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4 Die Arbeitsgesellschaft und ihr Arbeitsbegriff

4.1 Die Vita activa

4.1.3 Problematische Umgangsweisen

In den modernen Arbeitstheorien (Smith, Marx, Weber) wurden den einzelnen Tätigkeiten Qualitäten von anderen Tätigkeiten zugeschrieben. Die Unterscheidung zwischen Herstellen und Arbeiten hat sich zugunsten von Arbeit entwickelt. Arbeit erfuhr in der Neuzeit eine

ziemliche Glorifizierung, sie erklomm die Hierarchieleiter bis ganz oben, als Locke sie als Quelle des Eigentums und Smith sie als Quelle des Reichtums erkannte. Marx beschrieb Arbeit als Kennzeichen von Produktivität, das vormals dem Herstellen innewohnte. Diese Produktivität liegt nicht in den jeweiligen Ergebnissen der Arbeit selbst,“... sondern vielmehr in der Kraft des menschlichen Körpers, dessen Leistungsfähigkeit nicht erschöpft ist, wenn er die eigenen Lebensmittel hervorgebracht hat, sondern imstande ist, einen „Überschuß“ zu produzieren, d.h.

mehr, als zur „Reproduktion“ der eigenen Kraft und Arbeitskraft notwendig ist.“ (Arendt 1998, S.

105)

Arbeit wurde durch diese Sichtweisen plötzlich die produktivste und weltbildendste Fähigkeit des Menschen, obwohl dies ursächlich dem Herstellen und nicht dem Arbeiten innewohnte.

Damit entstanden sich eklatant widersprechende Gleichsetzungen.141 Die Produktivität beginnt erst mit der Vergegenständlichung und keine Arbeitsform kann den Menschen davon befreien, die Arbeit immer wieder zu wiederholen, weil hier eine natürliche Notwendigkeit für die eigene Lebenserhaltung besteht. Der Arbeitsprozeß kann nicht im Produkt erlöschen, sondern nur im Herstellungsprozeß (vgl. Arendt 1998, S. 120 ff.). Man kann Arbeit durch Arbeitsgeräte erleichtert und es können dadurch mehr Konsumgüter produziert werden, aber es ist auch durch dieses Verfahren nicht möglich, sich von der Notwendigkeit, die das Leben fordert, zu befreien (vgl. Arendt 1998, S. 142 ff.). Diese elementaren Lebensbedingungen manifestieren und strukturieren heute vordergründig gesehen nicht mehr derart ausschließlich den Alltag des Menschen. Sieht man sich aber den Alltag von Menschen an, scheint es, daß sie sich trotzdem vielen Zwängen unterlegen fühlen oder unterlegen sind. Die Frage taucht auf, inwieweit hier eine Verschiebung der Notwendigkeit des Lebens in andere Bereiche der Tätigkeiten stattfand.

Werden jetzt Dinge als zwanghaft und absolut notwendig empfunden, die es eigentlich nicht sind?

Eine weitere Verschiebung, die stattfand, ist, daß die Güter, die durch das Herstellen produziert werden, nun wie Konsumgüter behandelt werden. Das Gebrauchen wurde in ein Verbrauchen

140 Vgl. die Ideen zur Gesetzgebung von Platon (1973) und Aristoteles (1977, S. 77 ff.).

141 Vgl. dazu Theorien um Entstehung und Bedingungen von Wert und Eigentumsbildung (Arendt 1998, S.

121; Reichenwald 1977).

umgewandelt. Ihre ehemalige Haltbarkeit in der vergänglichen Welt löst sich zusehends auf, die Konsumgesellschaft weitet sich aus.

Eine andere Problematik, die im Umgang mit dem Herstellen sichtbar wurde, ist das Verständnis von Erkennen. Dem Herstellen inhärent ist das Experimentieren und dieses Experimentieren fand Eingang in die Wissenschaften, um dadurch Dinge zu erkennen. Vor allem die Naturwissenschaften stellen her, um zu erforschen wie etwas funktioniert, kaum um Produkte hervorzubringen, was der eigentliche Sinn des Herstellens war. Erkennen wurde auf diese Art und Weise zum Mittelpunkt des Herstellens – Erkenntnis durch Tun und Erfahren.142 Die Herstellung wurde sekundär, nebensächlich und dadurch abgewertet.

Es gab und gibt immer wieder Versuche, das Handeln abzuschaffen oder durch Herstellen zu ersetzen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig.

Die Möglichkeit des Handelns und die Freiheit, die in dieser Fähigkeit innewohnt, scheint voller Ambivalenzen zu sein. Einerseits wird es in seiner Unvorhersehbarkeit als Beschränkung von Freiheit gesehen, anderseits ist das Handeln der Bereich der Vita activa, der ausschließlich durch Menschen allein erzeugt werden kann. Als Lösungen wurden vorgeschlagen, sich des Handelns zu enthalten oder sich eine Souveränität (unbedingte Autonomie und Herrschaft über sich) anzueignen, die Distanz ermöglicht. Diese Lösungen endeten in dem Dilemma, daß man durch Verzicht auf Handeln eine menschliche Fähigkeit massiv unterbindet; durch Souveränität leugnet, daß man als Mensch unter Menschen lebt. Menschliche Freiheit wurde/wird oft mit Souveränität gleichgesetzt. Aber vielleicht ist genau diese Gleichsetzung das Problem und wie Arendt (1998, S. 300) so treffend formulierte: „... ob die Fähigkeit zu handeln nicht vielleicht selbst Möglichkeiten an die Hand gibt, mit den ihr anhaftenden Schwierigkeiten und

Unzulänglichkeiten fertig zu werden.“143

Handeln wurde oft als unproduktiv, nutzlos und als eine Form der Selbstdarstellung gesehen, die als überflüssig betrachtet wird. Vor allem in der Arbeitswelt, wo es um Produktivität, Profit und Funktionieren geht, ist Handeln ein Faktum, welches sich extrem störend auswirken kann.

