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Zu den Referaten im Einzelnen

Im Dokument 2008 Qualität in Schule und Betrieb (Seite 113-121)

Fachtagung Sprachen (Deutsch- und Fremdsprachenunterricht)

II. Zu den Referaten im Einzelnen

Eine zweifellos weitgehende Forderung an den berufsschulischen Unterricht, aber auch eine notwendi-ge, wenn denn in der Tat der Anteil der Jugendlichen, die vorzeitig die berufliche Ausbildung beenden (müssen) oder in der Abschlussprüfung scheitern, erheblich gesenkt werden soll, nach Vorgabe des Hessischen Kultusministers z. B. um ein Drittel. Und wenn denn in der Tat die Jugendlichen über jene muttersprachlichen Kompetenzen verfügen sollen, die die Ausbildungsbetriebe von den Bewerbern um Ausbildungsplätze einfordern. Dies wurde jedenfalls gleich im ersten Referat deutlich gemacht, und zwar in dem Beitrag „Sprachkompetenz – Bedeutung und Realität in der Berufsausbildung“ von Udo Göttemann von der Industrie- und Handelskammer Nürnberg. Seine Ausgangsthese: Berufliche Hand-lungskompetenz als das gegenwärtige erkenntnisleitende Interesse der beruflichen Ausbildung ist ohne ausgebildete sprachliche Kompetenzen nicht zu haben.

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Seine leicht nachvollziehbare Begründung: Auf Grund der dramatischen Veränderungen in der Arbeits-welt reiche es nicht mehr aus, über die berufsrollenspezifischen Fachqualifikationen und über das fach-spezifische Wissen zu verfügen, um den neuen Herausforderungen der beruflichen Handlungsfelder gewachsen zu sein (wozu er vor allem den Zwang der Betriebe zum kundenorientierten Handeln zählt), sondern es müssen Fähigkeiten hinzukommen, die über die traditionellen Qualifikationen und Fertig-keiten hinausgehen wie vor allem die Fähigkeit zur „externen und internen Kommunikation“, genauer zur

„mündlichen und schriftlichen Kommunikation im Team und in den Arbeitsgruppen.“ Das gelte selbst für Berufe, die bisher ohne jeden Kontakt mit Kunden gewesen seien, wie z. B. der Beruf des Koches oder der des Metall- und Elektrofacharbeiters. So werde inzwischen von einem Koch erwartet, dass er „ein gast- bzw. kundenorientiertes Gespräch“ und von einem Metall- und Elektrofacharbeiter, dass er „ein Fachgespräch führen“ könne. Entsprechend sei die Überprüfung dieser Fähigkeit denn auch zentraler Bestandteil der Abschlussprüfungen beider Ausbildungsgänge.

Ähnlich verhalte es sich mit einer anderen Entwicklung, die unter dem Aspekt beruflicher Handlungs-fähigkeit von zentraler Bedeutung sei und in direktem Zusammenhang stehe mit der sprachlichen Handlungskompetenz. Damit ist der Trend in der beruflichen Ausbildung gemeint weg vom „Vormachen, Üben, Können“ und hin zum „zum selbstgesteuerten und selbstständigen Erarbeiten von Ausbildungs-inhalten in Verbindung mit komplexen Aufgabenstellungen (Projektarbeit).“ Denn diese Fähigkeit setze genau wie das kundenorientierte Handeln auch voraus, dass die Jugendlichen beim Eintritt in die beruf-liche Erstausbildung in der Lage seien, „selbstständig Texte zu lesen und zu verstehen, Zusammenhän-ge zu verstehen, diese niederzuschreiben bzw. darüber zu sprechen“, kurz: sinn- bzw. wissenentneh-mend Texte lesen zu können. Aber genau das können die Absolventen der allgemein bildenden Schulen immer weniger, und zwar, wie Göttemann ausdrücklich betont, die Absolventen „aller (!)“ Schulen und nicht „Jugendliche mit Migrationshintergrund“, wobei er sich vor allem auf Erfahrungen berufe, die er in den - schriftlichen und mündlichen - Prüfungen am Ende der Ausbildungszeit regelmäßig mache.

