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11.3 D IE SUBJEKTIVE W AHRNEHMUNG DER E RKRANKUNGSSITUATION UND DIE SUBJEKTIVE

11.3.1 D IE E INSCHÄTZUNG DER SUBJEKTIVEN P ROGNOSE IM V ERGLEICH

• Verteilung der subjektiven Einschätzungen der Heilbarkeit, der Lebensbedrohlichkeit und des Krankheitsverlaufs bei maligne und benigne Erkrankten im Vergleich?

• Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen und im Vergleich von Erst- und Retest?

• Soziodemographische Einflüsse (Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Erwerbstätigkeit, Kinderanzahl, Partnerschaft) auf die subjektive Prognose?

• Einflußfaktoren der objektiven Krankheitssituation (Fortschreiten der Erkrankung, Diagnosen, Therapie, Allgemeinzustand nach Karnofsky, Abstand zur Erstdiagnose, Therapieerfolg durch Remissionsstatus, Versterben während der Studie) auf die subjektive Prognose?

• Wichtigste Prädiktoren der subjektiven Prognose?

Subjektive Einschätzung von Heilbarkeit, Krankheitsverlauf und Lebensbedrohlichkeit

Die maligne Erkrankten schätzten subjektiv ihre Erkrankung signifikant als heilbarer ein als die Patienten mit Erkrankungen des Bewegungsapparates und bewerteten ihre Heilungschancen am häufigsten als "eher gut". Bis zum Retest stieg diese Einschätzung noch signifikant bis zu "sehr gut".

Ähnlich stellte sich die subjektive Einschätzung des Krankheitsverlaufs dar. Zum einen zeigten die maligne Erkrankten wieder eine signifikant positivere Einschätzung ihrer Situation als die benigne Erkrankten und zum anderen schätzten sie den Krankheitsverlauf im Retest wieder signifikant verbessert ein, 45% der Patienten sahen sogar eine starke Verbesserung darin.

67% der Krebspatienten schätzten ihre Erkrankung dann trotzdem als lebensbedrohlich ein und

33% als „eher wenig“ bis „überhaupt nicht“ lebensbedrohlich. Hier unterschieden sich die benigne Erkrankten erwartungsgemäß von den maligne Erkrankten und fanden sich zu 95% in den Kategorien des „eher wenig lebensbedrohlich“ bis „überhaupt nicht lebensbedrohlich“ wieder mit einem deutlichem Gewicht auf letzterem. Das Gefühl der Lebensbedrohlichkeit verringerte sich bei den Krebspatienten zwar wieder leicht im Verlauf der Zeit, allerdings mit nicht signifikantem Ausmaß.

Zusammengefasst verringerte sich die subjektive Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung mit der Dauer des Krankenhausaufenthalts, das subjektive Gefühl die eigene Krankheit sei heilbar nahm zu und der Krankheitsverlauf wurde im Verlauf der Zeit positiver bewertet.

Aussagekräftiger konnte man die Ergebnisse noch durch die Aneinanderreihung der am häufigsten besetzten Kategorien der prognostischen Einschätzungen zu T1 und T2 gestalten. Ausformuliert ließe sich dies für die maligne Erkrankten zu T1 folgendermaßen fassen:

„... der Krebs ist zwar eher lebensbedrohlich, aber es bestehen ja auch eher gute Heilungschancen und mir geht es doch schon etwas besser“.

Zu T2 würde dies dann lauten:

„... die Krankheit ist eigentlich nur wenig lebensbedrohlich, hat sehr gute Heilungschancen und ich sehe schon eine starke Verbesserung“.

