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I. THEORETISCHE BASIS (Kreuzer/Ruppitsch)

1. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Jugendliche alleine auf der Flucht

1.1 Begriffserklärungen

Anfangs soll der Unterschied zwischen den Begriffen Flüchtlinge, Asylsuchende und Mig-rantInnen genau definiert werden, da diese von der Gesellschaft häufig synonym verwendet werden. Anschließend wird der Fokus auf die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gelegt.

Für Menschen, die nach Österreich kommen, gibt es im alltäglichen Sprachgebrauch eine Vielzahl an Begriffen, die verwendet werden, um diese Personengruppe zu beschreiben.

Dazu zählen zum Beispiel AusländerInnen, AsylantenInnen, MigrantInnen, Flüchtlinge, AsylwerberInnen, ZuwanderInnen. Anhand der verschiedenen Bezeichnungen kann abge-lesen werden, ob die Personen vor Verfolgung oder Krieg geflüchtet sind oder ob persönli-che Gründe dazu geführt haben, dass sie nach Österreich gekommen sind.

Der Begriff Flüchtlinge beschreibt jene Personengruppe, welche aufgrund von Ge-fahr im Herkunftsland die eigene Heimat verlassen musste. Damit festgestellt werden kann, ob jemand Schutz braucht, weil er/sie verfolgt wird, wurde in Österreich das so genannte Asylverfahren eingeführt [mehr dazu in Kapitel 1.4.2] (vgl. Schöffl/Sowinetz 2013, S. 3). Ein Flüchtling ist, laut UNHCR, eine Person, welche sich nicht in ihrem Herkunftsland befindet und eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, poli-tischen Meinung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat (vgl.

Schöffl/Sowinetz 2013, S. 10).

Asylsuchende sind jene, die geflüchtet sind und sich nach ihrer Ankunft im Aufnah-meland im Asylverfahren befinden. Sie werden gleichbedeutend auch AsylwerberInnen ge-nannt. Es sind demnach Menschen, die in einem fremden Land Asyl, einen Schutz vor Verfolgung, suchen und deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Synonym kann dafür auch der Begriff AsylantIn im Sprachgebrauch hergenommen werden, jedoch ist die-ser eher negativ behaftet. Ob ein Asylsuchender in Österreich als anerkannter Flüchtling bleiben darf, wird im Asylverfahren entschieden. Die Gründe für eine mögliche Anerken-nung sind in der Genfer Flüchtlingskonvention und im österreichischen Asylgesetz genau definiert. Wenn im Asylverfahren festgestellt wird, dass die geflüchteten Personen im Her-kunftsland tatsächlich von Verfolgung oder Krieg bedroht sind, dürfen sie als anerkannte Flüchtlinge in Österreich bleiben (vgl. Schöffl/Sowinetz 2013, S. 3).

Der wesentliche Unterschied zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen besteht darin, dass MigrantInnen keiner Verfolgung in ihrem Heimatland ausgesetzt sind und jederzeit in ihr Herkunftsland zurückkehren können. In den meisten Fällen kommen sie nach Öster-reich, um die persönlichen Lebensbedingungen zu verbessern, um in Österreich eine Arbeit zu finden oder auch aus familiären Gründen. Während sich Österreich und andere Länder durch internationale Abkommen dazu verpflichtet haben, jenen Personen, die aufgrund von Verfolgung Schutz suchen, diesen auch zu garantieren, obliegt es den Aufnahmeländern jedoch frei zu entscheiden, ob und wie viele MigrantInnen aufgenommen werden sollen (vgl. Schöffl/Sowinetz 2013, S. 3).

Eine Teilgruppe derjenigen, denen es gelingt, über äußerst riskante Wege Europa zu erreichen, sind die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Im alltäglichen Sprachge-brauch wird meist der Begriff UMF für diese Personengruppe gewählt. Auch in dieser vor-liegenden Arbeit wird die zuvor genannte Kurzbezeichnung häufig Gebrauch finden.

Im Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention wurde die Personengruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wie folgt definiert:

„Im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention (Art 1 KRK) gelten als „Kinder“ alle Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs. Das Wohl des Kindes ist zu berücksichtigen. Im Asylverfahren sind unbegleitete Minderjährige alle Perso-nen unter 18 Jahren, bei dePerso-nen kein Elternteil oder sonstiger Obsorgeberech-tigter anwesend ist. Für diese Kinder und Jugendlichen bestehen Sonderbe-stimmungen. Die Minderjährigen werden in speziellen Unterkünften unterge-bracht und erhalten eine besondere Betreuung und Versorgung“ (BM.I Bundes-ministerium für Inneres 2015, o.S.).

