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6. Quo vadis Europa?

11.2. Begriff und Inhalt des Niederlassungsrechtes

11.2.1. Entschließung des Rates in Bezug auf die Beschränkungen für die

11.2.1.2. Bezug zu anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen

Für die MOE-Transformationsländer von besonderer Bedeutung war das Zugeständnis in Abschnitt A Nr. 1 EntR. Demnach sind „bestehende Verpflichtungen und künftige Entwicklungen, beispielsweise im Rahmen von GATT-, GATS- oder OECD-Übereinkünften“ „auf jeden Fall“ zu berücksichtigen. Die Europa-Abkommen werden in dieser Reihe nicht explizit erwähnt, aber ihre Existenz musste man schon berücksichtigen, da die meisten gerade Mitte der 90er in Kraft traten.497 Die darin gewährten EA-Niederlassungsrechte konnte man deshalb als bereits „bestehende Verpflichtungen“ ansehen und daraus schlussfolgern, dass die Entschließung des Rates von 1994 die MOE-Staatsangehörigen von ihrem persönlichen Geltungsbereich ausschließt.

Diese Annahme bestätigt auch Abschnitt B EntR. Dort wird weiter daraufhin gewiesen, dass die Harmonisierungsgrundsätze nicht für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen dritter Länder gelten. Darunter sind auch diejenigen, die für die

496 Nach der Definition in den Europa-Abkommen umfassen selbstständige „Erwerbstätigkeiten"

insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten (vgl. z.B. Art.

45 Abs. 5 Buchst. C EAB und Art. 44 Abs. 4 Buchst. C EAP).

497 Siehe Anhang 6.

Zulassung zur Ausübung einer Beschäftigung Rechte aus Abkommen mit Drittländern genießen, “welche durch das Gemeinschaftsrecht sowie durch bilaterale und multilaterale Abkommen geregelt sind“. Da die Europa-Abkommen von der Gemeinschaft und den einzelnen Mitgliedstaaten mit dem jeweiligen MOE-Land abgeschlossen sind, kann angenommen werden, dass für die EA-Begünstigten die Harmonisierungsgrundsätze nicht gelten. Diese Annahme findet 2001 mit der EuGH-Rechtsprechung498 eine weitere Bestätigung (siehe Abschnitt 11.4.4.2.3.).

Die Einführung der strengeren Zulassungskriterien zielt darauf ab, das Eingehen von abhängigen Arbeitsverhältnissen seitens Drittstaatlern weitmöglichst zu verhindern. Zu vermeiden ist daher, dass „die Personen, die zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zugelassen werden, zu einem späteren Zeitpunkt ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis eingehen“ (Abschnitt C Nr. 8 EntR). Ausdrücklich wird weiter betont, dass im Zulassungsverfahren darauf zu achten ist, ob die Personen nicht die Mitunternehmerschaft oder Unternehmerschaft als Vorwand für eine bezahlte Anstellung ausnutzen (Abschnitt C Nr.2.2 EntR).

Daher werden bestimmte Maßnahmen vorgeschlagen, die geeignet sein können, eine mögliche Umgehung der aufgeführten Regeln zu verhindern.

Die gesuchte Harmonisierung bezeichnet einen wesentlichen Schritt vorwärts in den Bemühungen der Gemeinschaft um eine einheitliche Einwanderungspolitik.

Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die Prozedur zur Zulassung der selbstständigen Tätigkeiten der Drittstaatler ernsthaft erschwert wird, obwohl es Sache der Mitgliedstaaten bleibt, die Effizienz der Prozedur im Land zu gewähren. Die Nachweise über die finanzielle Situation der Drittstaatler (Abschnitt C Nr. 3.3 EntR), die Beurteilung des wirtschaftlichen Nutzens für das aufnehmende Land (Abschnitt A Nr. 4 und Nr. 5 EntR) und die anderen Bedingungen in Abschnitt C Nr. 3 EntR setzen z.B.

die Einbeziehung verschiedener Behörden voraus.

