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Aufklärung adhäsiver Wechselwirkungen zwischen biomakromolekularen

2.7.1 QUARZKRISTALL-MIKROWAAGE MIT DISSIPATIONSAUFZEICHNUNG

Die Technik der QCM-D ermöglicht in situ Untersuchungen von Wechselwirkungen und Adsorptionsprozessen der verschiedensten Verbindungen auf einer Vielzahl von Materialober-flächen in flüssigen Medien oder in der Gasphase.[237, 238] Insbesondere die Interaktionen biomakromolekularer Strukturen und synthetischer Polymere mit sowohl organischen als auch anorganischen Oberflächen können charakterisiert werden.[238-240] Das Messprinzip der Quarz-kristall-Mikrowaage beruht auf der resonanten Anregung eines Sensors aus Quarzkristall durch das Anlegen einer Wechselspannung, wodurch dieser mit einer bestimmten Frequenz oszilliert.[241] Die Materialanreicherung einer Komponente auf der Sensoroberfläche bewirkt eine Massenzunahme auf dem Kristall, so dass dessen Resonanzfrequenz abnimmt. Die Technik erlaubt eine Detektion adsorbierter Massen im Nanogrammbereich.[242]

In Abhängigkeit von der Elastizität der erhaltenen Beschichtung können für die Beschreibung der Adsorptionsvorgänge und der damit verbundenen Massenänderungen zwei verschiedene Modelle herangezogen werden. Während durch das VOIGT-Modell viskoelastische Schichten quantitativ interpretiert werden können, dient das SAUERBREY-Modell zur Charakterisierung rigider Filme, welche starr auf der Oberfläche gebunden werden. Der lineare Zusammenhang zwischen den Frequenzänderungen Δf [Hz] und den adsorbierten Massen ΔmSAUERBREY [ng∙cm−2] wird durch die SAUERBREY-Gleichung[243] beschrieben (Gleichung 1):

∆𝑚𝑚𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆𝑆 =−𝐶𝐶

𝑛𝑛 ∙ ∆𝑓𝑓𝑛𝑛 (𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆 𝟏𝟏) Hierbei entspricht C der Massenempfindlichkeitskonstante (C = 17.7 ng∙Hz−1∙cm−2 für einen 5 MHz Quarzkristall) und n der Anzahl von Frequenzobertönen (n = 1, 3, 5, … , 13). Unter der Voraussetzung, dass diese Masse im Vergleich zu der des Kristalls deutlich geringer ausfällt und sowohl starr als auch gleichmäßig auf der gesamten Sensoroberfläche adsorbiert, kann das

SAUERBREY-Modell direkt auf ein reales System übertragen werden.[237] Dies trifft in der Regel jedoch nur auf sehr dünne und rigide Filme zu, welche eine minimale Frequenzänderung der verschiedenen Obertöne hervorrufen. Die Adsorption biomakromolekularer Strukturen wie Proteinen an der Grenzfläche zwischen festen und flüssigen Phasen dagegen erzeugt viskoelastische Schichten auf einer Materialoberfläche.[244] Diese können der Oszillation der Quarzkristalle nicht exakt folgen sondern dämpfen deren Schwingungen.[242] In diesem Zusammenhang wurden QCM-Techniken mit simultaner Bestimmung des Dissipationsfaktors D [dimensionslos] entwickelt, wobei der Sensor nach der Anregung frei schwingen kann.[245-248]

Die Dissipation ist ein Maß für den Reibungsverlust des Systems und wird durch folgenden Zusammenhang wiedergegeben (Gleichung 2):

