• Keine Ergebnisse gefunden

Im Verlauf einer hämato-onkologischen Erkrankung gibt es nach Kerekjarto (1982) sukzessive krisenhafte Situationen, die für den Patienten sehr bedrohlich sein können und ihm ein hohes Maß an Adaptionsfähigkeit abfordern. Diese umfassen die Wahrnehmung der ersten Symptome, die diagnostische Abklärung und die Diagnoseeröffnung, die Therapieentscheidung und den Beginn der Behandlung, die Beurteilung der Behandlungsergebnisse, das Eintreten eines Rezidivs und die Behandlungsentscheidung, zunehmende körperliche Einschränkungen und die Zeit der terminalen Phase (ebd.). Im Vergleich dazu ergaben die Studienergebnisse nach Lesko (1983), dass insbesondere Rezidive, Episoden von Sepsis*, der Krankenhausaufenthalt, die Isolation (notwendig bei Knochenmark- und Stammzelltransplantation) und die Nebenwirkungen der Behandlung dem Patienten psychologisch sehr zusetzen können. Faller (1998) hat als besonders kritische Ereignisse für den Patienten die Diagnosestellung, die Therapieerfolgsbeurteilung sowie das Wiederauftreten der Erkrankung im Sinne eines Rezidivs beurteilt. The et al. (2001) beschrieben in ihrer Studie existentielle Krisen bei Diagnoseeröffnung, beim Auftreten eines Rezidivs und bei Therapieresistenz. Entsprechend wurden einige kritische Ereignisse des Krankheitsverlaufs ausgewählt und hinsichtlich ihrer psychologischer Implikationen diskutiert.

Wahrnehmung der ersten Symptome. Schon die Wahrnehmung der ersten Symptome kann bei einem Teil der Patienten Ängste vor einer schweren Erkrankung auslösen. Untersuchungen weisen z. B. darauf hin, dass es nicht ausschließlich an ungenügender Aufklärung und Unwissenheit liegt, wenn Patienten bei ersten Krankheitszeichen nicht frühzeitig medizinischen Rat einholen, sondern

dass psychologische Prozesse für die Diagnoseverzögerung mit verantwortlich sind (Andersen 1990, 1995). Bis der Patient sich aufgrund unerklärbarer Symptome zur Inanspruchnahme eines ärztlichen Rates entscheidet, kann die mangelnde Einsicht über das wahrscheinliche Vorliegen einer Erkrankung (= Wahrnehmungsverzögerung) und die Vermeidung des Arztbesuchs (=

Verhaltensverzögerung) zu einer deutlichen Behandlungsverzögerung führen (ebd.).

De Nooijer et al. (2001) untersuchten die Inanspruchnahme ärztlicher Untersuchung (= „help-seeking behavior“) der Krebspatienten sehr differenziert und unterschieden das Verhalten in adäquate und verzögerte Konsultation von ärztlicher Diagnostik. Bei den Patienten mit einer deutlichen Verzögerung der Inanspruchnahme des ärztlichen Dienstes zeigten sich drei Faktoren, die dafür verantwortlich waren. Erstens das Informationsdefizit über die Warnsignale einer Krebserkrankung (vgl. American Cancer Society 2000), zweitens die Angst davor und die Vermeidung der drohenden Bestätigung einer Krebsdiagnose sowie drittens das fehlende Vertrauen in die ärztliche Behandlung.

Diagnose einer Krebserkrankung. Entscheidet sich der Patient dann zur medizinischen Abklärung, stellen der diagnostische Prozess und die endgültige Diagnosestellung einen starken Belastungsfaktor dar (Kerekjarto 1982). Gerdes (1985) umschrieb es als einen Sturz aus der normalen Wirklichkeit und gibt damit sehr treffend die Qualität der Lebensveränderung wieder. Mit einem Schlag ist nichts mehr so wie es einmal war. Der Patient ist plötzlich mit einem Ereignis konfrontiert, das je nach Schweregrad einen tiefgreifenden Einschnitt in sein bisheriges und starke Konsequenzen für sein weiteres Leben bedeutet. Bestätigt wird dies auch durch die Forschung von Sellschopp (1989), wonach es auch für geheilte, langzeitüberlebende Patienten ein schwerer Weg ist zurück ins normale und "banale" Leben.

Die Hälfte der Patienten berichtet nach Diagnosemitteilung im ersten Moment über einen Schockzustand (Faller 1998) und dann in der quantitativen Reihenfolge über diffuse Ängste und über Scham-, Todes-, Trennungs-, Schuld- und Verletzungsangst. Ein wichtiger Aspekt scheint u.

a. bei der psychologischen Auseinandersetzung mit der Erkrankung die zwischenmenschliche Kompetenz des Arztes bei Diagnosemitteilung zu sein. Mager & Andrykowski (2002) fanden langfristig bei der Untersuchung von Brustkrebspatientinnen eine bessere Anpassung an die Erkrankungssituation, wenn der Arzt sich fürsorglich und empathisch zeigte.

