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4 Herleitung des Ansatzes einer Akteursorientierten Vulnerabilitätsanalyse

4.2 Partizipative Vulnerabilitätsanalysen – das RIVAS-Projekt

Studien, die sich eingehend mit der Akteursbeteiligung im Zuge von Vulnerabilitätsanalysen ausei-nandersetzen, stellen bisher eine Seltenheit dar. Eine Ausnahme ist das österreichische RIVAS-Projekt, welches zwischen Januar 2010 und Juni 2012 gemeinsam von einer Forschergruppe, beste-hend aus Wissenschaftlern der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU Wien) als Projektleitung, dem österreichischen Umweltbundesamt und dem deutschen PIK durchgeführt wurde (vgl. Website Forschung BOKU, 19.05.2015). Dabei geben die beteiligten Forscher erste Antworten auf die zuvor gestellten Fragen, welche als zentrale Grundlage für die weitergehenden Analysen und

Ausführun-gen in dieser Arbeit und somit für einen hier abzuleitenden eiAusführun-genen Vulnerabilitätsanalyseansatz dienen sollen.

Grundprämisse des RIVAS-Projektes, der sich diese Arbeit anschließt, ist die Auffassung, dass Wis-senschaft nicht losgelöst von der Realität betrieben werden sollte, da die Umsetzungschancen und die Praxistauglichkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen immer auch von der Zusammenarbeit mit nicht-wissenschaftlichen Akteuren der Gesellschaft abhängen. Nach Parson 1995 kommt der Ein-bindung von nicht-wissenschaftlichem Wissen in Planungsprozessen eine große Bedeutung zu. Ei-nen konkreten Ansatzpunkt für die Projektbeteiligten bilden dabei verschiedene DiszipliEi-nen oder Sektoren vereinende Vorgehensweisen (siehe Kapitel 2.1.2), hier als sogenannte integrierte Assess-ments (IAs) bezeichnet. Solche AssessAssess-ments haben neben der Interdisziplinarität das Merkmal Ent-scheidungsfindungen in komplexen Problemlagen auf Grundlage von Informationen und Einsichten zu ermöglichen oder zu verbessern. Integrierte Assessments dienen demnach dazu, bestehendes Wissen in einem interdisziplinären Zusammenhang zu untersuchen und die für Entscheidungsträger als relevant eingestuften Informationen aufzubereiten (vgl. Parson 1995: 463, nach Scherhaufer et al. 2012: 6f). Dabei werden durch die Einbeziehung der Erwartungen, Bedürfnisse, Unsicherheiten und Werte der Stakeholder neue Einsichten generiert, die auf rein wissenschaftlicher Basis nicht erreicht werden könnten. Mit der Beteiligung von Stakeholdern am Prozess (partizipatives integrier-tes Assessment – PIA) geht somit eine Steigerung der Qualität des Wissens einher. Dies entspricht der zweiten in Kapitel 2.2 eingeführten Zweckrationalität der Partizipation, der sogenannten sub-stanziellen Dimension oder auch Output-Legitimation (vgl. Scherhaufer et al. 2012: 7; Scherhaufer et al. 2013: 196 und 199).

Im Rahmen der Studie wurden diese integrierten Betrachtungen auf Vulnerabilitätsanalysen bezo-gen (Vulnerabilitätsassessments – VAS). Auch Scherhaufer et. al beziehen sich auf die regionale Ebene und sprechen somit von Regionalen Integrierten Vulnerabilitätsassessments (RIVAS) (vgl.

Scherhaufer et al. 2012: 8; Scherhaufer et al. 2013: 196). Die Projektverantwortlichen gingen dabei ebenfalls von der Grundauffassung aus, dass gemeinsame Vulnerabilitätsabschätzungen Akteuren helfen können, die Auswirkungen des Klimawandels besser zu verstehen und darauf aufbauend geeignete Anpassungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen (vgl. Scherhaufer et al 2013: 197). Auch für ein RIVAS gibt es in der praktischen Umsetzung vielfältige Möglichkeiten, welche wiederum von den beteiligten Akteuren, den sich stellenden regionalen Herausforderungen und den jeweiligen Entscheidungskontexten abhängen.

