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Das Krankheitswissen über Art und Therapie der Erkrankungen sowie die Bewusstheit über die einher gehenden Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und das weitere Leben, sind bei Krebskranken noch nicht sehr häufig untersucht worden. Wurde eine Untersuchung durchgeführt, erfolgte dies bislang primär qualitativ, anhand von Interviews, mit nachfolgendem Expertenrating zum Grad des Krankheitsbewusstseins (vgl. Morasso et al. 1997; Hinton 1999). Das qualitative Interview als Methode der Wahl zur explorativen Untersuchung eines Konstrukts hat allerdings den Nachteil, dass nicht der Patient selbst eine direkte Einschätzung zu etwas abgibt, sondern der Experte dies nach seiner Interpretation tut und somit eine weitere potenzielle Fehlerquelle einbaut.

Darüber hinaus gibt es bis jetzt noch keine übereinstimmende Definition, welche Variablen das Konstrukt des Krankheitsbewusstseins (= „illness awareness“) genau beinhaltet. Unterschieden wurden in Studien bislang das Wissen über die Art und Behandlung der Erkrankung sowie das Bewusstsein für die eigene Prognose (Morasso et al. 1997). Die qualitativ sehr heterogen erfassten Aussagen lassen dabei keinen standardisierten Vergleich der Studienergebnisse zu.

Krankheitswissen. Der gut informierte Patient spielt auch in der Onkologie eine immer wichtigere Rolle. Bislang dachte man dem Krankheitswissen vor allem eine wichtige Rolle bei der Krankheitsverarbeitung zu, indem man annahm, dass der informierte Patient eher eine günstige, aktive Verarbeitungsstrategie an den Tag legt. Inzwischen wird das Krankheitswissen des Patienten immer mehr zum bedeutsamen Faktor auch im Hinblick auf eine vermehrte Einbeziehung der Patienten in die Therapieentscheidung (= „shared-decision-making“; vgl.

O´Connor et al. 2001). Ziel ist es, durch die aktive Miteinbeziehung des Patienten in die therapeutischen Entscheidungen (neben der aktiven Krankheitsbewältigung), Verantwortungsübernahme für die eigene Heilung und die Behandlungscompliance im Patienten zu fördern (Verres 1990). Allerdings scheinen Krebspatienten durch die Tragweite der Diagnose mitunter so überfordert zu sein – angenommen werden dürfte, dass dies vor allem in der Zeit nach der Erstdiagnose der Fall ist - dass sie selbst nach extensiver Information und Aufklärung durch medizinisches Personal nicht unbedingt ein umfassendes Krankheitswissen entwickeln (Lerman et al. 1993) und es oft mehrerer Gespräche bedarf, bis sie die medizinischen Informationen

internalisiert haben (Lesko 1983). Faktoren der Persönlichkeit des Patienten spielen dabei neben den interpersonell kommunikativen und den inhaltlichen Aspekten beim Informationsaustausch eine Rolle (Morasso 1988).

Prognostisches Bewusstsein der Patienten. Bei der Einschätzung der eigenen Prognose dürfte das spezifische Krankheitswissen wichtig sein, aber ebenso bedeutsam könnten dabei z. B.

Vorerfahrungen mit einer Krebserkrankung durch die Beobachtung anderer, das Vertrauen in die Behandler, der psychophysiologische Allgemeinzustand oder persönlichkeitsabhängige Faktoren sein. Will man wissen, wie realistisch ein Patient seine Erkrankung sieht, mag es informativer sein, direkt die subjektive Prognoseeinschätzung zu erfassen.

Der Begriff der Prognose wird - wie bereits erwähnt - in psychologischen Studien für eine Vielzahl unterschiedlicher Variablen verwendet. In qualitativen Interviews fließen dort so unterschiedliche Variablen wie u. a. wieder das Krankheitswissen, subjektive Einschätzungen zum Ernst einer Erkrankung und der verbleibenden Zeit bis zum Tod ein. Auf der Basis der relativ heterogen anmutenden Erfassung fand Chochinov (2000) bei 73.5% einer Gruppe von terminalen Hospitzpatienten ein vollständiges Krankheitsbewusstsein, während Hinton (1999) dies nur bei 42% einer Stichprobe von Hospitzpatienten feststellen konnte. Insgesamt scheint häufig ein sog.