𝐷𝐷= 𝐸𝐸𝐷𝐷𝐷𝐷𝑆𝑆𝑆𝑆𝐷𝐷𝐷𝐷𝑆𝑆𝐷𝐷𝐷𝐷𝐷𝐷𝐷𝐷

2𝜋𝜋 ∙ 𝐸𝐸𝐺𝐺𝑆𝑆𝑆𝑆𝐷𝐷𝑆𝑆𝐷𝐷𝐺𝐺𝐺𝐺𝑆𝑆𝑆𝑆𝐷𝐷 (𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆 𝟐𝟐) Dabei entspricht EDISSIPATION der Energie, die während eines Oszillationszyklus abgegeben wird und EGESPEICHERT der im System verbleibenden Energie. Aufgrund der Dämpfungseigenschaften viskoelastischer Filme werden deren adsorbierten Massen durch das SAUERBREY-Modell unter-bewertet.[249] Das VOIGT-Modell dagegen erlaubt durch die mathematische Verknüpfung der Änderungen von Frequenz Δf und Dissipation ΔD eine exaktere Berechnung der Massen-anlagerung unter Berücksichtigung von Dichte, Viskosität, Elastizität und Schichtdicke der viskoelastischen Filme.[250, 251] Eine detaillierte Beschreibung zur Bestimmung der adsorbierten Massen ΔmVOIGT [ng∙cm−2] und Schichtdicken dVOIGT [nm] nach VOIGT durch das Anlegen einer Näherungsfunktion kann Kapitel 5.3.3.4 (vgl. Seite 114) entnommen werden. Für Messungen in wässrigen Medien ist zu beachten, dass bei der Adsorption von Proteinen oder Peptiden Wassermoleküle in die Beschichtung eingelagert werden. Dementsprechend schwingen die gebundenen Wassermoleküle der auf der Oberfläche angelagerten Masse ebenfalls mit, weshalb die nach dem VOIGT-Modell berechnete Masse keinen direkten Rückschluss auf die Stoffmenge einer haftenden Komponente zulässt.[249] Die vielfältigen Möglichkeiten zur Aufklärung und Auswertung der Adsorptions- und Desorptionsvorgänge biomakromolekularer Strukturen auf Oberflächen prädestiniert die QCM-D-Technik als zentrale Analysemethode der vorliegenden Arbeit. Dabei sollen die adhäsiven Eigenschaften enzymresponsiver Peptid-PEG-Konjugate untersucht werden, welche durch die proteolytische Prozessierung entsprechend nicht-aktivierter Vorläufer proteinresistente Biokonjugat-Beschichtungen bilden können.

Das Verständnis der adhäsiven Wechselwirkungen zwischen biomakromolekularen Strukturen und Materialoberflächen bildet die Grundlage für die Entwicklung bioinerter und biospezi-fischer Beschichtungen.[173, 174] Neben der Quarzkristall-Mikrowaage existiert eine Vielzahl weiterer Technologien, um die Haftungseigenschaften biologischer Verbindungen zu analy-sieren. Für biomedizinische und pharmazeutische Forschungen und daraus hervorgehende Anwendungen werden vor allem markierungsfreie Methoden favorisiert. Diese ermöglichen eine direkte Bestimmung der Oberflächenaffinität eines Systems in natürlicher Umgebung, ohne dass die Messergebnisse durch eine Markierungseinheit verfälscht werden können.[252]

Insbesondere kraftbasierte Techniken wie beispielsweise die Rasterkraftmikroskopie (AFM, engl. atomic force microscopy) liefern zuverlässige Informationen hinsichtlich der adhäsiven und

mechanischen Eigenschaften biomakromolekularer Strukturen und gewährleisten die dafür notwendige hohe Sensitivität.[253] Ein spezielles und im Vergleich zum atomaren Kraftmikro-skop einfach zu handhabendes Affinitätsbiosensor-System beruht auf der mechanischen Verfor-mung elastischer Hydrogelsonden (SCPs, engl. soft colloidal probes).[254] Die Deformierung der SCPs kann mittels der lichtmikroskopischen Technik der Reflexionskontrastmikroskopie (RICM, engl. reflection interference contrast microscopy) detektiert werden.[255, 256]

2.7.2 REFLEXIONSKONTRASTMIKROSKOPIE FÜR MECHANISCH VERFORMBARE HYDROGEL

-SONDEN

Affinitätsbiosensor-Systeme wie mechanisch verformbare Hydrogelsonden ermöglichen eine Charakterisierung von sowohl spezifischen als auch unspezifischen Wechselwirkungen zwischen Biomakromolekülen und verschiedensten Substratoberflächen.[257-262] Dafür werden die biologischen Verbindungen kovalent an die SCPs gebunden und bewirken durch adhäsive Interaktionen mit einer festen Oberfläche eine physikalisch messbare Deformation der sphäri-schen Kolloide.[256] Diese Verformung kann als ein Maß für die Stärke der Wechselwirkungen der Systeme interpretiert und mittels Techniken wie der Reflexionskontrastmikroskopie – auch als Interferenzreflexionsmikroskopie bezeichnet – in Form von Adhäsionsenergien ausgelesen werden.[255, 256] Abbildung 2.8 zeigt das Funktionsprinzip der SCP-Methode zur Bestimmung der Kontaktfläche eines mechanisch verformbaren Hydrogelpartikels, an dessen Oberfläche biomakromolekulare Strukturen immobilisiert sind, sowie eine schematische Darstellung der dazugehörigen interferenzmikroskopischen Aufnahmen.[261] Hierbei sedimentiert die in Lösung vorliegende Hydrogelsonde ohne die Einwirkung äußerer Kräfte, so dass die SCP-gebundenen Biomakromoleküle mit einer Glasoberfläche wechselwirken können (vgl. Abbildung 2.8 oben).

