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S PEZIFISCHE P ROTEASEN FÜR MEDIZINISCHE UND MATERIALWISSENSCHAFTLICHE

2.4 Enzymresponsive Peptid-Polymer-Konjugate

2.4.2 S PEZIFISCHE P ROTEASEN FÜR MEDIZINISCHE UND MATERIALWISSENSCHAFTLICHE

ANWENDUNGEN

Eine unumgängliche Anforderung an durch Proteasen induzierte Biotransformationen besteht in einer hohen Spezifität der Enzyme gegenüber den in Biokonjugate integrierten Erkennungs-sequenzen. Auf diese Weise kann der vollständige Erhalt der funktionalen Peptiddomäne sichergestellt und das prozessierte System wie gewünscht aktiviert werden. Ein Überblick zu ausgewählten proteolytischen Enzymen für materialwissenschaftliche und biomedizinische Anwendungen unter Angabe von Enzymklasse und EC-Nummer (engl. enzyme commission) sowie deren Hauptbezugsquellen und spezifischen Erkennungssequenzen kann Tabelle 2.3 entnommen werden.[149] Die gebräuchlichsten Proteasen entstammen der Enzymklasse der Serinproteasen, zu denen neben den bereits genannten trypsinähnlichen Proteasen Plasmin und Thrombin aus dem Blutserum unter anderem der Faktor Xa oder die Enteropeptidase gehören.[150] Jedoch können bei der Inkubation eines Substrates mit diesen Serinproteasen

zunehmend unspezifische und meist störende Proteolyseprodukte auftreten.[149] So wurden für Faktor Xa – abgesehen von einer ineffizienten Hydrolyse C-terminal der Aminosäuren Arginin oder Lysin – unerwünschte Spaltungen weiterer Amidbindungen beobachtet.[151] Demgegen-über kann die Erkennungssequenz von Thrombin mit der aus sechs Aminosäuren bestehenden Abfolge LVPR↓GS relativ spezifisch durch die Protease adressiert werden.[149] Dennoch führt die Behandlung rekombinanter Proteine mit Thrombin nicht selten zu unerwünschten Proteolyse-produkten.[152] Darüber hinaus können kommerziell verfügbare Präparationen von Serin-proteasen mit weiteren proteolytisch aktiven Enzymen verunreinigt sein und dadurch ebenso nicht beabsichtigte Substratspaltungen hervorrufen.[153]

Tabelle 2.3. Überblick zu proteolytischen Enzymen für materialwissenschaftliche und biomedizinische Anwen-dungen unter Angabe der jeweiligen Enzymklasse und EC-Nummer (engl. enzyme commission) sowie der Haupt-bezugsquellen und spezifischen Erkennungssequenzen.

Enzymklasse EC-Nummer Protease Hauptbezugsquelle Erkennungssequenzena Serinproteasen EC 3.4.21.4 Trypsin Rinderpankreas R↓X oder K↓X

EC 3.4.21.5 Thrombin Rinderplasma R↓X oder K↓X

spezifisch: LVPR↓GS[149]

EC 3.4.21.6 Faktor Xa Rinderplasma R↓X oder K↓X spezifisch: LVPR↓GS[149]

EC 3.4.21.7 Plasmin humanes Plasma R↓X oder K↓X[143]

EC 3.4.21.9 Enteropeptidase Rinderdarm DDDDK↓[154]

P1‘ ≠ P oder W EC 3.4.21.37 Elastase Schweinepankreas A↓X, G↓X oder

V↓X[149]

Cysteinproteasen EC 3.4.22.28 Rhinovirus 3C Protease E. coli LEVLFQ↓GP[150]

EC 3.4.22.44 TEV Protease E. coli ENLYFQ↓G[155, 156]

P1‘ variabel[157], P2‘ ≠ P Metalloproteasen EC 3.4.24.7 MMP-1 [Collagenase 1] E. coli verschiedene

Matrix-Metalloprotease u. a.: APG↓L[139]

EC 3.4.24.27 Thermolysin Bacillus L↓X oder F↓X

thermoproteolyticus X = L, F, V, M, A, I[149]

a Soweit in der entsprechenden Literatur nicht anders vermerkt, definiert X eine beliebige proteinogene Aminosäure.

