlungen. Sie wurden etwas versteckt in einem Tal eines flachen Sporns angelegt, der sich in die weite Ebene schiebt. Von der einen Siedlung, die nahe am Gebirge liegt, sind uns nur wenige Reste erhalten; die zweite jedoch erweist sich als kleine

plan-mäßig angelegte Arbeitersiedlung, die aus 72 Wohnhäusern gleicher Größe besteht. In ihrer Anord-nung wirken sie wie moderne Reihenhäuser.

Im Norden, in der Nähe des Nordfriedhofs, liegen die Wüstenheiligtümer. Es sind drei unter-schiedlich geformte Altäre, die in einer Achse liegen und achsensymmetrisch aufgebaut sind. Ihr Podium wird jeweils durch Rampen erreicht.

Während alle diese Bauwerke isoliert in der Wüste liegen, besitzen die Bauten am Nordende der Stadt einen deutlichen Bezug zu dieser. Die Nähe des Nils bot die Möglichkeit für eine 30 m breite königliche Straße, die parallel zum Fluss zur Nordstadt führte. Sie nahm ihren Ausgang vom südlichen Ende des Zentrums, führte am Kleinen Aton-Tempel und dem Haus des Königs an der Ostseite und dem Großen Palast an der Westseite vorbei. An ihr lagen das Zentrum mit seinen viel-fältigen Bauten und der Eingang zum Großen Aton-Tempel. Dann durchschnitt sie die nördliche Vorstadt. Nach drei Kilometern erreichte man den Nordpalast, eine große Anlage, die insbesondere von Nofretete genutzt wurde. Ein gewaltiger Torbau, zwei hintereinanderliegende Innenhöfe, Was-serbecken, Wirtschaftsbauten, Tiergehege, Palasträume und kleinere Innenhöfe geben dem sym-metrisch angelegten Gebäudekomplex ein feierliches Gepräge (Abb. 13).

Nur 300 m weiter nördlich lag die Große Rampe, ein Bauwerk, dessen Funktion strittig ist.

Noch einmal 500 m weiter nördlich begann dann die Nordstadt mit dem „North Riverside Palace“, offenbar die eigentliche Residenz des Königs. Der Palast, an der Wasserseite gelegen, ist von den Hochwassern des Nils zum größten Teil zerstört. Erhalten sind nur eine mächtige, doppelte Mauer, der Eingang sowie einige Höfe mit Magazinen und kleineren Häusern. Das dem Eingang gegenüber-liegende Wohnviertel entstand offenbar für hohe Beamten. Dass es sich bei dem „North Riverside Palace“ um den königlichen Palast handelt, wird aus Darstellungen im Grab des Mahu, des Polizei-chefs von Amarna, deutlich. Auf einem der Reliefs lässt sich eine breite Prachtstraße erkennen, die Echnaton offenbar für seinen täglichen Weg ins Zentrum benutzte. Auf der Wasserseite war diese Straße von Standarten begrenzt und auf der Wüstenseite durch einen Flechtzaun und kleinere Ge-bäude geschützt, die jeweils mit Sicherheitsposten besetzt waren.

Insgesamt lässt sich zur Anlage der Stadt festhalten: Amarna unterlag einer raumgreifenden Planung. Die Chancen für eine neuartige Stadtanlage wurden genutzt, die natürlichen Reserven kalkuliert eingesetzt, der Auftrag, „einer religiösen Revolution das Zentrum zu geben“, erfüllt.

So entstanden in Architektur, Kunst und im Zusammenleben einer Gemeinschaft neue Formen, die Natur und Gesellschaft in ein neues Verhältnis brachten.

Diese großartige Entwicklung wurde von dem Charisma eines Herrschers inspiriert und getragen.

Sein persönliches Schicksal – der fehlende Thronfolger, eine vernachlässigte Außenpolitik und der plötzliche Tod des Religionsstifters – brachen eine Entwicklung ab, die trotzdem zu den großen Epochen der ägyptischen Geschichte zählt.

CHRISTIAN TIETZE

1 Alle Zitate nach: A. H. Schlögl: Echnaton. Tutanchamun, Wiesbaden 1993, S. 102–108.

EINFÜHRUNG

Neben den staatlich errichteten Tempeln und öffentlichen Gebäuden war in Amarna ein breites Spektrum an Wohnarchitektur erforderlich, um die Einwohner der Stadt unterzubringen. Diese Wohnstätten reichen von gewaltigen Palästen für den König und die Königsfamilie über luxuriöse Häuser der Oberschicht mit ummauerten Einfassungen bis hin zu den kleinen Wohnhäusern der Armen. Obwohl die Paläste und einige kleine Bereiche mit Unterkünften vom Staat gebaut wurden, scheint die Mehrzahl der Unterkünfte von privater Seite in Auftrag gegeben oder von den späteren Bewohnern errichtet worden zu sein. Diese Häuser zeigen nicht nur den sozialen Kontext von Ech-natons politischen und religiösen Veränderungen auf, sondern bilden zudem den facettenreichsten und umfassendsten Beleg für Wohnarchitektur und Stadtplanung im alten Ägypten.

Die meisten Häuser in Amarna wurden zwischen 1911 und 1914 von der Deutschen Orient-Ge-sellschaft und zwischen 1921 und 1936 von der Egypt Exploration Society ausgegraben. Seit den späten 1970er Jahren haben Ausgrabungen durch das Amarna Project und die Egypt Exploration Society unter der Leitung von Barry Kemp eine begrenzte Anzahl von Wohnstätten sehr detailliert erfasst, was eine gründliche Analyse der Konstruktion und der Raumnutzung sowie Überlegungen zur Hauswirtschaft zulässt. Die Paläste im Stadtzentrum

(Central City) wurden 1891 von Flinders Petrie teilweise frei-gelegt, was in den Jahren 1926 und 1931–1936 von der Egypt Exploration Society fortgeführt wurde. Die wichtigsten Aus-grabungen der unveröffentlichten nördlich gelegenen Paläste fanden in den 1920er Jahren statt, wobei weitere Arbeiten am Nordpalast ab den 1990er Jahren durchgeführt wurden.

HÄUSER

Die Anlage der Stadt wurde bereits im vorherigen Kapitel beschrieben. Die Wohnarchitektur ist größtenteils in Vor-orten zu finden, die sich nördlich und südlich der offiziellen Gebäude des Stadtzentrums am Rande der Besiedlungsge-biete befinden. Die Standortwahl der Häuser berücksichtigt die Hauptdurchgangsstraße vom Stadtzentrum zu den nörd-lichen Palästen, die so genannte „Königsstraße“ („Royal Road“), aber darüber hinaus gibt es nur wenige Belege für eine zentralisierte Planung der Vorstadtwohnbezirke. Die

ABB. 1 Quadrat P 47 im Nordteil des Stadtkerns in Amarna. Das große Haus in der südöstlichen Ecke ist das Haus des Bildhauers Thutmosis.

Man beachte die Anordnung der Häuser in Blöcken und unregelmäßigen Straßen sowie die Nebeneinanderstellung von großen Häusern mit Gruppen kleinerer Wohnhäuser. Das Gitternetz besteht aus 200 x 200 m-Quadraten.