Innerhalb des Projektes wurden 14 Fallbeispiele aus Europa (hauptsächlich Österreich und Deutsch-land), den USA und Australien miteinander verglichen. Die Ergebnisse des Vergleichs sollten als Ausgangsbasis dienen, um ein verbessertes bzw. angepasstes Ablaufdesign für ein „partizipatives regionales integriertes Vulnerabilitätsassessment“ (PRIVAS)48 zu entwickeln, welches schließlich anhand einer österreichischen Pilotregion getestet werden sollte. Ableitend daraus sollten übertrag-bare Empfehlungen für die Akteursbeteiligung in regionalen österreichischen Vulnerabilitätsanaly-sen entwickelt werden (vgl. Scherhaufer et al. 2012: 9). Weitergehende Informationen zur

48 die Autoren sprechen allgemein von „Partizipativen Vulnerabilitätsanalysen“

ten Vorgehensweise des Projektes bei der Auswahl der Fallbeispiele und der darauf folgenden Aus-wertung und Analyse der Projekte sowie deren Ergebnissen finden sich in Scherhaufer et al. 2012.

Das RIVAS-Projekt unterscheidet drei Typen von Projekten mit jeweils unterschiedlichen institutio-nellen und akteursbezogenen Kontexten. Dabei handelt es sich zum einen um Politik affine, regie-rungs- bzw. verwaltungsbeauftragte Ressortforschungen, wie sie in Kapitel 3.3 behandelt wurden, teilweise mit übergeordnetem, teilweise mit rein sektoralem Charakter. Diese eignen sich aufgrund ihres übergeordneten Bezuges nur bedingt für eine tiefergehende Stakeholderbeteiligung (vgl.

Scherhaufer et al. 2012: 112ff). Allenfalls werden hier ausgesuchte Fachexperten übergeordneter Einrichtungen über Interviews konkret in den Prozess eingebunden, wie die Arbeiten von Zebisch et al. oder des Netzwerks Vulnerabilität zeigen. Die zweite Kategorie bilden unternehmensbeauftragte Projekte. Diese werden von privaten Unternehmen mit konkretem Erkenntnisinteresse an For-schungseinrichtungen vergeben. Hier gibt es häufig produktbedingte Hintergründe. Im Zuge der Vulnerabilitätsforschung stellen solche Projekte allerdings eine Ausnahme dar und sind daher als Sonderfälle zu betrachten (vgl. Scherhaufer et al. 2012: 114f). Die weitaus größte Gruppe sind die durch Forschungsförderprogramme finanzierten Projekte (siehe Kapitel 3.2.1). Diese sind vor allem auf kommunaler oder regionaler Ebene die Regel und bieten sowohl interdisziplinär als auch in Bezug auf die Akteursbeteiligung die größten Möglichkeiten. Zudem werden hier die meisten im Zuge partizipativer Vorgehen verbreiteten sozialwissenschaftlichen Methoden und Elemente ange-wendet (vgl. Scherhaufer et al. 2012: 115f). Letztlich benennen Scherhaufer et al. Herausforderun-gen und Bausteine für ein „gutes PRIVAS“, wobei partizipative Methoden und Komponenten eine wichtige Rolle spielen. Auf eine Darstellung wird an dieser Stelle verzichtet und auf Scherhaufer et al. 2012: 184ff verwiesen.

Darauf und auf den Erfahrungen der Testanwendung in der österreichischen Pilotregion Mostviertel aufbauend, haben sich in einem gesonderten Arbeitspaket einige Projektbeteiligte vertiefend mit der Partizipation im Zuge von Vulnerabilitätsanalysen beschäftigt und die Erkenntnisse in einem ent-sprechenden Synthesebericht zusammengeführt. Einleitend kommen Lexer et al. zu der Feststel-lung, dass Partizipative Vulnerabilitätsanalysen mit einer Vielzahl konzeptiver, methodischer, pro-zessbezogener und forschungspraktischer Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert sind, welche über den Erfolg oder Misserfolg der Beteiligung innerhalb des Prozesses entscheiden.

