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5 Zum Ausdruck des postfordistischen Kapitalismus in der

5.4 Resümee

weniger darauf, daß man die "fordistischen Arbeitsbedingungen" für unzumutbar hielt. Auch die aktuellen Arbeitsbedingungen muten den Menschen vieles zu und von einem

Paradigmenwechsel kann nicht gesprochen werden. Die Umstrukturierungsprozesse orientieren sich an den Marktanforderungen und an den Vorstellungen der Tätigen. Ebenso stehen bei den neuen Arbeitszeitmodellen nicht die Anliegen der Arbeitenden im Vordergrund sondern

vorrangig die Auftragslage der Unternehmen. Bedürfnisse, die bei den Arbeitenden tatsächlich vorhanden sind - wie mehr Freizeit, Abwechslung, Zeitautonomie, Herausforderungen etc. - werden benutzt, um marktwirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Das im Verlauf der kapitalistischen Produktionsweise gewachsene Verständnis von Arbeit wandelt sich, und zwar in Bezug auf räumlich und zeitlich festgelegte und abzuleistende Erwerbsarbeit. Es ist nun also möglich, jederzeit und überall tätig zu sein. Kategorien wie Arbeitsplatz, Arbeitsleistung, Arbeitsort und Arbeitszeit verschwimmen aufgrund der neuen Produktionsformen.194 Damit einher geht auch die Umgestaltung von Organisationen und Strukturen sowie die Deregulierung von Gesetzen, Normen, Vorschriften etc. Herkömmliche Karrierewege und standardisierte Berufsbilder verlieren an Bedeutung. Höhere Produktivität wird durch bessere Qualifikation, Kommunikation und Motivation erreicht. Inhalte der neuen Beschäftigungen sind v.a. Informationen und Wissen. Dabei sind nicht so sehr die Arbeitszeiten oder -mengen von Bedeutung, sondern das Ergebnis und seine Exklusivität.

Die neuen Anforderungen stoßen aber auch an Grenzen. Auf einen wichtigen Aspekt, auch für die Supervision, sei nochmals verwiesen. Die fordistischen Arbeitsbedingungen beispielsweise verkleinerten nicht nur stetig die Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit, sondern auch die Zusammenarbeit wurde eingeschränkt und zur Funktion, welche der funktionalen Integration unterworfen ist. Die funktionale Integration verhindert aber die soziale Integration, was heißt, funktional vorgeschriebene Interaktionen schließen eine lebendige Zusammenarbeit aus und eine selbstgesteuerte Zusammenarbeit ist in diesem Kontext nicht möglich. "Praktisch läuft es somit auf dasselbe hinaus, ob man sagt, es könne oder es dürfe keine freiwillig selbstgesteuerte Zusammenarbeit geben, wenn die Megamaschine störungsfrei, vorhersehbar und berechenbar funktionieren soll. Das Ausschalten des "menschlichen Faktors" - die Ersetzung der lebendigen Arbeit und des frei verantwortlichen Arbeiters durch eine strikt vorprogrammierte Arbeit und einen völlig in funktionale Abläufe eingebundenen Arbeiter - wird ebenso durch die

ökonomische Rationalisierung gefordert wie durch die Funktionsweise der Megamaschine ...

."(Gorz 1998, S. 68)

Dies soll nun unter den "neuen" Arbeitsbedingungen wieder aufgelöst werden, was schwerlich möglich ist, da der Arbeitsprozeß funktional und rational geblieben ist. Die Spannungsfelder, die

194 Dazu kommt, daß Unternehmen versuchen, ihre fixen Kosten auf ein Minimum zu reduzieren, um auf dem Markt flexibler agieren zu können (vgl. dazu auch die Zunahme von Zeitarbeitsfirmen).

aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen auftreten, bewegen sich zwischen der Notwendigkeit von mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung sowie einer intensiven Kooperation und Teamarbeit195 und dem vorgegebenen rationalen Funktionieren in der kapitalistischen Produktionsweise. Für diese Problematik wird vermehrt Beratung zu Hilfe gerufen, auch die Supervision. Hinzu kommt, daß Beratungen die Kommunikation und Kooperation fördern sollen sowie deren Organisierung. Außerdem geht es um das Halten und Gewinnen von qualifizierten Arbeitskräften, um den kreativen und effizienten Einsatz von Wissen und Können sowie um die Unterstützung und Implementierung von neuen Wertsystemen (Corporate Identity).

