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Kollisionsfälle zwischen dem bulgarischen und dem deutschen IP-Recht bei der Anwendung der Niederlassungsrechte der Anwendung der Niederlassungsrechte

6. Quo vadis Europa?

9.4. Kollisionsfälle zwischen dem bulgarischen und dem deutschen IP-Recht bei der Anwendung der Niederlassungsrechte der Anwendung der Niederlassungsrechte

Bei der Wahl einer günstigeren Rechtsordnung kommt es oft zu komplizierten Situationen: z.B. die Gesellschaftsleitung nach dem Gesellschaftsvertrag befindet sich in dem Staat der Gründung, tatsächlich aber die eigentliche Leitung in einem anderen Staat ist. Da die bulgarische Norm gemäß der Gründungstheorie (Art. 56 IPR-BG-Kodex410) auf die Regelung der ausländischen Rechtsordnung verweist, kann ein bulgarisches Gericht in eine Situation geraten, in welcher es die anwendbare Rechtsordnung bestimmen soll.411 Relevant für die vorliegende Untersuchung ist der

409 In diesem Fall sollten sich

1. die Gründung, Rechtsnatur und Organisationsform;

2. der Name oder Firmenname;

3. die Rechtssubjektivität und das Geschäftsleitungssystem;

4. die Zusammensetzung, die Kompetenz und das Funktionieren der Organe;

5. die Vertretung;

6. der Erwerb und der Verlust der Mitgliedschaft, als auch die damit verbundenen Rechte und Pflichten;

7. die Schuldenhaftung;

8. die Rechtswirkungen bei Verletzungen des Gesetz- und Gründungsakts 9. die Umwandlung und die Auflösung

nach ausländischem Recht richten (Art. 58 IPR-BG-Kodex).

410 Die Sitztheorie kommt dabei nur in den Ausnahmefällen des Art. 56 Abs. 2 und 3 IPR-BG-Kodex zu Hilfe.

411 Nach der alten Regelung im Art. 282 Abs. 2 HG-BG sollte das bulgarische Gericht die Rechtsordnung des Staates anwenden, wo sich der Sitz gemäß dem Gesellschaftsvertrag befindet. Das war nicht

problematisch, wenn die jeweilige Rechtsordnung eine Regelung zu dem Fall enthielt, dass z.B.

Gesellschaften mit Sitz gemäß dem Gründungsvertrag in diesem Staat seiner Rechtsordnung unterlagen.

Das bulgarische Handelsgesetz regelte aber den Fall nicht, wenn die jeweilige Rechtsordnung keine solche Regelung enthielt. In der bulgarischen Literatur wurde deshalb die Meinung vertreten (Prof. Todor Todorov), dass dann das bulgarische Gericht die Rechtsordnung anwenden soll, wo sich die eigentliche Leitung (der Sitz) der Gesellschaft befindet (und nicht mehr die Rechtsordnung des Staates, wo der Sitz gemäß dem Gesellschaftsvertrag ist), also nicht wörtlich die Bestimmung des bulgarischen Handelsgesetz

Fall, in dem ein bulgarischer Unternehmer eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedsstaat gründet, der die Sitztheorie akzeptiert hat (hier Deutschland).412

Ein Beispiel dafür stellte die Errichtung einer Niederlassung in Deutschland seitens einer bulgarischen Gesellschaft vor dem EU-Beitritt Bulgariens (2007) dar. In dieser Situation war besonderes Augenmerk dem Fakt zu widmen, dass Bulgarien in seinem IP-Recht die Gründungstheorie unterstützt (vgl. Art. 56 Abs. 1 und Art. 57 IPR-BG-Kodex),413 während Deutschland die Sitztheorie angenommen hat414. Nach der Sitztheorie muss nach deutschem Recht beurteilt werden, wo der eigentliche Verwaltungssitz ist. Sollte er nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien sein, müsste das bulgarische IP-Recht die Rechtslage der Gesellschaft bestimmen. Der bulgarische IPR-Kodex weist allerdings die Frage zurück (vgl. Art. 56 Abs. 1, Art. 57 IPR-BG-Kodex).415 Danach ist das Recht des Staates maßgebend, wo die Gesellschaft registriert oder errichtet wird,416 also wieder deutsches Recht.

Das wäre nur im Einklang mit der Lösung der Sitztheorie, wenn der Sitz der Gesellschaft in Deutschland sich befindet. Nach der Sitztheorie wird dann der Gesellschaftsstatus durch das deutsche Recht gewährt. Die so gegründete Gesellschaft würde den deutschen Gesellschaften gleichgestellt und hat folglich eine Niederlassungsfreiheit im Gebiet der Gemeinschaft (Art. 43 EGV). Für die Gesellschaft wäre es unmöglich, ihren Sitz in Bulgarien zu haben. Nach der Sitztheorie wird der Gesellschaftsstatus durch das Recht des Staates gewährt, wo die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat (hier Bulgarien). Das bulgarische IP-Recht verweist andererseits wieder auf das Recht des Staates der Gründung (nun Deutschland).

befolgen. (Fn. 361, S. 85 ff.). Diese gesetzliche Lücke ist jetzt durch Art. 56 Abs. 3 IPR-BG-Kodex in diesem Sinne geregelt.

412 Siehe Fn. 385.

413 Auch die alten Regelungen (z.B. ex-Art. 281 und ex-Art. 282 HG-BG) beruhten auf die Gründungstheorie).

414 Nach der Sitztheorie ist eine im Ausland gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat, daher nicht wirksam gegründet (siehe Fn. 385); vgl. auch OLG Hamburg Urt. v. 20.02.1986 - 6 U 147/85 = NJW 1986, S. 2199 = GmbHR 1986, S. 349; vgl. weiter BGH Urt. v. 13.03.2003 - VII ZR 370/98 = BB 2003, S. 915 = NJW 2003, S. 915.