Sein Fazit, das nach dem bisher Gesagten kaum noch überrascht: Entwickelte Sprachkompetenz sei

„Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen und damit auch für eine erfolgreiche Berufsausbildung“, und SchülerInnen, die nicht in ausreichendem Maße über diese Kompetenz verfügen, „haben bei ihren beruflichen Entwicklungschancen äußerst schlechte Karten.“ Entsprechend überrascht auch seine For-derung an die Ausbildungsbetriebe und an die berufsbildenden Schulen nicht, nämlich nicht mehr da-rauf zu setzen, dass in Sachen Sprachförderung die allgemein bildenden Schulen in erster Linie in der Pflicht seien, sondern das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, d. h. alles zu tun, was mög-lich sei, um den Jugendmög-lichen die für eine qualifizierte berufmög-liche Ausbildung notwendigen sprachmög-lichen Kompetenzen zu vermitteln, und zwar der „wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen“ wegen, die unabsehbar seien, wenn sich Ausbildungsbetriebe und berufsbildende Schulen dieser Aufgabe verwei-gern. Wie groß der Anteil der sprachlichen Handlungsfähigkeit an der beruflichen Handlungsfähigkeit ganz allgemein inzwischen in der Tat geworden ist, belegte dann anschließend in einem Ko-Referat Jens Christian Ammermann, Vorsitzender der Geschäftsführung des CommunicationsCenter Nürnberg, und zwar am Beispiel der neuen Ausbildungsberufe Servicefachkraft für Dialogmarketing und der Kaufleute für Dialogmarketing.

Und wie reagiert nun die berufsschulische Unterrichtspraxis auf die von Göttemann in das Zentrum ge-rückte Dilemma, dass auf der einen Seite die Anforderungen der Ausbildungsbetriebe an die schriftliche und mündliche Kommunikationsfähigkeit der Auszubildenden ständig steigen, auf der anderen Seite die Absolventen der allgemein bildenden Schulen aber immer weniger über diese Fähigkeit verfügen?

Genau darauf haben Margot Stommel und Dr. Axel Stommel, beide Studiendirektor an einem Oberstu-fenzentrum in Berlin, in ihrem Referat „Präsentation und Sprachentwicklung in der Berufsschule. Ein Be-richt aus dem Inneren der Institution“ versucht, eine Antwort zu geben. Und keine Frage, dass ihre Ant-wort beeindruckt hat, die sich auf folgenden Nenner bringen lässt: Dadurch, dass Unterrichtsinhalte und -methoden ausgewählt werden, deren Gebrauchswert bzw. Nutzen die Berufsschüler für ihre berufliche Qualifikation auf Anhieb erkennen können und die darüber hinaus geeignet sind, die Sprachfähigkeit der Schüler insgesamt zu fördern. Und welcher Gegenstand ist unter diesem Aspekt im berufsschulischen Unterricht schon so ergiebig wie die Präsentation! „In welchem Beruf nämlich“, so die beiden Referen-ten, „wird nicht präsentiert?“ Und weiter: „Nicht nur der Autoverkäufer muss seine S-Klasse verkaufen.

Auch der Gärtner muss eine Teichanlage dem potenziellen Auftraggeber schmackhaft machen, wäh-rend die Bürokauffrau die Zahlen der Kosten- und Leistungsrechnung zu präsentieren haben wird …“

Das ist natürlich so neu nicht, aber „neu sind die unglaublichen Verfeinerungen der Präsentation und ihre Allgegenwärtigkeit … Ganze Wirtschaftszweige leben davon.“

Das bedeutet für Stommel und Stommel, dass auch bzw. erst Recht der Präsentationsunterricht an den berufsbildenden Schulen durchaus seine Berechtigung haben kann, zumindest in der Theorie, zu-mal wenn man hinzunimmt, dass sich in diesem Unterricht die Schüler, wie sie festgestellt haben, eher motivieren und sich gleich mehrere Lernziele auf vorzügliche Art und Weise kombinieren lassen. So ver-lange der Präsentationsunterricht z. B. von den Schülern, die die Präsentation erstellen, die „ständige aktive Auseinandersetzung mit den fachinhaltlichen, gestalterischen und planerischen Vorstellungen ihrer Mitschüler“, fordere „die kreativ-gestalterischen sowie die spielerischen Fähigkeiten der Schüler heraus“ und leiste einen besonderen Beitrag zur Entwicklung methodischer, sozialkommunikativer und sprachlicher Kompetenzen.

