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11.2 D IE SUBJEKTIVE T ODESNÄHE IN DER G ESAMTSTICHPROBE IM V ERGLEICH

11.2.2 A NALYSE DES G ESAMTSCORES " SUBJEKTIVE T ODENÄHE "

• Verteilung des Gesamtscores "subjektive Todesnähe" bei maligne und benigne Erkrankten?

• Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen und im Vergleich von Erst- und Retest?

• Soziodemographische Einflüsse (Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Erwerbstätigkeit, Kinderanzahl, Partnerschaft) auf den Gesamtscore "subjektive Todesnähe"?

• Einflußfaktoren der objektiven Krankheitssituation (Fortschreiten der Erkrankung, Diagnosen, Therapie, Allgemeinzustand nach Karnofsky, Abstand zur Erstdiagnose, Therapieerfolg entsprechend des Remissionsstatus, Versterben während der Studie) auf den Gesamtscore

"subjektive Todesnähe"?

Gesamtscore im Erst- und Retest. Die Bildung des Gesamtscores "subjektive Todenähe" erzeugte eine leichte Verstärkung der gefundenen Effekte. Es zeigte sich der schon unter den Einzelitems beschriebene Effekt der signifkant höheren subjektiven Todesnähe bei der maligne erkrankten Stichprobe. Darüberhinaus liess sich durch die Bildung des Gesamtscores ein signifikanter Unterschied zwischen dem Erst- und Retest abbilden.

Die signifikante Senkung der subjektiv empfundenen Nähe zu Tod und Sterben über die Zeit hinweg wurde begleitet von einer größtenteils optimistischeren Einschätzung der Prognose sowie von einer Verbesserung der psychischen Befindlichkeit. Entsprechend scheint es, dass die Patienten im Verlauf der Zeit weniger an den Tod denken und sie sich nicht mehr so belastet fühlen. Anzunehmen ist, dass dieses positiver geprägte Stimmungsbild auf einer funktionalen

Abwehr belastender Gedanken, die Adaptation an die Situation fördernd durch das „think positive – Prinzip".

Einflüsse von Alter und Geschlecht auf die subjektive Todesnähe. Die vorliegenden Studienergebnisse zeigen eine mit dem Alter signifikant steigende subjektive Todesnähe, wobei bei den maligne Erkrankten der Zusammenhang eher leicht und bei den benigne Erkrankten stärker ausfällt.

Vergleichsuntersuchungen liegen leider wieder nur zu den Konstrukten der Todesfurcht vor.

Lonetta & Templer (1986) sichteten Studien zu Einflüssen des Alters auf die "Death Anxiety" und fanden heterogene Ergebnisse. Ochsmann (1993, S. 62), der sich eingehendst mit der Todesfurcht auseinandersetzte, merkt dazu an, dass in den meisten Untersuchungen bislang "keine bedeutsame Beziehung zwischen der Todesfurcht und dem Lebensalter" gefunden wurde. In neueren Untersuchungen, u. a. von Drolet (1990) mehrten sich jedoch die Hinweise, dass die Todesfurcht mit dem Alter abnimmt.

Dies lässt nun eigentlich keine direkten Rückschlüsse auf die subjektive Todesnähe zu, indirekt könnte jedoch auf eine gewisse Abhängigkeit der Todesgedanken vom natürlichen Näherrücken des Lebensendes geschlossen werden. Dafür sprach auch der bei den benigne Erkrankten stärker vorliegende Zusammenhang, da in deren Situation ja keine lebensbedrohliche Erkrankung die Gedanken an einen vorzeitigen Tod altersunabhängig ausgelöst hätte. Erwähnt werden sollten hier auch noch der positive Zusammenhang von subjektiver Todesnähe und Erwerbstätigkeit bei den maligne Erkrankten, der auch für ein Zusammenwirken von natürlichem Alterungsprozess mit sukzessiver Verringerung der Erwerbstätigkeit und dem Gefühl eines näher rückenden Lebensendes spricht.

Weiter ergaben sich in der vorliegenden Untersuchung interessanteGeschlechterunterschiede. So schätzten sich die lebensbedrohlich erkrankten Frauen sowohl im Erst- als auch im Retest (im Retest aber ohne Signifikanz) weniger todesnah ein als die Männer, während bei den benigne Erkrankten im Ersttest genau das umgekehrte Verhältnis zu finden war.

