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Peptidbasierte Adhäsionsdomänen für Titandioxid-Oberflächen

Das Phagen-Display ermöglicht die gezielte Selektion adhäsiver Peptiddomänen für die verschiedensten Materialien wie Metalle, Metalloxide, Polymere oder Halbleiter aus größeren, rekombinanten Peptid-Bibliotheken.[217] Im Vergleich zum rationalen Design wird durch die biotechnologische Methode das komplexe Zusammenspiel von Peptid-Sekundärstruktur und haftungsvermittelnden Aminosäure-Seitenketten zur Erzeugung der gewünschten Oberflächen-spezifität optimal verwertet.[220] Hinzu kommt, dass die Beschaffenheit einer Oberfläche durch die Morphologie des Materials bestimmt wird und die damit verbundenen Ladungszustände oberflächennaher Atome durch rationale Ansätze oftmals nur schwer zu erfassen sind. Die Oberfläche von metallischem Titan beispielsweise bildet in Gegenwart von Sauerstoff spontan eine dünne oxidierte Schutzschicht, welche sich aus amorphem und nicht-stöchiometrischem Titandioxid zusammensetzt.[221] Unter wässrigen Bedingungen präsentiert die Oberfläche die Sauerstoffatome in Form von Hydroxylgruppen (−Ti−OH), welche sowohl als zweifach proto-nierte (−Ti−OH2+) als auch anionische (−Ti−O) Spezies vorliegen können.[222] Dementsprechend agieren Titandioxid-Oberflächen als schwache BRØNSTED-Basen mit amphoteren Eigenschaften.

Der isoelektrische Punkt (IEP, engl. isoelectric point) der Oberfläche liegt in Abhängigkeit von der Metalllegierung und des Herstellungsprozesses in einem Bereich zwischen 4.7 – 6.2.[223]

Daher werden aufgrund der negativen Gesamtladung der Oberfläche bei neutralen pH-Werten in der Regel Peptidsequenzen mit kationischen Aminosäuren unspezifisch akkumuliert.[224]

Jedoch weist die amphotere Metalloxid-Oberfläche sowohl positiv als auch negative geladene Bindungsstellen auf, weshalb spezifische Adhäsionsdomänen für TiO2 bevorzugt mittels Phagen-Display selektiert werden.[225-229]

2.6.1 MULTIVALENTE OBERFLÄCHENSPEZIFISCHE ADHÄSIVE

Der Arbeitskreis GRINSTAFF identifizierte durch die Selektionsmethode des Phagen-Displays – in Verbindung mit Aminosäure-Substitutionsexperimenten – die trimere Peptiddomäne HKH als einen starken Binder für Titandioxid-Oberflächen.[202] Die Integration dieses Motives als dreifache Wiederholungseinheit in ein lineares 18-mer bewirkte eine hundertfache Verstärkung der Oberflächenhaftung im Vergleich zu der ursprünglich selektierten Peptidsequenz. Nach der PEGylierung (Mn = 3.4∙103 g∙mol−1) des C-Terminus wurden die proteinresistenten Eigenschaften des Peptid-Polymer-Konjugates mittels QCM-D analysiert. Dabei konnte eine vollständige Abschirmung gegenüber dem extrazellulären Glykoprotein Fibronectin sowie eine verminderte Ablagerung des Bakteriums Staphylococcus aureus (S. aureus) verzeichnet werden.[202] Der anpassungsfähige Erreger steht in Verbindung mit antibiotikaresistenten Infektionen in medizinischen Versorgungsbereichen.[230] Auch wenn eine signifikante Verminderung der Bakterienbesiedlung auf der Metalloxid-Oberfläche beobachtet wurde, zeigte die Biokonjugat-Beschichtung nur eine begrenzte Stabilität unter physiologischen Bedingungen. Daher wurde zur Verbesserung der Haftungseigenschaften auf das chemische Wirkprinzip der Multivalenz zurückgegriffen.[231, 232] Dieses involviert repetitive Einheiten einer Bindungsmotives mit dem Ziel, die Wechselwirkungen zwischen System und Oberfläche zu verstärken. Auf dieser

