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P RÄDIKTION DER SUBJEKTIVEN T ODESNÄHE AUS DER SUBJEKTIVEN P ROGNOSE

11.3 D IE SUBJEKTIVE W AHRNEHMUNG DER E RKRANKUNGSSITUATION UND DIE SUBJEKTIVE

11.3.2 P RÄDIKTION DER SUBJEKTIVEN T ODESNÄHE AUS DER SUBJEKTIVEN P ROGNOSE

• Einfluß der subjektiven prognostischen Einschätzung auf die subjektive Todesnähe bei maligne und benigne Erkrankten?

• Steigerung des Einfluß der subjektiven Prognose auf die subjektive Todesnähe für die rezidiviert Erkrankten?

• Wichtigste Prädiktoren zur Vorhersage der subjektiven Todesnähe maligne und benigne Erkrankter sowie in den Subgruppen erstdiagnostiziert und rezidiviert Erkrankter?

Vorhersage der subjektiven Todesnähe aus der subjektiven Prognose. Die Vorhersage der subjektiven Todesnähe gelang für die Stichprobe der Krebspatienten zu T1 und T2 durch alle Fragen der subjektiven Prognose durchaus zufriedenstellend.

Interessant war, dass sich die Vorhersagekraft der sowohl zu T1 als auch T2 erhobenen

Prädiktoren für die subjektive Todesnähe zu Messezeitpunkt T2 leicht steigerte. Dies kann wie immer zum einen natürlich ein Zufallsbefund unter Berücksichtigung der geschrumpften Stichprobe sein, aber zum anderen könnte dies auch wieder einen besonderen Zusammenhang abbilden.

Die subjektive Prognoseschätzung bei Aufnahme in die Klinik würde dann erst nach Ablauf einer gewissen Zeit mit der subjektiven Todesnähe einher gehen, ähnlich den Zusammenhängen von subjektiver Todesnähe und der objektiven somatischen Befunde. Direkte Vergleichsstudien wurden dazu nicht gefunden. Eventuell könnte die Verzögerung wieder etwas mit dem bereits diskutierten, über die Zeit hinweg steigenden Bewusstsein für die Implikationen der Erkrankung zu tun haben (vgl. Lesko 1983). Auch Hinton (1999) fand in einer Gruppe von 66 terminalen Krebspatienten ja ein zunehmendes Bewusstsein für den nahenden Tod über die Zeit von acht Messungen bis zum Tod hinweg.

Subgruppenanalyse erstdiagostiziert und rezidiviert Erkrankter. Der Split der Patienten erbrachte einen Zugewinn an Information über die von der fortschreitenden Erkrankung beeinflussten Zusammenhänge zwischen der subjektiven Prognose und der subjektiven Todesnähe.

Für die Patienten mit einer Erstdiagnose ließ sich nämlich die subjektive Todesnähe zum einen nur noch zu Messzeitpunkt T1 vorhersagen und zum anderen sank die Vorhersagekraft der drei Prädiktoren der subjektiven Prognose bezüglich der subjektiven Todesnähe gegenüber den Rezidivpatienten um 6-9%. Im Gegensatz dazu stieg bei den Rezidivpatienten die Vorhersagekraft der Prädiktoren subjektive Heilungschancen und der Lebensbedrohlichkeit für die subjektive Todesnähe um das zwei- bis dreifache. Der subjektive Krankheitsverlauf T1 wiederum veränderte sich in seiner Vorhersagekraft auch bei den Rezidivpatienten kaum und wurde sogar zu T2 nicht mehr signifikant. Zusammengenommen wiesen die subjektiven Prognoseschätzungen der Erstdiagnostizierten bei der Aufnahme in die Klinik nur schwach - aber noch signifikant - auf die subjektive Todesnähe hin, während man bei den Rezidivpatienten von deren Vorstellungen zur Heilbarkeit und Lebensbedrohlichkeit ihrer Erkrankung sowohl bei der Aufnahme in die Klinik, als auch nach ein paar Wochen Krankenhausaufenthalt relativ gut auf die Präsenz des Todesthemas schließen kann.

Zusätzlich war bei den Rezidivpatienten wie bei der Gesamtgruppe der Krebskranken zu beobachten, dass sich die subjektive Todesnähe T2 prospektiv, d. h. nach im Schnitt sieben Wochen besser durch die zu T1 eingeschätzten subjektiven Heilungschancen (T1=62% vs.

T2=54%) und der Lebensbedrohlichkeit (T1=47% vs. T2=40%) vorhersagen ließ als durch die zu T2 geschätzten. Einschränkend muss bei den Rezidivpatienten allerdings auf die geringe Stichprobenzahl (n=10-11) im Retest und damit auf die eingeschränkte Generalisierbarkeit der Ergebnisse hingewiesen werden.

