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I. THEORETISCHE BASIS (Kreuzer/Ruppitsch)

2. Pädagogische Konzepte und methodische Ansätze zur Bewältigung der alten und

2.1 Lebensbewältigung (Ruppitsch)

2.1.3 Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen – Lebensbewältigung und soziale

Die Lebensverhältnisse der Menschen müssen sich immer wieder aufs Neue an eine ständig im Wandel befindende Gesellschaft anpassen. Erneuerungen, Modernisie-rungsprozesse, der Verlust bzw. das Verdrängen von Traditionen, führen zu Individualisie-rung, aber auch Anpassung. Wenn Lothar Böhnisch von einer »Risikogesellschaft« spricht, dann verweist dieser Begriff auf einen „[…] anhaltenden gesellschaftlichen Prozess der In-dividualisierung, als Konsequenz beschleunigter ökonomischer und sozialer Arbeitsteilung [beschreibt]“ (Böhnisch 2012, S. 44). Je nach Lebenslagen handeln und agieren Subjekte – bewusst, aber auch unbewusst – different. Lothar Böhnisch fasst dieses mit den verschie-denen Lebensereignissen, -situationen »Umgehen« in der „biografischen Lebensbewälti-gung – im Sinne des Strebens nach psychosozialer Handlungsfähigkeit – [zusammen]“

(ebd., S. 44). Des Weiteren suchen Menschen in für sie neuen Situationen oder schwierigen Lebenslagen nach sozialer Integration und Partizipation. Die menschliche Existenz, das Wohlbefinden und Lebensqualität, zeichnet sich durch Einbindung in ein soziales Netzwerk

aus. Individuen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, orientieren sich aneinander, le-ben und handeln nach ähnlichen Mustern und Werten. Soziale Lele-benslagenentwürfe set-zen sich aus Möglichkeiten und Mustern der Bewältigung von Lebensproblemen – welche aus sozialen Problemen wie Arbeit, Wohnen, Herkunft etc. entstehen können – zusammen.

Lothar Böhnisch zufolge besteht ein enormes Spannungsfeld zwischen Lebensbewältigung und sozialer Integration. Der Aspekt der »Zugehörigkeit« spielt in diesem Kontext eine be-deutende Rolle.

Der gesellschaftliche Anspruch an die Soziale Arbeit beinhaltet eine entsprechende Integrationshilfe bzw. passende Hilfestellung, für Menschen die aufgrund ihrer Herkunft, Kultur, Religion und vielem mehr soziale Ausgrenzung erfahren, zu leisten. Demgegenüber steht die Sichtweise der Betroffenen, da diese weniger die Problematik in der Integration als vielmehr im aktuellen Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit sehen (vgl. Böhnisch 2012, S. 57). Integration ist zu einem Begriff geworden, der nicht mehr nur zu sozialer Chancengleichheit sowie Zugehörigkeit auffordert, sondern um den sich vielmehr Defizit-zuschreibungen formieren: „nur die sollen langfristig bleiben können, welche ihre Defizite in deutscher Sprache und deutschem [österreichischem] Kultur- und Sozialverhalten auszu-gleichen bereit sind“ (ebd., S. 70). Doch genau durch dieses defizitbelastete Denken, diese Abkopplungsgedanken, stehen Geflüchtete – vor allem Kinder und Jugendliche – unter enormem Druck und ihre eigentlichen Stärken und Fertigkeiten gehen verloren.

Jugendliche, in unserem Fall UMFs, werden in ihrem alltäglichen Leben immer wie-der sozialen Belastungen ausgesetzt, welche erheblichen Einfluss auf ihren Lebenslauf/ihre Biografie nehmen können. Eine unbeschwerte Jugend wird zur Utopie und Ausgrenzung, Perspektivenlosigkeit sowie das Gefühl überflüssig zu sein werden zur (Lebens-) Bewälti-gungsaufgabe. Durch dieses oft andauernde Gefühl der Orientierungslosigkeit und sozialen Unzuverlässigkeit spricht Lothar Böhnisch von einer »Entgrenzung der Lebensläufe« (vgl.

ebd., S. 46). Jugendliche müssen ihr Leben stärker individuell bewältigen, um so dem Ri-siko des Scheiterns entgehen zu können. Wenn Lothar Böhnisch demnach von der »Ent-grenzung«, »Biografisierung« oder »Entstrukturierung« des Jugendalters spricht, dann zeigt er damit, wie unsicher der Status der Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft ist und wie sehr die eigenen biografischen Anstrengungen in den Vordergrund rücken müssen.