Leider lassen sich auch bezüglich des Geschlechts nicht direkt vergleichbare Untersuchungen finden und relevante Studien deuten nur auf eine gewisse Geschlechtsspezifität bei den Gedanken an den Tod hin. Ältere Zusammenhangsuntersuchungen von Todesfurchtskalen und Geschlecht zeigen inkonsistente Ergebnisse hinsichtlich geschlechtsabhängiger Todesfurcht (Ochsmann 1993), in Studien jüngeren Datums lassen sich Hinweise auf eine höhere Todesfurcht bei Frauen finden (u. a. Dattel & Neimeyer 1990; Glass 1990). Postuliert man nun einen engen Zusammenhang zwischen den Gedanken an den Tod und dem Gefühl der Angst – welcher sich durch die Ergebnisse der Studie bestätigt -, könnte man durch die vermehrten Todesgedanken und dem Gefühl der Todesnähe bei den nicht lebensbedrohlich erkrankten Frauen von einem der Normalbevölkerung vergleichbaren Ergebnis ausgehen, das sich bei den maligne Erkrankten unter einer direkten Bedrohung umkehrt. Frauen würden sich dann weniger mit dem Tod beschäftigen, wenn sie sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden.

Krebskranke Frauen fühlen in der vorliegenden Studie nicht nur weniger Todespräsenz als die Männer, sie leiden wohl auch deshalb etwas weniger unter Angst und Depression (allerdings ohne signifikanten Unterschied). Wie immer stellt sich dabei allerdings die Frage, ob sie es einfach besser schaffen, die Todesbedrohung zu verdrängen und/oder durch funktionale Adaptation einfach weniger daran denken. Aus der Analyse der Krankheitsverarbeitung ergaben sich keine weiteren Erkenntnisse, da sich zum einen in subjektiver Todesnähe nur der depressive Krankheitsverarbeitungsstil signifikant zeigte und dieser zum anderen bei Männern und Frauen fast identische Korrelationsstärken aufweist.

Grundsätzlich scheinen Frauen aber nach einer Untersuchung von Hinton (1999), den Tod eher zu akzeptieren. So lagen in seiner Stichprobe von 66 objektiv todesnahen terminalen Patienen (Altersmittelwert ca. 58 LJ) die Frauen in der Akzeptanz des Todes höher als die Männer. Auch die Ergebnisse von Chochinov (2000) mit 200 älteren (MW=71 LJ) terminalen Patienten weisen auf eine höhere Verdrängung der Todesgedanken bei Männern hin.

Einflüsse der Erkrankungssituation auf die subjektive Todesnähe. Zum Beginn des Krankenhausaufenthalts (Messzeitpunkt T1) liess sich die subjektive Todesnähe aus der erfassten somatischen Situation für die Gesamtgruppe der maligne Erkrankten nicht vorhersagen. Erst zu Messzeitpunkt T2 homogenisierte sich die Stichprobe dann etwas mehr und schätzte die Präsenz des Todesthemas höher ein, wenn der Therapieerfolg abnahm, der Allgemeinzustand schlechter wurde, wenn die Ärzte die Erkrankung als potenziellnicht (mehr) heilbar einschätzten, der zeitliche Abstand zur Erstdiagnose groß war oder wenn die Patienten mit einem Rezidiv in die Klinik kamen.

Der Unterschied zwischen Messzeitpunkt T1 und T2 kann sich natürlich aus der Besonderheit der im Retest gemessenen Subgruppe ergeben, denkbar ist aber auch eine Beeinflussung durch die differenziertere Betrachtung der Situation über die Zeit hinweg, in der die Erfahrungen und Beobachtungen aus der Klinik und die Veränderungen des Krankheitswissens mit einfließen. Dass das Gefühl der Patienten dem Tod subjektiv näher zu rücken bei einem schlechterem Allgemeinzustand sowie bei einem Rezidiv nicht falsch war, beweist das Ergebnis der post-hoc Analyse der Gruppe der Verstorbenen, in der diese Variablen mit als Risikofaktoren auftraten.

Für eine umfassendere und realistischere Einschätzung der Situation durch die Patienten über die Zeit hinweg sprach auch die gesichtete Literatur. Demnach kann zu Beginn des Krankenhausaufenthalts von einer Überforderungssituation ausgegangen werden, in der die Patienten die Krankheitssituation in ihrem Ausmaß und ihren Implikationen nicht richtig zu begreifen scheinen (vgl. Lerman et al. 1993).