Es handelt sich hierbei um eine Gruppe geflüchteter Menschen, welche sich in einer sehr herausfordernden Situation befinden. Einen Minderjährigen2, der sich ohne die Begleitung der Eltern oder anderen erwachsenen Angehörigen, trotz aller hohen Kosten und Gefahren, auf dem Weg nach Österreich durchgeschlagen hat, kann sehr wahrscheinlich nicht auf ein Aufwachsen unter förderlichen Bedingungen zurückblicken. Vor allem die Erfahrungen auf der Flucht stellen eine enorme Belastung für die Jugendlichen dar, denn niemand, und schon gar nicht ein Minderjähriger, flieht ohne Grund. Ein Großteil der UMFs hat auch ein längeres Überleben unter Bedingungen der Illegalität hinter sich, was häufig zu einer Trau-matisierung der Jugendlichen führt. Es handelt sich hier also nicht nur um Heranwach-sende, sondern auch um Jugendliche, die zum Überleben unter äußerst gefährlichen Be-dingungen gezwungen waren (vgl. Scherr 2014, S. 314). Anders als bei Erwachsenen trifft die Jugendlichen die Flucht genau in einer Entwicklungsphase, der so genannten Adoles-zenz, in welcher vor allem die Persönlichkeitsentwicklung eine große Rolle spielt und noch nicht abgeschlossen ist. Nicht nur in Österreich ist es so, dass Kinder und Jugendliche in einem bestimmten Alter gewisse Dinge lernen sollten. Die Gesellschaft sieht vom Klein-kindalter bis hin zum Erwachsenenalter notwendige Schritte vor, welche jedes Individuum durchlaufen muss, welche aber kulturell unterschiedlich definiert werden und verschiedene Altersstufen umfassen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden aber durch ihre Flucht aus ihrem Entwicklungsfeld und somit auch aus ihrer gewohnten Entwicklung her-ausgerissen. Ohne dass sie zunächst über die Ressourcen der für sie neuen Kultur verfü-gen, werden sie plötzlich in Österreich mit fremden Entwicklungsaufgaben konfrontiert. Die Folgen davon machen sich bemerkbar, indem eine Unsicherheit aufkommt, welche es den

2In den meisten Fällen handelt es sich im Zusammenhang mit UMFs um männliche Jugendliche, weshalb auch in dieser vorliegenden Arbeit nur auf diese Personengruppe eingegangen werden soll und der Aspekt des Genderns außer Acht gelassen wird.

UMFs erschwert, Entscheidungen zu treffen, Selbstdefinitionen zu entwickeln, Rollen zu übernehmen und auch allgemein die Schwierigkeit aufwirft, das weitere Leben zu planen.

Die in Österreich vorgesehenen Vorstellungen der Adoleszenz sind - zu jenen der UMFs - kulturell so verschieden, sodass diese mit der Entwertung vieler Erfahrungen, die sie im Herkunftsland gemacht haben, einhergeht (vgl. Meißner 2003, S. 144 f.). Ein weiterer we-sentlicher Punkt im Zusammenhang mit der Adoleszenz, welcher häufig zu Diskussionen führt, ist das Alter der geflüchteten Jugendlichen. Sehr oft ist es der Fall, dass Behörden die Aussagen der Jugendlichen als falsch und unwahr ansehen und deshalb eine Alters-feststellung in Erwägung ziehen, welche nach keinen festgelegten Standards durchgeführt wird und auch in den verschiedensten europäischen Ländern sehr variiert (vgl. Hargasser 2015, S. 108). In vielen Fällen sind die Zweifel der Behörden aber auch gerechtfertigt, denn es gibt immer mehr erwachsene Flüchtlinge, welche sich als Minderjährige ausgeben. Doch welche möglichen Gründe und Motive gibt es, um sich vor den Behörden jünger zu machen als man wirklich ist?

Einer der wesentlichen Vorteile, den Minderjährige gegenüber Erwachsenen haben, ist die Vormundschaft, welche vom Vormundschaftsgericht angeordnet wird. Eine gesetzliche Vertretung wird den Jugendlichen zugeteilt, da davon ausgegangen wird, dass sie noch nicht reif genug sind und auch noch nicht genug Einsicht zeigen könnten. Für bereits Er-wachsene wäre eine solche Vormundschaft ebenfalls äußerst hilfreich und eine große Un-terstützung. Ein weiterer Vorteil könnte die Unterbringung sein, da unbegleitete Minderjäh-rige in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden. Die Umstände dort sind bei wei-tem besser als jene in den großen Gemeinschaftsunterkünften für Erwachsene – ein verlo-ckender Grund, um sein Alter vor den Behörden zu verringern. Die Schwierigkeit, die dabei auf die scheinbar Minderjährigen zukommt, ist, dass sie sich in der Unterbringungseinrich-tung ständig mit wesentlich jüngeren Mitbewohnern auseinandersetzen und auch die Re-geln, laut des Jugendschutzgesetzes, akzeptieren und einhalten müssen. Auch der Besuch einer altersgerechten Schulstufe wird durch die Unterbringungseinrichtung erleichtert, je-doch kommt es hier wieder zum selben Problem, und zwar, dass die Klassengemeinschaft aus wesentlich jüngeren KlassenkollegInnen besteht, welche sich im geistigen und körper-lichen Entwicklungszustand noch auf einem anderen Niveau befinden. Diese damit verbun-dene pädagogische Problematik verlangt demnach eine Altersfeststellung durch die zustän-digen Behörden. In Einzelfällen wird diese Forderung einer genauen Feststellung des tat-sächlichen Alters von Jugendheimen und Schulen selbst beantragt. Behörden führen die-ses Verfahren häufig aufgrund dessen durch, weil es in Kriegs- und Krisengebieten oft der Fall ist, dass die Jugendlichen kaum Geburtsurkunden oder Dokumente erhalten haben.