Die Entschließung sieht weiter vor, dass die Zulassung von Drittstaatlern ausschließlich zum Zweck einer selbstständigen und zwar „wirtschaftlichen“ Tätigkeit erfolgen muss.

Als Kriterium diene die mögliche „Erwirtschaftung von einer Wertschöpfung“ seitens

498 Vgl. zu EuGH-Rsp. - Fn. 36.

des Aufnahmelandes in Form von Investitionen, Innovation, Technologietransfer, Schaffung von Arbeitsplätzen usw. Ausnahmen sind lediglich für Künstler vorgesehen, die eine selbstständige Tätigkeit von Bedeutung ausüben (Abschnitt A Nr. 4 EntR).

Die vorgeschlagene Prozedur soll allerdings die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, nach ihren innerstaatlichen Vorschriften Staatsangehörige dritter Länder zuzulassen, die sehr umfangreiche Investitionen in Handel und Industrie dieses Mitgliedstaats vornehmen oder wenn gewichtige wirtschaftliche Gründe eine Ausnahme von den Grundsätzen der Entschließung rechtfertigen (Abschnitt C Nr. 11 EntR).

Das verschafft den großen ausländischen Investoren eine privilegierte Stellung.

Angesichts der Unternehmer aus den MOE-Transformationsländern ist ziemlich zweifelhaft, ob die meisten als solche qualifiziert werden können. Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind für die Transformationsländer vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen typisch. Bei Expandierung im Ausland können viele davon kaum als „große“ Investoren gelten. Die Formulierung lässt Zweifel, ob die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Lage sein werden, das Kriterium "sehr umfangreiche Investitionen in Handel und Industrie" zu erfüllen. Zu beachten ist auch, dass die Interessen des Aufnahmelandes nicht immer den Zielen der Investoren entsprechen. Eine Erweiterung der wirtschaftlichen Aktivitäten des Unternehmens ist vielmehr von „besseren Gewinnchancen“ motiviert und weniger von dem Wunsch als großer Investor im Land aufzutreten.

11.2.1.3. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Im Ergebnis ist zu schlussfolgern, dass die Zulassung der MOE-Staatsangehörigen zu einer selbstständigen Tätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten vor dem Inkrafttreten der Europa-Abkommen gemäß den strengeren Kriterien der Entschließung zu bemessen ist. Von Bedeutung ist deshalb der Zeitpunkt, in dem das einschlägige Europa-Abkommen (als Sonderrecht) in Kraft getreten ist. Danach wird die Zulassung der MOE-Staatsangehörigen zu einer selbstständigen Tätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr nach den Kriterien der Entschließung beurteilt.

Im Ganzen bestätigt sich der Eindruck, dass der Rat dazu tendiert, die Kontrolle der selbstständigen Tätigkeiten der Drittstaatler in der Gemeinschaft durch strikte Kriterien

zu stärken. (Abschnitt A Nr. 1 EntR). Die Entschließung betrifft allgemein alle

„Drittstaatsangehörigen“. Sie nimmt nicht explizit Bezug auf den neuen Status der MOE-Staatsangehörigen. Zu einer Kollision mit der direkten Wirkung der EA-Niederlassungsrechte499 (siehe Abschnitt 11.4.4.2.3.) kommt es hier allerdings nicht.

Zum einen hindert die Entschließung im Prinzip nicht den Zugang der Drittstaatler zu selbstständigen Tätigkeiten im gemeinschaftlichen Gebiet. Es handelt sich in diesem Fall um eine detaillierte Regulierung der Zulassungsmöglichkeiten. Außerdem hat die Entschließung wegen ihrer Rechtsnatur keine automatische Wirkung für die Mitgliedstaaten zur Folge. Es handelt sich um Harmonisierungsgrundsätze, die nicht rechtlich bindend sind. (Ihre Anwendung ist nach Abschnitt A Nr. 9 Satz 5 EntR für den Einzelnen nicht einklagbar).