• Keine Ergebnisse gefunden

3. Die EU-Osterweiterung – eine historische Herausforderung

3.3. Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für die MOE-Länder

3.4.2. Erweiterungsbedenken in den neuen EU-Ländern am Beispiel Bulgarien

Die letzte Erweiterungsrunde traf in breiten Kreisen der Bevölkerung Europas nicht nur im Westen, sondern auch im Osten des Kontinents auf große Besorgnis.

Wegen der schlechten Erfahrungen in den ersten Jahren des Transformationsprozesses wurden in Bulgarien vor allem schockartige Preiserhöhungen, mögliche Übernahmen der einheimischen Betriebe von ausländischen Firmen84, sowie eine Ausbeutung der Arbeitskräfte (Niedriglöhne, keine Zahlung von Sozialabgaben etc.) als Folge eines

80 Vgl. z.B. IAB-Kurzbericht 9/2009 (Fn. 54), S. 3; vgl. weiter: Sinn: Die Osterweiterung als Herausforderung für Westeuropa (Fn. 55).

81 Ein mögliches „Sozialdumping“ befürchtet das französische Ministerium für Beschäftigung in dem Fall, wenn die Arbeitgeber Arbeitnehmer in die EU-Länder entsenden, die Sozialabgaben für sie aber in der Heimat zahlen. (Les Echos: Няма опасност от "нашествие" на българи и румънци zitiert von Dnevnik.bg am 18.12.2006)

82 „Jene, die kommen wollen, sind längst da – als Gastarbeiter, Schwarzarbeiter oder Flüchtlinge vor der Diktatur.“ (von Marschall, Christoph: Baustelle Europa. Information statt Zwangsbeglückung, in:

Zeitschrift für Kultur Austausch 3/2001 des Instituts für Auslandsbeziehungen IFA, unter:

http://cms.ifa.de/index.php?id=marschall.

83 Am Beispiel Bulgarien: vgl. u.a.: Teodossieva, Assia (Теодосиева, Ася): Bulgarien an der Schwelle zum EU-Beitritt - Gewinne, Kosten und soziale Dimensionen in: UTOPIE kreativ, 181 11/2005, S. 10027 (1033); vgl. auch: Пари на ИРА били прани в София и Триполи, in: в. Труд v. 20.02.2005, S. 11. vgl.

weiter: EK-Berichte über Bulgariens Fortschritte bei den Begleitmaßnahmen nach dem Beitritt (Fn. 319).

84 Die Jahre der Reformen in Bulgarien waren von Bankkrisen, Konkursen und schwerwiegenden Fehlern bei der Privatisierung der ehemaligen sozialistischen Betriebe gezeichnet (über die politische und wirtschaftliche Situation Bulgariens nach der Wende 1989: vgl. Teodossieva [Fn. 83], S. 1030 ff.) Ein gravierendes Beispiel war die Privatisierung der erfolgreichen nationalen Fluggesellschaft „Balkan“, die an ein israelisches Unternehmen verkauft wurde. Anstatt sie vertragsgemäß weiter zu betreiben, legte es die Fluglinien still, schaffte die Arbeitsplätze ab und verkaufte die Immobilien.

eventuellen EU-Beitritts befürchtet.85 Große Besorgnis brachte auch der zunehmende Trend der Arbeitsmigration (siehe Tabellen in Abschnitt 5) und insbesondere - die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften86 (IT-Fachkräften, Ärzten, Ingenieuren usw.).87

Obwohl kritische Stimmen und Drohungen über Verluste von Teilen der erst neu gewonnen Souveränität auch nicht fehlten88, wurde ein eventueller EU-Beitritt Bulgariens oft als Heilmittel gegen die meisten existierenden Probleme der Transformation, als eine Garantie gegen die im Land verbreitete Korruption und als ungehinderter Zugang zu den EU-Subventionsfonds89 dargestellt.90 Als Beispiel für ein

85 Zum Beispiel sind in Regionen mit großer Arbeitslosigkeit in Bulgarien kleine ausländische

Schneiderwerkstätten verbreitet (viele davon gehören Unternehmen aus dem Nachbarland Griechenland).