Grund-lage erarbeitete die Arbeitsgruppe GRINSTAFF eine zweite Generation von Adhäsionsdomänen, wobei das Trimer KHK als Binder für Titandioxid-Oberflächen ermittelt wurde.[203] Das Motiv wurde als dreifache Wiederholungseinheit zu einer 15-mer Adhäsionsdomäne angeordnet und sowohl in Form einer monovalenten Peptidsequenz als auch durch synthetische Verzweigungs-punkte erzeugte divalente und tetravalente Peptiddomänen mit einem linearen PEG-Block verbunden (vgl. Abbildung 2.6 mittig bzw. rechts). Dabei zeigte der tetravalente Binder eine zehnfach stärkere Oberflächenhaftung auf TiO2 im Vergleich zum linearen Äquivalent, wobei in Gegenwart von Humanserum etwa 90 % der ursprünglichen Biokonjugat-Beschichtung noch nach zwei Wochen erhalten waren. Darüber hinaus demonstrierte die tetravalente Beschichtung in vitro eine 90 %ige Reduktion der Biofilmbildung durch das Bakterium S. aureus.[203]

Abbildung 2.6. Graphische Darstellung zur Verdeutlichung des Multivalenzprinzips im Zusammenhang mit linearen monovalenten (links) und verzweigten di- bzw. tetravalenten Peptid-PEG-Konjugaten (mittig und rechts).

Die Peptidsequenzen sind in blau, die PEG-Blöcke in gold und die Linker-Moleküle in grau abgebildet.[203] Reprinted with permission from X. Khoo, G. A. O’Toole, S. A. Nair, B. D. Snyder, D. J. Kenan, M. W. Grinstaff, Biomaterials 2010, 31, 9285-9292. Copyright 2010 Elsevier.

Die multiple Verknüpfung peptidbasierter Adhäsionsdomänen mit Poly(ethylenglycol) bietet somit einen progressiven Ansatz, stabile und proteinresistente Beschichtungen für Titandioxid-Oberflächen zu erzeugen. Die Integration dieses Prinzips in materialwissenschaftliche Konzepte basierend auf der enzymatisch aktivierbaren Adsorption von Peptid-PEG-Konjugaten mittels Proteasen ist bisher noch nicht beschrieben worden. Im Zusammenhang mit der oberflächen-spezifischen Haftung mittels Phagen-Display selektierter Adhäsionsdomänen kann die Sequenz RKLPDAPGMHTW hervorgehoben werden, welches in der Literatur als titanbindendes Peptid TBP (engl. Ti-binding Peptide TBP-1) bezeichnet wird. Zur Aufklärung der adhäsiven Eigen-schaften des linearen 12-meres ist das Zusammenwirken zwischen Aminosäure-Seitenketten, Peptidrückgrat und Oberflächenladung bereits umfassend untersucht worden.

2.6.2 DAS TITANBINDENDE PEPTID

Im Jahr 2003 identifizierte der Arbeitskreis SHIBA via Phagen-Display die lineare Peptidsequenz RKLPDAPGMHTW (TBP) als effizienten Binder für Titandioxid-Partikel.[233] Gemäß QCM-D-Messungen zeigte die selektierte Adhäsionsdomäne eine hohe Spezifität für die anorganischen Oberflächen von TiO2 und SiO2, wohingegen keine bzw. eine geringere Haftung auf einer Vielzahl von anderen Metalloberflächen verzeichnet wurde.[234] Durch Alanin-Substitutions-experimente wurden die für die Oberflächenhaftung verantwortlichen Aminosäuren der Peptidsequenz TBP bestimmt.[233] Der Austausch von Arginin (R1), Asparaginsäure (D5) und Prolin (P4) gegen Alanin führte zu deutlich verminderten elektrostatischen Wechselwirkungen