Daher sehen sie auch für eine partizipative regionale Vulnerabilitätsanalyse nicht die eine „richtige“

Vorgehensweise, die die Aufstellung allgemeingültiger Regeln für die Durchführung eines PRIVAS zulassen würde. Auch Lexer et al. begründen dies mit der Bandbreite an unterschiedlichen mögli-chen Rahmenbedingungen, die in jeder zu betrachtenden Region wirken. Sei es in Bezug auf die spezifischen Problemlagen vor Ort, die zur Verfügung stehenden Ressourcen, oder den jeweiligen Auftraggeber bzw. die Vorgaben des jeweiligen Forschungsprogrammes. Zusätzlich kommt durch die Einbindung der Stakeholder hinzu, dass es sich bei partizipativen Vulnerabilitätsanalysen nicht um eindimensional lineare Entscheidungssequenzen wie bei Top down induzierten Prozessen han-delt, sondern dass der Prozess eine Vielzahl voneinander abhängiger „Wenn-Dann-Entscheidungen“

umfasst, die den Prozess in verschiedene Richtungen führen können, weshalb dieser entsprechend flexibel ausgestaltet werden sollte (vgl. Lexer et al. 2012: 3 und 19).

Die Autoren unterstreichen, dass durch die Einbindung von nicht-wissenschaftlichen Akteuren de-ren nicht-wissenschaftliches bzw. nicht-experten-dominiertes Wissen integriert und der Prozess

dadurch ausgewogener und breiter gestaltet werden kann. So kann die Integration von lokalem Kontext- oder Expertenwissen, qualitativen Informationen und Stakeholderpräferenzen dazu beitra-gen, Forschungsdefizite wie mangelnde Praktikabilität des Prozesses oder Entscheidungsunsicher-heiten zu beheben (s.o.) (vgl. Lexer et al. 2012: 6).

Lexer et al. heben vor allem noch einmal den potenziellen Beitrag der Partizipation im Zuge der substanziellen und instrumentellen Dimension als Zweckrationalität nach Fiorino 1989 hervor. Ge-rade die instrumentelle Dimension bezieht sich auf die Qualität und die Wirkungen des partizipati-ven Prozesses. Durch eine gute Prozessorganisation, die Einhaltung von Management-, Kommunika-tions- und Interaktionsregeln, die Befolgung von Prinzipien der Fairness sowie die Anwendung von Methoden und Techniken der Beteiligung soll ein adäquater und vertrauensvoller Prozessrahmen geschaffen werden. In diesem können sich Stakeholder aktiv am Assessment beteiligen bzw. Mitbe-stimmungsfunktionen übernehmen. Dadurch werden weitergehende positive Wirkungen auf die Teilnehmenden erwartet, die auch unabhängig von der Qualität der Ergebnisse der eigentlichen Analyse erreicht werden können. Dies sind die in Kapitel 2.3 bereits angesprochenen Aspekte wie Bewusstseinsbildung bzw. Sensibilisierung, Erhöhung der Akzeptanz der Ergebnisse und daraus resultierender Anpassungsmaßnahmen oder auch die erhöhte Bindungswirkung in Bezug auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen. Zudem lassen sich über die Akteursbeteiligung Fortschritte in Bezug auf die gemeinsame Konsensbildung, Soziales Lernen und ein verbessertes gegenseitiges Verständnis zwischen Wissenschaftlern und Stakeholdern erreichen (vgl. Lexer et al. 2012: 6f). Die-se Nebenprodukte der Akteursbeteiligung können als mit der eigentlichen Intention einhergehende Prozesswirkungen bezeichnet werden.

Darauf aufbauend entwickeln die Autoren ein schematisches Ablaufmodell einer Vulnerabilitätsana-lyse (siehe Abb. 4.1). Anhand dessen zeigen sie auf, an welchen Stellen Anknüpfungspunkte für die Partizipation von Stakeholdern möglich sind. Sie unterteilen den Prozess dabei in unterschiedliche Abschnitte. Die Vulnerabilitätsanalyse lässt sich grob in die drei Hauptphasen, „zu Beginn“, „wäh-rend“ der eigentlichen Analyse und „am Ende“ unterteilen. Jeder der drei Abschnitte kann dabei nach unterschiedlichen Beteiligungsmodellen bzw. Formen der Partizipation verlangen (Lexer et al.

2012: 9ff).