Über diese Einschätzung zu Messzeitpunkt T2 könnte man fast vergessen, dass dahinter Krebspatienten stehen, die sich akut in der Klinik zur Erst- oder Wiederbehandlung ihrer Krebserkrankung befinden. Wieder fällt ein ungewöhnlicher Optimismus der Selbsteinschätzung der gesamten Stichprobe der maligne Erkrankten auf. Inwieweit auch ein geringes Krankheitsbewusstsein als Ursache mit ins Gewicht fällt, ist so nicht zu sagen. In der Studie von Morasso et al. (1997) wurde zumindest bei rund 28% der Patienten eine gänzliche Unbewußtheit über die Implikationen der Erkrankung gefunden.

Versucht man nun weiter, die subjektive Einschätzung der Patienten mit den objektiven Daten zu vergleichen, kann man zumindest eine parallele – wenn auch nicht korrelativ verknüpfte – Erhöhung des Allgemeinbefindens nach Karnofsky und des subjektiven Krankheitsverlaufs beobachten. Die subjektive Einschätzung der Heilbarkeit wiederum entspräche zumindest der laut Literatur größtenteils vorhandenen objektiven Chance, die hämato-onkologischen Systemerkrankungen durch den Beginn der Therapie zumindest kurzfristig in den Zustand der Remission zurückzudrängen, in dem keine Krankheitszeichen mehr nachgewiesen werden können.

Dafür spricht auch der gute Therapieerfolg einer partiellen bis kompletten Remission bei den meisten Patienten, der schon durchschnittlich sieben Wochen (Messzeitpunkt T2) nach Beginn erhoben werden konnte. Allerdings muss hier einschränkend auf die noch nicht beurteilbaren Patienten, zu diesem Zeitpunkt fast ein Drittel, hingewiesen werden.

Über den Krankheitsverlauf und die potenziellen Heilungsquoten der Patienten mit Erkrankungen des Bewegungsapparates ist in der Studie nichts bekannt und so kann keine Aussage über den

Realitätsgehalt von deren Einschätzungen getroffen werden. Auffallend ist jedoch, dass das Antwortverhalten der benigne Erkrankten z. B. bei der subjektiven Heilbarkeit im Gegensatz zu der extrem positiven Einschätzung (spitzgipfelige, linksschiefe Verteilung) der maligne Erkrankten normal verteilt und mit der größten Häufigkeit bei "eher gute" Heilungschancen auch nicht sehr pessimistisch gefärbt war. Geht man davon aus, dass die Annahme einer Nicht-Heilbarkeit bei den benigne Erkrankten sich subjektiv nicht so bedrohlich wie im Falle einer Krebserkrankung darstellt, hätten diese Patienten auch nicht so viele Gründe für die Abwehr dieses Gedankens und könnten auf die Frage unbeeinflusster und unbefangener antworten.

Soziodemographische und medizinische Prädiktoren der subjektiven Prognose. Bei den benigne Erkrankten zeigten sich keine Unterschiede in der subjektiven Prognose durch soziodemographische Variablen.

Bei den Krebspatienten insgesamt stieg mit dem Alter die subjektive Einschätzung der Lebensbedrohlichkeit T1 und die der Heilungschancen T1 nahm ab.

Aus medizinischer Sicht spielt das Alter als Prognosefaktor bei den einzelnen Erkrankungen sicherlich eine Rolle (vgl. Zeller et al. 1995; Herold 2001; Preiß et al. 2002) und grundsätzlich ist ein höheres Lebensalter bei belastenderen Therapien wie der KMT ein deutlicher Risikofaktor.

Aggressivere Therapien mit höherer Wahrscheinlichkeit auf Rezidivfreiheit können bei fortgeschrittenerem Alter mitunter nicht mehr durchgeführt werden. Insofern ergibt sich daraus auch eine geringere objektive Heilbarkeit. Die Ergebnisse der Studie scheinen hier also plausibel, aber aufgrund der jeweils individuell zu betrachtenden Situation kann keine generelle Aussage getroffen werden. Darüber hinaus wurde das Alter nur zu einem Messzeitpunkt signifikant und redundant bei Einbeziehung in das gemeinsame Vorhersagemodell der subjektiven Prognose. Als weiteres Ergebnis fand sich bei maligne Erkrankten mit Teilzeitbeschäftigung die höchste subjektive Heilungschance zu T1, aber auch dieser ohnehin schwache Prädiktor bestand nicht im gemeinsamen Vorhersagemodell neben den medizinischen Faktoren.