Aber ist es auch gelungen, die Sprachfähigkeit vor allem jener Schüler zu fördern, die zu den Wortkargen oder zu den Schweigsamen gehören? Stommel und Stommel sind skeptisch. Ihr Fazit: Eher nicht. Ihre Begründung: Effektive Sprachförderung erfordere Zeit, könne nicht im Minutentakt gelingen. Die für die Förderung der Sprachfähigkeit notwendige Zeit stehe aber im berufsschulischen Unterricht nicht zur Verfügung und die Turbo-Schule sei nun einmal noch nicht erfunden. Das gelte erst recht für den Prä-sentationsunterricht, der weitaus mehr Zeit in Anspruch nehme als der herkömmliche bzw. traditionelle Unterricht. Genau genommen laufe der Präsentationsunterricht an berufsbildenden Schulen eben auf Grund der Zeitknappheit auf „eine Verflachung des Unterrichts“ hinaus und dass ein solcher Unterricht zu einer „Vertiefung der Sprachkompetenz führt, widerspricht allen Regeln der Erfahrung und des Ver-standes.“

Recht haben sie, und sie haben auch Recht, wenn sie für einen Sprachförderunterricht an den berufs-bildenden Schulen eintreten, der nicht in erster Linie den „sicheren Schreibern“ und „freien Sprechern“

zugute kommt, sondern dem „verbalen Prekariat“, und das ist ein Unterricht, der nicht dabei verharrt, in Rechtschreibregeln einzubimsen, sondern der „einen Beitrag zur simultanen Förderung von Methoden-, sozial-kommunikativer und Sprachkompetenz leistet.“

Gedanken darüber, wie der Unterricht an den berufsbildenden Schulen effektiver organisiert werden kann, standen auch im Zentrum des Referates „Verbesserung der Qualität von Unterricht durch Einfüh-rung eines Modells von Wochenplanarbeit in der Berufsschule am Beispiel des Englischunterrichts an Wirtschaftsschulen“ von Sandra Frommeyer von der Kaufmännischen Berufsbildenden Schule, Mem-mingen. Ihre These: Alles im Unterricht hängt davon ab, dass es gelingt, die Schüler zu motivieren. Ihre

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Begründung: Die Schüler müssen auch wollen, was sie sollen, und sie wollen dann, was sie sollen, wenn sie die Unterrichtsform und Unterrichtsmethoden weitgehend mitbestimmen können.

So viel über das Dilemma der mangelnden Ausbildungsfähigkeit der Schulabsolventen auf Grund zu ge-ring ausgebildeter Sprachfähigkeit aus der Sicht der betrieblichen und der berufsschulischen Praxis und über die Versuche, sozusagen vor Ort zu tun, was getan werden kann. Und wie hat bisher die Theorie auf dieses fundamentale Problem reagiert, genauer Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik, bzw. hat sie überhaupt zur Kenntnis genommen, dass ein immer größer werdender Anteil der Schulabsolventen nicht integrierbar ist, nicht in die Arbeitswelt und damit auch nicht in die Gesellschaft und was dies sowohl für die betroffenen Jugendlichen wie auch gesamtgesellschaftlich bedeutet? Genau darum ging es in den Referaten von Dr. Christian Efing von der Technischen Universität Darmstadt und M.A. Constanze Niederhaus von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dabei steht für beide fest, wo anzusetzen ist, nämlich bei den sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten der Schüler, eben weil die „steigenden Anforderungen an die Sprachkompetenz im Beruf“, so Efing in seinem Referat „Kontinuierliche Diagnose der Lesekompetenz von BerufschülerInnen mit dem ‚Baukas-ten Lesediagnose‘“, logischerweise von „der Sprachdidaktik nicht beeinflusst werden können.“ Bevor man allerdings dort ansetzen kann, muss man zunächst einmal herausfinden, wie es um die tatsächlich vorhandenen sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten der Schüler, also um den Sprachstand bestellt ist, und zwar nicht, und das ist das Entscheidende, allgemein bzw. im Mittel, sondern individuell für jeden einzelnen Berufsschüler. Efings Ausgangsthese: Ohne Kenntnis des individuellen Sprachstands der Schüler auch keine Chance auf gezielte Förderung ihrer Sprach- und Lesekompetenz bzw. deut-licher formuliert: Lese- und Schreibkompetenz lassen sich nur individuell oder gar nicht fördern. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass in der PISA-Studie die geringe Lesekompetenz der deutschen 15-jährigen Schüler im Vergleich zu den gleichaltrigen Schülern der anderen OECD-Länder damit erklärt wird, dass in unseren Schulen die Lesefähigkeit grundsätzlich nicht individuell gefördert wird, sondern allgemein.