Zu bedenken ist, daßes ein gleichzeitiges Bestehen von zwei Arbeitswelten gibt, nämlich der alten Form (Massenproduktion / funktionelle Hierarchie) und der neuen Form

(Informationsarbeit / Vernetzung / flache Hierarchie).196 Vielerorts wirken bzw. herrschen die fordistischen Arbeitsformen und Einstellungen noch vor, wo bereits die neuen Arbeitsformen gefragt sind. Dies ist ein Grund, wieso die Beratungsbranche solch einen Boom in den letzten Jahren erlebt hat.

Im Pkt. 7.2 werden einige dieser Aspekte nochmals ausführlicher erläutert.

Diese Veränderungen vom Fordismus zum Postfordismus führten auch zu einen Wandel in der Persönlichkeitsstruktur des tätigen Menschen. Wurde in der ersten und zweiten Phase der Industrialisierung eher ein autoritär-hortender Charaktertypus diagnostiziert, kann nun in der dritten Phase der Industrialisierung ein sogenannter Marketing- Charakter ausgemacht werden (vgl. Fromm 2000, S. 141 ff.). Dieser Typus erlebt sich selbst als Ware, seinen Wert sieht er nicht in seinem "Gebrauchswert", sondern in seinem "Tauschwert". Für den Marketing- Charakter ist es wichtig, im System gut zu funktionieren und sich dabei optimal als "Ware" im Tausch und Verkauf auf dem Markt feilbieten zu können. Ausschlaggebend ist die

Persönlichkeit, sie muß gefragt sein und der Konkurrenz standhalten. Der Erfolg hängt davon ab, wie gut man sich verkaufen kann. Man ist zugleich Verkäufer und zu verkaufende Ware in einer Person, Lebensinhalt wird die eigene Präsentation und die eigene Verkäuflichkeit. Wichtig ist, auf dem Markt begehrt zu sein und zu bleiben. Dazu ist es notwendig, sehr wandelbar zu sein und keine starre Persönlichkeitsstruktur auszubilden. Dies birgt das Dilemma in sich, eigen und auffallend zu sein und doch sehr anpassungsfähig. Die Ausbildung der Identität erfolgt an der Oberfläche und die Zugehörigkeit bildet sich über das Unternehmen heraus. Diese Form ist eine höhere Stufe der Entfremdung (vgl. Pkt. 3.6.4). Dem entfremdeten Marketing- Charakter

195 Zu beachten ist, daß es sich hier nicht mehr um Teams handelt, die eine gewisse Kontinuität aufwiesen, sondern um Teams, welche sich schon nach ein paar Wochen wieder neu zusammensetzen müssen (vgl. auch Pkt. 7.2).

196 Der technische Wandel löst auch einen Widerstreit von Empfindungen aus, wie zuversichtliches Vertrauen auf Chancen individueller Entfaltung und Furcht vor Verlust materieller Sicherheit sowie Orientierungslosigkeit, Abwehrreaktionen und Hoffnungen. Dies sind Themen in Beratungsprozessen.

fällt es leicht, flexibel und mobil zu sein. Auffallend ist die allgemeine Beziehungslosigkeit und Gleichgültigkeit sich selbst, den anderen, der Welt und auch den Dingen gegenüber (vgl.

Fromm 2000, S. 143, S. 190).

Arbeitsmarktbedingungen diktieren also, welcher Typus von Mensch gerade gebraucht wird (z.B. hohe Mobilität und Flexibilität), dieser Typus von Mensch bestimmt wiederum das Arbeitsgeschehen. Durch die fortgeschrittene Individualisierung der Gesellschaft läßt sich dies relativ unauffällig durchsetzen.197All dies läßt auch permanent neuartige Lebenslagen,

biographische Verlaufsmuster und neue soziale Formen entstehen, auf die sich die Supervision einstellen sollte.198

Die elektronische Technologisierung veränderte die Arbeitswelt. Dies drückt sich in der globalen Ausdehnung des Marktes aus. Die Funktionsweise der sich fast ausschließlich durch die Marktmechanismen regulierten Weltwirtschaft wirkt sich auf differenzierte Art in den einzelnen nationalen Volkswirtschaften aus.