Abb. 4.1 Basismodell idealtypischer Ablaufphasen einer Vulnerabilitätsanalyse (Lexer et al. 2012: 11)

Die erste Phase „zu Beginn“ des Assessments umfasst die Problemformulierung und die Abgrenzung des Untersuchungsrahmens. Dabei sollte sowohl der Untersuchungsraum, als auch die zu betrach-tenden Sektoren und Bereiche und die für den Untersuchungsraum relevanten und im weiteren Verlauf zu untersuchenden Klimafolgen festgelegt werden. Daraus lassen sich schließlich konkrete Untersuchungsfragen für den weiteren Verlauf der Analyse ableiten und die potenziellen

Wirkungs-ketten aufzeigen. In dieser Phase besteht bereits die Möglichkeit gezielt Akteure in den Prozess ein-zubinden. Die zweite Phase beinhaltet die Entscheidung für das anzuwendende Vulnerabilitäts- und Analysekonzept sowie die Durchführung der eigentlichen Analysearbeiten. Gerade bei der Metho-denauswahl ist es wichtig zu entscheiden, welche quantitativen und welche qualitativen Analysee-lemente innerhalb des Prozesses angewendet werden sollen. Damit entscheidet sich auch inwiefern partizipative Elemente in die konkrete Analyse eingebunden werden und wie sich somit die Mi-schung aus wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Wissen im jeweiligen Vulnerabilitäts-assessment gestaltet. Am Ende dieser Phase liegen die vorläufigen Analyseergebnisse vor. Diese soll-ten in der dritsoll-ten Phase („am Ende“) gemeinsam mit den beteiligsoll-ten Akteuren einer Realitäts- bzw.

Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Zudem beinhaltet diese Phase eine geeignete inhaltliche Aufbereitung sowie die letztliche Darstellung der Ergebnisse. Der daran anschließende Wissens-transfer sowie die Ausarbeitung von Anpassungsmaßnahmen sind der Vulnerabilitätsanalyse nicht mehr zuzuordnen (vgl. Lexer et al. 2012: 12). Mit diesem Modell versuchen Lexer et al. eine mög-lichst umfassende Darstellung des möglichen Ablaufs einer partizipativen regionalen Vulnerabili-tätsanalyse zu geben. Dabei ist es ihnen wichtig zu betonen, dass nicht zwingend alle Möglichkeiten der Stakeholderbeteiligung im Rahmen eines PRIVAS ausgeschöpft werden müssen. Die letztliche Umsetzung sollte sich immer an den bestehenden finanziellen, zeitlichen und sonstigen Rahmenbe-dingungen ausrichten. Daher ist eine individuelle und gezielte Auswahl und Planung der jeweils möglichen und geeigneten partizipativen Analyseelemente erforderlich (vgl. Lexer et al. 2012: 13).

Weitergehend zeigen die Autoren die aus ihrer Sicht generellen Bedingungen einer strukturierten Stakeholderbeteiligung auf, bevor sie Empfehlungen zu den einzelnen in Abbildung 4.1 aufgeführ-ten Abschnitaufgeführ-ten und Phasen der partizipativen Vulnerabilitätsanalyse geben. Ausgewählte und für diese Arbeit wichtige Aspekte sollen hier nachfolgend aufgegriffen werden.

Wichtig ist die Unterscheidung von produktorientierten und prozessorientierten Assessments (siehe dazu auch Kapitel 2.1.2). Produktorientierte Vulnerabilitätsanalysen (outcome vulnerability) sind meist naturwissenschaftlich geprägt und zielen hauptsächlich auf die Herstellung von Forschungs-ergebnissen und Produkten ab. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine positive Korrelation zwi-schen der Informationsbereitstellung und späterem Handeln besteht. Es wird vorausgesetzt, dass die Information über Klimawandelfolgen und damit verbundenen Vulnerabilitäten ausreicht, damit sich die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen folgerichtig, sachlogisch und automatisch aus der In-formationsbereitstellung ergibt. Partizipative Assessments sind dagegen „prozessorientiert“ (contex-tual vulnerability). In diesem Zusammenhang steht nicht nur das Endergebnis der Analyse im Vor-dergrund. Hier befinden sich darüber hinaus die partizipative Ausrichtung und der Interaktionspro-zess, basierend auf einem interaktiven Forschungsdesign, deutlich stärker im Mittelpunkt des Inte-resses. Dabei ist es wichtig, zusätzliche Aspekte wie Bewusstseinsbildung und Akzeptanzentwick-lung über den gemeinsamen Prozess zu erreichen. Eine Wissensproduktion ist auch durch Vulnera-bilitätsanalysen ohne explizite Akteursbeteiligung möglich. Sie ist dann aber mit bedeutenden Nach-teilen bzw. Risiken verbunden, die hauptsächlich eine geringere Qualität der Ergebnisse im Sinne der Handlungs- und Anwendungsrelevanz, sprich die fehlenden Prozesswirkungen (s.o.), betreffen.

