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4 TEIL IV

4.1.2 Bild von Physiotherapie

An dieser Stelle wird bereits deutlich, wie die berufliche Sozialisation als PhysiotherapeutIn das retrospektiv beschriebene Berufsbild, das vor der Ausbildung vorhanden war, beeinflusst.

4.1.2.1 Typ: Diffus

Das Bild, dass die PhysiotherapeutInnen dieses Typs zeichnen ist relativ diffus und wenig konkret. Es wird nochmals verwiesen auf die Tatsache, dass persönlicher Kontakt zu einer PhysiotherapeutIn darüber entscheidet, welches Bild man entwickelt und verdeutlicht, dass die Kenntnis des Berufes vor der Ausbildung rudimentär ist. Der Beruf ist für die Therapeu-tInnen nicht transparent, sie gleichen mit Gymnastik- oder Aerobiclehrern ab - und wie sich aus einigen Äußerungen ableiten ließ (Text: B\G, Position 7) ist nicht bekannt, dass die Be-rufsbezeichnungen „KrankengymnastIn“ und „PhysiotherapeutIn“ einander inhaltlich ent-sprechen.

Text: A\C, Position: 13 – 13, Code: Bild PT vor Berufswahl

„So hundertprozentig gewusst hab ich das letztendlich nicht. Also ich kannte sicherlich Bereiche, so von anderen Leuten aus Erzählungen, also ich hab jetzt keinen superguten Freund oder keine Per-son, mit der ich in sehr engem Kontakt steh, die Physiotherapeutin ist, dass ich jetzt genau gewusst hätte, aber Teile kannt ich daraus. Also, ja, wie gesagt, ein recht breites Spektrum eigentlich, ....

dieses bisschen Gymnastiklehrer-mäßige kam bei mir, man denkt schon irgendwie auch ein bisschen dran an den, so zu sagen, Aerobic-Trainer.“

4.1.2.2 Typ: Helfer

Hier wird ein recht positives Bild von PhysiotherapeutInnen gezeichnet. PhysiotherapeutIn-nen sind „besondere Menschen, die besondere Begabungen“ haben, den Menschen ganzheit-lich betrachten und versuchen, das „Gute zu fördern.“ Sie begleiten und fördern die Ent-wicklung der KlientInnen, haben Zeit für sie und fühlen sich als AnsprechpartnerInnen in al-len Lebenssituationen sowohl bei physischen als auch bei psychischen Beeinträchtigungen zuständig.

Text: A\A, Position: 13 – 14, Code: Bild PT vor Berufswahl

„...besondere Menschen, besondere Therapeuten, die ganz besonders auf Menschen eingehen können, anders als Sportler und anders als Lehrer. Und das fand ich halt bei diesen Therapieberufen so toll, und Physiotherapie als ganzheitlicher Ansatz.., und das find ich toll, weil ich selber auch eher so'n Typ bin, der so ganzheitlich betrachtet werden will, und dann denk ich, sollte man das Patienten auch gewährleisten.“

Text A/A, Position: 15 – 16, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Dass es Menschen sind, die die Funktion des Körpers versuchen, zu verstehen, und die auch das Zusammenspiel zwischen Geist und Körper verstehen, und vielleicht auch ein Stückchen versuchen, dem (Patienten) 'nen Stoß zu geben, zu helfen im Grunde, zu gucken, wie kann ich das unterstüt-zen, das Gute hervorheben.“

Text: B\E, Position: 9 – 9, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Es war schon mal klasse, wie man den Leuten oder den, ja, Kranken, den Patienten halt, im Le-ben zu irgendwas weiter helfen kann und wie man versuchen kann, was zu optimieren. Und dass man aber trotzdem sich immer wieder flexibel auf gegebene Umstände einstellen muss.“

Text: C\K, Position: 17 – 17, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Dass ich mit Leuten zusammen komme, die krank sind, und denen ich versuchen will, durch Handanlegen zu helfen, das war also damals so das einzige Bild, was ich hatte von der Physiothera-pie.“

Die vorgenannten Zitate verdeutlichen auf anschauliche Weise, welches Bild der helfende Typus kreiert. Zwar ist die Sichtweise defizitorientiert, d. h. dem Menschen muss geholfen werden, seine Funktionen im Alltag zu optimieren, die Betonung liegt aber auf der individuel-len, holistischen Herangehensweise, die den eigenen Ansprüchen genüge trägt. Hier wird eine aufschlussreiche sprachlich Ausdrucksweise verwendet, indem die Therapeutin nur einen

„Stoss in die richtige Richtung geben muss“, d. h. der Heilungsprozess wird kraftvoll extern initiiert, um das „Optimum“ für die KlientInnen zu erreichen. Das hier vorherrschende Bild von TherapeutInnen wird als sehr flexibel und ganzheitlich orientiert dargestellt. Sie haben Zeit und gehen auf die KlientInnen ein, allein das ihnen zur Verfügung stehende zeitliche Kontingent im Kontakt mit der KlientIn ist eine Besonderheit. Obwohl zwei der Interview-partnerInnen auch hier Vergleiche zu anderen Berufen anstellen, steht nicht die Abgrenzung im Vordergrund, sondern die charismatische, altruistisch agierende, helfende TherapeutIn.

Bereits im dritten Zitat wird deutlich, dass PhysiotherapeutInnen praktisch durch „Handanle-gen“ helfen (siehe hierzu auch Kapitel 6.1 „physiotherapeutische Identi-tät/physiotherapeutischer Habitus“), d. h. sie haben einen sehr direkten Kontakt zum Körper des Menschen.

4.1.2.3 Typ: Sport

Das Bild, das die TherapeutInnen dieses Typs zeichnen ist deutlich durch den Sport geprägt.