415 Vgl. Art. 56 Abs. 1 und Art. 57 IPR-BG-Kodex.

416 Die alte Regelung ist in Art. 281 und Art. 282 HG-BG zu finden.

Seit dem 1. Januar 2007 ist Bulgarien EU-Mitglied. Die gleiche Fallkonstellation hat eine andere Lösung, weil das EU-Recht zur Anwendung kommt (siehe unten Abschnitt 9.5., siehe weiter EuGH- Entscheidung in Rs. Überseering417)

Von besonderem Interesse sind vom Blickwinkel des deutschen Rechts betrachtet die sog. „Scheininlandsgesellschaften“ und die sog. „Scheinauslandsgesellschaften“.

Erstere sind nach deutschem Recht mit Verwaltungssitz im EU-Ausland gegründet. Die

„Scheinauslandsgesellschaften“, bekannt auch als pseudo foreign corporations, werden im Ausland nach ausländischem Recht gegründet. Sie haben ihren Verwaltungssitz aber von vornherein in Deutschland. Für sie gilt nach der Sitztheorie das deutsche Recht.

Früher wurden sie aufgrund ihrer Errichtung „nach falschem Recht“ als nicht bestehend und folglich von vornherein als nicht rechtsfähig angesehen.418 Inzwischen hat sich eine andere Einsicht durchgesetzt.419 Die Personenvereinigungen sind konsequent nach dem Gesellschaftsstatut in den numerus clausus der deutschen Gesellschaftsformen einzuordnen. Diese Grundsätze werden entsprechend in den Fällen der

„Scheininlandsgesellschaften“ angewandt. Das jeweilige ausländische Gesellschaftsrecht bestimmt über ihre gesellschaftsrechtliche Einordnung.420

Nach bulgarischer Rechtsordnung ist die Sitzverlegung (Art. 59 IPR-BG-Kodex)421 bulgarischer juristischer Personen ins Ausland mit der Auflösung der Gesellschaft in Bulgarien verbunden.422 Andererseits ist es möglich, die tatsächliche Leitung ins Ausland zu verlegen. Dies ist vom Gesetz schwer zu kontrollieren.

417 Siehe Fn. 391.

418 vgl. OLG Hamburg Urt. v. 20.02.1986 - 6 U 147/85 = NJW 1986, S. 2199 = GmbHR 1986, S. 349;

OLG Oldenburg Urt. v. 04.04.1989 - 12 U 13/89 = NJW 1990, S. 1422 = JuS 1990, S. 1021.

419 BGH Urt. v. 01.07.2002 - II ZR 380/00=BGHZ 151, 204 = NJW 2002, S. 3539; Leible/Hoffmann:

Vom Nullum zur Personengesellschaft - Die Metamorphose der Scheinauslandsgesellschaft im deutschen Recht, in. DB 2002, S. 2203 ff.; Zimmer, Daniel: Internationales Gesellschaftsrecht und

Niederlassungsfreiheit: Das Rätsel vor der Lösung?, in: BB 2000, S. 1361 (1363); Altmeppen, Holger:

Parteifähigkeit, Sitztheorie und "Centros", in: DStR 2000, S. 1061 ff.; Behrens, Peter: Reaktionen mitgliedstaatlicher Gerichte auf das Centros-Urteil des EuGH, in: IPRax 2000, S.384 (388); Haas, Ulrich:

Die Betätigungsfreiheit ausländischer Kapitalgesellschaften im Inland, in: DB 1997, S. 1501 ff.; Kindler, Peter: IPR am Scheideweg, in: RIW 2000, S. 649 ff..

420 Kuntze/Ertl/ Herrmann/Eickmann (zitiert: Sieghörtner): Grundbuchrecht 2006, S. 367, U47 und U8.

421 Die Sitzverlegung in einen anderen Staat und die Umwandlung der juristischen Personen mit Sitz in verschiedenen Staaten haben nur Wirkung, wenn sie unter Beachtung der Rechtsordnungen dieser Staaten erfolgen (Art. 59 IPR-BG-Kodex).

422 Siehe Fn. 361, S. 87, 88.

Die Frage nach dem Eigentumsrecht der bulgarischen natürlichen Personen im Ausland unterliegt dem Belegenheitsrecht und damit auch dem Grundsatz lex sitae (Art. 64 Abs.

1 IPR-Kodex) – Rechte an einer Sache unterliegen dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet. Hinsichtlich des Eigentumserwerbs einer Zweigniederlassung bulgarischer Gründer (natürlicher Personen) in einem EU-Mitgliedsstaat gilt daher nicht bulgarisches Recht.423 Wenn in dem gleichen Fall der Gründer der Niederlassung eine bulgarische juristische Person ist (z.B. GmbH), wird der Sachverhalt durch die Rechtsordnung des Staates geregelt, wo die Zweigniederlassung errichtet ist. Diese Regelung gilt sowohl für den Erwerb von Immobilien als auch beweglichen Sachen im Ausland (Art. 64 Abs. 1 IPR-Kodex).

Die oben diskutierten Besonderheiten müssen u. a. bei Gründung von Tochtergesellschaften424 oder selbstständigen Zweigniederlassungen und der Wahl ihres Sitzes von den bulgarischen Gründern berücksichtigt werden.