Somit lässt sich festhalten, dass bei Vulnerabilitätsanalysen sowohl das Produkt, als auch der Pro-zess gleichermaßen wichtig sind. Partizipative Vulnerabilitätsanalysen sind demnach der contextual bzw. starting point vulnerability zuzuordnen (vgl. Lexer et al. 2012: 14; O´Brien et al: 2004).

Um die Akteursbeteiligung besser vorbereiten und die Akteure gezielter in den Prozess einbinden zu können, empfehlen Lexer et al. sich zu Beginn bzw. vor einem PRIVAS mit der Region „vertraut zu machen“ und so den Status Quo in Bezug auf die Strukturdaten der zu betrachtenden Region sowie die Akteurskonstellation vor Ort herauszuarbeiten und eine grobe Abschätzung der bestehenden Klimawirkungen sowie der damit verbundenen Vulnerabilitäten vorzunehmen. Dabei soll insbeson-dere ein erstes Vulnerabilitätsscreening, wie es auch Haartz et al. in ihrer Studie entwickelt haben, durchgeführt werden. Dies diene dazu das mögliche Spektrum plausibler regionaler Klimawandel-folgen auf sensitive Sektoren zu identifizieren, für die Akteure entsprechend aufzuspannen und be-reits, sofern möglich, die erwartete regionalspezifische Relevanz anzusprechen (vgl. Lexer et al.

2012: 36). Dabei muss jedoch unterschieden werden, welche der genannten Punkte bereits im Vor-feld der eigentlichen Analyse zu klären sind und welche als Teil der Vulnerabilitätsanalyse „am Be-ginn“ des Assessments durchgeführt werden können. So kann die erste grobe Abschätzung der rele-vanten Klimafolgen und der damit verbundenen Vulnerabilitäten, wie auch von Haartz et al. vorge-sehen, als Beginn der Analyse angesehen werden. Die Klärung relevanter Strukturdaten sowie eine Art Stakeholderanalyse, die herausarbeitet, wer im Zuge des Prozesses beteiligt werden sollte, soll-ten dagegen bereits im Vorfeld zur eigentlichen Vulnerabilitätsanalyse durchgeführt werden (siehe Kapitel 2.2).

Bottom up Ansätze haben einen hohen Bedarf an lokalen und qualitativen Informationen sowie an Einbeziehung von Werten und Präferenzen lokaler Akteure. Der Bewertungsprozess erfordert somit die enge Einbeziehung von lokalen Stakeholdern in den Prozess. Zudem setzen an Kontextvulnera-bilitäten orientierte Bottom up Verfahren nicht oder nicht allein auf modellbasierte, in die Zukunft reichende Klimaszenarien, sondern bereits bei der Untersuchung der aktuellen Vulnerabilität ge-genüber gegenwärtigen Klimavariabilitäten und Extremereignissen an (s.u.). Somit sind die ersten Analyseschritte nicht nur theoretisch und zukunftsorientiert, sondern auch empirisch und basieren auf tatsächlichen Beobachtungen von klimabedingten Ereignissen sowie dem Umgang damit. Gera-de hier spielt das lokale Erfahrungswissen Gera-der am Prozess zu beteiligenGera-den Akteure eine wichtige Rolle (vgl. Lexer et al. 2012: 46 und 63). Durch die verstärkte Einbindung qualitativer und nicht-wissenschaftlicher Informationen in die Analyse kann die Qualität und die Nutzbarkeit der Untersu-chungsergebnisse gesteigert und mit quantitativen Methoden zusammenhängende Unsicherheiten besser bewältigt werden (vgl. Lexer et al. 2012: 68).

