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Die Krankheitsverarbeitung war lange Zeit aufgrund des angenommenen Einflusses der Bewältigungsstrategien auf die Überlebenszeit im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. So gilt bis heute eine kämpferische Einstellung als günstig und Selbstaufgabe und Hilflosigkeit als ungünstig (Pettingale 1984; Greer et al. 1979, 1991; Tschuschke et al. 1999). Der günstige Effekt von aktiver Krankheitsverarbeitung auf die Überlebenszeit wird inzwischen auch kritisch gesehen und konnte in Replikationsstudien (z. B. von Buddeberg et al. 1991, 1996) und nach Fallers (1997a) sowie Petticrews (2002) umfassenden Literaturüberblicken zum Thema nicht überzeugend bestätigt werden. Fallers (1997b) eigene methodisch sehr anspruchsvolle Untersuchung an 103

Bronchialkarzinompatienten, bei denen bekannte somatische Risikofaktoren und Prädiktoren präzise mit berücksichtigt wurden, bestätigten jedoch wieder den positiven Einfluss von aktiv problemorientiertem Coping auf die Überlebenszeit. Als signifikant ungünstig zeigten sich emotionale Belastung, Depressivität und depressives Coping. Entsprechend scheint die heutige Annahme eines aktiv-problemorientierten Umgangs mit einer chronischen Erkrankung als wünschenswert und eines hilflos-passiven Coping-Stils im Sinne von Resignation, Aufgeben, Grübeln, Hoffnungslosigkeit und Selbstanklage als ungünstig, was sich auch durch Heims (1998) umfangreiche Sichtung von 1500 Studien als gerechtfertigt erweist.

Allerdings löst der Einfluss der Bewältigungsstrategien auf die Outcome-Variablen der Lebensqualität und des emotionalen Wohlbefindens die herkömmlichen Studien zur Überlebenszeit immer mehr ab. So fanden z. B. Burgess et al. (1988; vgl. auch Lesko 1989) eine geringere psychologische Morbidität bei aktiv konfrontierender Krankheitsverarbeitung und hoher internaler Kontrollüberzeugung, während Symptome von Angst und Depression mit hoffnungs- und hilflosen Copingreaktionen einhergingen. Ähnliche Hinweise fanden sich u. a. bei Faller et al. (1994) und Harrer et al. (1993). Zu beachten ist bei der Zusammenhangsanalyse von psychosozialer Adaptation und Krankheitsverarbeitung die statistische Abhängigkeit der Variablen, deren Konfundierung ohne geeignete Methodik wahrscheinlich ist (Faller 1994).

Coping. Der Begriff Krankheitsverarbeitung ist nach Heim (1986, S. 367) definiert als die

„Gesamtheit der Prozesse, um bestehende oder erwartete Belastungen im Zusammenhang mit Krankheit emotional, kognitiv oder aktional aufzufangen, auszugleichen oder zu meistern“. Dabei werden nicht nur die qualitativen und quantitativen Aspekte des Stressors der Erkrankung berücksichtigt, sondern vor allem, wie sich der Mensch auf den verschiedenen Ebenen damit auseinandersetzt und wie er damit umgeht (= coping).

Der Begriff „Coping“ stammt aus der Stressforschung, wobei als bekanntester Vertreter Richard S.

Lazarus zu nennen ist (Lazarus & Launier 1978; Lazarus & Folkman 1984; vgl. auch Broda 1990;

Hasenbring 1990). Nach Lazarus entsteht Stress, wenn die Anforderungen einer Situation die Anpassungsfähigkeiten – bzw. fertigkeiten eines Individuums sehr beanspruchen oder übersteigen.

Der dabei ablaufende Bewertungsprozess wird in drei Bewertungsformen eingeteilt. Die primäre Bewertung (= „primary appraisal“) bezieht sich dabei auf die Bedeutung des Ereignisses als unwichtig, günstig oder ungünstig, während die zweite Bewertung (= „secondary appraisal“) nach der Überprüfung der verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten die Einschätzung der Bedrohung beinhaltet. Bei der Neubewertung (= „reappraisal“) erfolgt ein fortlaufender Abgleich von situativer Anforderung und dem Erfolg bisheriger Bewältigungsmaßnahmen, um eine adäquate Adaption zu ermöglichen.