Die Zeit vor der Flucht ist auch zu knapp, um sich noch um die Beschaffung dieser zu

kümmern, da eine solche zumeist völlig unvorbereitet und plötzlich erfolgt (vgl. Riedelshei-mer 2010, S. 71 ff.). Laut dem statement of good practice im Seperated Children in Europe Programme (2012) soll eine Altersfeststellung immer nur dann durchgeführt werden, wenn ernsthafte Zweifel bestehen. Zuerst sollten andere Methoden, wie zum Beispiel eine Befra-gung, stattfinden oder es sollte versucht werden, schriftliche Dokumente, welche das Alter nachweisen könnten, zu beschaffen. Kommt es aber dennoch zu einer Altersfeststellung durch die Behörden, so muss der Jugendliche selbst dazu bereit sein und im Vorfeld über jeden Schritt genau informiert werden. Das Verfahren, dessen Ergebnis und auch die Fol-gen müssen in der Muttersprache erklärt werden, um sicher zu gehen, dass der JuFol-gendliche alles verstanden hat. Unabhängige Fachkräfte, welche Erfahrung und unverzichtbares Wis-sen mitbringen, prüfen dann die körperliche und psychische Verfassung sowie den Entwick-lungsstand des Jugendlichen. Sollten Zweifel auftreten, so ist die Fachkraft verpflichtet, zu-gunsten des Jugendlichen zu entscheiden (vgl. Separated Children in Europe Programme Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge 2012, S. 46). Dies wurde auch in der allgemeinen Bemerkung Nr. 6 schriftlich festgehalten:

„Die Feststellung des Alters ist sicher, kindergerecht und dem Geschlecht des Kindes angemessen durchzuführen, und im Falle verbleibender Zwei-fel ist zugunsten des Betroffenen zu entscheiden“ (ebd., S. 96).

Als problematisch bei den Verfahren zur Altersfeststellung hat sich herausgestellt, dass es unklare Vorgehensweisen in den unterschiedlichen Regionen gibt. Oftmals wird nur eine Inaugenscheinnahme durch MitarbeiterInnen der Behörden, deren Qualifikation unklar ist, durchgeführt, um das Alter der Jugendlichen festzustellen. Es gibt auch die Möglichkeit medizinische Untersuchungen durchzuführen, um so das Alter zu beweisen. Häufig tragen die Kosten für eine Feststellung durch einen Arzt die Jugendlichen selbst. Bei diversen Un-tersuchungsmethoden kommt hinzu, dass diese zu Problemen im ethischen Bereich führen können, da körperliche Untersuchungen für junge Menschen aus einem anderen Kulturkreis häufig als massive Eingriffe empfunden werden. Durch die fehlende Anwesenheit von Dol-metscherInnen kann den unbegleiteten Minderjährigen oft nicht erklärt werden, was genau in der medizinischen Einrichtung geschehen wird und welche Untersuchungen stattfinden werden. Bei einigen Altersfeststellungen durch Ärzte werden sogenannte Handwurzeltests oder Röntgenuntersuchungen des Schlüsselbeins gemacht. Diese Methode zur Ermittlung des tatsächlichen Alters erscheint als nicht sinnvoll, da zum Beispiel bei einem Handwur-zeltest von einer Abweichung von ein bis zwei Jahren ausgegangen wird (vgl. Riedelshei-mer 2010, S. 73). Es lässt sich also sagen, dass die Feststellung eines genauen Alters bist jetzt noch keine Wissenschaft ist. Es ist notwendig, dass bei diesen Verfahren nach

be-stimmten rechtsstaatlichen Kriterien gemessen wird und dass klare Regeln geschaffen wer-den. Die betroffenen Jugendlichen sollen dabei aktiv beteiligt werden, wobei eine persönli-che Anhörung mit dem Beisein eines Dolmetspersönli-chers als erster Schritt erfolgen sollte.

Da in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf genau diese Zielgruppe – jene der unbegleite-ten minderjährigen Flüchtlinge – gelegt wird, soll im folgenden Kapitel anhand von Statisti-ken die aktuelle Situation der UMFs in Österreich dargelegt werden.