Hinsichtlich der Geschlechterunterschiede zeichnete sich bei den krebskranken Männern eine signifikant stärkere subjektive Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung ab. Diese Ergebnis bestätigte damit auch die von den Männern stärker empfundene subjektive Todesnähe. Dieser Zusammenhang wird nachfolgend in Zusammenhang mit den Daten zu Geschlechterunterschieden der psychischen Befindlichkeit weiter erläutert.

Zur Vorhersage der subjektiven Prognoseschätzungen aus den medizinischen Faktoren wurde mehrfach die Variable "Erstdiagnose/ Rezidiv" signifikant, die auch nach multipler Regressionsanalyse als stärkster Prädiktor für die Heilungschancen T1/T2 sowie den Krankheitsverlauf T1/T2 auftrat. So konnte die Zuordnung zur Subgruppe der rezidiviert erkrankten Krebspatienten eine negativere Einschätzung des subjektiven Krankheitsverlaufs und der Heilungschancen zu T1 und T2 vorhersagen. Dieses Ergebnis wird auch durch Studien bestätigt, die ebenso eine abnehmende Hoffnung auf Heilung beim Auftreten eines Rezidivs und mehr Skepsis gegenüber Therapien feststellten (vgl. Bron 1987; Faller 1998).

Die subjektiv positivere Einschätzung der Heilungschancen zu T1 konnte durch die ärztliche Einschätzung als "heilbar" gefördert werden, wobei die Vorhersagekraft mit 6% eher gering war.

Dies ist im Grunde genommen nicht weiter erstaunlich, da 81% der während des Studienzeitraums verstorbenen Krebspatienten grundsätzlich von den Ärzten als "heilbar" eingestuft worden waren.

Daneben ließen sich die Verstorbenen nicht signifikant durch die ärztliche Einschätzung der Heilbarkeit von den Lebenden unterscheiden. Zusammengenommen zeichnet sich damit auch im Prädiktormodell zur Aufklärung der gemeinsamen Varianz hinsichtlich der subjektiven Heilungschancen T1 der Beitrag der ärztlichen Voreinschätzung als "heilbar" neben dem objektiven Auftreten eines Rezidivs als relativ gering ab.

Weiter empfanden sich die Patienten zu T1 als weniger heilbar, je größer der Abstand zur Erstdiagnose war. Diese Ergebnis dürfte stark durch die Rezidivpatienten beeinflusst sein, da bei ihnen zum einen die Erstdiagnose zeitlich länger zurücklag und sie sich zum anderen als bereits rezidiviert Erkrankte als weniger heilbar empfanden.

Ähnlich scheint es sich auch mit dem gefunden Zusammenhang von subjektiver Heilbarkeit und dem Kriterium des Therapieerfolgs zu verhalten, da die Rezidivpatienten signifikant schlechtere Therapieerfolge aufwiesen.

Auch der bei T2 gefundene Zusammenhang von subjektiver Heilbarkeit und Allgemeinzustand ließe sich so erklären, da die Rezidivpatienten einen signifikant schlechteren Allgemeinzustand aufwiesen. Zusammengenommen wurden die Prädiktoren "Abstand zur Erstdiagnose",

"Therapieerfolg" und "Allgemeinzustand" für die Aufklärung der Varianz der subjektiven Heilungschancen dann auch redundant.

Die höhere subjektive Lebensbedrohlichkeit derKMT-Patienten wurde bereits unter dem Abschnitt

"Prädiktoren der objektiven und subjektiven Todesnähe im Vergleich" diskutiert.