Variabilität und Stabilität von Krankheitsverarbeitung. Das vorausgehend beschriebene Modell lässt viel Raum für die Vorstellung von Verhalten als variabel und dynamisch. Als moderierende Faktoren beschreibt Lazarus (1993) somit auch ereignisbezogene Faktoren (z. B. Schwere der

körperlichen Erkrankung, Prognose, Behandlungsstrategie), Aspekte der Persönlichkeit und der Lebensgeschichte und das soziale Umfeld (z. B. soziale Integration und Unterstützung). Die Frage der Variabilität oder Stabilität von Krankheitsverarbeitung wurde entsprechend in den letzten Jahrzehnten extensiv untersucht und hinterließ in Bezug auf Krebspatienten aber heterogene Ergebnisse (Schulte 1995). Wie schon aus den theoretischen Ausführungen ersichtlich, dürfte es interpersonell relativ unterschiedlich ausfallen, welches Verhalten bei der Begegnung mit einer chronischen Erkrankung dominiert. Es fanden sich aber nicht nur individuelle Unterschiede, sondern auch homogene Befunde bei der Zuordnung zu einzelnen Erkrankungsgruppen, wie den Herzinfarkt- und Krebspatienten. So zeigten letztere eine deutlich ausgeprägtere Verleugnung und mehr das Gefühl von Unkontrollierbarkeit (Beutel 1988a). Auch Somerfield & Curboch (1992) betonen, dass viele krankheitsbedingte Belastungen bei chronischen Erkrankungen relativ überdauernd und resistent gegen Lösungsversuche sind und damit evtl. die Stabilität in der Krankheitsverarbeitung unterstützt wird. Nichtsdestotrotz finden sich inkohärente Befunde. Am übereinstimmendsten scheint zwischen den Studien noch, dass bei Krebspatienten die Verleugnungstendenzen mit dem Fortdauern der Erkrankung seltener werden, während eine akzeptierende oder auch resignative Haltung zunimmt (Schulte 1995).

Bewältigungsstrategien von Krebspatienten. Das frühe Lazarus-Modell der Stressbewältigung betonte die kognitive und problemzentrierte Dimension der Krankheitsverarbeitung. Im Verlauf der Zeit hat sich Lazarus jedoch immer mehr der affektiven Verarbeitung zugewandt und beschreibt nach Heim (1998), in seiner „cognitive-motivational-relational theory of emotion“ Coping als Mediator von Emotionen, was aber noch nicht ausreichend empirisch unterlegt ist.

Der emotionale Aspekt betont das psychoanalytische Konstrukt der Abwehr, das früher als zentral für die Begegnung eines Menschen mit der Krebserkrankung galt. Die Abwehr ist dabei als der unbewusste Versuch zu verstehen, unlustbetonte Gefühle wie z. B. Angst, Schmerz, Kränkung, Scham, Schuld zu vermindern. In neueren Konzepten wird die Abwehr als ein das psychische Wohlbefinden aufrechterhaltender Regulationsmechanismus verstanden (Steffens & Kächele 1988;

Rüger et al. 1990), der innerhalb gewisser Grenzen unerlässlich ist. Faller (1998) beschreibt Verleugnung und das "Nicht-wahrhaben-Wollen" der Krankheit und ihrer Folgen als den am häufigsten beschriebenen Abwehrmechanismus bei lebensbedrohlich Erkrankten. Die Abwehr ist vor allem als eine Art „Notfallreaktion“ zu verstehen, die der adäquaten Bewältigung der Erkrankung vorausgeht, kurzfristig entlastet und den Betroffenen in die Lage versetzt, realitätsbezogen zu handeln.

Längerfristig präsent scheint Verleugnung aber die Verarbeitung der Erkrankung eher zu verhindern. Das Konzept der Abwehr ist nach empirischer Prüfung als Adaptationsstrategie belegt und in der Copingforschung unter den Bewältigungsstrategien wie Wunschdenken, Rückzug und Grübeln zu finden (Heim 1998).

