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Qualitätsmerkmale in arbeits- und berufsbezogenen Sonderklassen

Im Dokument 2008 Qualität in Schule und Betrieb (Seite 99-104)

Eberhard Jung: Zu lerngruppenbezogenen Besonderheiten von Qualität

Von der Reflexion pädagogisch wertvoller Qualitätsdefinitionen und der Darstellung von Variablen der Unterrichtsqualität (Zielorientierung, innerer Zusammenhang von Inhalten und Methoden, Lernen von Strategien, unterstützendes Klima ...) ausgehend, analysiert Eberhard Jung drei Lerngruppentypen der politischen Bildung im beruflichen Schulwesen. Danach richtet er den Blick auf die arbeits- und berufs-bezogenen Sonderformen (Jungarbeiterklassen, Berufsvorbereitungsjahr, Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Eingliederung) und deren lerngruppenspezifischen Besonderheiten. Als personelle Ge-meinsamkeiten identifiziert er eine 9 oder 10 Jahre allgemein bildende Schulerfahrung (zumeist ohne Abschluss), ggf. persönliche Abweichungen wie Sprachbarrieren, Lernschwierigkeiten, abweichende Verhaltensweisen und widrige Lebensumstände, aus denen starke Benachteiligungen in der heutigen Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation sowie die Gefahr eines direkten Übergangs vom Bildungs- ins Sozialsystem resultieren. Als individuelle psychosoziale Folgen verdeutlicht er eine mangelnde Sozial-integration und dadurch bedingte Minderwertigkeitsgefühle, Existenz- und Versagensängste vor dem Hintergrund der mit Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit verbundenen Passivität. Die betroffenen jungen Menschen fühlten sich überfordert und überflüssig, sie seien enttäuscht über „das System“, „die Poli-tik“, „die Schule“, ggf. auch über Eltern und Freunde und litten unter Gefühlen, das eigene Leben nicht mehr beeinflussen zu können.

Da sich die hier umrissene Schülerschaft ungeborgen, benachteiligt, abgehängt und diskriminiert fühle, könne sie herkömmlichen Berufsschulunterricht und „normalen“ Politikunterricht nicht akzeptieren und verhalte sich auch dementsprechend. Da jedoch aus dem Zusammenwirken von mangelnder Bildung, Sozialisation und Enkulturation ein individuelles und gesellschaftliches Risikopotential resultiere, müsse

Fachtagung Politik

Schule in der Lage sein kompensatorisch zu wirken, woraus sich ein besonderes Qualitätsprofil und be-sondere Strategien zur Zielerreichung bestimmen lassen. Denn die Bildungsinstitution (Berufs-) Schule müsse dazu beitragen, den betroffenen Jugendlichen den Weg in die Gesellschaft zu ebnen, sie müsse zur positiven Bewältigung von lebensweltlichen Herausforderungen befähigen und die Reduzierung/

Überwindung individueller Defizite anstreben. Primäre Ziele seien dabei der Erwerb von Lebens-, Ge-sellschafts- und Ausbildungsfähigkeit. Entsprechende Lehr-/Lernarrangements hätten präventive („die Zukunft meisternde“) und therapeutische („Abweichungen kompensierende“) Elemente zu integrieren.

Besonders die politische Bildung sei (als Fach und Prinzip) gefordert, aktive Hilfe zur Lebensbewältigung zu leisten. Gerade um intentional glaubwürdig zu sein, habe sie Formen des sozialen und kommunika-tiven Lernens zu integrieren, weshalb sie (die politische Bildung) in diesen Lerngruppen „anders“ zu organisieren und auszurichten sei.

Die Forderung nach dem „anders sein“ von Unterricht mit dem Ziel der Kompensation lernbiographi-scher Defizite unterlegt Jung mit einer Fülle unterrichtlich angelegter persönlichkeitsförderlicher As-pekte und Verfahren (positiven Gruppenerfahrungen, Schulung der Selbsteinschätzung, Förderung von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, Auslotung und Erweiterung persönlicher Grenzen, Umgang mit Herausforderungen, Frustrationsbewältigung), die im Kontext der Fachtagung Qualitätsmerkmale dar-stellen. Als pädagogische Leitkonzepte, die nur unter intensivem Einbezug von Schulsozialarbeit zur vollen Geltung gelangen können, begründet er

- die Befähigung zur Eigeninitiative und aktiver Teilnahme, - die Herausbildung von Selbstorganisationsfähigkeit,

- die Entwicklung und Erprobung von Vermeidungs- und Überwindungsstrategien (z. B. von abweichen-dem Verhalten, Übergangsdefiziten usf.).

