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6. Quo vadis Europa?

11.4.3. Rechtstellung der EA-Begünstigte

Die Rechtsstellung dieser EA-Begünstigte („Drittstaatsangehörige“ bis dem EU-Beitritt 2004/2007) ähnelte der Rechtsstellung der Drittstaatsangehöriger, die schon in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig sich befanden und über das Recht verfügten, eine Erwerbstätigkeit nach den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften auszuüben (siehe Abschnitt 13.3.1.). Sie verfügten zwar über bestimmte Rechte im Gemeinschaftsgebiet (z.B. freier Personenverkehr), sie waren aber nicht freizügigkeitsberechtigt.

So sehen Art. 43 EGV und Art. 49 EGV ein generelles Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zugunsten nur von Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates vor.

544 Vgl. Art. 53 Abs. 2 EAB.

„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates sind...verboten...“ (Art. 43 EGV).

„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedsstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind...verboten...“ (Art. 49 EGV).

Anders als Art. 43 und Art. 49 EGV sprach Art. 39 (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) EGV allerdings nicht über „Staatsangehörige der Mitgliedstaaten“, sondern allgemein über „Arbeitnehmer“.

„Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet...“(Art. 39 EGV).

Aufgrund der Auswahl des Begriffs Arbeitnehmer könnte die Auffassung vertreten werden, dass die Regelungen (bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit) auch Drittstaatsangehörige umfassen, die sich innerhalb der Gemeinschaft bereits in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig aufhalten und dort beschäftigt sind.545 Diese Auffassung könnte noch eine Begründung in Art. 49 Abs. 2 (Dienstleistungen) EGV finden. Gemäß dieser Regelung kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließen, dass

„...dieses Kapitel (Dienstleistungen) auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind. “

Hier ist deutlich zu sehen, dass das Gemeinschaftsrecht Ausnahme ausdrücklich zulässt und Freizügigkeiten in bestimmten Fällen auch Drittstaatsangehörigen gewährt.

Die Rechtsstellung der Drittstaatsangehörigen wird mit unterschiedlicher Intensität auf nationaler Ebene der Mitgliedsstaaten umgesetzt. Die EWR546-Bürger z. B. werden mit den Unionsbürgern völlig gleichgestellt. Es besteht auch eine umfassende Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit547.

545 vgl. Plender, R. O: An Incipent Form of European Citisenship in: European Law and the Individual, 1976.

546 EWR-Abkommen v. 02.05.1992 (BGBl. II 1993, S. 266).

547 Vgl. dazu: Davy, Ulrike: Die Integration von Einwanderern, 2001, Rn 939ff.. Siehe auch: 108 ff, 118 ff., 157 ff..

Ähnliche Regeln kommen den Angehörigen der MOE-Länder vor dem EU-Beitritt 2004/2007 in der Regel nur in Ausnahmefällen zugute.

Die Begünstigten des EA-Niederlassungsrechtes blieben z. B. außerhalb des Anwendungsbereiches der RL 75/34 EWG548, die das Recht der Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten, nach Beendigung der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates zu verbleiben, regulierte. Die RL 90/365/EWG549 über das Aufenthaltesrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätigen ließ auch die Begünstigten des EA-Niederlassungsrechtes außer Betracht. Auch das System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geregelt durch VO 1408/71550, war für sie und deren Familienangehörige nicht anwendbar bis Inkrafttreten der VO 859/2003551 des Rates vom 14 Mai 2003.

Die oben erwähnten Beispiele zeigen, dass obwohl den EA-Begünstigten Niederlassungsfreiheit im Gebiet der Gemeinschaft theoretisch auch zuerkannt wurde, es sich um Rechte mit anderem Umfang und anderer Natur als der gemeinschaftlichen Niederlassungsrechte handelte.552 Im Vergleich zu der sehr kleinen Gruppe in den

Hoheitsgebieten legal beschäftigten MOE-Arbeitnehmer (Arbeitnehmerfreizügigkeitsverbot) waren die MOE-Niederlassungsgründer sogar

benachteiligt. Die ersten wurden zumindest von der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit begünstigt (siehe unten).

548 RL 75/34 EWG (Fn. 513).

549 RL 90/365/EWG (ABl. L 180 v. 13.07.1990, S. 28 ff.), aufgehoben zum 29.04.2006 durch RL 2004/38/EG (Fn. 513).

550 VO 1408/71 (Fn. 519).

551 VO 859/2003 (Fn. 525).

552 So z.B. waren sie und ihre Familienangehörigen bis zum Beitrittsdatum nicht vom oben genannten System der sozialen Sicherheit begünstigt. Sie konnten kein Bleiberecht aufgrund RL 75/34/EWG wegen Erreichen des Rentenalters oder infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit im Hoheitsgebiet des

Mitgliedstaats, wo eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, genießen. Sie wurden z.B. auch von der RL 90/365/EWG nicht begünstigt, die den Arbeitnehrmern und selbstständig Erwerbstätigen (Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats) beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ein Aufenthaltsrecht gewährte.