Von zahlreichen Autoren wurden die einzelnen Bewältigungsformen mittels Faktorenanalse inhaltlich relativ übereinstimmend zu verschiedenen Skalen bzw. Bewältigungsstrategien zusammengefasst (Heim 1998). Obwohl verschiedene Erhebungsinstrumente benutzt wurden und

sich infolgedessen die Terminologie der Autoren unterscheidet, ließ sich jedoch das wesentliche Spektrum der Möglichkeiten, mit chronischen Erkrankung umzugehen, abbilden. Muthny & Koch (1997) haben in einer aufwendigen Untersuchung über 1000 Krebskranke mit Bronchial-, Kolon-oder Blutkrebs befragt und fanden zwischen den Erkrankungsgruppen kaum Unterschiede und übergreifend Bestätigung für die Skalen des Freiburger Fragebogens zur Krankheitsverarbeitung (FKV; Muthny 1989). Die Ergebnisse verschiedener Studien lassen annehmen, dass zumindest im Bereich der Krebsforschung vergleichbare Grundstrategien von den Patienten eingesetzt werden.

Nachfolgend seien an ausgewählten Studien und in Anlehnung an die Überblicksarbeit von Heim (1998, S. 327) die häufigsten Krankheitsverarbeitungsstrategien dargestellt:

Tabelle 3: Ausgewählte Krankheitsverarbeitungsstrategien im Überblick Muthny & Koch 1997

Aktiv-problemorientiert

Bagatelisieren/

Wunschdenken

Ablenken/

Selbstaufbau

depressive Verarbeitung

Heim 1997 aktive

Selbstkontrolle

Verleugnen Ablenken negativ-emotional

Faller 1994 aktives Herangehen Distanzieren Hadern

Lazarus 1993 selfcontrol/

confrontive

distancing escape-avoidance

Shapiro 1992 confrontive aviodant accepting-resigned

Greer 1991 fighting spirit denial helpless hopeless

Ergänzt werden könnte noch die Bewältigungskomponente, die Lazarus (1993) „social support“

und die andere Autoren z. B. Unterstützung oder Trost nennen. Muthny (1989) hat zudem noch Items zur Erfassung der Bewältigungsstrategie „Religiosiät und Sinnsuche“ in seine Kurzform des FKV mit aufgenommen.

Krankheitsverarbeitung in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf einer lebensbedrohlichen Erkrankung. In der besonderen Situation einer lebensbedrohlichen Erkrankung und einem wahrscheinlich durch den Verlust der Gesundheit vorzeitig eintretenden Tod hat die schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1969) mit ca. 200 terminalen Patienten begleitende Gespräche geführt. Dabei stellte sie immer wieder einen phasenhaften Verlauf der adaptiven Gefühlshaltungen und Bewältigungsstrategien bei den Patienten fest.

Die erste Phase ist nach dieser Beobachtung gekennzeichnet durch das nicht Wahrhaben wollen und Isolierung, wenn der Betroffene die Tatsache der Todesbedrohung bestreitet und Informationen, die diese bestätigen, ablehnt (Wittkowski 1990). Dies erinnert auch an das psychoanalytische Konzept der "Notfallreaktion" der Abwehr (vgl. Faller 1998). Phase zwei ist gekennzeichnet durch Zorn und Auflehnung, wobei der Patient mit seinem Schicksal hadert und aggressives Verhalten, Zorn, Wut und Neid zeigt. Daraus lässt sich erschließen, dass der Patient seinen bedrohlichen Zustand zumindest vorübergehend erkennt und die Haltung des

"Nichtwahrhabenwollens" aufgegeben hat. In der darauffolgenden als relativ kurz beschriebenen dritten Phase, verhandelt der Patient sozusagen mit seinem Schicksal und versucht, unter den gegebenen Umständen für sich noch das Beste zu erreichen. In der vierten Phase zeigt sich vor allem ein depressives Stimmungsbild, wobei die Unabwendbarkeit der tödlichen Erkrankung begriffen wird und meist mit einem verschlechterten Gesundheitszustand einher zu gehen scheint.

