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Bemühungen zur Entwicklung einer gemeinsamen Strategie im Bereich der EU-Einwanderungspolitik

Die EU bemüht sich seit langer Zeit um Entwicklung einer gemeinsamen Strategie im Bereich der Einwanderungspolitik. Dafür sprechen viele Gründe, u.a. die besondere Bedeutung dieser Problematik auch im Hinblick auf die stattgefundene EU-Erweiterung (vgl. Erwägungsgründe 9 VO 859/2003).

Von den in diesem Bereich getroffenen Maßnahmen auf EU-Ebene waren die MOE-Niederlassungsgründer als Drittstaatsangehörige im Zeitraum vor dem EU-Beitritt 2004/2007 unmittelbar betroffen.

12.1. Sekundärrecht

Vor den Reformen durch das Amsterdamer Vertrag (1999) existierte auf sekundärrechtlicher Ebene lange Zeit kein einheitliches System zur Regelung des Rechtsstatus der Drittstaatsangehörigen in der Gemeinschaft. Die Rechtsstellung einiger Gruppen von Drittstaatlern wurde durch unterschiedliche sekundärrechtliche Bestimmungen nur teilweise geregelt (z.B. leitete der Kreis der Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit bestimmte Rechte nur dann ab, wenn sie zu einer Person aus einem Mitgliedsstaat gehörten, die ihrerseits das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausübte).651 Es handelte sich in diesem Fall um abgeleitete Gemeinschaftsrechte.652 Ein weiteres Beispiel stellt die VO 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit dar. Ihr Anwendungsbereich umfasste neben Arbeitnehmern, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrer Mitgliedsstaaten galten, auch Staatenlose oder Flüchtlinge, die im Gebiet eines

651 Vgl. Art.10 Abs.1 VO 1612/68 v. 15.10.1968 (ABl. L 257 1968, S. 2) über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie Art.1 Abs.1 RL 73/148/EWG (ABl. L 172 1973, S. 14).

652 Hier wird von einer begrenzten Gruppe von Spezialregelungen, wie Art. 44 ff. des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (ABl. L 372 1990) abgesehen.

Mitgliedstaates wohnten, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene (Art.2 Abs.1 VO 1408/71).

Nach den Reformen vom 1999 (Amsterdamer Vertrags653) sind weitere sekundärrechtliche Bestimmungen erlassen worden, die sich mit der Rechtsstellung einiger Gruppen von Drittstaatsangehörigen innerhalb der Gemeinschaft beschäftigen.

Die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Drittstaatsangehörige regelt z.B. die VO 859/2003.654 Ein weiteres Beispiel stellt die RL 2003/109/EG dar. Sie betrifft die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen und führt einen harmonisierten Daueraufenthaltstitel für Drittstaatler („langfristige Aufenthaltsberechtigung-EG“) ein.

Abgesehen von den oben geschilderten Beispielen, die eher als Bemühungen zur Schaffung einer gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik angesehen werden können, hatte sich die Gemeinschaft in der Regel Jahre lang zu diesem Thema ausgeschwiegen, mit der Folge, dass die jeweiligen nationalen Regelungen der Mitgliedsstaaten Anwendung fanden.655 Ein Grund dafür war nicht zuletzt die fehlende Kompetenz der Gemeinschaft in diesem Bereich. Eine Erweiterung ihres Zuständigkeitsbereichs wurde erst mit dem Amsterdamer Vertrag geschaffen, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat.

12.1.1. Wichtige Schritte in der Entwicklung der gemeinsamen Strategie im Bereich der EU-Einwanderungspolitik

Die ersten Schritte, die Stellung der Drittstaatsangehörigen in der Gemeinschaft zu verbessern, können mit der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 26. September 1991 zum Thema „Rechtlicher Status der Wanderarbeitnehmer aus Drittländern“656 verbunden werden. Der Ausschuss rief dazu auf, die Gleichbehandlung im sozialen Bereich zwischen Staatsangehörigen der Gemeinschaft und Drittstaatsangehörigen zu verwirklichen.657

653 Siehe Fn. 566.

654 VO 859/2003 (Fn. 525).

655 Ketelsen, Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern aus Drittstaaten, in: ZfRV 2, 1991, S.

117.

656 ABl. C 339 v. 31.12.1991, S. 82.

657 Vorschlag für eine VO zur Änderung der VO 1408/71 in Bezug auf deren Ausdehnung auf Staatsangehörige von Drittländern, ABl. C 006 v. 10.01.1998, S. 15.

Weitere Schritte sind mit der Entwicklung einer globalen Strategie zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf EU-Ebene verbunden. Eine Intensivierung der Bemühungen in diesem Bereich wurde schon im Juni 1994 vom Europäischen Rat in Korfu beschlossen.

In der Entschließung des Rates und der Mitgliedsstaaten vom 5. Oktober 1995 über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Beschäftigungs- und Sozialbereich wurde anerkannt, wie wichtig es ist, dass im Sozialbereich eine auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der Chancengleichheit beruhende Politik als Beitrag zur gemeinsamen Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betrieben wird.

Das Europäische Parlament beschäftigte sich auch mit dieser Problematik. In seiner Entschließung vom 30. Januar 1997 über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und über das Europäische Jahr gegen den Rassismus (1997) rief es dazu auf, im Sozialbereich die Gleichbehandlung zwischen Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft und Staatsangehörigen von Drittländern herzustellen.

Am 15. und 16. Oktober 1999 erklärte der Europäische Rat in Tampere, dass eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedsstaaten rechtmäßig aufhalten, sicherzustellen ist (Erwägungsgrund 1 VO 859/2003). Ihnen sind vergleichbare Rechte und Pflichten wie Unionsbürgern zuzuerkennen. Die Nichtdiskriminierung im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben sei zu fördern. Es wurde weiter betont, dass ihre Rechtsstellung sich derjenigen von Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten annähern muss.