Jugendliche geraten immer mehr in einen Individualisierungs- bzw. Biografisierungspro-zess und müssen, um integriert zu werden, funktionieren. UMFs entsprechen allein durch ihre andere Kultur, ihre ausländische Herkunft nicht dem, von der österreichischen Gesell-schaft vorgeformten Schema und sind dadurch stärker gefährdet, Entgrenzung und Sepa-ration zu erfahren als Gleichaltrige inländischer Herkunft. Diese Ausgliederung,

Separie-rung ohne das verlässliche Wissen, die Sicherheit auf spätere Integration drängt die ge-flüchteten Jugendlichen in Randpositionen und löst Unbehagen sowie ein Gefühl des Ver-sagens aus (vgl. Böhnisch 2012, S. 145 f.) Die Sozialpädagogik setzt sich genau mit diesen biografisch, bewältigungsorientierten, sozialintegrativen Prozessen und der gesellschaftlich beschleunigten Individualisierung auseinander. Es besteht ein Bestreben, soziale Chan-cengleichheit bzw. Erreichbarkeit zu gewährleisten und das bestehende Ungleichgewicht der besagten »Risikogesellschaft« zu minimieren. Es zeigt sich, dass Individualisierung und Lebensbewältigung in engem Zusammenhang stehen und quasi untrennbar zu betrachten sind (vgl. ebd., S. 45).

Geflüchtete Menschen werden dabei in unserer Gesellschaft, wie kaum eine andere Sozialgruppe, etikettiert. Integration bzw. die Anerkennung dieser Personengruppe fällt auf-grund von Stereotypen und Kategorisierungen schwer (vgl. Böhnisch 2012, S. 249). Bei der Entstehung eben dieser Ressentiments spielen Kulturstandards bzw. Kulturmuster – da-runter wird das gesellschaftliche Alltagswissen verstanden – eine tragende Rolle. Durch die Standards der jeweiligen Kulturen handeln, denken und werten Menschen einer Gruppe different. Normen und Regeln bestimmen unsere Gewohnheiten, unser Sprachverhalten, Erziehung, Kleidung, Rituale oder verschiedenste Einstellungen (vgl. Losche 2000, S. 16).

Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung von Stereotypen bzw. Gebilde von Zuschrei-bungen. Die Muster verändern sich je nach Ethnien, Kulturen, Zugängen, Ressourcen, Um-feld etc., doch die Rahmung bzw. Hülle von Fremd/Vertraut bleibt und gilt durch vorgege-bene Verhaltensmuster gefüllt zu werden. Lothar Böhnisch beschreibt, dass ein sozialpä-dagogischer Zugang der (Lebens-) Bewältigungslagen – in unserem Fall von UMFs – nicht primär über den ethnischen Bezug gefunden, sondern vielmehr über sozialkulturelle und gesellschaftliche Aspekte gesucht werden kann (vgl. Böhnisch 2012, S. 248 f.).

Das Fremde bzw. Andere tritt somit gegenwärtig in unsere Mitte und stellt mit der unum-gänglichen kulturellen Vielfalt neue An- bzw. Herausforderungen und Notwendigkeiten für alle Individuen in unterschiedlichsten Feldern dar. Dadurch beginnen Menschen, sich von dem für sie Unbekannten abzugrenzen. Dabei kann Angst über Akzeptanz und Toleranz überwiegen.Laut Astrid Messerschmidt (2005) gilt: Wer Andere als fremd identifiziert, hat die Definitionsmacht über Fremdes, Abweichendes, Unnormales und gehört selbst der Po-sition normal und zugehörig zu sein an. Dass das Verhältnis von Eigenem und Fremden von einer wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Positionen abhängt, ist deshalb nur auf einer abstrakten Ebene gültig. In der sozialen Praxis ist Fremdheit bestimmt von Un-gleichheit (vgl. Messerschmidt 2005, S. 217 f.). SozialpädagogInnen sowie Sozialarbeite-rInnen versuchen, die Entstehung und Umgangsformen von Fremdheit – auf einer Me-taebene – darzustellen und durch das Aufzeigen von methodischen Bewältigungsansätzen

Anerkennung und Akzeptanz zu generieren. Ihr Blick richtet sich dabei weg vom „integrati-onsfixierten Zugehörigkeitsdiskurs zum Bewältigungsdiskurs und versuchen sich an den eigenen Zugehörigkeiten, die die MigrantInnen sich in ihren Bewältigungsformen schaffen, zu orientieren“ (Böhnisch 2012, S. 71). Ina Braun und Hamid Reza Yousefi (2011) beschrei-ben, dass es oftmals notwendig ist, den Blickwinkel des/der Anderen einzunehmen, auch wenn dieser kontrovers zu dem eigenen ist. Jeder Mensch bzw. jede Kultur ist individuell und Menschen sollten lernen, damit umzugehen, auch wenn diese unbekannten Umgangs-formen in der Gesellschaft als herausfordernd erlebt werden (vgl. Braun/Yousefi 2011, S.

64). Glissant (2000) fordert ein Menschenrecht auf Undurchsichtigkeit, das besagt, dass nicht jede/r jeden verstehen muss, um mit ihr/ihm zu leben. Die Erfahrung mit Fremdheit muss nicht Anlass für eine Verstehensanstrengung sein, sie muss nicht instrumentalisiertes Verstehen durchschauen oder entlarven (vgl. Glissant 2000 zit. n. Messerschmidt 2005, S.