Es ist somit möglich und sinnvoll die beiden Basiskonzepte der outcome vulnerability und der contextual vulnerability durch die gezielte Anwendung von Stakeholder-Interaktionen miteinander zu verbinden. Dabei sind entsprechend Top down49 Bewertungsansätze mit Bottom up-Ansätzen in einem interaktiven Prozessdesign zu verknüpfen. So können die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Vulnerabilitätsbewertung, wie z.B. Vulnerabilitätskarten, als Ausgangspunkt für eine darauf aufbau-ende Akteursbeteiligung und somit für die partizipative Auseinandersetzung mit breiteren Kon-textvulnerabilitätsfaktoren genutzt werden. Eine weitere Möglichkeit outcome und contextual-vulnerability-Ansätze miteinander zu verbinden ist die Kombination von quantitativen und qualita-tiven Analyseelementen, wie sie auch Riegel et al. vorschlagen. Quantitative indikator- oder

49 Als Top down sind in diesem Zusammenhang Vorgaben oder Inputs sowie eine Vorabbewertung der Vulnerabilitäten von Seiten der Wissenschaftler oder der Projektverantwortlichen zu sehen

dellbasierte „Vulnerabilitätsmessungen“ können von qualitativen lokalen oder sektoralen Fallstu-dien, in denen Wirkmechanismen, Wechselwirkungen und Kontextabhängigkeiten mittels sozialwis-senschaftlicher Methoden vertiefend untersucht werden, ergänzt werden (vgl. Lexer et al. 2012:

47). Beide Ansätze können unter den entsprechenden Umständen auch alleinstehend angewendet werden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die jeweiligen Stärken am besten zur Geltung gelangen, wenn sie kombiniert und komplementär zueinander eingesetzt werden (vgl. Lexer et al.

2012: 68f). Quantitative und qualitative Parts finden in der Regel zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb des Prozesses statt. Lexer et al. sprechen in diesem Zusammenhang von stärker stake-holder- oder akteursgetriebenen und entsprechend von stärker wissenschaftsgetriebenen Pha-sen. Die Möglichkeit der Einflussnahme und aktiven Mitgestaltung des Prozesses durch die Akteure sehen Lexer et al. dabei in den Phasen „zu Beginn“ und „am Ende“ des Assessments als grundsätz-lich größer oder höher an, als „während“ der eigentgrundsätz-lichen Analyse – diese Phase wird von Lexer et al. als eher wissenschaftsgetrieben angesehen (vgl. Lexer et al. 2012: 20).

Lexer et al. geben im Rahmen ihrer Ausführungen zur partizipativen Vulnerabilitätsanalyse keine direkte Empfehlung für ein bestimmtes Vulnerabilitätsmodell, legen aber wie andere Studien auch eine Orientierung am Ansatz des IPCC nahe. Auch in Bezug auf die Diskussion, ob eine Klimafol-genbetrachtung alle Komponenten der Vulnerabilität aufgreifen sollte, oder in Form einer Betrof-fenheitsanalyse auf eine Betrachtung der Anpassungskapazität verzichten kann, legen sich Lexer et al. nicht fest. Je nach Fragestellung und Informationsbedarf könne auch eine Sensitivitäts- oder Be-troffenheitsanalyse legitim sein und gleichermaßen nützliches und brauchbares Wissen generieren.

Die Autoren sehen in der Praxis verschiedene Faktoren, die eine Entscheidung diesbezüglich beein-flussen. Dies können Vorgaben des Fördermittel- oder Auftraggebers sein. Dies kann die Vergleich-barkeit mit früheren Ergebnissen vorangegangener Projekte und Analysen sein, oder aber die Ver-fügbarkeit von Daten (bzw. mit deren Beschaffung verbundener finanzieller, institutioneller oder methodischer Aufwand), Methoden, Modellen und Expertisen und somit letztlich die wissenschaftli-che Machbarkeit (vgl. Lexer et al. 2012: 48).

Wie die Realität zeigt (siehe dazu auch Kapitel 5 und 6), sind viele durchgeführte Analysen keine vollständigen Vulnerabilitätsanalysen, teilweise auch nicht, wenn sie so genannt werden, da sie nicht alle Teilkomponenten der Vulnerabilität komplett bearbeiten. Je nachdem auf welche Kompo-nenten dabei der Fokus gelegt wird, ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für die Akteursbe-teiligung und den damit verbundenen partizipativen Anknüpfungspunkten (vgl. Lexer et al. 2012:

50). Im Zuge der Analyse der Sensitivität bzw. der Betroffenheit spielt hier vor allem, wie in Kapitel 3.3 ausführlich erläutert, die aktuell bereits bestehende Sensitivität eine wichtige Rolle, die für grundsätzliche Aussagen zur Vulnerabilität bzw. Betroffenheit verwendet werden kann. Hier sind, wie beschrieben, die Einbindung des Wissens und die Erfahrung der zu beteiligenden Akteure von großer Bedeutung. Qualitative lokale Informationen sind vielfach unverzichtbar für die Bestimmung der aktuellen Sensitivität, weil die Auswertung vorhandener Datengrundlagen häufig nicht aus-reicht, um konkrete Hot Spots zu identifizieren. Auch reichen die Kenntnisse der Wissenschaftler über die zu behandelnde Region an dieser Stelle oftmals nicht aus. Geeignete Erhebungsmethoden des Akteurswissens stellen z.B. Interviews, Fragebögen, Workshops und weitere Formen des Stake-holderdialogs dar. Dabei kann dieser Prozess gleichzeitig auch viel zum Vulnerabilitätsverständnis auf Seiten der Akteure beitragen (vgl. Lexer et al. 2012: 58). Auch die Abschätzung der

Anpas-sungskapazität verlangt nach lokalem Kontextwissen und qualitativen Informationen. Da relevante statistische Daten über Stärken und Schwächen, Entscheidungsprozesse, Anpassungsbarrieren und Potenziale auf regionaler und vor allem lokaler Ebene häufig nur unzureichend vorhanden sind, ist auch in diesem Zusammenhang die Einbeziehung von lokalem Experten- und Erfahrungswissen sowie auch subjektiven Einschätzungen von Bedeutung. Mit zunehmender Feinskaligkeit der Teil-komponenten der Vulnerabilität steigt somit entsprechend der Bedarf zur Beteiligung von Stakehol-dern (vgl. Lexer et al. 2012: 60).

Qualitative Analysemethoden, die subjektives Wissen von Akteuren herausarbeiten und für die Vul-nerabilitätsanalyse nutzen, sind häufig dem Vorwurf einer fehlenden Wissenschaftlichkeit ausge-setzt. Sie können jedoch gleichzeitig auch als besondere Stärke des Prozesses ausgelegt werden.

Sofern von allen Beteiligten akzeptiert wird, dass lokale oder regionale Vulnerabilitäten stark von den ortsspezifischen Eigenschaften abhängen, lässt sich daraus folgern, dass Methoden, die diese Orts- und Kontextabhängigkeiten zu erfassen vermögen einen substanziellen Erkenntnisgewinn für den Prozess erbringen können. Es darf an dieser Stelle jedoch nicht von einer Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Regionen ausgegangen werden. Wie gezeigt, kann die Kombination von quantitativen und qualitativen Analyseelementen dazu beitragen die jeweiligen Schwächen auszu-gleichen und den Prozess insgesamt zu stärken und voranzubringen. Dies gilt auch für die Ableitung von Indikatoren zur Vulnerabilitätsbestimmung. Vor allem auf der lokalen Ebene ist für die Bildung aussagekräftiger Vulnerabilitätsindikatoren eine problemorientierte und ortsspezifische Bottom up Vorgehensweise wichtig, um die Besonderheiten des jeweiligen Ortes oder Naturraumes abbilden zu können. Dabei ermöglichen es qualitative Indikatoren relevante Determinanten der Vulnerabilität, welche zwar beobachtbar aber dennoch nicht direkt messbar sind, einer formalisierten Bewertung zugänglich zu machen (vgl. Lexer et al. 2012: 70ff).

Als Qualitätsanforderung an partizipative regionale Klimafolgen- und Vulnerabilitätsanalysen sehen es Lexer et al. als wichtig an, die Herkunft der qualitativen Informationen, deren Verarbeitung in der Analyse sowie ihren Einfluss auf die späteren Bewertungsergebnisse durch eine entsprechend ausreichende Dokumentation nachvollziehbar und transparent zu halten. Nur so lassen sich eventu-elle Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Ergebnisse ausräumen, aber auch die Nachvollziehbar-keit und somit die Akzeptanz auf Seiten der beteiligten Akteure erhöhen. Blackbox-Bewertungen, bei denen nicht klar ist wie die Ergebnisse zustande kamen, sollten vermieden werden (vgl. Lexer et al. 2012: 76).