„middle knowledge“, also ein mittleres Krankheitsbewusstsein, präsent zu sein (Bron 1987).

Auch die Befunde darüber, welche Auswirkungen das Krankheitsbewusstsein auf das Befinden der Patienten hat, sind recht heterogen. Chochinov (2000) fand eine höhere Depressionsrate bei den Patienten, die ihre Prognose eher verleugneten als anerkannten; Hinton (1999) stellte ein schwache Verknüpfung von Angst und Krankheitsbewusstsein und keinen Zusammenhang zur Depression fest. Im Überblick betrachtet, scheinen die inhomogenen Konstruktoperationalisierungen einen Vergleich der Studien kaum zuzulassen. Differenziert werden sollte das Krankheitsbewusstsein (= „awareness“) noch von der Akzeptanz (= „acceptance“) der eigenen Erkrankung, der Strategie mit ihr umzugehen (= „coping“) und der Anpassung an die Erkrankungssituation (= „psychological adjustment“).

Sieht man die subjektive Prognoseeinschätzung der Patienten nun als Essenz des momentanen Krankheitsbewusstseins, sollte man sich zuerst der Definition der Prognose in seinem Ursprung in der Medizin zuwenden. Dort werden unter dem Begriff der Prognose grob zwei Faktoren subsummiert: zum einen die Chance auf kurzfristiges (= Ansprechrate auf Therapie) oder langfristiges (= Heilungsrate) Zurückdrängen der Erkrankung und die Wahrscheinlichkeit nach einem relevanten Zeitraum (meist fünf Jahre) noch am Leben zu sein (Hiddemann 2000; Herold 2001). Entsprechend kann seitens der Behandler eine statistische Einschätzung erfolgen, wie wahrscheinlich die Heilung oder wie hoch das Risiko, die nächsten fünf Jahre zu überleben, ist.

Analog dazu wird in dieser Studie die subjektive Prognoseeinschätzung der Patienten bezüglich Heilungschancen und Lebensbedrohlichkeit durch ein Selbstrating, auf der Basis von visuellen Analogskalen quantitativ vergleichbar und ohne interpretativen Zwischenschritt, erhoben.

Prognostisches Urteil des Arztes. Für die medizin-psychologische Begleitung von Krebskranken dürfte vor allem das prognostische Urteil des Patienten selbst über seine Erkrankung von Belang sein, da davon sicherlich der größte Einfluss zu erwarten ist und es zudem als das Resultat aus den unterschiedlichen Informationsquellen verstanden werden kann.

Nichtsdestotrotz stellt die Information des behandelnden Arztes über die Erkrankung einen wesentlichen Einflussfaktor für die Meinungsbildung der Patienten dar (Christakis & Lamont 2000).

Von daher wäre die kommunikationspsychologische Kongruenz zwischen dem, was der Arzt zu vermitteln sucht und was beim Patient ankommt, sehr interessant. Die Untersuchung dieser Fragestellung ist allerdings im klinischen Alltag nicht einfach. Indirekt kann aber aus Untersuchungen zum prognostischen Realismus des Arztes geschlossen werden, welche prognostischen Erwartungen seine Gespräche leiten. Aktuelle Studien ergaben eine systematische ärztliche Überschätzung der Überlebenszeit bei terminalen Krebspatienten (Christakis & Lamont 2000; Christakis 1999). Auch in früheren Studien wurden die prognostischen Fehleinschätzungen bereits dokumentiert (vgl. Mackillop & Quirt 1997; Heyse-Moore & Johnson-Bell 1987; Parkes 1972). Entsprechend ist davon auszugehen, dass die meisten Patienten eher ein überoptimistisches Bild über die Prognose ihrer Erkrankung erhalten.

In die Kommunikation zwischen Arzt und Patient fließt die geschätzte Überlebenszeit nach klinischer Beobachtung aber sehr selten direkt mit ein und wird meist nur auf Nachfrage - und dann eher ungern – abgegeben. Anders ist es um die potenzielle Heilbarkeit der Erkrankung bestellt. Da die Frage nach der potenziellen Heilbarkeit bei hämato-onkologischen Systemerkrankungen meist recht positiv beantwortet werden kann und Patienten für diese Information sehr dankbar scheinen, wird dies gerne und häufig direkt kommuniziert.

