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6 Erkenntnisse: Supervision und Ökonomie

6.4 Bedingungen der Produktion

oft an dieser Aufgabe. Er ist fehl am Platze, wo die Maschine herrscht (vgl. Arendt 1998, S. 172 ff.).

"Je größer das Elend des produzierenden Menschen wird, je weniger er seinen Machwerken gewachsen ist, um so pausenloser, um so unermüdlicher,... vermehrt er das Beamtenvolk seiner Geräte, seiner Untergeräte und Unteruntergeräte; und vermehrt sein Elend natürlich auch wieder: denn je vielfältiger und je komplizierter diese selbstgeschaffene Bürokratie seiner Geräte wird, um so vergeblicher werden seine Versuche ihr gewachsen zu bleiben."(Anders 1992, S. 35) Sichtbar wird die Misere, die eine neue Akkumulation von Geräten bewirkt und diese löst wiederum eine Akkumulation jener Misere aus!

Der Mensch will der Perfektheit der Maschine gleichkommen, den Apparaten ko-substanziell zugehören. Dies bleibt ein Traum, Maschinen gelten als überlegen, per se. Dies sollte aber nicht bewirken, daß der Mensch nicht alles versuchen sollte, diesem Perfektheitsanspruch gleich zu kommen.

Der Mensch ging und geht hier in viele Grenzbereiche seines eigenen Seins und versucht, sich den Bedingungen der Arbeitswelt anzupassen. Erlebte Grenzen, führen nicht zum Einhalt oder zur Besinnung, sondern es erfolgt eine enorme Anstrengung, diese Grenzen zu überwinden und die Anforderungen zu erfüllen (vgl. Anders 1992, S. 35 ff.). Um diesen Anspruch zu genügen, setzt sich der Mensch extremen Situationen aus, fordert seine physischen und psychischen Grenzen heraus und beobachtet sich genau, um zu studieren, wo und wie diese Grenzen überwunden werden könnten. In mühevoller Selbstdressur soll unerträgliches halbwegs erträglich gestaltet werden. Die Zurichtung erfolgt pausenlos auf die Maschine, wie der Mensch sein sollte, legt die Maschine fest. Die Maschine wird zum "Subjekt der Nachfrage"

und der Mensch muß sich anstrengen, das entsprechende Angebot zu liefern, um das Optimale aus der Maschine zu holen.

Durch diesen Vorgang vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Galt der Protest erst dem

Angewendet-werden in der Unterordnung und Anpassung des Menschen an die Maschine, gilt jetzt der Protest der Limitierung des Menschen an die Maschine. Es besteht die Furcht, daß die Anwendbarkeit und Verdinglichung des Menschen Grenzen durch seine Menschlichkeit erfährt.

Der Mensch hat auch den Grenzpunkt überschritten, inne zu halten, wo er mit seinem Vermögen nicht mehr mitkommt und seinen Produkten nicht mehr gewachsen ist. Dieses

"Innehalten" würde als Schwäche ausgelegt, eine Rücknahme ist gar nicht denkbar. Wesentlich dabei ist nicht die moralische Vorstellung, was gut oder böse sei, hiervon sind wir weit entfernt, sondern bemerkenswert ist, daß zum Maßstab für gut oder böse die Maschine geworden ist.

Die Selbstverwandlung wird der Maschine zuliebe vollzogen, menschliche Freiheit dafür eingeschränkt oder gar darauf verzichtet. Selbstbeschneidung und Selbstdemütigung erfolgte, der Mensch führte seine Selbstverdinglichung ein (vgl. Anders 1992, S. 47 f., S. 197 f.). Durch diese Funktionalisierung seiner Selbst wurde der Mensch ersetzbar und beliebig austauschbar oder überflüssig in dieser Produktionsweise.

Diese Überlegungen galten erstmals für die Industrialisierung, aber heutzutage steht "die Maschine" ebenso für die neuen Technologien und auch für die neuen Arbeitsweisen.

Differenzen können eher dahingehend aufgemacht werden, daß die Selbstverdinglichung schon wesentlich automatischer erfolgt und neue Anforderungen an den Menschen seltener in Frage gestellt werden, weil es bereits eine Gewöhnung an diese Umstände gibt. Es schwand die Ungeheuerlichkeit, sich derart an die Maschinerie der Produktionsweise anpassen zu müssen.

