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I. THEORETISCHE BASIS (Kreuzer/Ruppitsch)

2. Pädagogische Konzepte und methodische Ansätze zur Bewältigung der alten und

2.1 Lebensbewältigung (Ruppitsch)

2.1.2 Konzept und Grunddimensionen der Lebensbewältigung nach Lothar

In Lothar Bönischs sozialwissenschaftlicher Grundlegung wird im Konzept der (Lebens-) Bewältigung zunächst der gesellschaftliche Ort aufgeschlossen und die Betroffenheit sowie Befindlichkeit der Individuen – bezogen auf ihr daraus resultierendes Verhalten – betrach-tet. Lebenssituationen werden von Subjekten dann als problematisch erlebt, wenn ein Man-gel – an den bisher für selbstverständlich wahrgenommenen sozialen wie sozioökonomi-schen Ressourcen – besteht. Aus der Sicht und dem Erleben der betrachteten Personen können sich durch sozialkulturelle Probleme, Ressourcenmangel sowie sozialer Desinteg-rationen, Identitätskrisen und damit einhergehende kritische Lebensereignisse ergeben.

Ein Bestreben nach Problemlösung und Handlungsfähigkeit entsteht (vgl. Böhnisch 2012, S. 47).

„Lebensbewältigung meint in diesem Zusammenhang das Streben nach sub-jektiver Handlungsfähigkeit in Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – im Zusammenspiel von Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit – gefährdet ist“ (ebd., S. 47).

Befinden sich Menschen in für sie stressigen Situationen durch Problembelastungen, stre-ben sie eine Wiederherstellung der alten, für sie normalen Lestre-benssituation an. Sozialpäda-gogische Bewältigungskonzepte zielen auf diese Wiedererlangung des Geleichgewichtszu-standes ab. Durch die Entwicklung von Bezugsrahmen sowie das Zusammenwirken von sozialstrukturellen und psychosozialen Einflussfaktoren, soll sozialer Orientierungslosigkeit entgegengewirkt werden. Grunddimensionen wie soziale Integration, Anerkennung, Selbst-wirksamkeit und Handlungsfähigkeit sollten erreicht bzw. generiert werden, welche die Le-bensbewältigung lenken und erleichtern. In unseren Biografien können diese

Grunddimen-sionen different verankert sowie ausgeprägt sein und zur Entstehung unterschiedlicher Le-bensthemen – welche unser Verhalten lenken können – führen (vgl. Böhnisch 2012, S. 47 f.).

Die erste Grunddimension, die Lothar Böhnisch beschreibt, umfasst das „anhal-tende Erleiden von Selbstwert-, Selbstwirksamkeits- und Ausgrenzungsstörung“, welches zu verfestigtem, antisozialem oder autoaggressivem Verhalten führen kann. Sich in die Rolle der/des Betroffenen zu begeben, sei in kritischen und problematischen Lebenssitua-tionen eng mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und des Auf-sich-selbst-gestellt-seins verbunden. Dieser emotionale Grundantrieb „trifft auf die Anpassungserwar-tungen und –zwänge der sozialen Umwelt“ (vgl. ebd., S. 48). Unser Selbstwertgefühl steht demzufolge in enger Verbindung mit sozialer Anerkennung. Bereits Kinder werden diesen Anpassungszwängen ausgesetzt und müssen in frühester Kindheit Bewältigungsstrategien entwickeln. All das, was ihnen widerfährt und all jenes, mit dem sich Kinder und später Jugendliche und Erwachsenen auseinandersetzen müssen, kann sich auf ihren Lebenslauf auswirken. Wichtig ist dabei, wie mit den menschlichen Bedürfnissen umgegangen wird, denn hat sich einmal Hilflosigkeit biografisch verfestigt, kann es für die betroffenen Perso-nen gefährliche Auswirkungen haben. Diese diagnostische Grundthematik, welche in allen sozialen Schichten vorkommen kann, zeigt, dass soziales Verhalten ein Ausdruck von Miss-ständen sowie »des Strebens nach Handlungsfähigkeiten« sein kann. Menschen suchen durch negative Verhaltensweisen die Anteilnahme anderer. Kinder, Jugendliche oder Er-wachsene versuchen durch Delikte, wie unter anderem dem Stehlen oder dem Einnehmen von unerlaubten Substanzen, auf sich aufmerksam zu machen. „Dahinter verbirgt sich ein Streben nach Handlungsfähigkeit (nach sozialer Anerkennung und Wirksamkeit) durch Auf-fälligkeit – bis hin zur Gewalt – als letztem verfügbaren Bewältigungsmittel“ (ebd., S. 49).

SozialpädagogInnen sowie SozialarbeiterInnen werden meist mit Biografien von Subjekten konfrontiert, welche nicht die Chance bekommen haben, gewisse Störungen zu thematisie-ren und zu bewältigen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, den betroffenen Menschen nicht zu kontrollieren oder zu etikettieren, sondern vielmehr die Grundproblematik zu erfor-schen, tiefendynamische Zusammenhänge sowie die Befindlichkeit der/des Betroffenen zu erkennen, um dann eine Förderung und Befriedigung der Bedürfnisse zu gewährleisten (vgl. ebd., S. 49 f.). Aber nicht nur selbst zu handeln bzw. handlungsfähig zu sein, ist für ein unbeschwertes Leben von Bedeutung. Um sozialer Orientierungslosigkeit entgegen wirken zu können, sind ein sozialer Rückhalt sowie ein normaler Alltag notwendig.