Die Europa-Abkommen schlossen eine allgemeine Arbeitnehmerfreizügigkeit generell aus553. Zwar sahen sie ein gesondertes Kapitel „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ vor, der Begriff ist aber missverständlich.

Wegen der Befürchtungen von Arbeitsmigration, bleiben die Arbeitmärkte der alten Mitgliedstaaten nach wie vor dem EU-Beitritt 2004/2007 durch Übergangsregeln geschlossen. Die Regelungen in den Europa-Abkommen nahmen lediglich Bezug auf das Recht auf Gleichbehandlung bei Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Kündigung einer kleinen Gruppe EA-Begünstigter (Art. 38 Abs. 1 EAB). Es geht um:

Arbeitnehmer, die sich schon im Gebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig beschäftigen und

deren Familienangehörige (Ehegatten und Kinder), die rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedsstaates wohnhaft sind, bekommen für die Geltungsdauer der Arbeitserlaubnis des Arbeitsnehmers auch einen Zugang zum Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedsstaates.

Es handelte sich dabei um „eine Behandlung. . . die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt“ (Art. 38 Abs. 1 EAB)

Eine Ausnahme bildeten Saisonarbeitnehmer und Arbeitnehmer, die unter bilaterale Abkommen nach Art. 42 EAB fielen, sofern diese Abkommen nichts anderes bestimmten (Art. 38 Abs. 1 EAB). Die bestehenden Erleichterungen für den Zugang zur Beschäftigung gemäß diesen Abkommen sollten beibehalten und nach Möglichkeit verbessert werden. Wohlwollend sollte der mögliche Abschluss ähnlicher Abkommen geprüft werden (Art. 42 Abs. 1 EAB)554.

Die legal beschäftigten MOE-Arbeitnehmer und die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

Die Europa-Abkommen sahen unter Vorbehalt der in jedem Mitgliedsstaat geltenden Bedingungen und Modalitäten nur in Bezug auf Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig beschäftigt waren, und für deren Familienangehörigen, die dort rechtmäßig wohnhaft sind, eine Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vor.

Artikel 39 EAB

(1) Im Hinblick auf die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer bulgarischer Staatsangehörigkeit, die im Gebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig beschäftigt sind, und für deren Familienangehörige, die dort rechtmäßig wohnhaft sind, und vorbehaltlich der in jedem Mitgliedsstaat geltenden Bedingungen und Modalitäten

- werden für diese Arbeitnehmer die in den einzelnen Mitgliedsstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw. Aufenthalteszeiten bei den Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten sowie der Krankheitsfürsorge für sie und ihre Familienangehörigen zusammengerechnet;

553 vgl. Art. 45 EAB und Art. 44 EAP

554 vgl. auch BT-Drs. 12/4275, S. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EAP.

- können alle Alters- und Hinterbliebenenrenten und Renten bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Erwerbsunfähigkeit, wenn diese durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde - mit Ausnahme der nicht beitragsbedingten Leistungen -, zu den gemäß den Rechtsvorschriften des Schuldnermitgliedsstaats bzw. der Schuldnermitgliedsstaaten geltenden Sätzen frei transferiert werden;

- erhalten die betreffenden Arbeitnehmer Familienzulagen für ihre vorgenannten Familienangehörigen.555

Die Europa-Abkommen sahen hingegen keine Koordinierungspflichten für Familien- oder Arbeitslosigkeitsleistungen. Kinder z. B. blieben schutzlos, wenn sie nicht bei dem in dem betreffenden Mitgliedsstaat arbeitenden Elternteil wohnten, da sie in diesem Fall bei Ermittlung des Anspruchs auf Familienleistungen nicht berücksichtigt werden konnten. Die Arbeitnehmer waren deshalb im Fall einer Arbeitslosigkeit weitgehend nicht geschützt.556

In den deutschen Ratifikationsverträgen zu den Europa-Abkommen wurde die Gruppe der Werkvertragesarbeitnehmer aufgrund ihres Bezuges (betreffend sozialer Rechte) zum entsendenden Staat ausgeschlossen.557

Die MOE-Niederlassungsgründer und die in der Gemeinschaft vor dem EU-Beitritt 2004/2007 bereits rechtmäßig beschäftigten MOE-Arbeitnehmer konnten im Sinne der Europa-Abkommen als gleichberechtigte Gruppen von EA-Begünstigten angesehen werden. Daher wäre es sinnvoll, ähnlichen Umfang von Sozialleistungen beider Gruppen zu gewähren.

11.4.4. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bezüglich der