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11.4 D IE SUBJEKTIVE T ODESNÄHE UND DAS PSYCHISCHE B EFINDEN

11.4.4 E MOTIONALES W OHLBEFINDEN UND SPIRITUELLE L EBENSQUALITÄT

• Allgemeine Lebensqualität (einschließlich der spirituellen Lebensqualität) bei maligne und benigne Erkrankten im Vergleich?

• Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen und im Vergleich von Erst- und Retest?

• Einfluß bekannter soziodemographischer und krankheitsbezogener Faktoren?

• Allgemeine Lebensqualität (einschließlich der spirituellen Lebensqualität) in der Subgruppenanalyse der erstdiagnostiziert und rezidiviert Erkrankten?

• Vorhersage des Gesamstscores der Lebensqualität sowie des emotionalen und des spirituellen Wohlbefindens aus der subjektiven Todesnähe?

• Steigerung der Vorhersagekraft der subjektiven Todesnähe für den Gesamstscore der Lebensqualität sowie des emotionalen und des spirituellen Wohlbefindens aus der subjektiven Todesnähe bei den rezidiviert Erkrankten?

• Spirituelle Krisengedanken der maligne erkrankten Patienten?

Verteilung des Gesamtscores der Lebensqualität und der Subskalen in der Gesamtstichprobe (M-B) und den Subgruppen (ED-Rez). Der Gesamtscore der Lebensqualität lag bei den maligne Erkrankten Patienten leicht, aber nicht signifikant höher als bei den benigne Erkrankten. Obwohl dies bei der genaueren Betrachtung auf die signifikant schlechtere Lebensqualität der Patienten mit Erkrankungen des Bewegungsapparates in den Subskalen des körperlichen Wohlbefindens und der Funktionsfähigkeit zurück geführt werden kann, gehen die Befunde einer subjektiv hohen Lebensqualität Krebskranker mit den Ergebnissen anderer Studien einher (vgl. Bush 1995;

Schumacher 1996).

Für die maligne Erkrankten verbesserte sich die emotionale Lebensqualität über die Zeit hinweg sogar noch signifikant. Dies lag aber nach der Subgruppenanalyse vor allem an den Patienten mit Erstdiagnose. Sie zeigten nämlich sowohl im Gesamtscore der Lebensqualität als auch in den Subskalen des emotionalen und körperlichen Wohlbefindens eine signifikante Steigerung über die Zeit hinweg, die bei den Rezidivpatienten nicht zu erkennen war. Dass sich die Lebensqualität der Krebspatienten trotz der Applikation einer toxisch wirkenden Chemotherapie nicht einschränken muss, ist auch aus anderen Studien bekannt (vgl. Coates et al. 1987; Richards et al. 1992).

Die reduzierte Lebensqualität der benigne Erkrankten auf den beiden Subskalen

„Funktionsfähigkeit“ und „körperliches Wohlbefinden“ war aufgrund der meist durch Schmerzen verursachten Einschränkung der Bewegungsfähigkeit und der einher gehenden Funktionseinschränkungen nachvollziehbar. Die weiteren Subskalen des emotionalen Wohlbefindens, des Verhältnises zu Freunden, Bekannten und Familie und des spirituellen Wohlbefindens waren bei den Krebspatienten und den benigne Erkrankten wieder fast gleich verteilt.

Weiter war in der Subgruppenanalyse bei den Erstdiagnostizierten ein signifikant besseres Verhältnis zu Freunden, Bekannten und der Familie als bei den Rezidivpatienten festzustellen, welches sich aber zu Messzeitpunkt T2 nicht replizieren ließ.

Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Diagnose und Abstand zur Erstdiagnose (vgl. Krischke &

Petermann 1993) zeigten sich für die Gruppe der Krebspatienten nicht signifikant, während sich bei den benigne Erkrankten eine schlechtere psychische Befindlichkeit im Gesamtscore der Lebensqualität und im emotionalen Wohlbefinden erkennen ließen, die die Ergebnisse aus der Analyse der HAD-Scale bestätigte.

Im Vergleich mit der Evaluationsstichprobe (466 Krebspatienten mit heterogenen Diagnosen) des FACT-G von Cella et al. (1993) zeigten die Skalen der maligne erkrankten Studienpatienten fast deckungsgleiche Werte und unterstrichen damit die Repräsentativität der gefundenen Ergebnisse.

Die spirituelle Lebensqualität, die Fitchett et al. (1996) in einer Stichprobe von 1119 Krebspatienten und HIV-Infizierten untersuchten, lag mit einem Mittelwert von 39.1 (SD=7.8) deutlich höher als in der vorliegenden Stichprobe (MW=32.3, SD=7.5). Da aber der Mittelwert der Gruppe der benigne Erkrankten (MW=31.0, SD=9.5) der vorliegenden Studie auf der Skala „Spirituelles Wohlbefinden“

sich nur sehr leicht von dem der maligne Erkrankten unterschied, wurde angenommen, dass evtl.

die gemischte Stichprobenzusammensetzung sowie ethnische und religiöse Spezifitäten der

angloamerikanischen Stichprobe für den Unterschied verantwortlich sein könnten. Bezüglich der ethnischen Unterschiede zeigte nämlich z. B. eine Studie von Moadel et al. (1999), daß Afroamerikaner oder Lateinamerikaner mehr spirituelle Bedürfnisse äusserten, als Angloamerikaner. Eine Studie von Cotton et al. (1999) wiederum, die den FACIT-Sp einer Gruppe von Brustkrebspatientinnen (n=142) vorlegten, fand ähnliche Mittelwerte wie die vorliegende Studie (MW=28.34, SD=9.24) und lässt die Ergebnisse der vorliegenden Studie wieder als im Rahmen befindlich erscheinen.

