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3 Die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise

3.7 Resümee

Die warenproduzierende Produktionsweise, welche sich im Laufe der Zeit herausbildete, mußte gegen viele Traditionen des bisherigen Zusammenlebens und Wirtschaftens durchgesetzt werden. Aus den unterschiedlichsten Bereichen - Religion, Philosophie, Politik - war Unterstützung notwendig, um dieses System zu installieren. Zudem zeigte sich, daß

grundlegende Probleme des wirtschaftlichen Handelns - Ungerechtigkeit, Armut, Reichtum - mit in die sich herausbildende Produktionsweise übernommen und auf eine neue Art und Weise legitimiert wurden.

Komplexe Wechselwirkungen erfolgten zwischen wirtschaftlichen, ideologischen,

gesellschaftlichen und psychologischen Gesichtspunkten und Einflüssen. Ohne die religiösen Doktrinen wäre die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise in der Form nicht möglich gewesen. Der Zwang zur Arbeit, ein enormer Sparsinn, Askese und ein hohes Pflichtgefühl waren diejenigen Charakterzüge und Eigenschaften, welche in der kapitalistischen

Produktionsweise zu Produktivkräften wurden. Zudem wurde den Menschen ein Wille zur Macht (im Sinne von Herrschaft), Eigensucht und Habgier unterstellt, welcher mit gesetzlichen und moralischen Mitteln zur Räson gebracht werden sollte. Selten wurde thematisiert, inwieweit diese Eigenschaften signifikante Ausdrucksformen der Wirtschaftsweise waren. Verhielt man sich nämlich entsprechend dieser Charakterzüge, war dies - vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen - jedenfalls von Vorteil. Außerdem war es psychologisch befriedigend, weil es den Bedürfnissen und den Befürchtungen dieser neuen Art von Persönlichkeit entsprach.

"Allgemeiner gesagt bedeutet das, daß der gesellschaftliche Prozeß dadurch, daß er die Lebensweise des einzelnen - das heißt seine Beziehung zu anderen und zur Arbeit - bestimmt, seine Charakterstruktur formt; dieser veränderten Charakterstruktur entsprechen neue

Ideologien - religiöse, philosophische und politische - die sie ihrerseits intensivieren, befriedigen und stabilisieren. Die neugebildeten Charakterzüge werden dann zu wichtigen Faktoren in der weiteren ökonomischen Entwicklung und beeinflussen ihrerseits den gesellschaftlichen Prozeß."(Fromm 2000a, S. 79)

Eine gewichtige Rolle in diesem Prozeß spielte auch die Herausbildung des Individuums. Der Gedanke, daß der Mensch ein Individuum sei, prägte bereits die christliche Lehre, allerdings durch die göttliche Vorhersehung bestimmt. Im weltlichen Leben wurde der Mensch als Teil einer Gemeinschaft und eines Ganzen begriffen und weniger als ein Individuum. Die neuen Lehren erklärten das Individuum zum Ursprung und Ausgangspunkt einer Gesellschaft.121 Damit

121 Hier hatte v.a. der Liberalismus einen gravierenden Einfluß. Der Individualismus kann als metaphysischer und ontologischer Kern des Liberalismus gesehen werden (vgl. Conert 1998). Die Gesellschaftsform, in welcher sich die Individuen organisieren sollten, ist für die Ökonomie die bürgerliche

trat im okzidentalen Gesellschaftsverständnis ein fundamentaler Wandel ein, das Wohl der Gesellschaft erhielt Nachrang vor dem Wohl des Individuums.

Mit der Ausbreitung von der Vorstellung des Menschen als rationales und vernunftbegabtes Wesen wurden weitere gravierende Veränderungen in Gang gesetzt (vgl. Kant 1997). Die liberale Ideologie leitete auf dieser Basis zwei wesentliche Prinzipien ab: den Utilitarismus und das Eigentum. Diese Implikationen waren für die Herausbildung der kapitalistischen

Produktionsweise unabdingbar, weil diese Verflechtungen die Formen des Gewinnstrebens, der Konkurrenz, der Flexibilität etc., wesentliche Faktoren der kapitalistischen Produktionsweise zuließen.

Ein anderer zentraler Aspekt im Herausbildungsprozeß war der des Eigentums. Zum einen mußte definiert werden, was Eigentum eigentlich ist (Arbeit, Besitz) und zum anderen bedurfte es der Anerkennung von Eigentum. Hier kam dem Staat eine gewichtige Rolle zu, da erkannt wurde, daß um das Eigentum mannigfaltige Konflikte gelagert sind. Der Staat sollte u.a. die Aufgabe haben, Eigentum und wirtschaftliche Freiheiten zu sichern. Es deutete sich bereits hier die komplexe Verwobenheit und Abhängigkeit von Staat, Recht und warenproduzierender Produktionsweise an. Die Umsetzung der kapitalistischen Produktionsweise beeinflußte substanzielle Bereiche der Gesellschaft. Sie bewirkte einen strukturellen Wandel, alle Sphären der Gesellschaft (Staat, Politik, Religion, Rechtsordnung, Wissenschaften) orientierten sich daran bzw. bildeten sich daran aus.122

Die neue Realität kam auch in Gestalt der politischen Ökonomie zum Tragen und die politische Ökonomie versuchte diese neue Realität maßgeblich mitzugestalten. Auffällig dabei war, daß die ökonomischen Gesetze zu Naturgesetzen stilisiert wurden und die politische Macht und die Herrschaftsinteressen oft ausgeblendet blieben, obwohl sie in der Praxis präsent und wirksam waren.