Für die vorliegende Studie wird deshalb erfasst, welche prognostische Einschätzung die Ärzte von den vorliegenden malignen Erkrankungen der Studienpatienten haben. Damit soll indirekt erhoben werden, welche Einschätzungen in die Kommunikation zwischen Arzt und Patient von ärztlicher Seite wahrscheinlich miteinfließen.

3.3 Zusammenfassung

Patienten durchleben während den einzelnen Phasen des Krankheitsverlaufs meist mehrere krisenhafte Zeitabschnitte, in denen sie trotz der potenziell guten Heilungschancen mit der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung konfrontiert werden.

Näher betrachtet umfasst dies u. a. die Zeit der Wahrnehmung der ersten Symptome, in der Patienten eine frühzeitige Inanspruchnahme ärztlicher Dienstleistungen mitunter versäumen.

Ebenso stellt die Diagnosestellung eine Zeit schwerer Belastung dar, die mit einer Reihe verschiedenster Ängste einher geht. Eine besondere Rolle kommt dabei der zwischenmenschlichen Kompetenz des behandelnden Arztes zu. Als weitere belastende Situationen sind der häufig als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit empfundene Behandlungsbeginn und die begleitenden Nebenwirkungen bedeutsam. Obwohl das Versagen der eingeschlagenen Behandlungsstrategie enttäuschend sein kann, scheint es jedoch ganz

besonders bei den hämato-onkologischen Patienten, durch die oft fast bis zum Ende beibehaltene Chemotherapieapplikation, wenig finale Desillusionierung mit direkt proportional abnehmender psychischer Befindlichkeit zu geben. Im Gegensatz bewirkt das Auftreten eines Rezidivs deutlichere Befindlichkeitseinbußen.

Bezüglich des Krankheitsbewusstseins der Patienten kann als moderierender Faktor das Krankheitswissen herangezogen werden, das zwar auf der einen Seite bezüglich der gemeinsamen Therapieentscheidung zwischen Arzt und Patienten in der Forschung an Bedeutung gewinnt, aber andererseits Einschränkungen bei der Diagnose einer Krebserkrankung ausgesetzt ist. Als weiterer Bestandteil des Krankheitsbewusstseins fließen die subjektiven Vorstellungen der Patienten zur Prognose ein, welche wiederum durch persönlichkeitsabhängige und somatische Aspekte mitbedingt sind. Die Auswirkungen des Krankheitsbewusstseins auf die psychische Befindlichkeit sind bislang, wohl auch durch die uneinheitliche Operationalisierung des Konstrukts bedingt, heterogen. Angelehnt an die ärztliche Operationaliserung der Prognose erfolgt die Einschätzung der subjektiven Prognose der Patienten durch die Heilungschancen, die Lebensbedrohlichkeit und den Krankeitsverlauf.

Als wichtiger Faktor für die prognostische Meinungsbildung der Patienten treten weiter die Informationen des Arztes auf, die durch eine eher überoptimistische Erwartungshaltung beeinflusst sind.

4 Das psychische Befinden der Krebspatienten

Im Verlauf der letzten Jahre wurden eine Reihe psychoonkologischer Studien durchgeführt, die einen relativ guten Überblick über typische psychische Belastungen bei Krebspatienten geben können (vgl. Lesko, Massie & Holland 1993; Muthny, Koch & Stump 1993; Roth & Holland 1998;

Faller 1998, 1999). Nachfolgend werden daraus die psychosozialen Belastungen der Patienten durch die körperliche Beeinträchtigung, die Bedrohung des Selbstbilds und der Rollenfunktion, der Autonomieverlust und die existentielle Bedrohung durch den Tod beschrieben.

Darüber hinaus erfolgt die Darstellung der für die Untersuchung relevanten und wichtigsten Erkenntnisse zur Krankheitsverarbeitung, zur Angst und Depressivität sowie zu allgemeinen und spezifischen Aspekten der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Krebskranken im Überblick.