Als interdependente pädagogische Teilkonzepte erläutert er projekt- und handlungsorientierte Lehr-/

Lernengagements, den Kompetenzerwerb im Sinne der Befähigung zur Bewältigung von Herausfor-derungen, eine geänderte Lehrerrolle (vom „Unterrichtsbeamten zum Coach“) sowie den Erwerb von Kontrollbewusstsein, Frustrations- und Ambiguitätstoleranz.

Damit die Konzeption nicht als abgehoben, normativ überladen, überfordernd und deshalb für die schuli-sche Realität ungeeignet wahrgenommen und eingestuft wird, muss der Nachweis ihrer Realisierbarkeit erbracht werden. Diese Aufgabe übernimmt Hans-Jörg Moos, Studienrat an der Werner-von-Siemens Schule in Wetzlar (Hessen). Er stellt das (Qualitäts-) Konzept einer fächerübergreifenden politischen Bil-dung in berufsbezogenen Sonderklassen vor.

Hans-Jörg Moos: Integration politischer und beruflicher Bildung als Qualitätsmerkmal. Anmer-kungen zum EIBE-Konzept der Werner-von-Siemens-Schule Wetzlar

Der Beitrag von Hans-Jörg Moos dokumentiert die konzeptionelle und unterrichtliche Umsetzung des Voranstehenden, so dass beide Beiträge als theoretischer und praktischer Teil einer Gesamtkonzeption anzusehen sind, die an der Werner-von-Siemens-Schule in Wetzlar praktiziert wird. Die Konzeption beinhaltet ein komplexes Lehr-/Lernarrangement, welches zur Kompensation der im theoretischen Teil dargestellten lerngruppenspezifischen Besonderheiten präventive und therapeutische Unterrichtsele-mente zu einem fächerübergreifenden, berufsbezogenen politischen Unterricht bündelt. Die integralen Kernelemente hoher Praxisanteil, sozialpädagogische Betreuung, Fördermaßnahmen zur Erzielung des Hauptschulabschlusses, gezielte Lernanreize, Sprachförderung und Hilfe bei der Vermittlung in die Arbeitswelt entwickeln erst im synergetischen Zusammenwirken ihre volle positive Wirkung. Darüber

hi-naus integriert das Gesamtkonzept (als Teilkonzepte) den Lernort Schule überragende Arbeits- und Be-rufsfindungsprojekte, Betriebserkundungen, Bewerbungstraining sowie ein Team- und Sozialtraining.

Die Werner-von-Siemens-Schule besitzt eine lange Tradition in der Beschulung von arbeits- und berufs-bezogenen Sonderklassen und der gezielten Förderung benachteiligter Jugendlicher. Die Schule ist mit außerschulischen Einrichtungen (u. a. Jugendwerk der AWO-Hessen-Süd, Verein Natur bewegt) ver-netzt und hat ein kooperatives Konzept entwickelt, welches Jugendliche die erforderlichen Erkenntnisse erzielen lässt, um Schule, Bildung und sich selbst als Teil der Gesellschaft anzunehmen. Das engere Konzept wird als Team- und Sozialtraining veranstaltet und integriert aktives Lernen und Gruppener-fahrungen in einem Hochseilklettergarten, in dem die Teilnehmer ein erlebnispädagogisches Angebot mit den pädagogischen Schwerpunkten kontinuierliche Gruppen- und Individualbeobachtung und an-schließender Beratung individueller Stärken und Schwächen absolvieren. Als primäre individuelle Ziele stehen dabei im Vordergrund:

- Förderung des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls - Umgang mit Risiko- und Wagnissituationen

- Erweiterung und Festsetzung persönlicher Grenzen - Schulung der Selbsteinschätzung

- Förderung des Vertrauens innerhalb einer Gruppe - Schulung von Rücksichtnahme

- Förderung von Hilfsbereitschaft innerhalb einer Gruppe

- Anregung zu kreativen und konstruktiven Problemlösungen im Team - Förderung der Kommunikation und Interaktion in einer Gruppe - Schulung der Selbsteinschätzung.