Im Vergleich zu den beschriebenen Serinproteasen weisen einige proteolytische Enzyme viralen Ursprungs eine deutlich höhere Spezifität gegenüber den jeweiligen Erkennungssequenzen der Substrate auf.[149-152] Im Zusammenhang mit der Aufreinigung rekombinant exprimierter Proteine wurde neben der Rhinovirus 3C Protease die TEV Protease (engl. tobacco etch virus) als ein hochspezifisches Enzym zur effizienten Entfernung von Affinitätstags identifiziert.[150, 158]

Komplexe Faltungs- und Selbstorganisationsprozesse assoziieren virale Proteasen zu chymo-trypsinähnlichen Strukturen, wobei anstelle von Serin ein Cystein in die katalytische Triade des aktiven Zentrums involviert wird.[150] Auch wenn die Erkennungssequenzen für zelluläre Serin-proteasen und virale CysteinSerin-proteasen ähnliche Aminosäure-Abfolgen aufweisen können, werden durch bestimmte Proteasen viralen Ursprungs deutlich weniger unerwünschte

Spalt-produkte gebildet.[150] Bedingt durch die erhöhte Spezifität dieser Cysteinproteasen und deren verminderte Katalysegeschwindigkeiten sind nicht zu den betreffenden Epitopen gehörende Amidbindungen seltener von unspezifischen Proteolysereaktionen betroffen. Ein aus material-wissenschaftlicher Perspektive entscheidender Vorteil hinsichtlich der Verwendung viraler Enzyme besteht darin, dass die katalytisch aktiven Proteine in hohen Ausbeuten in Escherichia coli (E. coli) exprimiert und als hochreine Produkte isoliert werden können.[150]

Eine der am besten charakterisierten Cysteinproteasen stellt die TEV Protease dar.[159] Dabei handelt es sich um die katalytisch aktive Domäne des NIa Proteins (engl. nuclear inclusion protein Ia) aus Einschlüssen des Zellkerns, welche durch den Tabakätzvirus gebildet werden.[160]

Im C-terminalen Bereich befindet sich mit einer molekularen Masse von 27 kDa[161] die enzyma-tisch aktive Domäne des viralen Proteins, dessen katalyenzyma-tische Triade aus den Aminosäuren His46 (Base), Asp81 (Säure) und Cys151 (Nukleophil) gebildet wird (vgl. Abbildung 2.4a).[162, 163]

Das Enzym erkennt das aus sieben Aminosäuren bestehende lineare Epitop ENLYFQ↓G, wobei hochspezifisch die Amidbindung zwischen Glutamin und Glycin gespalten wird.[155, 156]

Abbildung 2.4. Dimerisierte Kristallstruktur der TEV Protease (S219D Mutant)[162] im Bändermodell unter Angabe der katalytischen Triade His46, Asp81 und Cys151 (a). PDB ID: 1LVM.[164] Vereinfachter Ablauf ausgewählter Reaktions-schritte einer enzymatischen Hydrolyse am Beispiel des aktiven Zentrums der TEV Protease (b).[165, 166] Nach Koordination des Substrates [I] in der Bindungstasche der Protease erfolgt die Spaltung der Amidbindung unter Bildung eines Acyl-Enzym-Intermediates und eines an His46 koordiniertes C-terminales Aminprodukt [II]. Der Austausch durch ein Wassermolekül bewirkt die Freisetzung des zuvor assoziierten Aminproduktes [III] und führt zur Hydrolyse des Acyl-Enzym-Intermediates unter Bildung des N-terminalen Carboxylproduktes und der Regene-rierung des aktiven Zentrums [IV].