Lösungen wurden bzw. werden darin gesehen, das Handeln von Vielen durch einen Einzigen (Monarchie) zu ersetzen, diesen einen abzusondern, damit er sein Tun zu Ende führen kann, oder, daß alle handeln wie einer (Volksherrschaft). Damit erhielte das Handeln Ähnlichkeiten mit dem Herstellen, auf diese Art und Weise sollte Ordnung und Dauerhaftigkeit in das Handeln kommen. Die Aporien des Handelns, die alle auf die Bedingung von Pluralität zurückzuführen

142 In der Vita contemplativa wurde noch davon ausgegangen, daß im Anschauen und in der

Versunkenheit die höchste Form der Erkenntnis liegt. Im Anschauen zeigt sich das Vollkommene und Immerwährende, welches durch ein Nachahmen vergänglich und unvollkommen würde (vgl. Arendt 1998).

143 Beachte beispielsweise die menschlichen Fähigkeiten des Verzeihens und des Versprechens, die im Handeln verwurzelt sind. Das Verzeihen wurde v.a. im Religiösen aufgenommen und das Versprechen im Politischen.

sind, lassen sich aber nicht abschaffen, ohne dabei wesentliche Bestandteile der menschlichen Bedingungen zu negieren.

Desweiteren ist auch die Trennung von Wissen und Tun als problematisch anzusehen, die in dieser Vorstellung erfolgt (die HerrscherIn weiß, das Volk tut oder die Partei weiß, das Volk tut),144 der eine weiß, der andere tut, führt aus und der tut, weiß nicht. Damit verliert Handeln seine Sinnhaftigkeit und Gültigkeit.

Im Hinblick auf das Handeln sind in der Geschichte der Philosophie, der Politik und der Ökonomie viele Versuche unternommen worden, dieses Handeln mit der jeweils gleichen Objektivität zu bemessen, zu vergleichen und zu beurteilen, als ob es sich um einen Gegenstand drehte. In dieser Vorstellung würde zugleich der subjektive Faktor oder die Ganzheitlichkeit des Menschen eliminiert, weil als objektiver Maßstab ein perfekter Mensch gefunden werden müßte. Nur wer ist von all den Menschen, die sich in ihrer Pluralität auf dieser Erde befinden und befanden, dieser Perfekte?

Sowohl im Arbeiten und Herstellen als auch im Handeln ist der Mensch nicht eine friedliche, harmonische Verbindung zur Natur eingegangen, sondern er will und wollte sich die Natur damit untertan machen und sie beherrschen.

Hinter all diesen Tätigkeiten scheint der Drang zu stehen, sich als Mensch von der Erde und der Natur zu befreien, weil sie Sterblichkeit und Endlichkeit gibt, die er zu überwinden versucht. Da die Vita contemplativa keine Antwort auf die Unsterblichkeit brachte, sollte dies die Vita activa erreichen. Zugleich zeigt sich in den Handlungen der Menschen die Enttäuschung über die Aussichtslosigkeit die Sterblichkeit überwinden zu können. Auf diese Aussichtslosigkeit wird wiederum mit großer Destruktivität reagiert. All jenes, was die Erde sozusagen dem Menschen bereitstellt, damit er leben kann, empfindet er als Abhängigkeit und enorme Einschränkung, von der es gilt, sich mit aller Macht und massivem Risiko zu lösen. Die Bedingungen des

menschlichen Lebens werden nicht angenommen, sondern bekämpft. Menschen versuchten und versuchen die Grundbedingungen der menschlichen Existenz, die die Natur zur Verfügung stellt, radikal durch von Menschen geschaffene Bedingungen zu ersetzen. Darin vollzieht sich eine totale Naturentfremdung. Der Mensch behandelt die Welt und sein Leben so, als hätten wir bereits irgendwo eine weitere Welt und ein weiteres Leben. Der Mensch schuf Bedingungen, die das menschliche Leben auf dieser Erde beenden können.

144 Vgl. dazu auch all die Staatsformen, die Konstrukte entwickelten, die das menschliche Miteinander versuchten technisch zu regeln und die daran scheiterten, weil menschliche Beziehungen nicht technisch zu kontrollieren sind (vgl. Arendt 1998, S. 289). Die Ideen zur Gesetzgebung von Platon (1973) und Aristoteles (1977) ranken sich um die Vorstellung, dem Handeln einen vorgegebenen Rahmen zur Verfügung zu stellen, damit es stattfinden kann.