Hans-Jörg Moos verdeutlichte, dass das Erreichen der angeführten Ziele die Grundlage für individuelle, (berufs-) schulische und gesellschaftliche Lernprozesse, den Erwerb von Ausbildungs-, Arbeits- und Le-bensfähigkeit sowie für eine aktive Teilhabe bilde. Besonders der integrierte Teil politischer Bildung (als Fach und Prinzip) bewirke, dass sich Schüler aus benachteiligten Schichten mit ihrer Herkunft, Nationali-tät, Gruppenzugehörigkeit und ihrer eigenen Identität aktiv und konstruktiv auseinandersetzen können.

Damit vermag politische Bildung in arbeits- und berufsbezogenen Sonderklassen - wenn auch in einem eher bescheidenen Maße - zur Kompensation von Lernbenachteiligungen und zur Erreichung bildungs- und politikferner Bevölkerungsgruppen beitragen. Natürlich bilde sie nur eine Instanz im schillernden Feld politischer Sozialisationsagenturen und sei - natürlich nur - auf einen bestimmten Lebensabschnitt begrenzt. Als Qualitätsmerkmale, im Sinne des Erreichens gesetzter Ziele, müsse für Lernende und Lehrende deutlich werden, dass entsprechende Konzepte die Schüler lebensfähig mache, ihnen Ausbil-dungs- und Berufsperspektiven erschließen und so zur Identitätsfindung junger Menschen und deren gesellschaftlicher Integration in einer sensiblen Lebensphase beitrage.

Durch eine angemessene Berücksichtung der sozialen Lage der Betroffenen, mit echter persönlicher Anerkennung und der Intention einhergehend, Schule und Bildung als wichtiges Gut und persönliche Bereicherung anzuerkennen, kompensieren derartige Konzepte bisheriges schulisches Erleben. Die politische Bildung in arbeits- und berufsbezogenen Sonderklassen erhält so die Chance, als „echte Lebenshilfe“ und „Hort der Welterklärung“, in einer immer komplexer und unüberschaubar werdenden Welt von den Lernenden ernst genommen zu werden.

Fachtagung Politik

Abschlussforum

Harald Geiss: Tagungsergebnisse und Anmerkungen aus der Sicht der Bundeszentrale für politische Bildung

Wenn es um Bildung und Fragen des Unterrichts geht, kommen die Berufsschulen entweder gar nicht vor oder zu kurz. Im Hinblick auf die politische Bildung ist das besonders bedauerlich. Stellt dieses Fach doch innerhalb der Regelschule die letzte Möglichkeit dar, Jugendlichen vor Eintritt ins Berufs-leben grundlegende Erfahrungen und Kenntnisse des gesellschaftlichen ZusammenBerufs-lebens zu vermit-teln. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Bundeszentrale für politische Bildung an den Hochschultagen in Nürnberg beteiligt. In der abschließenden Diskussion ging es nicht nur um die ergebnissichernde Zusammenfassung der Fachreferate. Noch wichtiger erschien ihre Einordnung in die Erfordernisse der arbeits- und berufsbezogenen politischen Bildung insgesamt und darauf aufbauend die Frage nach zu-kunftsweisenden Weichenstellungen.

Übereinstimmung bestand darin, dass sich die Rahmenbedingungen für den Politikunterricht nicht verschlechtern dürfen. Dazu gehören die zur Verfügung stehenden Stunden ebenso wie die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Letztere haben zusätzlich das Problem des ausgedehnten fachfremden Einsatzes. Klärung bedarf auch die Frage nach dem Stellenwert der Ökonomie. Obwohl die Wirtschaft in den Lehrplänen an Bedeutung gewinnt, sollte sie nicht parallel oder gar als Konkurrenz zur Politik laufen.

Notwendig ist vielmehr eine integrierende Behandlung beider Bereiche. Nur so kann den Bedürfnissen einer umfassenden politischen Bildung entsprochen werden. Zur Konsolidierung des Faches würde si-cherlich beitragen, wenn es gelänge, verbindliche Qualitätsstandards zu entwickeln und einzuführen.