Gemeinsames Prädiktormodell zur Vorhersage der subjektiven Todesnähe

Maligne Erkrankte. Nach Einbeziehung aller signifikant gewordenen soziodemographischen und medizinischen Prädiktoren sowie der Prädiktoren der subjektiven Prognose ergab sich für die

subjektive Todesnähe bei der Gesamtgruppe aller Krebspatienten ein stark reduziertes Vorhersagemodell. So sagten nur noch die drei Faktoren der subjektiven Prognose die subjektive Todesnähe T1 vorher. Sie bewiesen damit mehr Vorhersagekraft als die medizinischen Parameter.

Nach ein paar Wochen Krankenhausaufenthalt vermochte jedoch dann der Allgemeinzustand die Vorhersage der subjektiven Todesnähe T2 am besten zu treffen und verbannte alle anderen Prädiktoren aus dem Modell.

Dass die Stärke des medizinischen Prädiktors zu T2 gegenüber den Prädiktoren der subjektiven Prognose so hervortritt, ist wahrscheinlich auf die in der Gesamtgruppe der Krebspatienten fast doppelt so hoch vertretenen Erstdiagnostizierten zurückzuführen. In dieser Gruppe war der Allgemeinzustand nämlich bereits in der einfachen Regressionsanalyse als einziger Prädiktor für die subjektive Todesnähe T2 aufgetreten.

Subgruppen der erstdiagnostiziert und rezidiviert Erkrankten. Nach dem Split der Gesamtgruppe der Krebspatienten in die Gruppen "Erstdiagnose-Rezidiv" zeigte sich denn auch bei den Erstdiagnostizierten der Allgemeinzustand als einzig verbliebener Prädiktor für die Vorhersage der subjektiven Todesnähe zu T2. Für den Zeitpunkt T1 konnte der subjektiv eingeschätzte Krankheitsverlauf und die subjektive Lebensbedrohlichkeit bei den Erstdiagnostizierten die Varianz der subjektiven Todesnähe am besten aufklären. Bei den Rezidivpatienten zeigten sich die Prädiktoren der subjektiven Heilungschance T1 und der subjektiven Lebensbedrohlichkeit T1 vorne liegend und konnten gemeinsam mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit die subjektive Todesnähe zu T1 (52%) und zu T2 (76%) vorhersagen.

Nicht lebensbedrohlich Erkrankte (Kontrollgruppe). Bei den benigne Erkrankten war aufgefallen, dass die negative prognostische Sicht von Heilungschancen und Krankheitsverlauf – die sich signifikant von den Krebspatienten unterschied – keine Todesgedanken vorhersagen konnte.

Anzunehmen ist aus den vorliegenden Ergebnissen, dass sich dieser Zusammenhang nur durch das gleichzeitige Vorliegen einer als lebensbedrohlich gesehenen Erkrankung wie z. B. Krebs zeigt. So hatten 96% der benigne Erkrankten ihr Leben auch wenig bis überhaupt nicht von ihrer Erkrankung bedroht gesehen. Dies war eine weitere Bestätigung, dass nur unter dem Vorliegen einer objektiven Lebensbedrohung das Empfinden einer ungünstigen Prognose vermehrt zu Todesgedanken führt. Lediglich die abnehmende Erwerbstätigkeit war bei den benigne Erkrankten als Prädiktor für die subjektive Todesnähe übrig geblieben. Das Alter war im gemeinsamen Prädiktormodell redundant geworden und anzunehmen ist, dass durch die mit dem Alter abnehmende Erwerbstätigkeit beide Prädiktoren fast deckungsgleiche Informationen beinhalteten.

Zusammengenommen können die Ergebnisse zur gemeinsamen Vorhersage der subjektiven Todesnähe so interpretiert werden, dass alle subjektiven prognostischen Einschätzungen der Patienten das Gefühl der subjektiven Todesnähe besser vorhersagen, als alle objektiven Krankheitszeichen oder die ärztlichen Einschätzungen zur Heilbarkeit oder zum Therapieerfolg.

Allein aus der Kenntnis von prognostisch besonders ungünstigen Krankheitsaspekten oder besonders risikoreichen Behandlungsstrategien konnte in der vorliegenden Stichprobe noch nicht

umfassend auf die subjektive Todesnähe geschlossen werden. Die kognitive Repräsentation der Tumordiagnose scheint damit, was auch schon Verres (1986) betonte, entscheidender als z. B. der körperliche Zustand zu sein. Dieses Ergebnis verweist damit deutlich auf die Wichtigkeit vor allem der subjektiven Einschätzung der Situation als Katalysator für die Gedanken an den Tod.