Heute will man auf keinen Fall von der Maschinerie nicht gebraucht werden oder gar überflüssig sein.

Die Überlegenheit der Produktion und die Begrenztheit des Menschen

Die Produktionsweise und die durch sie entstandenen Produkte gewannen etwas tadellos Großartiges, der Mensch selbst steht als "kleines Wesen" demgegenüber. Der Mensch ist geworden und nicht gemacht wie das Produkt. Das Produkt wurde kalkuliert, der Mensch nicht, er entstand relativ planlos. Ein Gefühl der Minderwertigkeit stellte sich gegenüber der Maschine und den maschinellen Produkten ein. Ein Austausch von creator und creatum liegt vor. Das Gemachte ist bedeutsamer als die MacherIn. Die Ehre wird den Dingen erwiesen und nicht dem Menschen. Eine Selbstentwürdigung erfolgte dadurch, daß der Mensch kein umbaubares, genau funktionierendes Gerät ist, erkennt die Überlegenheit der Dinge an, die diese Fähigkeit besitzen und bejaht gleichzeitig damit seine Verdinglichung (vgl. Anders 1992, S. 26 ff.).207 Durch die kapitalistische Produktionsweise ist der Mensch an die Grenzen all seines Vermögens gestoßen (Vernunft, Fühlen, Verantworten etc.). Er wird mit seiner begrenzten Kapazität konfrontiert.

„Denn es wäre ja durchaus denkbar, daß die Transformation der Geräte zu rapide vor sich ginge, schlechthin zu rapide*; daß die Produkte etwas Übertriebenes von uns verlangen, etwas Unmögliches; und uns durch ihre Zumutung wirklich in einen kollektiv pathologischen Zustand hineintrieben. Oder anders ausgedrückt, aus der Perspektive des Produzenten: Es wäre ja durchaus nicht unmöglich, daß wir, die wir diese Produkte herstellen, drauf und dran sind, eine Welt zu etablieren, mit der Schritt zu halten wir unfähig sind, und die zu ‚fassen‘, die

Fassungskraft, die Kapazität sowohl unserer Phantasie wie unserer Emotionen wie unserer Verantwortung absolut überforderte. Wer weiß, vielleicht haben wir eine solche Welt bereits etabliert.“(Anders 1992, S. 17)

Der Mensch hat verschiedene Vermögen, wie Arbeiten, Herstellen, Handeln, Denken, Vorstellen, Fühlen, Verantworten etc.. Diese Vermögen sind different und im Hinblick auf ihre Größe, ihr Maß, ihr Fassungsvermögen, ihre Reichweite und ihre Leistungskapazität zu unterscheiden (vgl. Anders 1992, S. 267; Arendt 1998). Die einzelnen Vermögen haben Grenzen im Begreifen und in ihren Kapazitäten. Eine Diskrepanz trat auf zwischen dem, was der Mensch produzieren kann und könnte und dem, was er verstehen, fühlen und verantworten

207 Vgl. die Gentechnik und den Boom der Schönheitsoperationen etc.

kann und sollte. Es entstand ein Gefälle zwischen Machen und Vorstellen, Tun und Fühlen, Wissen und Gewissen und zwischen dem produzierten Gerät und dem nicht darauf hinzu geschnittenen Menschen. Diese Tragödie drückt sich im folgenden aus:

„Machen können wir zwar die Wasserstoffbombe; uns aber die Konsequenzen des

Selbstgemachten auszumalen, reichen wir nicht hin. – Und auf gleiche Weise humpelt unser Fühlen unserem Tun nach: Zerbomben können wir zwar Hunderttausende; sie aber beweinen oder bereuen nicht.“(Anders 1992, S. 17)

Dies kann zum einen auf die Dynamik, welche sich aus einem warenproduzierenden System ergibt, zurückgeführt werden und zum anderen ist die Frage nach der Begrenztheit des Menschen offen und ungeklärt. Die dabei entstandene Spaltung ist noch nicht erfaßt und dies wird auch nicht so einfach möglich sein, weil die Erfassung sich ja selbst innerhalb dieser Kategorie bewegt, deren Wirkung und Ausmaß sie untersuchen sollte. Feststeht, daß der Mensch sich weniger als "Ganzheit" erfährt, sondern fragmentarisch und spezialisiert und das Produzieren kein menschliches Gefühl verlangt oder wünscht. Wenn Gefühle doch erwünscht sind, dann in einer funktionellen Weise (Nettigkeit der Bedienung, VerkäuferIn etc.). Dies löst eine weitere Entfremdung aus.