Als weitere Grunddimensionen nennt Lothar Böhnisch »die Erfahrung soziale Ori-entierungslosigkeit, den sozialen Rückhalt und das Normalisierungshandeln«. Mit Bezug auf Emil Durkheim (1897/1973) verweist Lothar Böhnisch auf die Erkenntnis, „dass das

Vermögen der Menschen, mit sich selbst zurechtzukommen, davon abhängt, wie sie sich in der Gesellschaft zurechtfinden“ (Böhnisch 2012, S. 50). Gesellschaften geben soziale Strukturen vor, welche über Partizipation, Integration bzw. Erreichbarkeit jener entscheiden.

Ist dies nicht möglich, sind Subjekte mit sozialer Orientierungslosigkeit, welche aus Erfah-rungen sozialer Struktur- bzw. Regellosigkeit resultieren, konfrontiert. Böhnisch verweist auf das Konzept der Anomie – welches einen Zustand mangelhafter gesellschaftlicher In-tegration innerhalb eines sozialen Gebildes beschreibt – und darauf, dass ein enger Zu-sammenhang zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und persönlichem Befinden be-steht. Zwar sind diese anomischen Zustände nicht direkt erfahrbar und damit verhaltensbe-stimmend, dennoch wirken sie sich indirekt auf die Lebenslagen, sozialen Spielräume und biografischen Entwicklungshorizonte der Individuen aus. Anomieprobleme treten durch die Entkopplung von lebensweltlichen und systemischen Prozessen ein. Auch UMFs machen anomische Erfahrungen, wenn sie durch den Erhalt eines Status (Asylanten, Wirtschafts-flüchtlinge, Verbrecher) sozial deklassiert bzw. sozial wie gesellschaftlich isoliert werden.

Sie wollen um keinen Preis als »die Anderen« gelten, werden aber sozialkulturell an den Rand, in die Isolation – durch fehlende Integration – gedrängt. Jugendliche erfahren eine Gesellschaft, welche »Dabeisein« verlangt, aber gleichzeitig gewissen Menschen die Teil-habe bzw. Mittel, um sich durchsetzen sowie selbstbestimmt leben zu können, verwehrt.

Wie bereits in der ersten Dimension beschrieben, kann es durch diese oft unbewusste Aus-grenzung zur Aneignung negativer Eigenschaften bis hin zu ausgeübter Gewalt kommen.

Jugendliche wollen so auf sich aufmerksam machen und dadurch Selbstwert und Hand-lungsfähigkeit erlangen bzw. erkämpfen, welche ihnen durch den Mangel an biografischen Ressourcen und sozialen Zugänge fehlen. Dabei sind sie stetig auf der Suche nach Gebor-genheit, sozialer Anerkennung, Orientierung, Vertrautheit, Zuneigung und Rückhalt (oft lei-der auch durch autoritäre Unterwerfung) (vgl. ebd., S. 50 ff.).

Lothar Böhnisch greift auf den Begriff „Milieu“ zurück, um die Dimension des sozi-alen Rückhalts theoretisch zu erfassen. Unter Milieu versteht Böhnisch: „[…] ein sozialwis-senschaftliches Konstrukt, in dem die besondere Bedeutung persönlich überschaubarer, sozialräumlicher Gegenseitigkeits- und Bindungsstrukturen – als Rückhalt für soziale Ori-entierung und soziales Handeln – auf den Begriff gebracht ist“ (ebd., S. 52). Die menschli-chen Biografien sowie räumliche Erfahrungen nehmen Einfluss auf Milieustrukturen und die vermittelte Spannung, aber auch Offenheit zwischen Individualität und Kollektivität ent-scheiden, wie sich Subjekte der Gesellschaft gegenüber stehen. In Milieubezügen entwi-ckelt sich demnach Normalität, aber auch Ausgrenzung. „Milieus in diesem Sinne sind vor allem für jene sozialen Gruppen von Bedeutung, die in ihrer Lebensbewältigung auf den sozialen Nahraum angewiesen sind“ (Böhnisch 2012, S. 52).

Als abschließende Dimension nennt Böhnisch »Handlungsfähigkeit und Normalisie-rungshandeln«. Er beschreibt Handlungsfähigkeit als ein Zusammenspiel von sozialen Strukturen und individuellen Handlungen. Er richtet seinen Blick auf die subjektive Hand-lungsfähigkeit bzw. Selbstwirksamkeit, welche letztendlich auf Normalisierung, Kontinuität im alltäglichen Leben, soziale Einbindung und Entdramatisierung problematischer Lebens-lagen abzielen. Das Streben nach Selbstwirksamkeit, Orientierung und Rückhalt gehen hier konform. Durch die Reduktion von Anomie und der damit verbundenen Hilfs- bzw. Orien-tierungslosigkeit ist soziale Handlungsfähigkeit möglich (vgl. Böhnisch 2012, S. 52 f.). Die Aufgabe der SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen besteht demnach darin, anomi-sche Situationen zu thematisieren, um Orientierungs- und Hilflosigkeit einzudämmen, eine Abspaltung bzw. Entkopplung gewisser – von der Gesellschaft geformter – Menschengrup-pen zu unterbinden und den Menschen Rückhalt zu geben bzw. das Gefühl zu vermitteln, ein Teil eines Ganzen zu sein. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Soziale Arbeit zwar unterstützen und teilweise sozialkulturell intervenieren kann, es ihr aber nicht oder nur be-dingt möglich ist, zentrale Faktoren wie Einkommen, Arbeit und Rechte, welche auf die subjektiven Lebenslagen bedeutend Einfluss nehmen, zu verändern. Um handlungsbezo-gene Bewältigungsstrategien entwickeln zu können, müssen die zur Verfügung stehenden Mittel, wie Sprache, Beziehungen, Zeit und Raum erfasst werden und die Bewältigungslage in mehreren Dimensionen betrachtet werden (vgl. ebd., S. 54 ff.).

2.1.3 Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen – Lebensbewältigung und