Am 27. Oktober 1999 forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung658 eine rasche Umsetzung der Zusagen hinsichtlich der gerechten Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in den Mitgliedsstaaten aufhalten. Es sollte eine Definition ihres Rechtsstatus mit einheitlichen Rechten geschaffen werden, die sich den Unionsbürgerrechten annäherten.

Am 3. Dezember 2001 betonte der Rat „Beschäftigung und Sozialpolitik“ im Hinblick auf die Bedingungen für den sozialen Schutz in seinen Schlussfolgerungen, dass eine Reihe einheitlicher Rechte zugebilligt werden muss, die den Rechten der Unionsbürger so weit wie möglich gleichen. Die Drittstaatsangehörigen sollten auch durch die Koordinierung des geltenden Systems der sozialen Sicherheit erfasst werden.

Der Rat stützte sich bezüglich der Notwendigkeit einer Ausdehnung der Bestimmungen der VO 1408/71 und VO 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fielen, auf Art. 6 Abs. 2 EUV (Erwägungsgrund 4 VO 859/2003).

Diese Ausdehnung konnte als Achtung der Grundrechte angesehen werden, wie sie in der am 4.

November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und

658 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 27.101999 (ABl. C 154 2000, S. 63).

Grundfreiheiten gewährleistet sind. Außerdem ergab sich die Ausdehnung aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts.

Die Ausdehnung der Bestimmungen der VO 1408/71 und VO 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fielen, wurde außerdem durch die Charta der Grundrechte der EU begründet. Artikel 34 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der EU besagt, dass „jede Person, die in der Union ihren rechtmäßigen Wohnsitz hat und ihren Aufenthalt rechtmäßig wechselt“, Anspruch auf die „Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ hat.

12.1.2. Tendenzen in der Entwicklung einer gemeinschaftlichen Einwanderungspolitik gegenüber den Drittstaatsangehörigen

Als Folge der Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs der Kommission nach dem Amsterdamer Vertrag (Titel IV EGV – Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr) wurden verschiedene Gesetzgebungsvorschläge gemacht, u.a.:

 über eine Richtlinie bezüglich der Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Aufnahme eines Studiums, einer Berufsausbildung oder eines Freiwilligendienstes659;

 über das Recht auf Familienzusammenführung660.

 Einen ausgeprägten einwanderungspolitischen Aspekt hatte der Vorschlag über den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (siehe unten).661

 Besondere Beachtung verdient der Richtlinienvorschlag über die Bedingungen der Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit.662

 Ende Juli 1997 schlug die Kommission das sog. „Übereinkommen zur Regelung der Zulassung von Staatsangehörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten“663 vor.

659 KOM/2002/548 endg.

660 KOM/2002/225 endg.

661 KOM/2001/127 endg.

662 KOM/2001/386 endg.

663 Übereinkommen zur Regelung der Zulassung von Staatsangehörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten (ABl. C 337 1997, S. 9).

 Einen weiteren Vorschlag legte die Kommission am 12. Februar 1999 vor.664 Er betraf die Ausdehnung der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit auf in der Gemeinschaft niedergelassene Selbstständige, die Staatsangehörige dritter Länder sind.

Damit sollte sichergestellt werden, dass sie unter der Bedingung eines rechtmäßigen Aufenthaltes innerhalb der Gemeinschaft vorübergehend Dienstleistungen erbringen können, ohne sich dafür in einem zweiten Mitgliedstaat niederlassen zu müssen.

Die Kommission hat argumentiert, dass der EGV bereits seit über 40 Jahren die Möglichkeit vorsieht, den freien Dienstleistungsverkehr auf Selbstständige auszudehnen, die Staatsangehörige dritter Länder sind, aber von der Möglichkeit nach Art.49 Abs.2 EGV nie Gebrauch gemacht. Unternehmer mit Sitz in der Gemeinschaft treten häufig als Leistungsempfänger im Rahmen von Subunternehmeraufträgen auf.

Die Subunternehmer sind oft natürliche Personen (Selbstständige), darunter auch Staatsangehörige eines Drittlandes, die in der Gemeinschaft niedergelassen sind. Im Hinblick auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes ist es zu vermeiden, dass einem Selbstständigen das Recht auf Einreise zum Zwecke der Erbringung einer Dienstleistung abgesprochen wird, während ein Arbeitnehmer entsandt werden kann.

Dass der Status des Selbstständigen nicht mit Beschränkungen für die Erbringung von Dienstleistungen verbunden werden sollte, wurde auch vom EuGH bestätigt.665 Nach Auffassung der Kommission bringe die beabsichtigte Ausdehnung nicht nur für die Wirtschaft eines Mitgliedsstaates Vorteile, sondern auch für den gesamten Binnenmarkt.666

12.2. Sekundärrechtliche Bestimmungen von Relevanz für die MOE-Niederlassungsgründer vor 2004 bzw. 2007

Für die Erwerbstätigkeiten der MOE-Niederlassungsgründer innerhalb der Gemeinschaft ist der VO 859/2003 und der RL 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) unter anderen sekundärrechtlichen Bestimmungen eine wichtige Rolle zuzuordnen. Unter bestimmten Voraussetzungen konnten die

664 KOM (99) 3 endg.

665 EuGH (Syndesmos/Ergasias) Urt. v. 05.06.1997 - C-398/95 = Slg 1997, I-3091-3122 = InfAuslR 1997, 339.

666 Vgl. zur Argumentation der Kommission: KOM (99) 3 endg. (a.a.O.), Nr.3, Inhalt, Punkt 2 bis 5.