Prädiktion des Gesamtscores der Lebensqualität sowie des emotionalen und spirituellen Wohlbefindens aus der subjektiven Todesnähe (Gesamtstichprobe/ ED-Rez). Wieder zeigte sich für die Gruppe der nicht lebensbedrohlich Erkrankten, dass Gedanken an den Tod keine Einschränkungen in der Lebensqualität mit sich bringen. Damit bestätigten sich die bereits mit der HAD-Scale und der Krankheitsverarbeitung gefundenen Ergebnisse der ohne direkte Lebensbedrohung nicht nachweisbaren Auswirkung von Todesgedanken auf die psychische Befindlichkeit.

Für die maligne Erkrankten wurde im Gegensatz dazu ein vergleichsweise hoher Zusammenhang zwischen subjektiver Todesnähe und Lebensqualität sichtbar. So konnten aus der subjektiven Todesnähe T1 sowohl die zu T1 als auch prospektiv die zu T2 erhobenen Zielvariablen der Lebensqualität gut vorher gesagt werden. Zum Messzeitpunkt T2 zeichnete sich ein fast gleiches Bild ab, wobei auffiel, dass jeweils das zu T2 gemessene emotionale Wohlbefinden durch die subjektive Todesnähe T1/T2 am besten vorhergesagt werden konnte.

In der Subgruppenanalyse ließen sich keine bedeutsamen neuen Erkenntnisse gewinnen. Zwar zeigte sich für den Messzeitpunkt T2 bei den Rezidivpatienen eine besonders gute Vorhersagekraft der subjektiven Todesnähe bei gleichzeitiger Reduktion des Effekts bei den Erstdiagnostizierten, doch dies bestätigte eher die bereits bei der Analyse der HAD-Scale gefunden Ergebnisse.

Ein auffallender Unterschied zeigte sich jedoch darin, dass die spirituelle Lebensqualität bei den Rezidivpatienten nicht mehr aus der subjektiven Todesnähe vorhergesagt werden konnte. Dies lag wohl mit daran, dass für die Rezidivpatienten nur ein Item der Skala „spirituelle Lebensqualität“

signifikant mit der subjektiven Todesnähe korrelierte. Dieses Item deckte auf, dass die Rezidivpatienten ihr Vertrauen in die positive Entwicklung der Zukunft parallel zu den sich mehrenden Gedanken an den Tod verloren. Der steigende Pessimismus und die sich darin abzeichnende Hoffnungslosigkeit bestätigt die vorab gefundenen Ergebnisse.

Spirituelle Lebensqualität der Krebspatienten in subjektiver Todesnähe. Auffallend war, dass sich für die Erstdiagnostizierten das Bild der Krisengedanken in Zusammenhang mit der Präsenz des Todesthemas noch relativ einheitlich gestaltetet. In subjektiver Todesnähe lebten sie signifikant weniger in Frieden mit sich selbst, fanden weniger Trost, hatten Mühe innere Ruhe und Harmonie zu finden und sahen weniger Grund zu leben oder Sinn im Leben. Daneben stieg bei ihnen mit den Todesgedanken ebenso der Pessimismus bzgl. der Zukunft, wenn auch etwas weniger als bei den Rezidivpatienten.

Aus den detaillierten Beschreibung der Items ist leicht zu ersehen, dass - wie durch verschiedenen Studien bereits nachgewiesen (u. a. Brady et al. 1999; Cotton et al. 1999) - positive Assoziationen zu Maßen der Lebensqualität und der psychischen Befindlichkeit auftreten.

Trotzdem gehen sie dabei über die Abbildung Befindlichkeiten sowie die Bennung spezifischer Problembereiche hinaus (Angst vor der Therapie etc.) und vermitteln dem Untersucher umfassendere „Grundbedürfnisse". Dass lebensbedrohlich Erkrankte spirituelle Bedürfnisse haben, wurde natürlich nicht erst in den letzten Jahren mit der Entwicklung der Messinstrumente thematisiert. Der Geistliche, der in jedem großem Allgemeinkrankenhaus Patienten zur Verfügung steht, gehört wohl sehr lange schon mit zum Erscheinungsbild einer Klinik. Das Denken an eine Miteinbeziehung des spirituellen Wohlbefindens oder ggf. des daraus resultierenden Betreuungsbedarfs in die Therapieplanung wäre aber eine sehr fortschrittliche Neuauflage der ursprünglichen Verknüpfung von Medizin, Psychologie und Spirituellem, wie es für viele Jahrtausende in der schamanischen Heiltradition zu finden war oder noch ist (vgl. Yensen 1996).

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist weiterhin bekannt, dass die Spiritualität während der Erkrankung z. B. das Ertragen von Schmerzen (Cassel 1991) oder die Bewältigung der Erkrankung (u. a. Halstead & Fernsler 1994; Post-White et al. 1996) mit beinflussen kann. Auch nach Antonowsky (1987) ist die Wahrnehmung eines Sinns im Leben mit eine der wichtigsten Bewältigungsstrategien, wenn Probleme auftreten.

Zusammengenommen gibt es damit zum einen einige Studien, die aufzeigen, welche additive Information die spirituelle Lebensqualität zum Gesamtbild des Befindens eines Patienten beitragen kann, zum anderen kann daraus natürlich ein Betreuungsbedarf abgeleitet werden. Für die vorliegende Studie war die spirituelle Lebensqualität nun vor allem in Zusammenhang mit dem Auftreten von Todesgedanken interessant und ließ gerade bei Erstdiagnostizierten mehr über die Art der Krisengedanken erkennen.