Die Arbeitskräfte (vor allem Frauen) finden dort die einzigen Verdienstmöglichkeiten, da die Industrie nach der Wende (1989) in vielen Regionen völlig zerstört wurde. Allerdings arbeiten sie dort am Rande der Legalität (keine sozialen Absicherungen, kein Schutz durch Gewerkschaften, unbezahlte

Überstunden, große Konkurrenz um einen Arbeitsplatz). Ähnlich ist die Situation mit verschiedenen kleinen Schuhwerkstätten ausländischer Unternehmen. Im Jahr 2006 gab es in einer Schuhwerkstatt zwei Todesfälle, bedingt durch die sehr schlechten Arbeitsbedingungen.

86 Befürchtet wurde, dass die Tendenz des sog. Braindrain-Prozesses bei den qualifizierten Arbeitskräften nicht nur von vorübergehendem Charakter ist; vgl. zum Thema: IAB-Kurzbericht 9/2009 (Fn. 54), S. 3.

87 Vgl. u.a. IAB-Kurzbericht 9/2009 (Fn. 54), S. 3; vgl. weiter: Punkt 4.5 Bericht IP/08/1729 (Fn. 197).

Vgl. auch: Aluche, José (Direktor in der Direction des Ressources Humaines Panthéon Sorbonne Université Paris I) in: Страхът от масова миграция на работна ръка е неоснователен (Die Angst vor massiver Arbeitsmigration ist unbegründet) in: Dnevnik.bg Eвропа v. 21.01.07 http://evropa.dnevnik.bg, Stand: Mai 2007.

88 Über die Kritik i.Z.m. Beitrittsvorbereitung: vgl. Teodossieva (Fn. 83), S. 1034-1035. Vgl. weiter:

Ivanov, Dimitar (Иванов, Димитър): Трусове в ЕС, а властта ни предлага пасти in: в. Труд v.

7.06.2005, S. 12; (Euroskeptizismus und Ängste i.Z.m. Verlust der nationalen Indentität): vgl. u.a.

Befragung des Nationalzentrums für Meinungsforschung in Bulgarien 2003, zitiert v. Teodossieva, in:

„Bulgarien zwischen Jahrtausendgeschichte und Globalisierung“, UTOPIEkreativ 162 4/2004, S. 355 (362).

89 Vgl. z.B. Академия за инвестиции: Пътят на българския бизнес до европейските пари до и след присъединяването in: в. Капитал v. 28.08.- 3.09. 2004, S. 42; vgl. weiter: Regierungsschef Bulgariens Sergei Stanishev [Сергей Станишев]: In den zwei Jahren seiner Mitgliedschaft bekam Bulgarien 3,5 Billionen Leva. Nach Abzug des EU-Beitrags Bulgariens (1,6 Billionen Leva) bedeutet das einen Nettogewinn für das Land von ca. 2 Billionen Leva, Rede bei der Eröffnung des Wirtschaftlichen Forums in Blagoevgrad [Bulgarien] am 21.05.2009, unter: http://bnt.bg/bg/news/view/9032, Stand 22.05.2009).

90 Vgl. u.a: Комуникационна стратегия за присъединяване към ЕС или как да се преодолее скептицизма, in: Бюлетин Европа 2/2002, S. 19; Kuneva, Meglena (Кунева, Меглена, 2003 Europaministerin Bulgariens [Zwischen 2007-2009 erste europäische Kommissarin Bulgariens]: 10 неща, които ще се случат на България като член на ЕС, in: Празникът на Европа и българските подаръци. Втората България 5/2003, S.11); Евросправочници и филм показват ползата от присъединяването към ЕС in: Европанорама 4/2003, S. 2; Разширяването крие много предимства

erfolgreiches EU-Land mit ähnlichen Problemen bei seinem Beitritt wurde Irland genannt. Auch Griechenland wurde zum Vorbild dafür gemacht, wie die EU-Fördergelder effizient genutzt werden können.91

Durch kurze Botschaften in Wort und Bild,92 die Bulgarien in Stichpunkten charakterisieren, wurde in den Medien versucht,93 das Nationalbewusstsein der Bevölkerung zu stärken.94

