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4 Die Arbeitsgesellschaft und ihr Arbeitsbegriff

4.3 Arbeit im Nationalsozialismus

sondern umfaßten die Tätigkeiten an sich (vgl. Dudeck 1991, S. 144 ff.).165 Mit diesen Maßnahmen stellte der Nationalsozialismus eine Egalität in der Unterordnung dar (vgl.

Schiedeck/Stahlmann 1991, S. 194). Die nationalsozialistischen Arbeitskonzepte entwickelten Erziehungsmethoden, welche den Dienst in seiner Ganzheit zum Gemeinschaftserlebnis machten. Die TeilnehmerInnen der Dienste sollten einen Glauben an den tieferen Sinn und Zweck von Arbeit und Leben finden. Die Arbeitsdienstpflicht war die extremste Form kollektiver Disziplinierung. Der Arbeitseinsatz war eine im Interesse des Nationalsozialismus ausgerichtete quasi-militärisch organisierte Arbeitsmarktpolitik zur Mobilisierung aller arbeitsfähigen

Staatsangehörigen. Es bestanden differente Formen und Ausgestaltungen in der Arbeitspolitik, welche von vielen Faktoren (soziale, kulturelle Herkunft, Zweck der Maßnahme etc.) abhängig waren (vgl. Goldhagen 1996, S. 340 ff.). Die Zwangsarbeit war eine Form davon, sie war Mittel sozialer Deklassierung, staatlicher Kontrolle und der Vernichtung. Die Zwangsarbeit betraf sowohl die deutsche Bevölkerung (vorwiegend die jüdische) als dann auch die staatenlosen und kriegsgefangenen Menschen. Zwangsarbeit hatte den Charakter einer menschlichen Dispositionsmasse, welche unter menschenunwürdigen Bedingungen größtmögliche Leistungen hervorbringen sollte.166

Im Nationalsozialismus zeigte sich der elitäre Wahn eines "Führersozialismus" und "edlen Rassenmenschen", geprägt von der negativen Gleichheit durch Arbeitszwang. "Freude und Schönheit sollten gemäß der nationalsozialistischen Propaganda die Prinzipien einer neuen Industriegesellschaft werden. Man war überzeugt, daß Arbeiter, die ihre Arbeit als schöpferisch

165 Mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz von 1935 wird eine halbjährliche Arbeitsdienstpflicht für "arische"

junge Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren eingeführt. Dieser Dienst sollte als Ehrerweisung für das deutsche Volk gesehen werden und die deutsche Jugend im Sinne des Nationalsozialismus zur wahren Arbeitsauffassung und zur Gemeinschaft erziehen (vgl. Dudek 1991, S. 146). "Die

Arbeitsdienstpflicht soll vor allem die große Erziehungsschule zum deutschen Sozialismus, d.h. zur deutschen Volksgemeinschaft schaffen. Es gibt kein besseres Mittel, die soziale Zerklüftung, den Klassenhaß und den Klassenhochmut zu überwinden, als wenn der Sohn des Fabrikdirektors und der junge Fabrikarbeiter, der junge Akademiker und der Bauernknecht im gleichen Rock und bei gleicher Kost den gleichen Dienst tun als Ehrendienst für das ihnen allen gemeinsame Volk und Vaterland." (Hierl 1934 zit. nach Dudek 1991, S. 149)

166 Zur Alltagswirklichkeit von ZwangsarbeiterInnen gehörten eine unzureichende Grundversorgung und härteste sicherheitspolizeiliche Verordnungen. Die Existenzbedingungen unterschieden sich in zahlreichen Details und diese geringfügigen Abweichungen konnten aber das Überleben entscheidend beeinflussen.

Die Zwangsarbeit ist ein sehr umfassender Bereich, der unterschiedliche, zum Teil konträre Zielsetzungen und Motive aufweist, welche nicht weiter im gegebenen Kontext behandelt werden können (vgl. Heusler 1991; Goldhagen 1996, S. 372 f., Sprengel 1986, S. 153 ff.).

und erfreulich empfinden, produktiver sein würden, ganz besonders in einer angenehmen Umgebung." (Hardach 1993, S. 74)167

An die Stelle von Geld und Erwerb trat die Gemeinsamkeit durch das "edle Blut". Diese Ideologie der Volksgemeinschaft steuerte die Prozesse der Integration und der Ausmerzung.

Die Vergesellschaftung fand in Form einer Totalisierung der Gesellschaft statt, in welcher die Subjektentwicklung die Form einer extremen Individualisierung sowie einer Partikularisierung annahm (vgl. Otto/Sünker 1991, S. 56 ff.). Das Individuum wurde in seiner Funktion als TrägerIn der "völkischen Gemeinschaft" und als Garant deren "Gesundung" und ihres "Wachstums"

gesehen (Schiedeck/Stahlmann 1991, S. 190). Erbbiologisch und rassenhygienisch begründet, konkretisierte sich die Sozialdisziplinierung in Form von Kontrolle, Verrat, Verfolgung, Folter, Selektion, Mord und Ausmerzung. Vorstellungen über eine soziale Ordnung und

produktionspolitische Interessen an der Verfügbarkeit über Arbeitskräfte spielten ineinander.