224). Fremdheit ist nach Astrid Messerschmidt ein Beziehungsbegriff, der nur in Relation mit etwas anderem zu Stande kommt, das nicht fremd ist. Das Fremde ist einerseits eine Grenze zum Eigenen und steht andererseits für das andere des Eigenen. Durch diese Kon-frontation mit der eigenen Beschränktheit, den nicht realisierten Möglichkeiten, anders zu sein und der dadurch empfundenen Entwertung des eigenen Standpunktes kann eine her-abwürdigende Abwehr des Fremden entstehen (vgl. ebd. 2005, S. 217 f.). Basierend auf dieser Abwehrhaltung und diesen Ressentiments entstehen Vorurteile und stereotype Denkweisen. Bewältigungskonzepte eröffnen der SozialpädagogInnen sowie Sozialarbei-terInnen Zugänge, welche über das traditionelle, institutionsgebundene Denken hinausrei-chen. Ziel der Sozialen Arbeit – um die bereits oben genannten Grunddimensionen zu ge-währleisten – sollte sein: „Räume und Beziehungen zu ermöglichen [und] die Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht immer wieder in solche irritierenden kulturellen Dynamiken hineintreiben“ (vgl. Böhnisch 2012, S. 250). Das »Nichtfremde« wird durch die Nationalität, die Geburt und über die Zugehörigkeit seit Generationen erworben. Fremd sind diejenigen, die die Ordnung nationaler Identität durcheinanderbringen und durch bloße Anwesenheit Anspruch auf Dazugehörigkeit erheben.

„Sie fühlen sich als Gleiche und erfahren sich als Ungleiche, ja Ausgestoßene […]“ (ebd., 2012, S. 248).

Nach Böhnisch kann ein sozialpädagogischer Zugang zu Lebens- und Bewältigungslagen von geflüchteten Menschen so gesehen nicht primär über den ethischen Bezug sondern zunächst über eine sozialkulturelle, gesellschaftliche Dimension gefunden werden. Migrati-ons- und Flüchtlingsarbeit befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen der Ökonomie – welche Geflüchtete abwertend als »nutzlos« ansieht – und der Zivilgesellschaft – wo auch Personen anderer Herkunft Ansprüche auf Rechte und ein humanes Leben haben. Durch

diesen Zwiespalt innerhalb der Gesellschaft ergibt sich eine Grundstruktur der Bewälti-gungslage vieler Flüchtlinge und Ausländer. Dazu zählen: Stigmatisierung ihrer Situation, Tabuisierung, Verwehrung von Handlungsmöglichkeiten, Einengung der Spielräume sowie die Einschränkung auf ein gewisses Milieu (vgl. Böhnisch 2012, S. 248). Durch diese Ver-wehrung und Ausgrenzung wird der Selbstwert dieser betroffenen (Rand-)gruppen bedroht und die Möglichkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, verwehrt. „Erfahrungen der Ausgren-zung und mangelnden Anerkennung resultieren aus einem komplexen Wechselspiel von […] migrationsbedingten Faktoren und Prozessen. [Diese] werden von den Akteurinnen und Akteuren unterschiedlich erlebt und sind von biographischen, insbesondere migrationsbio-graphischen Erfahrungen geprägt“ (Hollstein/Huber/Schweppe 2010, S. 144). Auch hier kommt es zum Streben nach Handlungsfähigkeit sowie der Wiedergewinnung des Selbst-werts. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise gehen die Subjekte gegen diese Einen-gung/Einschränkung der Lebens- bzw. Spielräume vor und entwickeln verschiedene Stra-tegien zur individuellen Bewältigung ihrer Lage. Am Beispiel der Sprache wird deutlich, dass geflüchtete Menschen – in unserem Fall die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – ihre eigene Dynamik entwickeln. Die UMFs kommen zwar in erster Linie zu den Sprachkursen, um Deutsch zu lernen, aber sie wollen sich gleichzeitig mit anderen Jugendlichen austau-schen und sich zugehörig fühlen. Sie nutzen die Kurse als inoffizielle Räume, in denen sie über ihre Befindlichkeit, ihre Gefühle, Ängste und über die fremde Kultur sowie die gegen-seitigen Erwartungen sprechen können. Es eröffnet sich für sie ein Forum, in dem sie Dinge besprechen können und Sprachprobleme zur Nebensache werden.

„Wo aber Sprache ist, da kann ein Weg aus der Gewalt möglich werden“

(Böhnisch/Thiersch 2014, S. 36).

SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen sollen diese Eigendynamiken erken-nen, wertschätzen und als Basis für weitere unterstützende Maßnahmen ansehen. Ziel der Sozialen Arbeit sollte in diesem Zusammenhang sein: Räume und Beziehungen zu ermög-lichen, die UMFs nicht in irritierende kulturelle Dynamiken hineintreiben, ihnen die nötige Zeit geben und die Chance, sich selbstständig zurechtzufinden, ermöglichen (vgl. Böhnisch 2012, S. 250 ff.).

Die Bewältigungsthematik von Lothar Böhnisch bezieht sich aber nicht nur auf Bewälti-gungsprobleme und das darauf bezogene Bewältigungshandeln in den unterschiedlichen Lebensabschnitten, sondern nimmt ebenso Bezug auf ganz normale Alltagssituationen und wie jene gemeistert werden können.