Die Katalysezyklen viraler Cysteinproteasen wie der TEV Protease sind noch nicht vollständig aufgeklärt, auch wenn Parallelen zu den katalytischen Triaden von Serinproteasen vermutet werden.[166] Abbildung 2.4b zeigt einen vereinfachten Ablauf ausgewählter Reaktionsschritte der durch die TEV Protease induzierten Hydrolyse in Anlehnung an den katalytischen Mechanismus der pflanzlichen Cysteinprotease Papain.[165, 166] Nach der Koordination des Peptid-Proteasesubstrates [I] in der Bindungstasche des Enzyms erfolgt die Spaltung der Amidbindung der enzymspezifischen Erkennungssequenz ENLYFQ↓G zwischen Glutamin und

Glycin, wobei ein Acyl-Enzym-Intermediat sowie ein an den Imidazolring von His46 koordi-niertes C-terminales Aminprodukt gebildet werden [II]. Der dabei entscheidende Schritt ist ein nukleophiler Angriff des Thiols von Cys151 bei gleichzeitigem Transfer eines Protons auf den Imidazolring von His46 unter Bildung eines Imidazolium-Ions (Struktur hier nicht gezeigt). Der nachfolgende Austausch eines Wassermoleküls im nächsten Schritt bewirkt die Freisetzung des zuvor assoziierten Aminproduktes [III]. Durch hydrolytische Spaltung des Acyl-Enzym-Inter-mediates wird das N-terminale Carboxylprodukt gebildet und gleichzeitig das aktive Zentrum der Cysteinprotease regeneriert [IV].

Kommerziell verfügbare Versionen der TEV Protease werden in der Regel mit einem Affini-tätstag fusioniert, um die Abtrennung des Enzyms nach dem Substratverdau zu erleichtern.[167]

Zusätzlich wird das Enzym gegenüber dem Wildtyp gentechnisch verändert, um autolytischen Abbaumechanismen zwischen den Aminosäuren Met219 und Ser220 vorzubeugen (z. B. S219D Mutant) und die katalytische Aktivität zu steigern.[162] Darüber hinaus zeigt die TEV Protease katalytische Aktivität über einen weiten pH-Bereich und ist gegenüber typischen Inhibitoren für Serin- oder Cysteinproteasen unempfindlich.[168] Die hohe Spezifität und Robustheit des Enzyms bietet somit eine attraktive Möglichkeit zur gezielten Aktivierung von Peptid-Polymer-Konjugaten. Erst kürzlich wurde die virale Cysteinprotease vom Arbeitskreis BECKER in die Darstellung hochreiner Glycopeptide involviert, um deren Isolierung nach einem ebenfalls enzymatisch induzierten Glycosylierungsprozess zu verbessern.[169] Die quantitative Biotrans-formation PEGylierter Vorläufersequenzen mittels der TEV Protease ermöglichte die selektive Freisetzung O-glycosylierter Peptide unter Abspaltung des synthetischen Polymer-Blockes.

Der selektive Wirkmechanismus der TEV Protease qualifiziert das Enzym als einen substrat-spezifisch agierenden Stimulus zur Aktivierung der Struktur oder Funktion enzymresponsiver Biokonjugate für medizinische und materialwissenschaftliche Anwendungen. Ein bisher noch nicht näher beleuchteter Anwendungsbereich verbindet peptidbasierte Adhäsionsdomänen mit bioinerten Polymeren zu Biokonjugaten, die proteinresistente Beschichtungen auf verschieden-sten Oberflächen ausbilden können. In der vorliegenden Arbeit sollen diese durch die enzyma-tische Prozessierung entsprechend nicht-bindender Vorläufer erzeugt werden. Um weitere Einblicke in das Forschungsfeld zu gewähren, werden im nachstehenden Kapitel etablierte Strategien zur Unterbindung unerwünschter Proteinablagerungen auf Oberflächen erläutert.