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Begründung und Legitimation von Staat und Eigentum

3 Die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise

3.4 Begründung und Legitimation von Staat und Eigentum

der Religion nicht zu beachten, wenn sie dem Interesse der staatlichen Ordnung und ihren Notwendigkeiten zuwider laufen.

Auch für Machiavelli bildeten Moral und Religion Fundamente eines Staates, doch sie erhalten bei ihm nicht mehr den Vorrang wie in der mittelalterlichen Welt. Die Religion hatte für ihn die Aufgabe, die staatliche Autorität zu stützen (vgl. Machiavelli 1977, S. 50 f.) und der Staat die Aufgabe, die Religion zu bewahren (vgl. Machiavelli 1977, S. 47). Machiavelli lehnte radikal das Papsttum ab.74

Der Aufstieg des Stadtbürgertums, bedingt durch dessen Geld und Intellekt, prägten die beginnende Neuzeit mit Rationalität und Sachlichkeit. Züge des Zweckrationalismus und Berechenbarkeit prägten die ökonomischen, sozialen und politischen Vorstellungen.

So geht es Machiavelli um Politik in der realen Welt, nicht um einen bloßen Idealstaat (vgl.

Machiavelli 1978, S. 63).75 Für ihn ist der Mensch nicht das "zoon politicon" und ein

vernunftbegabtes und soziales Wesen mit einem angeborenen Gerechtigkeitssinn, sondern ein Wesen, von dem nur „Schlechtes“ erwartet werden kann, wenn es nicht dazu angehalten wird,

„Gutes“ zu tun (vgl. Machiavelli 1977, S. 265, S. 366 f.; 1978, S. 63, S. 72). Menschen hängen mehr am Besitz als an Ehre. Vor diesem Hintergrund orientierte er seine Theorie nicht an einem Gemeinwohl, sondern an der Festigung der Herrschaft (vgl. Machiavelli 1977, 1978; Kuhn 1999, S. 104 ff.; Störig 1998, S. 292). Die Aufgabe des Herrschers sei es, die Menschen zu regieren und zu erziehen. Herrschen hieß für ihn gestalten, erschaffen und führen. Der Wille zur Macht sollte zum vorrangigen Prinzip werden.76 Für Machiavelli ließ sich ohne Macht kein Staatswesen denken, sie ist ein konstitutives Element des Staates. Der Staat beruhte in seinen Augen auf Macht und nicht wie bei Aristoteles auf Gerechtigkeit. Für Machiavelli war Gerechtigkeit ohne Macht nicht denkbar, während bei Aristoteles Macht noch als Bedrohung für die Gerechtigkeit

74 Machiavelli führte die Uneinigkeit und Machtlosigkeit Italiens auf das Verhalten der Kirche zurück. Er warf dem päpstlichen Hof vor, alle Gottesfurcht und Religion verloren zu haben (vgl. Machiavelli 1977, S.

48). In einem Kirchenstaat sah er die größten Gefahren für eine Einigkeit. Aufgrund dieser Ansichten wurde er stark von der Kirche diskreditiert, weil sie den damaligen kirchlichen Bestrebungen zuwiderliefen (vgl. Machiavelli 1977, S. LX f.).

75 Machiavelli leitet sein Verständnis aus der Empirie ab und versucht seine Ideen an der erfahrenen Wirklichkeit zu entfalten, während sich beispielsweise der englische Politiker Thomas Morus (1478 - 1535) an einem Ideal orientiert, welches viele Impulse der Antike aufgreift. Morus schuf ein Bild von einem idealen Staats- und Gemeinwesen, das allen zu seiner Zeit gängigen Modellen entgegenstand und welches es nirgendwo gab. Er nannte diesen Entwurf "Utopia" (vgl. Morus 1992). Seine Forderungen waren beispielsweise die Beendigung der Ausbeutung der unteren Stände, gemeinschaftliches Eigentum und Produktion, Bildung für alle Menschen und eine Altersversorgung (vgl. Störig 1998, S. 295). Diese idealen Vorstellungen lehnte Machiavelli ab.