Nach den grundlegenden Rahmenbedingungen kamen einzelne Gesichtspunkte der Gestaltung des Politikunterrichts zur Sprache. Am Beispiel der Sonderklassen lag die Betonung noch einmal auf der Tatsache, dass es „die Berufsschule“ nicht gibt. Hier ist der Unterricht jeweils dem Ausbildungsgang, der sozialen Zusammensetzung und den persönlichen Voraussetzungen der Jugendlichen anzupassen.

Politische Bildung bleibt zwar das Ziel, doch ist manchmal schon viel erreicht, wenn soziales Lernen zum Erfolg führt oder darüber hinaus sogar wichtige Elemente des Demokratielernens vermittelt wer-den. Insofern muss man sich eben des öfteren mit dem Erklimmen von Vorstufen begnügen. In diese Richtung weist auch die interkulturelle Bildung. In den allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen ist sie – zumindest als Lernziel – verankert. Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmend multiethni-scher Klassen sollte sie auch in der Beruflichen Bildung ihren angemessenen Platz erhalten.

Am Ende blieb noch etwas Zeit, um weitere Möglichkeiten und Felder der Zusammenarbeit auszuloten.

Neben Überlegungen für die nächsten Hochschultage Berufliche Bildung im Jahre 2010 wurden Vor-schläge für zwei gemeinsame Veranstaltungen formuliert: Die eine sollte das bereits im Hinblick auf die Rahmenbedingungen berührte Verhältnis zwischen ökonomischer und politischer Bildung aufgreifen.

Dabei müsste es darum gehen, Konzepte zu entwickeln, die das Ausspielen der einen auf Kosten der anderen verhindern. Die zweite Anregung ging dahin, den Ansatz zu vertiefen, politische Bildung in Lernfeldstrukturen einzubinden. Ohne zwanghaft nach Lösungen zu suchen, könnten so Verbindungen entstehen, die größere Nähe zur betrieblichen Ausbildung herstellen und gleichzeitig die Lebenswelt der Jugendlichen stärker berücksichtigen.

Literaturverzeichnis

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In: Arnold, R. / Lipsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch Berufsbildung. Wiesbaden: S. 260-268

Fladerer, Anne (2007): Sozio-kulturelle Einflüsse auf das Politikinteresse von Auszubildenden. Diplomarbeit Universität Stuttgart

Jung, Eberhard (2005): Politikunterricht an beruflichen Schulen. In: Sander, W. (Hrsg.): Handbuch der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, S. 221-240

Jung, Eberhard (2007): Bildungsstandards und Lernfelder als Strukturmerkmale der Politischen

Bildung im beruflichen Schulwesen. In: Kaune, P. / Rützel, J. / Spöttl, G. (Hrsg.): Berufliche Bildung – Innovation.

Bielefeld: Bertelsmann, S. 101-125

Kenner, Martin (2006): Zur moralischen Dimension in der interkulturellen Begegnung. In: Gonon, Philipp / Klauser, Fritz / Nickolaus, Reinhold (Hrsg.) Bedingungen beruflicher Moralentwicklung und beruflichen Lernens.

Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 49-61

Kenner, Martin (2007): Interkulturelles Lernen an beruflichen Schulen. Ergebnisse einer Interventionsstudie in der einjährigen Berufsfachschule/Metall. Aachen: Shaker

Massing, Peter (1999): Wege zu einem kategorialen und handlungsorientierten Politikunterricht. In: Kuhn, H.-W. / Massing, P. (Hrsg.): Politikunterricht - kategorial + handlungsorientiert. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag

Pätzold, Günter (2005): Das Lernfeldkonzept – eine didaktisch-curriculare Konzeption und Implementation, in:

Biesinger. A. / Jakobi, J. / Kießling, K. /Schmidt, J. (Hrsg.), Lernfelddidaktik als Herausforderung. Tübingen:

S. 30-59

Fachtagung Religion

Qualitätskriterien für Religionsunterricht an

Im Dokument 2008 Qualität in Schule und Betrieb (Seite 99-104)