mit den TiO2-Partikeln, während die Substitution der verbleibenden Aminosäuren keinen oder nur einen geringen Effekt auf die Bindung ausübte. Diese Analyse legte die Vermutung nahe, dass die Oberflächenhaftung von TBP vornehmlich durch den N-terminalen Bereich der 12-mer Peptiddomäne hervorgerufen wird und die Aminosäuren des C-terminalen Abschnittes nur geringfügig beteiligt sind. Gleichermaßen entscheidend für das Verständnis des Adsorptions-verhaltens der Adhäsionsdomäne TBP ist die pH-Abhängigkeit der oxidierten Oberfläche. Bei pH 7.5 wurden – entsprechend des amphoteren Charakters der Oxidschicht – neben positiv geladenen Aminosäuren wie R1 auch negativ geladene wie D5 an der Oberfläche akkumu-liert.[233] Hervorgehend aus diesen Überlegungen konnte ein Modell entwickelt werden, welches das N-terminale Hexamer RKLPDA (TBP6) als zentrales Bindungsmotiv von TBP für Titan-dioxid-Partikel beschreibt. Nach diesem adhärieren R1 und D5 an derselben Oberfläche, während das heterocyclische Prolin (P4) in der cis-Konfiguration vorliegt und zu einem Abknicken des Peptidrückgrates führt.[233] Die Seitenkette von R1 als LEWIS-Base wechselwirkt dabei elektrostatisch mit −Ti−O, wohingegen die LEWIS-Säure D5 mit −Ti−OH2+ interagieren kann. Rasterkraftmikroskopische Untersuchungen bestätigten die ladungsbasierten Wechsel-wirkungen von TBP6 mit der Metalloxid-Oberfläche.[235] Weshalb Lysin (K2), welches aufgrund der positiv geladenen Seitenkette mit TiO2 interagieren könnte, nicht an der Haftung von TBP beteiligt ist, konnte an Hand des postulierten Modells nicht erklärt werden.

Weitere Ergebnisse zur Aufklärung der adhäsiven Eigenschaften von TBP lieferte 2011 der Arbeitskreis MIRAU durch hochauflösende Kernresonanzspektroskopie-Methoden (NMR, engl.

nuclear magnetic resonance). Diese ermöglichten die Bestimmung von Struktur und Orientierung des Peptides auf Silicium- und Titandioxid-Nanopartikeln bei neutralen pH-Werten.[236] Dabei sollte vorrangig ermittelt werden, weshalb der Austausch der Aminosäure Lysin (K2) durch ein hydrophobes Alanin zu einer verstärkten Oberflächenhaftung der Adhäsionsdomäne führte.[233]

Abbildung 2.7 zeigt die aus den NMR-Experimenten hervorgehende dreidimensionale Struktur des hexameren Bindungsmotives TBP6 im Vergleich zu den Alanin-substituierten Peptid-sequenzen A2TBP6 und A2TBP12 auf SiO2-Nanopartikeln.[236]

Abbildung 2.7. An Hand NMR-spektroskopischer Methoden bestimmte dreidimensionale Struktur des N-terminalen Bindungsmotives TBP6 der Adhäsionsdomäne TBP im Vergleich zu den Alanin-substituierten Peptidsequenzen A2TBP6 und A2TBP12 und deren Anordnung bei der Haftung auf SiO2-Nanopartikeln (nur das Rückgrat der Peptidsequenzen ist gezeigt).[236] Reprinted with permission from P. A. Mirau, R. R. Naik, P. Gehring, J. Am. Chem.

Soc. 2011, 133, 18243-18248. Copyright 2011 American Chemical Society.

Aus dieser geht hervor, dass durch die Anbindung der Peptidsequenz über die Aminosäuren Arginin (R1) und Asparaginsäure (D5) die Seitenketten von Leucin (L3) und Alanin (A6) der

Oberfläche entgegengerichtet werden. Gleichzeitig wird das Peptidrückgrat von TBP6 bedingt durch die konformellen Starrheit des Prolins (P4) partiell in „die Form des Buchstaben „C“

dirigiert. Möglicherweise bewirken ionische Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der Aminosäuren Arginin (R1) und Lysin (K2) eine bessere Verankerung des hexameren Bindungs-motives auf der Partikel-Oberfläche. Gleichzeitig wird die kationische Seitenkette von Lysin (K2) nach außen gedreht und kann keine weiteren Interaktionen mit SiO2 eingehen.

Die Aktivierung der Oberflächenhaftung der Adhäsionsdomäne TBP hervorgehend aus einem inaktiven Vorläufer auf Grundlage des bindungsspaltenden Wirkmechanismus proteolytischer Enzyme konnte bisher noch nicht gezeigt werden. Für die Charakterisierung von Adsorptions- und Desorptionsvorgängen adhäsiver Peptiddomänen bzw. entsprechend PEGylierter Systeme auf Titandioxid-Oberflächen eignen sich Techniken wie die Quarzkristall-Mikrowaage mit Dissipationsaufzeichnung hervorragend.

2.7 Aufklärung adhäsiver Wechselwirkungen zwischen biomakromolekularen