76 Vgl. die Weiterführung dieser Annahme bei Nietzsche (1996).

verstanden wurde. Allerdings sah Machiavelli auch die Macht ohne Gerechtigkeit als wenig dauerhaft an (vgl. Machiavelli 1978, S. 35, S. 41 f.).77

3.4.2 Thomas Hobbes: Der Krieg eines jeden gegen jeden

Auch Hobbes78 Staatslehre fügte sich in sein gesamtphilosophisches Bild von Welt und Mensch ein. Er sah den Menschen als Individuum, welches nach dem eigenen Vorteil, das heißt nach Erhaltung seiner Existenz (vgl. Hobbes 1999, S. 99) und dem Besitz möglichst vieler Güter strebt. Hobbes betrachtete den Menschen als soziales und rational-utilitaristisches Wesen. In seinem Verständnis vom Naturzustand, in dem alle allein aus diesem Bestreben der Nützlichkeit handeln, herrscht daher der Krieg eines jeden gegen jeden (vgl. Hobbes 1999, S. 96, S. 99, S.

105, S. 142, S. 144, S. 190). Zugleich unterstellte er den Menschen den naturgegebenen Wunsch nach Sicherheit (vgl. Hobbes 1999, S. 131). Rechtsschutz, Sicherheit und die Möglichkeit zur praktischen Tugendübung finden die Menschen erst, wenn sie sich durch Übereinkunft innerhalb eines Staates eine übergeordnete Gewalt schaffen, deren Willen sie sich fortan unterwerfen. Sie verzichten dabei auf ihr „natürliches“ Recht auf alles (vgl. Hobbes 1999, S. 138). So konstruierte Hobbes den Ursprung des Staates, in dem allein Friede (vgl.

Hobbes 1999, S. 139), rechtlich geschütztes Eigentum (vgl. S. 140), ein Vertragswesen (vgl. S.

102 ff.), ein Rechtswesen (vgl. 203 ff.) und höhere Sittlichkeit (vgl. S. 66 ff.) möglich sind.

Zwischen den Staaten besteht als Rest des Urzustandes der Krieg weiter.

Der Staat wurde für ihn zum Absoluten. Je nach Staatsform verkörpert entweder der Herrscher oder das Parlament den staatlichen Willen und dieser muß allmächtig sein (vgl. Hobbes 1999, S. 134 ff., S. 206 f.). Der Staat hat zu entscheiden, was gut und richtig ist (vgl. Hobbes 1999, S.

139 ff.). Hobbes gilt damit als ein wichtiger Vertreter des Staatsabsolutismus, der nach der Renaissance einsetzte. Er lehnte auch jegliches theologisches Denken in der politischen und ethischen Theorie ab. Hobbes sah den einzelnen Menschen und den weltlichen Staat befreit aus den Zwängen der göttlichen Heilsordnung hervorgehen (vgl. Hobbes 1999, S. 82 ff.).

Als Aufgabe der Neuzeit und ihres politischen Denkens wird es gesehen, den Ansprüchen beider - des Staates und des Individuums - gerecht zu werden. Hobbes stellte sich dabei eindeutig auf die Seite des Staates (vgl. Hobbes 1999, S. 138, S. 143). Er sah nicht, daß Sittlichkeit und vom Staat gesetztes Recht keinesfalls übereinstimmen müssen, sondern weit auseinander klaffen können. Genauso wenig reflektierte er sein Konstrukt bezüglich seines Menschenbildes des angeblichen Naturzustandes – ein jeder gegen jeden. Er räumte zwar ein, daß es diesen von ihm beschriebenen Kriegszustand zwischen Menschen vielleicht niemals

77 Das Rechtsverständnis ist bei ihm noch wenig ausgeprägt, sein Vertrauen in das Recht sehr begrenzt (vgl. Machiavelli 1977, S. 149; 1978, S. 71 f.). Vor allem erfährt das Recht seine Grenze an der Grenze des Staates. Von Staat zu Staat gilt nicht Moral und Recht, sondern der Machtkampf, mit militärischen oder mit politischen Mitteln.

