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Das Beschäftigungssystem und seine Merkmale

5 Zum Ausdruck des postfordistischen Kapitalismus in der

5.2 Stand und Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise

5.2.4 Das Beschäftigungssystem und seine Merkmale

Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen der Beschäftigten im Interesse der

Unternehmensziele gesehen. Die Frage bleibt offen, inwieweit sich die allseits beklagten inhumanen fordistischen Arbeitsbedingungen tatsächlich durch die neuen Produktionskonzepte verbessert haben oder sie sich erstens nicht nur auf einen sehr reduzierten Teil der tätigen Menschen beschränken und zweitens nun der "gesamte" Mensch dem Arbeitsprozeß zur Verfügung stehen soll (vgl. Wittmann 1996, S. 23).

Bei allen Varianten der neuen Produktionskonzepte ist festzuhalten, daß die lohnabhängigen Menschen sich in ambivalenter Lage aufgrund ihrer substantiell- abhängigen Situation befinden.

Sie müssen die profitorientierten Unternehmensstrategien in Sorge um ihren Arbeitsplatz unterstützen und zugleich bedeuten diese Unternehmensstrategien oft die Beschneidung ihrer Arbeits- und Lohninteressen (vgl. Conert 1998, S. 346).

Auch die sogenannten "humaneren" Personalstrategien, welche gekennzeichnet sind durch integrierte Aufgaben, erweiterte Handlungsspielräume und hohe Qualifikationsbedürfnisse unterscheiden sich nicht von den tayloristischen Formen des Arbeitsprozesses in bezug auf die Zielorientierung und Faktorergiebigkeit. Es geht um die Indienstnahme der Individuen für das ökonomische Kalkül. Arbeit bewegt sich nach wie vor im Grundmuster der ökonomisch-strategischen Rationalität und für das reibungslose Funktionieren einer hochkomplexen Produktionsweise ist heutzutage beispielsweise das selbständige Mit- und Vordenken und die funktionelle Flexibilität von existenzieller Bedeutung (vgl. Wittmann 1996, S. 13 f.).

Bei dieser Entwicklung kann auch von zwei Arbeitswelten gesprochen werden, in denen es unterschiedliche Normen für die standardisierten und für die entstandardisierten

Arbeitsverhältnisse gibt und zwar in sozialrechtlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht. Diese Aufteilung hat zusätzlich einen disziplinierenden Charakter für beide Seiten. Der einen Seite droht der Abstieg bei Nichteinhaltung von Anforderungen, der anderen Seite eventuell der Aufstieg bei besonders guter Erfüllung der Aufgaben.

Während für einen Teil noch die herkömmliche Arbeitsform existiert, weitet sich das neue System pluraler, flexibler Unterbeschäftigung und dezentraler Arbeitsformen aus. Das neue System kann auch als eine Form von Verschleierung der Massenarbeitslosigkeit sowie einer Verteilung dieser Arbeitslosigkeit betrachtet werden. Es kann davon ausgegangen werden, daß auch bei enormem wirtschaftlichen Wachstum eine Vollbeschäftigung nicht wieder einkehrt.

Technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt bedeuten, daß die Produktivität stetig steigt und somit Arbeitsplätze vernichtet werden, Wiederbelebung und Hochkonjunktur der Wirtschaft führen nicht selbstverständlich zum Abbau von Arbeitslosigkeit.182

Merkmale der heutigen Arbeitssituation

Die heutige Arbeitssituation und die Arbeitsbedingungen sind gekennzeichnet durch Deregulierung. Regelnde Maßnahmen wurden und werden auf vielen Ebenen aufgehoben.

Bisherige Formen, welche die Arbeitsbeziehungen regelten, verlieren ihre Bedeutung. Auch die staatliche Aufsicht nahm im Bereich der Wirtschaft enorm ab.

Die Deregulierung drückt sich v.a. aus durch:

• Flexibilität und Mobilität

Der Arbeitsmarkt fordert eine hohe Flexibilität und Mobilität. Eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsformen sowie Arbeitsorten trat ein. Feste Arbeitszeiten wurden durch vielfältige Formen von flexibler Arbeitszeit aufgebrochen. Die Tendenz in vielen Bereichen geht zu einem

„rund um die Uhr- Angebot“, was geregelte Arbeitszeiten im herkömmlichen Sinne völlig auflöst.

Ebenso verhält es sich mit Arbeitsorten. Die Konzentration auf große zentrale Arbeitsorte verändert sich. Immer mehr Heimarbeitsplätze entstehen oder Bereiche werden an billigere Standorte ausgelagert. Die neuen Kommunikationsstrukturen erlauben sowohl eine

Entkoppelung der Arbeitszeit als auch des Arbeitsortes von den herkömmlichen Arbeits- und Produktionsprozessen.

182 Die Wirtschaft benötigt nicht mehr die Arbeitskraft aller und wird sie mit höchster Wahrscheinlichkeit immer weniger benötigen (vgl. Ulrich 1997; Beck 1998a). Seit Jahrzehnten ist ein Anstieg der

Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen. Auch in Zeiten des Aufschwungs kam es meist zu einem flachen Anstieg von Arbeitsplätzen oder oft nur zu einer kurzfristigen Stagnation des Anstiegs der Arbeitslosigkeit.

Zu beobachten ist, daß je rascher der ökonomische Strukturwandel vor sich geht, desto höher wird die strukturelle Arbeitslosigkeit.