Über den Leistungsbegriff, welcher im Nationalsozialismus über den Wettbewerb und die Leistungsfähigkeit hinaus geht, wird die Rassen-, Arbeits- und Vernichtungspolitik vermittelt und umgesetzt (vgl. Gruner 1997, S. 19 f.).

Wer im Sinne des Nationalsozialismus nicht als gemeinschaftswürdig oder arbeitswillig galt und nicht im System integrierbar war, dem wurde mit einem umfassenden Lagersystem begegnet:

Umerziehungslagern, Straflagern, Sammellagern, Arbeitslagern, Arbeitserziehungslagern, Kriegsgefangenenlagern und Vernichtungslagern (vgl. Dudek 1991,S. 151;

Schiedeck/Stahlmann 1991, S. 167 ff.; Gruner 1997).

Vernichtung durch Arbeit

"Arbeit macht frei" stand über dem Tor von Auschwitz. Die Vernichtung durch Arbeit war ein elementares Muster und Mittel des Nationalsozialismus, das vorwiegend die jüdische Bevölkerung betraf. "Objektiv betrachtet verstieß die jüdische "Arbeit" während der NS-Zeit derart gegen jedes rationale Verständnis von Arbeit und entsprechende Arbeitsweisen, daß es dafür in der Geschichte der modernen Industriegesellschaft überhaupt keine und selbst in der Geschichte der Sklavenhaltergesellschaften kaum Parallelen gibt. Sie war ein integraler Bestandteil des Vernichtungsprozesses. Im Prinzip bedeutet jüdische "Arbeit"

Vernichtung."(Goldhagen 1996, S. 376)

Arbeit als Mittel nahm damit den Charakter von Zerstörung an und führte willentlich zum Tod.

Konflikte gab es zwischen den Kräften, welche eine weitreichende produktive Ausbeutung der JüdInnen anvisierten und den AnhängerInnen der sofortigen Ermordung der JüdInnen. "Die gesamte Politik des Völkermordes verlief im Rahmen jener permanenten Spannung zwischen Produktivität und Vernichtung."(Traverso 2000, S. 21)

167 Dies zeigte seine Wirkung in der Verbesserung von Wohn-, Freizeit- und Arbeitsbedingungen. Eine

"Verschönerung" der Arbeitsplätze fand durch Kantinen, Werksgärten, Wasch- und Umkleideräume,

Auschwitz war ein Lagerkomplex, welcher sowohl als Zentrum des Mordes als auch der Zwangsarbeit charakterisiert werden kann.168

Auschwitz kann als Symbol gelten für das Ineinandergreifen einer faschistischen Ideologie und der modernen Technik einer Industriegesellschaft. Es zeigten sich bemerkenswerte strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem Produktions- und dem Vernichtungssystem, welche in Auschwitz koexistierten. Der Völkermord erfolgte in einer verdinglichten Form und einer formalen

bürokratischen Rationalität (vgl. Arendt 1999). Diese Deportations-, Konzentrations- und Vernichtungsmaschinerie setzte einen immensen Koordinations- und Organisationsaufwand voraus.

Fazit

Durch den Nationalsozialismus erfuhr Arbeit eine besondere Art der Verherrlichung: Wer arbeitete, war der "gute Mensch", er diente damit dem Volk. Der einzelne wurde über Arbeit eingebunden in die Gemeinschaft. Arbeit war der Lebenssinn und das Mittel für die

Existenzberechtigung. Zugleich wurde Arbeit aber auch als Mittel der Demütigung und als Mittel für die Vernichtung eingesetzt. Wie sich dies auf die Psyche des Menschen auswirkte und über die Generationen bis heute weitergegeben wurde, wird zum Teil in Untersuchungen dargestellt (vgl. Eckstaedt 1996; Fromm 2000a). Allgemeine Aspekte können im sogenannten

verinnerlichten "Arbeitszwang" (permanentes Arbeiten, Verachtung für Menschen, welche nicht arbeiten, etc.) und die Zurichtung auf Arbeit (Arbeit als Lebenszweck) gesehen werden. Es ist jedenfalls gelungen, Arbeit als das Absolute zu setzen, über das ein Mensch sich definiert bzw.

definiert wird, sowie eine gesellschaftliche Inklusion oder Exklusion erfolgt.

Betriebssportplätze etc. statt (vgl. Sachse 1991, S. 231 f.). Das Herrschaftssystem des

Nationalsozialismus verband in diesen Formen Fürsorge und Unterdrückung.

168 Alle Kategorien der rassistischen Klassifizierungen von Menschen waren in Auschwitz vertreten. "In diesem Sinne stellt Auschwitz einen wirklichen Problemknoten dar, der die Konzentrations- und Vernichtungslager mit der deutschen Gesellschaft insgesamt und mit der Naziherrschaft über Europa verknüpft. Er ermöglicht es, die Verbindungen zwischen der politischen Macht und den Deportationen, zwischen der Industrie und der Vernichtung zu begreifen, aber auch die Widersprüche, die sich zwischen den militärischen und industriellen Erfordernissen auf der einen und der Zielsetzung der Vernichtung auf der anderen Seite ergaben,... ."(Traverso 2000, S. 14)