Und wie findet man nun die individuellen Sprachstände der Berufsschüler heraus und wie überprüft man sie regelmäßig im Laufe der beruflichen Ausbildung? Mit dieser Frage sahen sich vor allem die Mitarbeiter des hessischen Modellversuchs VOLI (Vocational Literacy - Methodische und sprachliche Kompetenzen in der Beruflichen Bildung) konfrontiert. Ihre Antwort: Dadurch, dass man entsprechende Diagnoseinstrumente entwickelt und die Lehrer an den berufsbildenden Schulen im Gebrauch dieser Instrumente schult. Und genau das hat das literaturwissenschaftliche Institut der TU Darmstadt, das die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs VOLI übernommen hatte, mit dem ‚Baukasten Lesediagnose‘ getan, und zwar unter wesentlicher Mitarbeit des Referenten. Dieser ‚Baukasten‘ - in Anlehnung an den ‚Gemeinsamen Referenzrahmen für Sprache (GER)‘ des Europarats konzipiert, der sich bekanntlich auf die Sprachkompetenzen in einer Fremdsprache bezieht - „versammelt Testmaterial (Texte und Aufgaben), das als Grundlage zur Erhebung der individuellen Lesekompetenz von Berufs-schülerInnen durch die Lehrer dient.“

Seine besonderen Vorzüge: Mit ihm „können Lehrpersonen die sprachlichen Fähigkeiten und Defizi-te ihrer Schüler im Bereich LesekompeDefizi-tenz … differenziert einschätzen und den Leistungsstand der Schüler ... benennen“ und damit zugleich „den Förderbedarf in bestimmten Bereichen der Sprach- und Lesekompetenz“ ermitteln, und zwar nach Ausbildungsberufen differenziert, d. h. je nach Niveau der (fach- und allgemein-) sprachlichen Fähigkeiten, das für den erfolgreichen Abschluss des jeweiligen

Ausbildungsberufes erforderlich ist. Mehr noch: Der ‚Baukasten Lesediagnose‘ ist so aufgebaut, dass selbst Defizite in Leseteilfertigkeiten festgestellt werden können, womit denn zugleich feststeht, wo mit der gezielten Sprachförderung angesetzt werden muss, d. h. auf der Ebene des Wortverstehens, des gezielten Leseverstehens oder des globalen Leseverstehens.

Und kann man nun sagen, dass man mit der Entwicklung des ‚Baukastens Lesediagnose‘ jenes Instru-ment gefunden hat, das den Sprachförderunterricht an den berufsbildenden Schulen einen erheblichen Schritt vorangebracht und als Konsequenz daraus sich die Quote der Berufsschüler, die ihre berufliche Ausbildung erfolgreich beenden konnten, verbessert hat? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht, eben weil die notwendige Evaluation fehlt, und so lange dies der Fall ist, lässt sich auch kaum Abschlie-ßendes sagen. Aber man kann Vermutungen anstellen, und die gehen eindeutig in die Richtung, dass man mit dem ‚Baukasten Lesediagnose‘ den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Allerdings ist dieser ‚hessische Weg‘ zur Förderung der Sprachfähigkeit berufsschulpflichtiger Jugend-licher nicht der einzige in unserem Lande, wie bereits angedeutet. Ein anderer ist der ‚Berliner Weg‘, ge-nauer das Berliner Projekt zur ‚Sprachförderung in MDQM‘, wobei MDQM für ‚Modulare Duale Qualifizie-rungsmaßnahme‘ steht, die bekanntlich seit mehreren Jahren als Modellversuch zur Berufsvorbereitung und Berufsausbildung bundesweit durchgeführt wird und die sich vor allem an jene – lernschwachen und lern ungewohnten – Jugendliche wendet, „denen der Übergang in die Berufsausbildung nicht un-mittelbar gelingt“. Träger dieses Projekts ist die bbw Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft mbH Berlin; ihre wichtigsten Förderer: der Europäische Sozialfonds und das Land Berlin.

Dieses berufliche Qualifizierungsprojekt läuft in zwei Stufen ab und findet an zwei kooperierenden Lern-orten statt, nämlich auf den Stufen ‚Berufsvorbereitung (MDQM I)‘ und ‚Schulische Berufsausbildung (MDQM II)‘. MDQM I wendet sich an SchülerInnen ohne oder mit schwachem Hauptschulabschluss.

Schließen sie diese Maßnahme mit Erfolg ab, die übrigens zugleich auf eines von 10 Berufsfeldern vorbereitet, wird ihnen der Hauptschul- oder sogar der erweiterte Hauptschulabschluss zertifiziert.