78 Thomas Hobbes (1588 - 1679) war englischer Staatsphilosoph.

gegeben hat (vgl. Hobbes 1999, S. 97), aber allein aufgrund der Möglichkeit bedarf es eines Staates (vgl. Hobbes 1999, S. 152). Besonders verquer wird diese Angelegenheit, als er auf den folgenden Punkt verweist: „Aber obwohl es niemals eine Zeit gegeben hat, in der sich einzelne Menschen im Zustand des gegenseitigen Krieges befanden, so befinden sich doch zu allen Zeiten Könige und souveräne Machthaber auf Grund ihrer Unabhängigkeit in ständigen Eifersüchteleien und verhalten sich wie Gladiatoren ... .Das ist eine kriegerische Haltung. Weil sie aber dadurch den Fleiß ihrer Untertanen fördern, so folgt daraus nicht dieses Elend, das die Freiheit von Einzelmenschen begleitet.“ (Hobbes 1999, S. 97) Hobbes stellte also nicht in Frage, wieso sich Machthaber in Kriegszuständen befinden, sondern überträgt dieses Verhalten auf die Natur eines jedes Menschen.79 Und ausgerechnet der Staat und seine Machthaber sollten dieses kriegerische Verhalten reglementieren. Das in diesen Konstruktionen eine Anzahl von immanenten Konflikten liegt, ist offensichtlich.

3.4.3 John Locke: Die Bedeutung des Privateigentums

Locke80 lieferte einen sehr bedeutsamen Beitrag, welcher die zentrale Position des Privateigentums legitimierte. Es handelte sich hierbei um die Rechtfertigungen für das Privateigentum, dessen Erhaltung das vorrangige Ziel eines Staatswesen sein sollte. Locke rechtfertigte vertragstheoretisch den bürgerlichen Staat auf einer vernunft- und naturrechtlichen Grundlage. Seine Vorstellung vom Naturzustand ist grundsätzlich ein harmonischer. Er ging davon aus, daß Gott die Erde allen Menschen gemeinsam gegeben hat, die Menschen gleich sind und keine übergeordnete Macht existiert (vgl. Hazard 1947, S. 36 f.). Für die Einführung des individuellen Eigentums argumentierte Locke sehr engagiert, weil in seinen Vorstellungen der Gemeinsinn und das persönliche Herrschaftsrecht in völligem Widerspruch stehen. Seine Argumentationslinien verliefen entlang der eigenen Person, welche als natürliches Eigentum des Menschen begriffen wird, wobei hier die gottgewollte Verpflichtung besteht, sich selbst zu erhalten. Die Arbeit wurde von ihm als Eigentum im eigentlichen Sinn betrachtet; was der Mensch sich selbst erarbeitet, gehört ihm und kann dem Menschen von niemandem in Abrede gestellt werden (vgl. Russell 1999, S. 643 ff.). Eine grenzenlose Aneignung durch Arbeit wurde bei Locke zunächst dadurch beschränkt, daß es nicht von Gott gewollt sei, Dinge verderben zu lassen. Somit sind dem Erwerb und der damit verbundenen Ungleichheit enge Grenzen gesetzt.

Diese Vorstellung bezog sich auch auf den Grundbesitz. Ein Mensch sollte nur soviel besitzen, wie er auch für sich verwerten kann. Diese „natürliche“ Begrenzung konnte durch das Geld wieder aufgehoben werden, denn Geld läßt sich aufheben. Somit hatte Locke die Möglichkeit

79 Hobbes weist hier auch auf einen Tatbestand hin, welcher vermuten läßt, daß sich die kapitalistische Produktionsweise ebenso aus der Notwendigkeit der Geldbeschaffung für die Kriege heraus entwickelt hat.

80 John Locke (1632 - 1704) war englischer Philosoph und Staatsmann. Er wird oft als der klassische liberale Theoretiker bezeichnet (vgl. Conert 1998).

der Anhäufung von Besitz eingeführt, welcher dazu da ist, durch den Fleißigen und Vernünftigen verwertet zu werden (vgl. Priddat 1990).

Wenig stringent gestaltet waren Lockes Argumente für eine politische und bürgerliche

Gesellschaft und Regierung (vgl. Hazard 1947, S. 41). Ihm ging es darum aufzuzeigen, was der Einzelne gewinnt, wenn er auf seinen freiheitlichen Naturzustand verzichtet und sich als

politischer Körper einer Regierung (wie auch immer diese gestaltet sein mag) unterordnet.

Diese Form garantiert dem Menschen die Sicherung seines Eigentums, welches im ursprünglichen Zustand immer durch die anderen gefährdet sei. In diesem Zustand ist man zwar frei, lebt aber aufgrund seines Besitzes in permanenter Gefahr vor den anderen.

