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4 TEIL IV

4.2 Ergebnisse des 2. Stranges: Akademisierung und ihre Auswirkungen

4.2.1 Studienmotivation und Erwartungen an das Studium

4.2.1.2 NovizInnen

Wie stellt sich nun die Motivation der NovizInnen dar, das Studium der Physiotherapie auf-zunehmen? An dieser Stelle wird bereits eine weitere Unterscheidung vorgenommen in die Gruppe der Studierenden, die direkt nach Absolvierung ihrer physiotherapeutischen Ausbil-dung das Studium aufnehmen einerseits und diejenige Gruppe, die entweder von Anfang an (Modell Ausland) beginnen zu studieren oder Studium und Ausbildung (Modell Grundstän-dig) verknüpfen andererseits. Betrachtet man die erste Gruppe, konnte unterschieden werden in den pragmatischen Typ und den unzufriedenen Typ. Beide Typen lassen die direkte Ein-flussnahme der schulischen Ausbildung auf die Motive, ein Studium zu beginnen, erkennen.

4.2.1.2.1 Typ: „PragmatikerIn“

Der pragmatische Typ gibt die folgenden Überlegungen für die Aufnahme des Studiums an:

• Er hat Angst, wenn er nach der Ausbildung erst Berufserfahrung sammelt und Geld verdient, dass ihm möglicherweise die Motivation fehlt, wieder in den Status des Ler-nenden zurückzukehren.

• Der zweite pragmatische Grund ist geknüpft an die Angst, aufgrund der 80/20 Rege-lung nicht so schnell wieder an einen Studienplatz heranzukommen (zur Erinnerung:

die 80/20 Regelung einiger Fachhochschulen besagt, dass sie 80% ihrer Studierenden von den sog. Kooperationsschulen rekrutieren, und nur 20% als externe BewerberIn-nen zugelassen werden). Äußerungen wie „warum soll ich es mir schwer machen“

kennzeichnen diese Haltung.

• Der dritte pragmatische Grund ist, „dabei zu sein, wenn sich die Physiotherapie pro-fessionalisiert“, also die möglicherweise durch ein Studium entstehenden Vorteile zu nutzen, sowie das Ansehen der eigenen Berufsgruppe zu steigern.

Darüber hinaus möchte dieser Typ durch ein Studium das Herablassende der Ärzte- und hiermit ist die hierarchische Beziehungsstruktur zwischen MedizinerInnen und Physiothera-peutInnen gemeint - verringern, indem der eigene Status angeglichen wird.

Ein weiterer Fokus schwingt mit, nämlich der der Verbesserung der Lehre an den Schulen, der Veränderung der Kompetenzen der Lehrenden sowie die inhaltliche Ausgestaltung der Ausbildung.

Als Zusammenfassung kann das folgende Zitat begriffen werden:

Text: C\M, Position: 49 – 49, Code: Studium\Motivation

„...weil ich einfach gedacht hab, wenn ich einmal in dem Beruf drin bin und wenn ich einmal Geld verdient habe, werd ich das glaub ich nicht mehr so machen, wenn ich dann zu den 20 % gehöre, die sich da bewerben, warum soll ich's mir so schwer mache. So mein wichtigster Grund war, dass ich eben diese Erfahrungen gemacht hab, dass jemand zu mir gesagt hat, ja mach mal hier ein bisschen Gymnastik oder gib dem mal noch ein bisschen Massage oder rede doch mal mit dem, und da hab ich gedacht, ja, kannste doch selber machen. Also dieses Herablassende eben irgendwie, was dann schon von Ärzten kam. Wenn jetzt Physiotherapie dahin neigt, professioneller werden, dann möchte ich das auch machen. Und (ich) hab mir meinen Lehrer angeguckt und hab mir gedacht, na gut, der (Klient) hat jetzt das und das, dann möchte der bestimmt das und das von mir sehen, der (Lehrer) weiß aber wahrscheinlich selber nicht, ob das jetzt genau das Richtige für den Patienten ist, weil wenn ich jetzt mit 'nem anderen Lehrer da wäre, dann müsst ich was anderes machen, und das fand ich, war schon, schon die Widersprüche an sich.“