Zudem wird ihnen die Teilnahme an MDQM II garantiert, wenn sie nach der Maßnahme MDQM I keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden. MDQM II vermittelt eine außerbetriebliche Berufsausbildung (in 21 Berufen), die je nach Ausbildungsberuf über zwei, drei oder über dreieinhalb Jahre läuft und bei ent-sprechenden Leistungen zugleich zum Realschulabschluss verhilft.

Und was ist nun das Besondere dieses ‚Berliner Wegs‘, d. h. wie wird hier vorgegangen, um jenen Ju-gendlichen in die Arbeitswelt zu integrieren, die als nicht ausbildungs- bzw. berufsreif eingestuft wer-den? Darüber berichtete Constanze Niederhaus von der Humboldt-Universität zu Berlin in ihrem Referat

„Fachspezifische Sprachförderung im Rahmen einer beruflichen Ersatzmaßnahme“. Das allgemeine bzw. übergeordnete Lernziel dieses Projekts: Förderung der für eine qualifizierte berufliche Ausbildung notwendigen Sprachhandlungskompetenz „durch die Verzahnung von fachlichem und sprachlichem Lernen während des Ausbildungsprozesses.“ Das heißt genauer Förderung der „Fähigkeit, mit sprach-lichen Mitteln und unter Nutzung von Strategien Fachtexten ein Maximum an Informationen entnehmen“

zu können, bzw. der „Fähigkeit, Fachkenntnisse auszudrücken, fachliche Kompetenzen zum Ausdruck zu bringen und sich im Rahmen der Beruflichen Bildungssituation angemessen äußern zu können.“

Kurz: Die an dieser ‚Maßnahme‘ beteiligten Jugendlichen sollen in die Lage versetzt werden, an den Arbeitsplätzen, für die sie ausgebildet werden, angemessen kommunizieren bzw. den sprachlichen An-forderungen ihrer beruflichen Lernsituation entsprechen zu können. Die daraus abgeleitete wichtigste

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konkrete Zielsetzung für den rezeptiven Bereich (Hörverstehen und Leseverstehen): Die Jugendlichen sollen die Fähigkeit erwerben, aus Sach- und Fachtexten sowie aus Tabellen, Grafiken und Schaubildern die darin enthaltenen Informationen entnehmen bzw. komplexe Prüfungsfragen und Prüfungsaufgaben oder „Definitionen und Beschreibungen sowie Arbeitsanweisungen und Sicherheitsbelehrungen“ ver-stehen zu können. Ähnlich eindeutig ist die Zielsetzung für den produktiven Bereich (Sprechen und Schreiben): Die Jugendlichen sollen lernen, Arbeitsvorgänge beschreiben, Berichtshefte anfertigen und Dienstleistungs-, Beratungs- und Kundengespräche führen sowie Informationen mündlich und schrift-lich weitergeben zu können.

Die Konsequenz aus diesem übergeordneten Lernzielkatalog: Zum einen ausschließlich auf Unter-richtsinhalte zu setzen, die einen „direkten Bezug auf das jeweilige Berufsfeld bzw. den jeweiligen Aus-bildungsberuf der Jugendlichen aufweisen“, also konkret auf fachspezifische Texte, wenn es gilt, die Lesefähigkeit zu fördern, und zum anderen, die Besonderheiten der Fachsprache wie z. B. die Kompri-miertheit und Informationsdichte der meisten fachsprachlichen Texte in das Zentrum des Sprachförder-unterrichts zu rücken, nicht zuletzt auch deswegen, weil ihre Rezeption und Produktion einerseits für die Jugendlichen Neuland ist, andererseits aber die Fähigkeit, die jeweilige Fachsprache angemessen rezipieren und produzieren zu können, die wichtigste Voraussetzung für die sprachliche und damit auch für die berufliche Handlungskompetenz ist, deutlicher: die begonnene berufliche Ausbildung mit Erfolg abzuschließen.

Eine weitere Konsequenz: Ein solcher Unterricht ist nur in Kleingruppen möglich, deren Teilnehmer mög-lichst alle auf dem gleichen kognitiven Niveau sind. Zudem bedarf es des ständigen Methodenwechsels, eben weil es sich, wie erwähnt, hier um lernschwache Jugendliche handelt, deren Motivation nicht lange vorhält. Und es bedarf des handlungsorientierten Unterrichts, auf dem dieser Förderunterricht übrigens auch setzt, eben weil sich herausgestellt hat, dass sich diese Unterrichtsform gerade für lern- und mo-tivationsschwache Jugendliche wegen seiner ‚Sinnlichkeit‘, d. h. viele Sinne anspricht, als besonders geeignet herausgestellt hat. Nicht zuletzt hängt der Lernerfolg davon ab, dass das Lerntempo nicht zu schnell und der Lernstoff kleinschrittig vermittelt wird.