Es wird bei Locke nochmals deutlich, wie zuerst das Eigentum als Voraussetzung für die neue Produktionsweise eingeführt wird, gleichzeitig dieser Akt als etwas naturgegebenes deklariert und legitimiert wird, um damit wiederum Eigentum und wirtschaftliche Freiheit zu rechtfertigen und als höchste Grundsätze einer Gesellschaft zu konstituieren. Diese Grundsätze hat der Staat in dreierlei Hinsicht zu schützen: vor Forderungen Besitzloser, der Gesellschaft und der Staatswillkür. Die Freiheit des Wirtschaftsbürgers basiert darauf, ungehindert seinen

Geschäften nachgehen zu können.

Das Gewaltmonopol leitete Locke ebenfalls aus seiner Vorstellung von Naturzuständen ab, in denen es gerechtfertigt sei, sein Eigentum gegen Angriffe zu schützen, notfalls sogar mit Gewalt und Tötung (vgl. Conert 1998, S. 60 ff.; Russell 1999, S. 636). Dieses „Naturrecht“ sollte nun Aufgabe des Staates werden. Der Eigentümer war somit nicht mehr Vollstrecker der Gewalt, sondern diese Aufgabe kam den Staat und seinen Gesetzen zu, welchen sich alle unterzuordnen haben. Die Problematik aber, wer nun eigentlich autorisiert ist, Gesetze zu entwerfen, für Gerechtigkeit zu sorgen, Gerechtigkeit zu definieren etc. wird auch bei Locke aufgeworfen und nicht geklärt.

3.4.4 Francois Quesnay: Die Notwendigkeit von Regeln und Institutionen Quesnay81 wird als Schöpfer der modernen Volkswirtschaftslehre gesehen.82 „Er denkt ..., daß der Mensch mit Leichtigkeit die Natur, hinter der sich ein höchstes, ordnungsbeflissenes Wesen verbirgt, seinen Zwecken unterwerfen kann, um sie für sein Glück zu nutzen. Für ihn vermag der Mensch tatsächlich zu lernen, aus der Natur das Beste herauszuholen. Seine Instinkte, wenn sie einmal geweckt sind führen ihn dazu, zumindest auf wirtschaftlichem Gebiete in seinem eigenen Interesse zu handeln. ... Da man diese Gesetze entdecken und folglich verbreiten kann, erachtet es Quesnay für besonders wichtig, die Menschen zu lehren sie einzuhalten. ... Er ist dafür, Institutionen zu schaffen, die den angeborenen Fehlern der

81 Francois Quesnay ( 1694 - 1774) lebte als Ökonom in Frankreich.

82 Vgl. dazu Quesany: Tableau economique - Eine ökonomische Theorie des allgemeinen Gleichgewichts (Leontief / Phillips 1971, S. 48 ff.; Schmidt 1994, S. 50 ff.).

Menschen Rechnung tragen und geeignet sind, der Gerechtigkeit zur Herrschaft zu verhelfen.

Daher legt er soviel Wert auf Regeln und Institutionen, die zufriedenstellende wirtschaftliche Zustände herbeiführen.“ (Spengler 1971, S. 40)

Ausgehend von dieser Idee schufen seine Anhänger eine Theorie der Rechtskontrolle. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, sah Quesnay als Aufgabe des Staates an.

Protektionistische Gesetzgebung lehnt er ab, weil sie ein Ungleichgewicht in ein freies Wettbewerbssystem bringt. Der Staat sollte eine Harmonie zwischen den Klassen herstellen und sich dabei an die natürliche Ordnung halten.83 Quesnay unterschied zwischen einer natürlichen Ordnung („ordre naturel“) und einer Ordnung, die von Menschen gesetzt wurde („ordre positif“). Wirtschaftliche Eingriffe von seiten des Staates sind solange notwendig, bis die natürliche Ordnung verwirklicht ist. Diese herzustellen ist seine vorrangigste Aufgabe (vgl.

Spengler 1971, S. 43 ff.).

Quesnay sah die wirtschaftliche Freiheit (freier Wettbewerb im Innen- und Außenhandel) als optimale Form. Durch diese Freiheit würde sich im vorherrschenden Wettbewerb das Preisgefüge zur Zufriedenheit aller regulieren und die Produktionsfaktoren sich gerecht verteilen. Das Gewinnstreben, das den meisten Menschen innewohnt, sorgt dafür, daß die Menschen arbeiten und Leistung erbringen. Die Ungleichheit hielt er für unvermeidlich und beständig, weil die Menschen in ihren Fähigkeiten und Leistungen sehr unterschiedlich sind (vgl. Spengler 1971, S. 42).