4.2.1.2.2 Typ: „Unterforderte KritikerIn“

Der zweite Typus zeichnet sich durch eine hohe Unzufriedenheit mit der Ausbildung und ei-ne Unterforderung durch diese aus. Eiei-ne Studierende gibt an, dass für sie nach der Ausbil-dung eindeutig war, dass sie mit 22 Jahren noch nicht arbeiten gehen wird, „da muss noch ein Studium dran, das kann noch nicht alles gewesen sein“ und „man muss mal wieder etwas für den Geist tun“. Die im Kapitel 4.1.3 „Bewertung der physiotherapeutischen Ausbildung“

(vgl. ebd. C\L) ausführlich beschriebenen Kritikpunkte verquicken sich an dieser Stelle mit der Begründung zur Aufnahme des Studiums. Die Studierenden sind bereits durch die Aus-bildung dem Beruf gegenüber so kritisch eingestellt, dass für sie von vornherein eine Tätigkeit im Sinne des KlientInnenkontaktes/der KlientInnenbehandlung ausgeschlossen ist, sie sind ausschließlich an ihrer eigenen intellektuellen Weiterentwicklung interessiert. Die an anderer Stelle aufgegriffen Arroganz sowohl BerufskollegInnen als auch anderen Personen des Ge-sundheits- aber auch Ausbildungssystems gegenüber, aber auch die Ambivalenz und Verunsi-cherung dieses Typs klingen hier bereits durch. Darüber hinaus versucht der hier beschriebe-ne Typus der unterforderten Kritikerin, unter zeitökonomischen Gesichtspunkten den Ar-beitsaufwand für die Erlangung des Bachelor-Abschlusses zu minimieren, indem sie unter-schiedliche Modelle des Studiums vergleicht und sich aufgrund des geringen „Zeitverlustes“

für die dreisemestrige Variante entscheidet („aber die drei Semester, das war o.k.“).

4.2.1.2.3 Typ: „Mitnehmen“

Die folgende Darstellung beschreibt primär die Motive der Studierenden der Modelle „Aus-land“ und „Grundständig“ (siehe auch Kapitel XX „Darstellung der Studiengänge in Deutschland“). Die Motive differieren deutlich von den bisher beschriebenen, da sie sich e-her diffuser und unkonkreter darstellen, und den Studierenden auch nicht recht transparent ist, welches Ziel mit dem Studium eigentlich verfolgt wird. Sie wissen zunächst nicht, was ge-nau sie mit dem Abschluss „Bachelor Physiotherapie“ anfangen können bzw. was sich inhalt-lich hinter dieser Qualifikation verbirgt. Sieben der acht NovizInnen dieses Typs geben an, dass sie ebenfalls durch einen Zufall auf das Studium gestoßen sind (wie auch die Berufser-fahrenen) und sich aufgrund der räumlichen Nähe zwischen Wohnort und Fachhochschule

für das Studium entschieden haben (von diesen acht Studierenden gibt nur eine Studierende an, wegen des Studiums umgezogen zu sein). Der „Mitnahmeeffekt“ wird durch Aussagen wie „da bin ich zufällig hineingerutscht“, „Akademisierung ist immer gut“, „möchte gerne die Qualifikation mitnehmen, nachdem ich schon Abi gemacht habe“ und „es kann nicht scha-den, das Studentenleben kennen zu lernen“ unterstrichen. Eine der Studierenden verdeutlicht allerdings, dass sie sich mittels des Studiums ganz klar distanzieren möchte von den Realschü-lerInnen, die zwar die Ausbildung zur PhysiotherapeutIn, nicht aber das Studium absolvieren können und begründet dieses mit ihrem eigenen hohen Anspruch an sich selber, der in der Ausbildung an einer Berufsfachschule wahrscheinlich nicht bedient werden könnte.

Text: B\H, Position: 21 – 21, Code: Studium\Motivation

„Ich hab Abitur gemacht und war dann der Meinung, ich wollte noch einiges mehr lernen, und nur wieder in die Schule zurück um irgend 'ne Ausbildung zu machen war mir in dem Moment zu we-nig, also ich wollte mich irgendwie steigern noch, im Anspruch deutlich steigern. Und dachte mir dann einfach, wenn ich mit Real- und Hauptschülern irgendwo zusammen sitze, wär das schwerer möglich als irgendwo zu studieren, und deswegen, also mein Anspruch war dann einfach zu hoch.“

Dieser Ausspruch zeigt ein sich zunehmend herauskristallisierendes Problemfeld in der Phy-siotherapie auf (die Gefahr der Abgrenzung zwischen den Studierenden und ihren nicht stu-dierenden KollegInnen), welches für sich genommen in dieser Arbeit im Kapitel 4.2.4 unter der Überschrift: „Akademisierung und ihre Problemfelder“ aufgegriffen wird. Abgesehen von den diffusen Äußerungen spricht jedoch die Hälfte der NovizInnen konkret die mit dem Stu-dium verbundene Option der Auslandstätigkeit an.