Dass die Qualität und sicherlich auch die Quantität der entgegengebrachten Emotionen und Informationen eine wichtige Rolle spielen, darauf weisen auch einige Studien (Hyodo et al. 1999;

Montgomery et al. 1999) hin, die z. B. nach der Einholung des „informed consent“ durch den Arzt einen Anstieg von ängstlicher und auch depressiver Stimmung feststellten. Da der Arzt aber vor Beginn der Behandlung die Einverständniserklärung (= „informed consent“) einzuholen hat und dazu hinreichend über die Erkrankung, den Therapieplan, Effekte der Behandlung und mögliche Komplikationen informieren sollte, kann es für ungeschulte Ärzte schwierig sein, das Aufklärungsgespräch inhaltlich hinreichend, aber nicht überinformierend zu gestalten. In dem Wunsch, den Patienten in die Therapieentscheidung im Sinne des relativ neuen Ansatzes des

„shared-decision-making“ (vgl. O´Connor et al. 2001) miteinzubeziehen, kann manchmal eine

Überinformation entstehen, die sich ungünstig auf die Krankheitsbewältigung des Patienten auswirken kann (Meerwein 1983, 1985; Meyer 1983). Zudem scheinen die Patienten in der Phase der Unsicherheit Atmosphärisches oder Unausgesprochenes besonders stark wahrzunehmen, sozusagen „zwischen den Zeilen zu lesen“ (Köhle & Simons 1989).

Optimalerweise sollte ein Arzt gut einschätzen lernen, wieviel der Patient über die Implikationen der Erkrankung und die Prognose wirklich wissen will. Nach Krohne (1993) lassen sich zwei Patiententypen klassifizieren: Erstens die Patienten, denen ein Maximum an Wissen Sicherheit verschafft (= Sensitizer) und zweitens jene, die möglichst wenig bedrohliche Informationen bekommen wollen (= Repressor) und ihre Sicherheit aus dem Nicht-Wissen beziehen. Der Arzt kann dazu bei der Gesprächsgestaltung nach einer Studie von Lutfey & Maynard (1998) auch auf die kommunikativen Signale der Patienten bauen. Gerade bei extrem schwierigen Mitteilungen an den Patienten – wie z. B. dass es keine therapeutische Intervention (mehr) gibt – gestalten die Patienten den Gesprächsverlauf maßgeblich mit, indem sie dann nachfragen, wenn sie mehr wissen wollen und dort schweigen, wo sie keine weiteren Details mehr wünschten. Zu berücksichtigen ist dabei, wie auch Bron (1987, S. 1) in seiner sehr praxisbezogenen und informativen Überblicksarbeit zur „Wahrheit am Krankenbett“ betont, dass die ärztliche Aufklärung immer vor dem Hintergrund einer differenzierten Beurteilung der individuellen Situation des Patienten erfolgen muss.

Beginn der Behandlung und Therapieerfolg. Da z. B. akute Leukämien eine sehr schnelle Einleitung der therapeutischen Maßnahmen notwendig machen und sogar einzelne Tage über das Therapieergebnis entscheiden können (Lesko 1989), fehlt oft die Zeit, sich ausreichend auf das Bevorstehende vorzubereiten. Die Entscheidung für eine Behandlung bedürfte eigentlich eines sorgfältigen Abwägens zwischen dem zu erwartenden Erfolg und dem zu "zahlenden Preis".

Zudem durchleben Patienten während dieser Zeit meist eine Phase des mangelnden Vertrauens in den eigenen Körper und zum anderen sind sie mit Therapiemaßnahmen konfrontiert, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten (Faller 1998). Nicht die Erkrankung selbst bedingt anfangs die Verschlechterung des Allgemeinzustands, sondern meist die zahlreichen Nebenwirkungen der Behandlung. So ist zu beobachten, dass die Patienten trotz der Zustimmung zur lebensrettenden Maßnahme die Applikation der Therapie häufig sehr ambivalent erleben.

Angst und eine zwiespältige Einstellung können die Verträglichkeit der Chemotherapie maßgeblich mit beeinflussen (Keller 1993). Ein Beispiel dafür ist die problematische Spaltung von Kognition und Affekt, wenn auf der einen Seite Zustimmung auftritt und auf der anderen Ablehnung. Als anschauliches Beispiel dafür sind die antizipatorischen Nebenwirkungen zu betrachten, die Übelkeit, Erbrechen, depressive und ängstliche Stimmung schon vor dem eigentlichen Beginn der Chemo- oder Strahlentherapie hervorrufen und bei ca. jedem viertem Krebspatienten zu finden sind. Diese Symptome wurden zwar lange primär auf lerntheoretische Mechanismen zurück geführt, inzwischen werden allerdings auch u. a. bewusste und unbewusste Erwartungs- und Abwehrhaltungen als entscheidende Faktoren angenommen (Morrow 1991; Larbig & Tschuschke 2000; Ekert 2001).