93 Auch Teile der bulgarischen Geschichte und historische Rückblicke sollten das Nationalbewusstsein der Bevölkerung stärken (z.B. die Rolle Bulgariens für die Entstehung und Unterstützung des slawischen Schrifttums und die Verbreitung der slawischen Kultur- und Literaturwerke im 9.-13. Jh. in Europa.) Die Bulgaren sind stolz darauf, dass der Staat während des Zweiten Weltkrieges als einziger, die Deportation von 40 000 im Lande lebenden Juden nach Polen verhinderte. Das rettete ihr Leben.

94 Z.B. erinnern verschiedene Broschüren daran, dass Bulgarien durch seine Geschichte, Natur- und Kulturschätze viel in die EU einzubringen habe. Die älteste Gold der Welt und die älteste Zivilisation in Europa behaupten Fachleute in einer großen Grabstätte in der Nähe der Stadt Varna gefunden zu haben.

Auch die Bauwerke der Thraker, die in diesen Gebieten einst eine erstaunliche Zivilisation entwickelt haben, seien älter als die ägyptischen Pyramiden. In den Broschüren wird u.a. unterstrichen, dass sich neun der 300 Kultur- und Naturdenkmale auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes in Bulgarien befinden. Der Erfinder des Computers John Atanasov sei der Sohn eines bulgarischen Emigranten in Amerika. Das Land ist stolz auf einige der größten Stimmen der Opernkunst (Boris Christow, Nikolai Gjaurow, Raina Kabaiwanska, Gena Dimitrowa) und Künstler (u.a. Christo - Hristo Jawaschew - der Mann, der 1995 den Reichstag verpackte). Die Broschüren weisen weiter auf die einzigartige Gesangstechnik der bulgarischen Volkslieder hin. So erklärt sich, dass ausgerechnet ein bulgarisches Volkslied „Излязъл е Делю Хайдутин” als Botschaft der Menschheit ins All geschickt wurde. (Es wird von der Bulgarin Valja Balkanska gesungen und befindet sich neben der Neunten Symphonie Beethovens auf den Orbitalstationen „Voyager-1“ und „Voyager-2“, die nach Kontakt mit außerirdischen

Zivilisationen suchen.) Die Broschüren sorgen dafür, dass der weltberühmte bulgarische Jogurt (als die Kost der Hundertjährigen bekannt) und das Rosenöl (eine wesentliche Substanz für die internationale Kosmetikindustrie) – 80 % der Weltproduktion stammt von bulgarischen ölhaltigen Rosen - nicht in Vergessenheit geraten. Dort findet man auch interessante, weniger bekannte Informationen über Bulgarien – z.B. Naturschätze und Naturphänomene. (Im Land gebe es über Tausend Mineralquellen, in denen man seit ältesten Zeiten viele Krankheiten heilt. Bedingt durch das spezifische Klima entstehen in den südlichen Teilen des Landes Wolken von negativen Ionen, die eine heilende Wirkung auf die erkrankten Atemwege haben.)

So dürfte das Land als das älteste europäische Land (gegründet 681 n.Chr.) die EU vor allem durch sein Kulturerbe und seine Geschichte95 bereichern.96 Bulgarien käme endlich zurück „nach Hause“, nach Europa,97 wo das Land schon immer hingehörte98.

Die Umstellung auf eine EU-fähige Marktwirtschaft, welche das Land vor allem in Form sozialer Kosten, niedriger Löhne etc. bezahlt,99 die Schwäche der nationalen Ökonomie oder der starke Wettbewerbsdruck, dem die heimischen Unternehmen standzuhalten hätten,100 wurden keine populären Themen im Land.101 In der Presse wurde dieser Prozess als „De-Europäisierung“ der Privatsphäre des durchschnittlichen Bulgaren kommentiert. Einerseits habe die Bevölkerung das Gefühl, dass das Leben immer schwieriger wird. Andererseits bekomme sie von der Regierung ständig Versicherungen über die Fristeinhaltung und die großen Fortschritte auf dem Weg in die EU-Integration.102