Text: A\D, Position: 61 – 61, Code: Studium\Motivation

„ich hab mir gedacht, gut, wenn man's mitnehmen kann, schaden kann's nicht, erst mal gucken, was da auf einen zukommt, mal gucken, also so'n bisschen auch alles offen halten so, dass man halt nachher die Möglichkeiten hat, alles Mögliche zu machen, also es war ja am Anfang gar nicht so klar, was kann man jetzt überhaupt machen oder es ist ja immer noch nicht so hundertprozentig klar, was wir damit jetzt eigentlich alles später mal Tolles machen können so, und halt immer wie-der dieser Auslandsaspekt und mal ein bisschen auch Studentenleben kennen zu lernen.“

Die Studierende erklärt, dass das Studium für sie die bestmögliche Option bedeutet, da man sich vor dem Hintergrund, nicht zu wissen, was einen in diesem Studium überhaupt erwartet, noch nicht festlegen muss und es „nicht schaden kann“. Deutlich wird, dass sie es als etwas Positives für sich beschreibt, denn man kann hinterher irgendetwas „Tolles“ damit machen.

Darüber hinaus möchte sie gerne das Studentenleben mit seinen positiven Seiten wie Selbst-bestimmung im Hinblick auf die Teilnahme an Veranstaltungen und der freien Gestaltung des Alltages kennen lernen, wobei an dieser Stelle bereits vorweg genommen werden kann, dass dieser Wunsch leider nicht in Erfüllung geht, denn „eine Studentin, die morgens um 8.00 Uhr zur Schule bzw. Uni und um sechs Uhr nach Hause zurückkehrt, kennt sie nicht“. Hier verweist sie darauf, dass gerade die Studierenden des Studienmodells „Grundständig“ teilwei-se ein Wochenkontingent von über 40 Stunden Anweteilwei-senheit in der Kombination von Aus-bildung und Studium zu verzeichnen haben, welches Ihnen keine Zeit lässt, dass StudentIn-nenleben wirklich zu genießen.

Insgesamt erhoffen sie sich durch das Studium eine Horizonterweiterung, „einen Blick über den Tellerrand“ der „normalen“ physiotherapeutischen Ausbildung, der ihnen die Möglich-keit eröffnet, fächerübergreifend zusammenzuarbeiten und Einblicke in sozioökonomische

Bereiche zu erhalten. Ihr Wunsch ist es, dass sie das Studium mit den Kompetenzen ausstat-tet, die sie in die Lage versetzen, in der Gesellschaft für die Physiotherapie einzutreten, ihre Präsenz zu vergrößern und auch das Image gegenüber den Ärzten zu verbessern.

Nachstehend sind die wichtigsten motivationalen Faktoren für die Aufnahme des Studiums nochmals tabellarisch (Tabelle 2) zusammengefasst.

Berufserfahrene:

Verallgemeinernd lässt sich für die berufserfahrenen PhysiotherapeutInnen zusammenfassen, dass insbesondere der Sackgassencharakter, die mangelnden Aufstiegschancen, die Monoto-nie des therapeutischen Alltags in der Kombination mit der Fließbandarbeit die engen Gren-zen des Berufes verdeutlichen und als motivationale Faktoren für die Aufnahme des Studi-ums gesehen werden können. Während sich diese Faktoren bei den Berufserfahrenen relativ konkret darstellen, so sind die Motive zur Aufnahme des Studiums bei den NovizInnen eher pragmatischerer Natur und insgesamt allgemeiner gehalten. Die Tendenz lässt erkennen, dass die Studierenden sich die möglicherweise durch ein Studium entstehenden Vorteile nicht ent-gehen lassen möchten, obwohl sich die Vorteile noch nicht eindeutig im Vorfeld bestimmen lassen. Ganz eng an die Studienmotivation geknüpft ist die Frage nach den Karrierevorstel-lungen und beruflichen Perspektiven der Studierenden. Dieser Fragestellung wird in dem fol-genden Kapitel nachgegangen.