Die Existenzweise des Habens

In Gesellschaften mit einer warenproduzierden Produktionsweise ist Haben und immer mehr Haben das oberste Ziel und der Zweck des Lebens, sowie das Mittel zum Leben.

Verschiedene Philosophien und Religionen beschäftigten sich mit dem Haben und

komplementär mit dem Sein. Auf das Sein wird nicht näher eingegangen und auch das Haben kann nur begrenzt behandelt werden. Das entscheidendste Problem der menschlichen Existenz scheint zwischen der Liebe zum Lebendigen und der Liebe zum Toten zu bestehen. Haben und Sein sind zwei differente Formen des menschlichen Erlebens, "deren jeweilige Stärke

Unterschiede zwischen den Charakteren von einzelnen und zwischen verschiedenen Typen des Gesellschafts-Charakters bestimmt."(Fromm 2000, S. 27) Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daß im Sein der Mensch im Zentrum steht und im Haben das Ding. Die Orientierung am Haben ist in den Industriegesellschaften so tiefgreifend vollzogen, daß man sich kaum noch eine Welt ohne Haben in Form von Besitz und Eigentum vorstellen mag. Das Privateigentum bildet die Grundlage des Habens, es ist eine Form von Eigentum, welche andere vom Gebrauch und Genuß ausschließt. Die Entwicklungen und Wirkungen des Privateigentums sind zu unterscheiden von funktionalem Eigentum, d.h. von Eigentum für den tatsächlichen Gebrauch.208 Es kann davon ausgegangen werden, daß die Existenzweise des

208 "Um überleben zu können, ist es erforderlich, daß wir bestimmte Dinge haben, behalten, pflegen und gebrauchen. Dies gilt für unseren Körper, für Nahrung, Wohnung, Kleidung und für die Werkzeuge, die zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse vonnöten sind. Dieses funktionale Haben kann man auch als existentielles Haben bezeichnen, da es in der menschlichen Existenz wurzelt. Es ist ein rational gelenkter Impuls, der dem Überleben dient - im Gegensatz zum charakterbedingten Haben, ..."(Fromm 2000, S. 87)

Habens eine Wirkung auf den Charakter des Menschen, auf sein Denken, Fühlen und Handeln hat und das Haben die Beziehung zwischen Menschen und Welt in Form von Besitzen,

Besitzergreifen und Einverleiben regelt (vgl. Fromm 2000, S. 35). Das Einverleiben erfolgt auf verschiedene Art und Weise, das Konsumieren ist die häufigste Form und der Besitz von Lebewesen anscheinend die "begehrteste" Form des Habens. Das moderne Sein bestimmt sich über: Ich bin, was ich konsumiere und was ich habe. In dieser Haltung wird auch die Dynamik offenbar, daß es nicht zu Befriedigung führt, wenn man hat, sondern daß der Besitz sich ständig erneuern muß. Weiterhin zeigt die Existenzweise des Habens ihre Wirkung auf die

Identitätsbildung. "In letzter Konsequenz drückt die Aussage: "ich (Subjekt) habe O (Objekt)"

eine Definition meines Ichs durch meinen Besitz des Objekts aus. Das Subjekt bin nicht ich selbst, sondern ich bin, was ich habe. Mein Eigentum begründet mich und meine Identität. Der Gedanke, der der Aussage "ich bin ich" zugrunde liegt, ist ich bin ich, weil ich X habe, X sind dabei alle natürlichen Objekte und Personen, zu denen ich kraft meiner Macht, sie zu beherrschen und mir dauerhaft anzueignen, in Beziehung stehe."(Fromm 2000, S. 80) Mit Besitz wurde Freiheit verbunden, das Haben kann aber die Freiheit absolut beschränken.