Daneben ist die Situation im Krankenhaus für die Patienten zunächst neu und ungewohnt. Die Vielzahl diagnostischer Maßnahmen und die Einpassung in vorbestimmte Abläufe mit der plötzlichen starken Beschränkung von Autonomie und Individualität können Angst und Wut hervorrufen (Keller 1993).

Eine Enttäuschung stellt insbesondere bei den ausschließlich chemo- oder strahlentherapeutisch behandelten Patienten die Rückmeldung über das mitunter auftretende Versagen der eingeleiteten therapeutischen Intervention dar. Die Hoffnung, die euphorisch aufgebaut wird, fällt in sich zusammen und macht einem ersten Anerkennen der ungünstigen Prognose Platz. Zwar kann die Hoffnung bei einem Wechsel zu einem neuen Therapieschema wieder aufkeimen, scheint aber dann geringer ausgeprägt zu sein (The et al. 2001).

Grundsätzlich gehören die hämato-onkologischen Patienten auch im späteren Verlauf der Erkrankung selten zu den „austherapierten“ Fällen und sind damit abzugrenzen von anderen Krebserkrankungen. Da für den Großteil der Diagnosen dieser Erkrankungsgruppe eine Heilung potenziell erreicht werden kann, gibt es selten ein bewusstes Absetzen der aktiven intensivmedizinischen Maßnahmen (Jäger & Knuth 1996). Versagt eine Therapie, gibt es gewöhnlich einen Wechsel zu einer anderen Strategie. Eine terminale Phase ist bei hämato-onkologischen Patienten deshalb selten explizit als solche definiert. Die Beibehaltung therapeutischer Interventionen bis zum Ende ist sicherlich auch durch die starke Therapieorientierung der Patienten mitbedingt (The et al. 2001). Eine Studie von Balmer et al.

(2001) ergab sogar, dass sich ein Großteil der Krebspatienten, mit einer minimalen Erfolgswahrscheinlichkeit von 0.1% oder 1-2%, noch einer palliativen* Chemotherapie mit erheblichen Nebenwirkungen unterziehen würden.

Auch scheint die Rückmeldung über Erfolg oder Versagen einer Therapie bislang keinen überzeugenden signifikanten Zusammenhang zum psychischen Befinden gezeigt zu haben und gehört somit nicht unbedingt mit zu den gravierendsten Belastungen während der Krebserkrankung und wird wohl individuell sehr heterogen verarbeitet (Ell et al. 1989; Faller 1998).

Auftreten eines Rezidivs. Diagnose und Einleitung der Therapie bei einem erneuten Auftreten der Erkrankung erfolgen bei hämato-onkologischen Systemerkrankungen meist wieder stationär. Die Patienten stehen bei einem Rezdiv wieder am Anfang einer belastenden und häufig auch aggressiveren, nebenwirkungsreicheren Therapie. Das Wiederauftreten der Erkrankung kann den Verlust der Hoffnung auf vollständige Heilung und eine gewisse Skepsis gegenüber den therapeutischen Maßnahmen bewirken (Bron 1987). Die Erkrankung ist in die chronische Phase eingetreten und Heilung ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr möglich. Die Phase der objektiven Bestätigung der Wiedererkrankung scheint damit zu einer zunehmenden Anerkennung der Lebensbedrohung zu führen und infolge dessen die Stimmungslage zu verschlechtern. Darauf weisen u. a. die erhöhten Depressionswerte (Andersen 1990) bei einem Rezidiv hin. Auch Faller (1998) stellte bei der Untersuchung der Krankheitsverarbeitung beim Auftreten eines Rezidivs eine erhöhte Belastung in der emotionalen Befindlichkeit und eine Hoffnungsabnahme fest.

Ausgehend von der Schwere der Belastungen in den einzelnen Phasen bzw. Krisensituationen des Krankheitsverlaufs, sieht Kerekjarto (1982) an drei Zeitpunkten einen besonderen Betreuungsbedarf bei Krebspatienten: in der Phase der Diagnose, beim Auftreten eines Rezidivs und in der terminalen Erkrankungssituation.

Für die Patienten mit hämato-onkologischen Systemerkrankungen leiten sich daraus untersuchungsrelevante Belastungsspitzen für die Zeit der Diagnosestellung und beim Auftreten eines Rezidivs mit Wiederbeginn der Behandlung ab. Eine terminale Phase lässt sich, wie dargestellt, für diese Patienten nicht so explizit definieren und dürfte somit einen weniger starken Effekt im Sinne von Todesgedanken und absinkender psychischer Befindlichkeit mit sich bringen.