Die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise brachte zugleich eine Herauslösung der Ökonomie aus der Gesellschaft mit sich. Der modernen Wirtschaftswissenschaft war es nach dem Vorbild der Naturwissenschaften gelungen, sich von der traditionellen Einbindung in das gesamte System und dessen Moralvorstellungen zu emanzipieren.123 Diese Abkopplung der Wirtschaftstheorie von den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens und deren

lebenspraktischen Relevanz hatte weitreichende Folgen.

Gesellschaft (vgl. Marx 1970, S. 288 f.). Zu beachten sind auch die Konstruktionen zum Subjekt und seine herausragende Position in der Moderne.

122 Vgl. auch die Auseinandersetzungen um den Mythos der Unabhängigkeit der einzelnen Sphären von der Ökonomie.

123 Allgemein kann festgehalten werden, daß man sich zwar mit vielen grundlegenden Werten - wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit - beschäftigte, diese Werte aber zusehends in den Konnex der Ökonomie gegossen und dementsprechend gewertet und entwickelt wurden.

Es zeichnete sich in den Anfängen bereits ab, daß hier eine Form der Produktionsweise installiert wird, die nach ihren eigenen Gesetzen verfahren wird und sich nicht an den Notwendigkeiten einer Gesellschaft orientieren wird. Die Produktionsverhältnisse verselbständigten sich gegenüber den Menschen und der Gesellschaft.124 Wie bereits Aristoteles feststellte, ist das Ziel der Ökonomie der Reichtum und die Vermehrung des Reichtums. Diese Zielbestimmung setzte eine Unmenge an Konflikte für die Gesellschaft und für den einzelnen in Gang.

Zur Arbeit

Für eine optimale Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise mußten die entscheidenden Produktionsfaktoren wie Güter und Grund, sowie die Tätigkeiten von Menschen als Ware verfügbar gemacht werden.125 Der Mensch wurde in seiner tätigen Gestalt bedeutsam und als wirtschaftlicher Faktor begriffen sowie als Arbeitseinheit gefaßt.

Zudem wurde Arbeit eine ausdifferenzierte Sphäre, die getrennt wurde von anderen Bereichen wie Religion, Kultur etc., aber sich auch von den übrigen Lebensprozeß loslöste (Arbeitszeit / Freizeit).126 Dieser Ausdifferenzierungsprozeß von Funktionssphären kann als wesentlicher Unterschied zwischen Moderne und Vormoderne gesehen werden. Die Vormoderne hatte keinen ausdifferenzierten Bereich der Arbeit, sondern dieser war stets verwoben mit anderen Sphären.

Ein weiteres wesentliches Element bei der Herausbildung der Wirtschaftsweise war die Arbeitsteilung.

Erstens bedingte sie eine hohe Steigerung der Produktivität und eine Steigerung des Wissens, vor allem des Detailwissens, welches wiederum zu weiteren Erkenntnissen und Erfindungen führte. Zweitens rief die Arbeitsteilung eine enorme Beschränkung hervor, immer mehr Arbeiten wurden in monotone Tätigkeiten gegliedert. Diese beiden Aspekte mündeten drittens in eine zunehmende Mechanisierung von Tätigkeiten und Funktionen, was wiederum die Tendenz in Gang setzte, daß die Mechanisierung und Technologisierung menschliche Arbeitskraft freisetzten. Viertens trat eine Zunahme von Abhängigkeit durch die Arbeitsteilung ein -

einerseits zwischen Menschen, anderseits zu Maschinen und Institutionen. Diese Abhängigkeit entfaltete auch globale Tendenzen.

124 Außerdem ist an dieser Stelle zu bedenken, daß sich die Gesellschaft auflöst in einzelne Individuen, für die das Eigeninteresse und das Gewinn- und Machstreben in den Vordergrund rückte.

125 Ware ist eine kapitalistische Erscheinungsformen. Sie enthält einen "Doppelcharakter", zum einem, die Ware als Wert, der als Geld in Erscheinung tritt und zum anderen, die Ware als Gebrauchswert, der als Produkt in Erscheinung tritt. Die Ware wird selten als Resultat von gesellschaftlichen Beziehungen gesehen.

126 Diese Ausdifferenzierung der modernen Arbeitsgesellschaft beinhaltet auch die Problematik der modernen Geschlechterverhältnisse - geschlechtshierarchische Abspaltung der "weiblichen" Bereiche (vgl.

Gildemeister 1998, Heft 33; Scholz 2000).

Das Prinzip der Arbeitsteilung ist in die kapitalistische Produktionsweise eingebunden worden.

Daran gekoppelt sind folgende Konfliktfelder:

• Eine stetige Zunahme der ökonomischen Abhängigkeit durch die Arbeitsteilung bei gleichzeitiger Individualisierung, basierend auf Egoismus und Konkurrenz.

• Eine Einbindung in ein System, welches Ungleichheiten als "naturgegeben" annimmt, auf Ungleichheiten basiert und die Förderung des Eigennutzes, des Gewinn- und Machtstreben forciert.

• Die arbeitsteilige Produktionsweise bedingt belastende Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Funktionalisierung, Aufspaltung in Produktion und Konsumtion, etc.

Aus all dem kann gefolgert werden, daß das Arbeitsleben der Menschen aufgrund dieser Gegebenheiten sehr komplex, kompliziert, unübersichtlich, widersprüchlich, verstrickt und konfliktreich wurde. Die Zurichtung auf ein Arbeitsleben, in dem der Mensch tätig in Erscheinung treten mußte, erfolgte.