• Diskontinuität

In den Berufsbiographien zeigen sich zunehmend mehr Brüche und Wechsel. Die ehemalige typische Berufsbiographie – Ausbildung in einem Betrieb, eventuell ein Wechsel und Tätigkeit mit Aufstieg im gleichen Betrieb - besteht kaum mehr. Der Markt fordert ständig neue

Ausbildungen und Weiterbildung, bestimmte Berufe sterben aus und sind nicht mehr gefragt.

Auch der Einzelne absolviert verschiedene Ausbildungen, Weiterbildungen und vollzieht einen Wechsel der Berufssparten. Aufstiegsmöglichkeiten oder „Schutz vor Kündigung“ sind

beispielsweise nicht mehr von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig, sondern davon, welche aktuellen Anforderungen an die jeweiligen Positionen gestellt werden. Bestehende Autoritäten zwischen den Generationen haben sich aufgelöst. Lebens- und Berufserfahrung verloren durch die Schnellebigkeit ihren Wert.

Die berufliche Identität war stark an die Ausbildung gebunden. „Im Vergleich mit anderen Industriegesellschaften bildet der Beruf und damit auch die Berufsausbildung den strukturellen und symbolischen Bezugspunkt für den Aufbau einer Erwerbsbiographie, für die gesellschaftlich anerkannte Abfolge von Arbeitstätigkeiten, die aufeinander bezogen sind. Sie ermöglichen die stufenweise Entfaltung von Lebensplänen. Für die deutsche Situation ist charakteristisch, daß die Identifikation der Menschen weitgehend berufszentriert und nicht betriebszentriert ist.“(Allert 1998, S. 39) Die Ausbildung garantierte lange Zeit Sicherheit auf einen qualifizierten

Arbeitsplatz mit Aufstiegsmöglichkeiten. In Ausbildungen wurde viel Zeit und Geld investiert und das bestehende Schul- und Ausbildungssystem daran orientiert.

Hier wird nun eine Veränderung gefordert. Der Einzelne soll sich nicht mehr so intensiv auf seine berufliche Ausbildung verlassen und nur in diesem Feld tätig sein. Es wird gewünscht, daß auch auf berufsfremde Anforderungen flexibel eingegangen wird und Bereitschaft zu ständigem Weiterlernen besteht. Weiterhin soll der Mensch sich weniger mit seinem Beruf identifizieren sondern mehr mit den Zielen der Organisation und den gestellten Aufgaben.

Der Beruf als strukturiende Rolle verliert seine Bedeutung. Die normale Berufsbiographie – Schule, Ausbildung, Berufstätigkeit, Rente/Pension – gibt es immer weniger. Sichere Zukunftsprognosen für Berufe können aufgrund des rasanten Wandels nicht mehr erstellt werden. Heutige Berufsbiographien sind gekennzeichnet von Umschulungen, Weiterbildungen, Zusatzausbildungen und Arbeitslosigkeit. Innerhalb der Tätigkeit werden verschiedene Rollen und Funktionen erwartet, die die eigentliche berufliche Identität in den Hintergrund treten lassen.

Folgen der Deregulierung sind:

• Unsicherheit

Durch die veränderte Politik der Arbeitszeit, der Arbeitsformen und des Arbeitsortes entstehen neue Unsicherheiten. Psychische und gesundheitliche Risiken werden mehr privatisiert oder ausgelagert. Dezentrale Arbeitsformen unterliegen kaum noch einer öffentlichen Kontrolle.

Für viele Handlungssituationen gibt es keine vorgefertigten Entscheidungsmuster oder direkte Vorgesetzte, die befragt werden könnten. Die Anforderungen an den Einzelnen steigen enorm.

Die Selbstverständlichkeit eines sicheren Arbeitsplatzes ging verloren. Eine Unsicherheit in bezug auf die Dauer der Beschäftigung entstand. Längerfristige Planungen, sowohl für die Berufstätigkeit an sich als auch für die persönliche Lebensplanung, sind kaum mehr möglich.

• Hohe Anpassung

Die Arbeitswelt fordert eine sich ständig wandelnde Anpassungsleistung. Es gilt, sich an sich permanent verändernde Standards und äußere Umstände (flexible Arbeitszeit, erhöhte Mobilität, etc.) anzugleichen. Außerdem werden an den tätigen Menschen auch neue persönliche Anforderungen gestellt. Lange Zeit wurde beispielsweise eine hohe

Autoritätsgläubigkeit und arbeiten nach strikten Anweisungen gefordert (vgl. Ford 1923; Taylor 1913). Durch die technischen Veränderungen ist nun ein anderer Typus von Mensch gefragt, Selbständigkeit, Flexibilität, Teamgeist werden gebraucht (vgl. Goeudevert 1999; Sennett 1998).

Der Mensch soll sein Können und Wollen an der Arbeitswelt ausrichten. Dies läßt wenig Raum oder nur den Spielraum, der gerade in der Arbeitswelt gefragt ist. Letztendlich tritt für den Menschen eine enorme Reduzierung von persönlichen Bedürfnissen und Wünschen ein, bzw.

gibt es keinen Raum, diese zu entwickeln und zu entfalten. Je weniger qualitative Erwerbsarbeit vorhanden ist, desto permanenter und höher ist der Anpassungsdruck (vgl. auch Kap. 6).

Es zeigt sich, daß das Beschäftigungssystem seine Erscheinungsformen wesentlich verändert.

Auffallend ist hierbei, daß dies sehr schleichend und lautlos geschieht und als

selbstverständliche Gegebenheit plötzlich existent ist, obwohl dieser Wandel auf vielen Ebenen weitreichende Konsequenzen für den einzelnen und die Gesellschaft hat (vgl. Beck 1999).