3.4.5 Anmerkungen für die Supervision

Aus diesen kurzen Ausführungen wird ersichtlich, daß in dem Verhältnis Staat und Ökonomie verschiedene Ausgangspunkte existieren: In einigen Vorstellungen definiert der Staat die Ökonomie als seiner Machtsphäre untergeordnet, in anderen Vorstellungen stellt der Staat eine Rahmenbedingung dar, innerhalb derer die Ökonomie installiert werden kann, er selbst aber im Zuge der Etablierung der Ökonomie überflüssig wird.84

Unabhängig davon welche Betrachtungsweise für richtig gehalten wird, für die kapitalistische Produktionsweise war es zunächst notwendig, in einen Staat eingebunden zu werden, welcher Eigentum (eine der wichtigsten Kategorie dieser Wirtschaftsweise) sichert, schützt und regelt.

Gleichzeitig wird aber auch schon sichtbar, daß diese Ökonomie jegliche Freiheit für das

83 Im 18. Jh. wurden unter dem Einfluß der Aufklärungsphilosophie und des Naturrechtes Analogien zwischen Natur und Wirtschaft gesehen und diskutiert. Es wurde davon ausgegangen, daß der wirtschaftliche Kreislauf genauso „natürlich und selbständig“ funktioniert wie beispielsweise der menschliche Blutkreislauf (vgl. Schmidt 1994, S. 50 ff.; Störig 1998, S. 364 ff.).

84 Diese Ausgangspunkte sind Hinweise dafür, warum man oft die "staatszersetzende Kraft" der Ökonomie übersieht.

Wirtschaften fordert und den Staat nicht als Begrenzung erleben möchte. Dieses

Spannungsverhältnis Staat und Ökonomie wird u.a. auch im nächsten Abschnitt verdeutlicht.

Zentral ist die Hinwendung zum Privateigentum, verbunden mit Vorstellungen von Herrschaft und Macht sowie der Einführung von Regeln und Gesetzen zur Sicherung des Privateigentums.

Das Besitz- und Eigentumsdenken mit seinen Konsequenzen (Reichtum, Armut, Ungleichheit, Ungerechtigkeit) wurde entlang verschiedener Argumentationslinien85 legitimiert, die sich an einem rationalistischen Naturrecht, einer Vertragslehre, am individualistischen

Nützlichkeitsdenken und an marktförmigen Vorstellungen von politischen und sozialen Beziehungen orientierten.86 Für das okzidentale Gesellschaftsverständnis trat damit ein fundamentaler Wandel ein, das Wohl der Gesellschaft wurde dem Wohl des Individuums untergeordnet. Das Individuum bekam einen zentralen Stellenwert, allerdings wurde dem Wesen dieses Individuums oft eine negative Konnotation zugeschrieben. Im Konnex von Privateigentum fand eine Reduzierung des Menschen auf ein rational - utilitaristisches und kriegerisches Wesen statt. Hier könnte provokant gefragt werden, ob die Orientierung am Eigentum eben gerade diese Implikationen fördert und die konfliktreichen Verhältnisse zwischen Menschen, Gesellschaften etc. induziert (vgl. Conert 1998, S. 55; Fromm 2000).

85 Die Begründungs- und Rechtfertigungsweisen für die gesellschaftliche und ökonomische Ordnung waren ideologisch und sie weisen auch an vielen Stellen erkenntnistheoretische Probleme auf (vgl. Conert 1998, S. 52).

86 "Individualität, Autonomie, Rationalität, Eigentum und Nutzenstreben kennzeichnen mithin eine

Sichtweise des Menschen, die für den Liberalismus fundamental ist und aus der sich weitere Folgerungen herleiten. So nicht zuletzt für das liberale Verständnis von Gesellschaft. Der Primat liegt hier eindeutig bei den Individuen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Die Individuen sind das Ursprüngliche, woraus die Gesellschaft entstand. Sie ist im wesentlichen die Summe der Individuen; diese konstituieren, indem sie sich zu ihr zusammenschließen, keineswegs eine neue Entität. Den Individuen kommt höhere Dignität (Wert, Würde) als der Gesellschaft zu, woraus folgt, daß das Wohl der Individuen Vorrang vor dem Wohl der Gesellschaft hat." (Conert 1998, S. 54)