Die damit verbundene mechanische Verformung des elastischen Kolloids führt zu charak-teristischen Oberflächenkontakten in Form konzentrischer Ringe, die mittels des inversen Mikroskops detektiert werden (vgl. Abbildung 2.8 unten).

Der an Hand von RICM-Aufnahmen bestimmbare Kontaktradius a des zentralen Interferenz-minimums kann mit Hilfe des JKR-Modells[263] mathematisch interpretiert werden und ermög-licht eine Berechnung der entsprechenden Adhäsionsenergie WJKR[μJ∙m−2](Gleichung 3):

𝑎𝑎3 = 6𝜋𝜋 ∙ 𝑊𝑊𝐽𝐽𝐽𝐽𝑆𝑆

4𝐸𝐸/(1− 𝜗𝜗2)∙ 𝑅𝑅2 (𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆𝐆 𝟑𝟑) Dabei entspricht R dem Radius des SCPs und E dem Elastizitätsmodul als Maß für die Stärke des Widerstandes, den ein Material seiner Deformierung entgegensetzt. Die POISSON-Zahl ϑ definiert das Verhältnis der Quer- zur Längsverformung bei unidirektionaler Belastung. Die so ermittelten Adhäsionsenergien entsprechen einem direkten Bindungstest zwischen den sondengebundenen Biomakromolekülen und der Glasoberfläche. Im Vergleich sättigungs-abhängigen Adsorptionstechniken zur Aufklärung adhäsiver Eigenschaften wie beispielsweise der Quarzkristall-Mikrowaage können mittels der SCP-Methode die multivalenten Ober-flächenkontakte quantitativ wiedergegeben werden.[261]

Abbildung 2.8. Funktionsprinzip der SCP-Methode zur Bestimmung der Kontaktflächen elastischer Hydrogel-sonden (SCPs) mittels der Messtechnik der Reflexionskontrastmikroskopie (RICM): Durch die Sedimentation des SCPs können die an der Hydrogelsonde immobilisierten Biomakromoleküle mit der Glasoberfläche wechselwirken (oben). Die damit verbundene mechanische Verformung des SCPs führt zu charakteristischen Oberflächenkontakten und wird in RICM-Aufnahmen als radiales Interferenzmuster sichtbar – hier schematisch dargestellt (unten). Zur Berechnung der Adhäsionsenergie WJKR auf Grundlage des JKR-Modells[263] wird der Kontaktradius a aus dem zentralen Interferenzminimum ermittelt.[261] Proteinstruktur Protegrin PDB ID: 1KWI.[47]

Für eine erfolgreiche Anwendung des Messprinzips werden sowohl an die Sonden als auch an die Substratoberfläche bestimmte Anforderungen gestellt. Letztere sollten aus einem möglichst lichtdurchlässigen und harten Material wie beispielsweise ebenen Glasoberflächen bestehen.[257]

Der amorphe Feststoff erlaubt eine Funktionalisierung der Oberfläche, um die Interaktionen biomakromolekularer Strukturen mit verschiedenen Systemen untersuchen zu können.[264, 265]

Die Hauptkriterien für SCPs wiederum sind sehr vielfältig. Neben minimal unspezifischen Wechselwirkungen des Sondenmaterials mit der Substratoberfläche ist eine möglichst glatte Partikeloberfläche erforderlich.[256] Darüber hinaus ist eine hohe Deformierbarkeit der sphäri-schen Kolloide für eine erfolgreiche Anwendung der SCP-Methode unabdingbar. In aktuellen Forschungen zur Untersuchung der adhäsiven Wechselwirkungen von Biomakromolekülen mit Substratoberflächen haben sich Poly(ethylenglycol)-basierte Hydrogelpartikel als besonders geeignet erwiesen.[258-260, 262, 266] Die aus langkettigen PEG-Makromolekülen bestehenden Mikrosphären verfügen über eine exzellente Biokompatibilität.[64] Weiterhin sind die neutralen und nicht-adhäsiven PEG-SCPs mit Elastizitätsmodulen unterhalb von 100 kPa hochflexibel bzw. mechanisch verformbar.[257]

Um die SCP-Methode zur Charakterisierung biologischer Adhäsionsprozesse heranziehen zu können, ist eine kovalente Anbindung der gewählten Biomakromoleküle an dem Sonden-material erforderlich. Die Synthese und Modifikation von PEG-Mikropartikeln mit geeigneten funktionellen Gruppen ist relativ unproblematisch und gestattet die Immobilisierung der biologischen Verbindungen mittels etablierter Ligationsstrategien.[257, 260] Somit besteht die Möglichkeit, elastische PEG-Hydrogelpartikel als Affinitätsbiosensor-Systeme in die quanti-tative Analyse enzymatisch aktivierbarer Adhäsionsdomänen zu involvieren.

Kapitel 3

3 E RGEBNISSE UND D ISKUSSION