Daran wird deutlich, daß Freiheit sehr unterschiedlich betrachtet und interpretiert werden kann und sich aus den jeweiligen Betrachtungsweisen andere Konsequenzen ergeben. In der Existenzweise des Habens zeigen sich jedenfalls starke Begrenzungen auf die Freiheit des Einzelnen - Besitz birgt viele Verpflichtungen und Ängste in sich.

Mit der Existenzweise des Habens ist zwangsläufig Gewalt verbunden und zwar auf unterschiedlichen Ebenen.

Erstens war es mit einem Gewaltakt verbunden, die Erde, die Menschen und die Dinge in Kategorien von Besitz zu denken und zu bemessen, in Besitz zu nehmen und den Anspruch des Besitzrechtes durchzusetzen. Die Fähigkeiten des Eroberns, des Raubens und Tötens waren dafür notwendig. Zweitens bedarf es der Macht, um Besitz zu erhalten und zu

beschützen. Dies erfolgt in der Regel über Gewaltandrohung und -anwendung. Es besteht die permanente Gefahr der Enteignung und dieser muß durch Stärke und Aggression

prophylaktisch entgegengewirkt werden. Drittens bedurfte es einer vielfältigen

Gewaltanwendung, um Menschen zu beugen und sie zu beherrschen sowie sie besitzen zu können. Dieses Verhältnis ist gekennzeichnet von Rivalität, Furcht, Neid etc.. Strukturen des Gehorsams, der Unterwerfung und der Strafe sind erforderlich (vgl. Foucault 1994).

Daß die Orientierung am Haben so erfolgreich war, ist mit dem Verlangen nach Unsterblichkeit verbunden. Konstituiert sich das Selbst durch Dinge, die man hat, scheint durch deren

Unzerstörbarkeit das Selbst unsterblich (vgl. Arendt 1998, S. 28 ff.; Fromm 2000, S. 84).

Der leidenschaftliche Trieb, Dinge zu besitzen und zu horten ist nicht angeboren, sondern entwickelte sich aus den gesellschaftlichen Bedingungen. Mittlerweile wird dieser Trieb so behandelt, als wäre er

angeboren (vgl. ebd. S. 87).

Es kann angenommen werden, daß die Existenzweise des Habens eine Möglichkeit der menschlichen Natur ist, welche durch den Selbsterhaltungstrieb bestärkt wird, dies heißt aber nicht zwangsläufig, daß es die einzig mögliche Form ist oder gar die sinnvollste.

Egoismus, Selbstsucht und Habgier

Zur Förderung der kapitalistischen Produktionsweise benötigte man Egoismus, Selbstsucht und Habgier. Wie die Geschichte zeigt, mußten diese Verhaltensweisen erst gesellschaftsfähig werden (vgl. Pkt. 3.2.). Egoismus, Selbstsucht und Habgier sind menschliche Qualitäten, welche der Kapitalismus förderte, sie wurden als dem Menschen angeboren und zutiefst eigen bezeichnet. Man sprach sie ausschließlich der menschlichen Natur zu und nicht dem System, welches diese Eigenschaften auf so bizarre und enthemmte Weise bedingte. Egoismus, Selbstsucht und Habgier galten als natürliche Triebe, die die kapitalistische Produktionsweise mittrugen und nicht als Produkt jener gesellschaftlichen Form (vgl. Fromm 2000, S. 18 f., S. 99).

Mit der Installation dieser Qualitäten wurde auch die Vorstellung von Frieden und Harmonie damit verbunden (vgl. Smith1999). Diese Annahme hat sich aus vielerlei Gründen als irrig erwiesen. Egoismus, Selbstsucht und Habgier lassen sich nicht begrenzen, sondern dehnen sich als Verhaltensweisen aus. Wird das Haben im Sinne von Besitzen und das Prinzip des unbegrenzten Konsum zum Ziel, erfahren diese Verhaltensweisen eine Steigerung, Egoismus, Selbstsucht und Habgier werden endlos. Hinzu kommt Neid auf jene, die mehr haben und Angst vor jenen, die weniger haben. Diese Aspekte bergen eine hohe Belastung für die

zwischenmenschlichen Beziehungen in sich (vgl. Wittenberger 1985, Heft 8, S. 45).