Stellt sich natürlich auch hier die Frage, was dabei am Ende herausgekommen ist. Geht man von der Zufriedenheit der Jugendlichen aus, die an diesem Sprachförderprojekt teilgenommen haben und an-schließend anonym befragt wurden, dann kann sich das Ergebnis sehen lassen. Denn immerhin haben für das Schuljahr 2006/07 von den 86% der befragten Teilnehmer 83% angegeben, dass ihnen der Sprachförderunterricht „sehr gut“ oder „gut“ gefallen habe und dass sie „gern zum Förderunterricht“

gegangen seien. Und mehr als 65% waren davon überzeugt, dass ihnen der Sprachförderunterricht den Erwerb beruflicher Qualifikationen erleichtert habe. Schließlich haben 52% angegeben, dass ihnen die-ser Unterricht geholfen habe, die Modulabschlussprüfungen mit Erfolg zu bestehen.

Das bedeutet etwas ganz Wesentliches, nämlich dass die Förderschüler die Erfahrung gemacht ha-ben, dass die Fähigkeit, mit der Fachsprache kompetent umgehen zu können, sich unmittelbar auf die Lernfortschritte im beruflichen Bereich auswirkt, eine Erfahrung, die deswegen so wesentlich ist, weil sie bestätigt, was von der Theorie seit längerem behauptet worden ist: Dass nämlich ein unmittelbarer Zusammenhang besteht zwischen Sprachförderung und dem erfolgreichen Erwerb einer qualifizierten Berufsrolle, bzw. im wissenschaftlichen Jargon: ein Synergieeffekt.

Wie sehr inzwischen die Sprachförderung an berufsbildenden Schulen die berufsschulische Debatte bestimmt, wurde auch in dem Referat von Dr. Karl-Heinz Jahn, Studiendirektor am Studienseminar für berufliche Schulen in Darmstadt, und Margitta Köhler-Knacker vom Amt für Lehrerbildung in Frankfurt über „Bildungsstandards Deutsch und sprachliche Förderung von Benachteiligten“ deutlich. Ausgangs-punkt ist für sie der Standard, der von Absolventen der Realschulen erreicht werden soll, eben weil dieser Sprachstand als Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss einer qualifizierten beruflichen Ausbildung gilt. Über diesen Standard verfügen die Auszubildenden aber nur bedingt bzw. gar nicht.

So haben eigene Messungen im Rahmen von Modellversuchen des Landes Hessen ergeben, dass berufsspezifische Fachtexte, „die auf einer Handlung basieren“ wie Arbeitsvorschriften oder Anweisun-gen, „bebildert und sprachlich kurz gehalten sind“, nur von „ca. 30% der getesteten Auszubildenden“

verstanden werden, während „abstrakte Texte, die berufliches Theoriewissen vermitteln, … von vielen Auszubildenden überhaupt nicht verstanden werden.“ Bei vielen SchülerInnen, so die Referenten Jahn und Köhler-Knacker weiter, „sind die sprachlichen Kompetenzen so gering, dass weder die Messinst-rumente der PISA-Studien noch des Europäischen Referenzrahmens der Sprachen ausreichen, um ein vorhandenes Leistungsniveau abbilden zu können.“

Die eigens durchgeführten Tests haben auch ergeben, worauf dieser geringe Sprachstand der Auszu-bildenden zurückzuführen ist: Nämlich nicht allein darauf, dass die untersuchte Klientel die sprachlichen Formen nur mangelhaft beherrscht, „sondern vielmehr im Unvermögen“ der Auszubildenden, „Sinn und Zusammenhänge der Texte zu erfassen.“ Auf Grund dieser Erkenntnis ist denn für Jahn und

Die eigens durchgeführten Tests haben auch ergeben, worauf dieser geringe Sprachstand der Auszu-bildenden zurückzuführen ist: Nämlich nicht allein darauf, dass die untersuchte Klientel die sprachlichen Formen nur mangelhaft beherrscht, „sondern vielmehr im Unvermögen“ der Auszubildenden, „Sinn und Zusammenhänge der Texte zu erfassen.“ Auf Grund dieser Erkenntnis ist denn für Jahn und

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