Die fünfte und letzte Phase beinhaltet die Akzeptanz und die Zustimmung zum Sterbenmüssen, in der der geschwächte Patient mehr oder minder ruhig seinem Ende entgegen sieht und sich nicht mehr für seine Umgebung interessiert.

Nach der Pionierarbeit von Kübler-Ross (1969) folgte die Entwicklung einer Reihe weiterer Phasenmodelle. Pattison (1977) beschrieb in seinem Modell bei Diagnosestellung eine akute Krisensituation, der eine unter Umständen lang anhaltende "chronic living-dying phase" folgt, die durch Ängste und Sorgen im Zusammenhang mit dem Tod ausgelöst wird. Die dritte und terminale Phase beschreibt er als eine Zeit der psychischen und physischen Erschöpfung, die mit sozialem Rückzug und Desinteresse einhergeht.

Erwähnt werden sollte ausserdem Weisman (1972), der die Phasenmodelle mit seiner Vorstellung von fluktuierenden Reaktionen des Negierens und Akzeptierens prägte, deren jeweiliges Ausmaß sich abhängig vom Krankheitsverlauf darstellt.

Die Phasenmodelle stellen insgesamt den prozesshaften Charakter der Bewältigungsstrategien in den Vordergrund, der vor allem durch die zeitliche Komponente und dem physischen Krankheitserleben determiniert ist. Auch Thomas et al. (1994) fand bei 233 hämato-onkologischen Patienten, dass sich das Bewältigungsverhalten im Verlauf der Erkrankung und in jedem Belastungsabschnitt veränderte. Grundsätzlich aber ließen sich Phasenmodelle der Krankheitsverarbeitung mit festgelegten, aufeinanderfolgenden Phasen nicht bestätigen (Beutel 1988b; Wittkowski 1990). Krankheitsverarbeitung ist nach Faller (1998) eher als ein kontinuierlicher Prozess mit immer wieder auftretenden krisenhaften Belastungsspitzen zu verstehen, welche eine Aktivierung der unterschiedlichen Bewältigungsmuster bewirken. Spezifische Belastungssituationen verlangen nach dieser Vorstellung nach entsprechenden Bewältigungsstrategien.

Bewertung und Schlussfolgerungen für die eigene Untersuchung. Zusammengefasst stellt sich die Krankheitsverarbeitung - wie die meisten psychologischen Prozesse - wohl als ein multifaktorieller Prozess dar, der von Aspekten der Person, der Situation und des Kontexts abhängig ist und je nach Blickwinkel stabil oder dynamisch, abhängig oder unabhängig gesehen werden kann.

Insofern wird die Art und Weise, wie ein Patient mit einer bestimmten Erkrankung zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Umfeld umgeht, vor allem langfristig eher individuell betrachtet werden müssen.

Andererseits scheint es Ereignisse zu geben, die bei jedem Menschen eine so tiefgehende Erschütterung auslösen können, dass sie kurzfristig mit Angst, Hilflosigkeit und auch Hoffnungslosigkeit reagieren. Analog der Situation einer starken Traumatisierung stehen dann

weder gelernte, noch kulturell erworbene Bewältigungskompetenzen zur Verfügung (vgl. hierzu die Überblicksarbeit von Smith et al. 1999 zum posttraumatischem Stresssyndrom bei Krebs).

Wie jedoch Patienten langfristig mit der Situation zurecht kommen und wie lange Patienten nach der direkten „Ich-nahen“ Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit in der schockartig anmutenden Haltung verweilen, wurde eher durch die moderiernden Faktoren entsprechend des Lazarus-Modells determiniert gesehen.

Für die vorliegende Untersuchung lag der Schwerpunkt auf der Untersuchung der Patienten, die akut mit dem Beginn der Behandlung der Erkrankung bei Erstdiagnose oder beim Wiederauftreten der Erkrankung konfrontiert werden. Entsprechend wurde angenommen, dass die direkte Konfrontation mit Todesgedanken in diesem Rahmen ein traumatisierendes Ereignis darstellen und dass sie vorerst mit einer hilflos-passiven, depressiven Haltung reagieren.