Von zentraler Bedeutung wird für die Supervision auch die Globalisierung werden. Hier gewinnen neben all den Fragen zur Organisation und Zusammenarbeit (vgl. Pkt. 7.2) Faktoren wie Kultur, Kontext, Diskurs, etc. an Relevanz. Im Pkt. 2.3.3 wurde bereits geschildert, daß diese Faktoren zusehends Eingang in die Supervision fanden, dies kann auch im Konnex der Globalisierung betrachtet werden. Die Globalisierung birgt die unterschiedlichsten Aspekte, welche zum Teil noch unerforscht sind. Der Prozeß beinhaltet viele reflexive Anteile und eine hohe Ambivalenz (vgl. Beck 1998a, S. 150 ff.).

197 Als ein zentraler Aspekt, welcher durch diese Veränderungen forciert wird, kann die Tendenz zu individualisierten Existenzformen und Existenzlagen gesehen werden. Menschen sind gefordert "sich selbst – um des eigenen materiellen Überlebens willen – zum Zentrum ihrer eigenen Lebensplanungen und Lebensführung zu machen.“(Beck 1986, S. 116) Der aktuelle Individualisierungsprozeß ist ein immanentes Produkt der Modernisierung der Industriegesellschaft als auch ein gewünschtes Produkt (vgl.

Beck/Beck-Gernsheim 1994; S. 21). Beck spricht von einem Modell der dreifachen

Individualisierung:„Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und –bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge („Freisetzungsdimension“), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen

(„Entzauberungsdimension“) und – womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird – eine neue Art der sozialen Einbindung („Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension“)."(Beck 1986, S.

206) Konflikte und immanente Widersprüche der Individualisierung in der Moderne werden sichtbar.

Das Individuum ist extrem (arbeits)marktabhängig, über seine Existenzsicherung bis hin zu den Konsummöglichkeiten und –angeboten. Alte Abhängigkeiten durch traditionelle Bindungen und Versorgungsbezüge wurden durch neue Abhängigkeiten von Institutionen, Arbeitsmarkt und Konsummöglichkeiten abgelöst.

198 Hier bildet sich gerade der Typus "Selbst-Unternehmer", Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft heraus. Auf diesen umfangreichen Komplex wird aber nicht weiter eingegangen.

Kurz skizziert werden einige Ausschnitte, welche vermehrt zum Thema in Arbeitsprozessen werden:

• Widersprüche der Globalisierung können vor Ort konfliktreich aufbrechen (Abschottung, Ausgrenzung, Xenophobie)

• Auflösung der konstruierten Homogenität und Konfrontation mit monolithisch ausgeprägtem (Volks-) Kulturdenken (vgl. Appadurai 1998; Beck-Gernsheim 1998; Kirby 1998, S. 169)

• Vereinnahmungs- und Dominanztendenzen (Rommelsbacher 1995; Nederveen/Pieterse 1998)

• Verbindendes und Diametrales von Lokalem und Globalem (vgl. Beck 1998a; Kirby 1998;

Meyrowitz 1998; Robertson 1998)

• Vereinheitlichung und Fragmentierung (Beck 1998a, Meyrowitz 1998)

• Universelles und Partikulares (vgl. Robertson 1998, S. 197 ff.), etc.

Globalisierung wird mannigfaltige Auswirkungen auf die Menschen sowie auf die Kommunikation und Interaktion haben. Eine zentrale Rolle werden dabei die

Selbstwahrnehmung und das daraus resultierende Verhalten spielen. Arbeitszusammenhänge erhalten im Globalen nochmals andere Formen, erlebte Wirklichkeit und Macht eine neue Dimension. Die westliche Hegemonie wird in der transnationalen Kooperation Thema, auch auf dem historischen Hintergrund des Kolonialismus und Imperialismus (vgl. Dobb 1972, S. 309 ff.;

Schöllgen 1994; Wehler 1983, S. 171 ff.).

Dieses umfassende Gebiet der Globalisierung ist zum Teil noch sehr unbeleuchtet.

Beratungsformen wie die Supervision bewegen sich in einem Zwischenraum, praktisch und vor Ort sind sie längst mit der neuen Realität des Globalen konfrontiert (multiethnische Teams, transnationale Zusammenarbeit), während im theoretischen Diskurs meist noch in

Ordnungsmodellen, Kategorien, etc. des Nationalen gedacht wird (vgl. Schwarz 1998, Heft 33).

Hier eröffnet sich ein neues Bezugsfeld von Analysen und Interpretationen für die Supervision.

Eine zentrale Frage wird lauten: Wie und in welcher Form können die Synthesen stattfinden?