PhysiotherapeutInnen sind sehr sportlich, fit, bewegen sich gerne, sind „tough“, sehr locker und offen. Sie haben eine besondere Art, mit Menschen umzugehen, sind in der Lage, eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu gestalten und bewirken etwas. Ähnlich wie der helfende Typus unterstreichen diese Interviewten, dass der physiotherapeutische Umgang mit Men-schen ein besonderer ist, betonen jedoch die Komponente der eigenen körperlichen Aktivität, sie „packen“ an und bewirken etwas, sind dynamisch.

Text: C\L, Position: 9 – 9, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Begeistert hat mich einfach, wie Physiotherapeuten mit Menschen umgegangen sind, dass man in ir-gendeiner Form etwas bewegen konnte und bewegen kann, und dass man nicht viel Langeweile in diesem Job hat, weil er so abwechslungsreich ist.... in unserer Schule war immer dieser Standard-spruch, weil wir gern mit Menschen zu tun haben und gern Sport treiben, also irgendwie diese Ver-knüpfung, Menschen zu helfen und selber in Bewegung zu sein.“

Text: B\E, Position: 13 – 13, Code: Bild PT vor Berufswahl

„So dieses Aktive mehr, und dann auch vielleicht mehr direkt am Patienten, ich sag immer anpa-cken.“

Text: B\F, Position: 6 – 6, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Das war’n sehr lockerer Umgang, also mir hat auch der Umgang zwischen Physiotherapeut und Patient dann sehr gut gefallen, wir waren ja eigentlich topfit und alle gesund, das war halt, die haben

uns massiert, die haben uns weitergeholfen beim Training, ja, ...und auch der Umgang, so der, ja die, wie sagt man, die Atmosphäre, die herrschte, eigentlich, was ich gut fand.“

Text: E\S, Position: 12 – 12, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Ein relatives Klischeebild hatt' ich so, die taffe Physiotherapeutin, die dann sportlich ist.“

4.1.2.4 Typ: Konkret

Die Konturen des Bildes von Physiotherapie sind hier etwas schärfer und umfassender, da der Einblick in die berufliche Praxis der PhysiotherapeutInnen bereits vor Aufnahme der Ausbildung aktiv in Form eines Praktikums gewählt wurde. Was diese PhysiotherapeutInnen besonders beeindruckt, ist ebenfalls der spezielle Umgang und die Interaktion mit den Patien-tInnen, die Persönlichkeit und das Charisma der TherapeuPatien-tInnen, ihre Art und Weise, Klien-tInnen zu motivieren, aber auch die Fähigkeit eine Differenzierung zwischen psychischen und physischen Ursachen vornehmen zu können. Die zu erzielenden Erfolge beeindrucken ebenso wie die Tatsache, über „Bewegung in Kontakt mit Leuten“ zu kommen. Das Bild, das diese PhysiotherapeutInnen vor der Ausbildung also entwickelten, ist (ebenfalls) sehr durch den Erstkontakt geprägt worden. Vermutlich existieren ebenso viele Bilder von Physiothera-pie, wie es TherapeutInnen gibt. Es zeigt sich, dass das Bild über den Erstkontakt mit einer PhysiotherapeutIn gewonnen wird und primär von der Persönlichkeit der TherapeutIn im Sinne einer Vorbildfunktion geprägt ist. Teilweise sehen die BerufsaspirantInnen ihre eigenen (erwünschten) Fähigkeiten bzw. Persönlichkeitsmerkmale in den TherapeutInnen widerge-spiegelt.

Text: A\B, Position: 11 – 11, Code: Motivation für die Ausbildung

„Diese Erfolge haben mich beeindruckt. Und beeindruckt hat mich auch, die Leute irgendwie an sich, das waren irgendwie Typen, die da irgendwie gearbeitet haben die waren einfach total offen und dies Zwischenmenschliche stimmte einfach so. Und ich glaub, wenn der jetzt irgendwie ein Idiot gewe-sen wär, dann wär ich vielleicht nicht in die Richtung gegangen. Ich glaub, ich hab ein zu positives Bild gehabt, und damals dacht ich halt auch so, ja, das sind alles voll die Helden und die können da jetzt heilen.“

Text: E\W, Position: 11 – 11, Code: Motivation für die Ausbildung

„Ja, mich hat fasziniert diese Arbeit mit den Leuten zusammen und dass man mit Bewegung Kon-takt zu den Leuten bekommen hat. Also zum Beispiel, ein Patient kam immer mit Rücken-schmerzen und die Physiotherapeutin hat mir dann am Ende der Therapie gesagt, dass, sie macht eigentlich nicht so direkt das, was man an Ursachen, was er an Ursachen eigentlich zeigt oder was auf dem Rezept steht, sondern hat gemerkt, dass das psychisch bei ihm ist, dass es einfach nicht an den körperlichen Symptomen liegt.“

Text: E\T, Position: 13 – 13, Code: Bild PT vor Berufswahl

„Dieses Praktikum hab ich dann in so'ner Praxis gemacht mit so'ner ganz alten, also die muss damals so um die 60 gewesen sein, total drahtigen für die Zeit so ganz typischen Krankengymnastin, so mit Turnvater-Jahn-mäßig mit Stab und Keule und so, aber diese Frau, die hat mich so faszi-niert, so in ihrer Art, dass ich gedacht habe, das versuchst du mal.“

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nahezu die Hälfte der befragten Therapeu-tInnen vor Aufnahme der Ausbildung kaum eine Vorstellungen von dem Beruf der Physio-therapeutIn hat und knapp ein Drittel über den Sport eher zufällig auf das Berufsbild gesto-ßen ist. Die Nähe zur Medizin, das Helfende und das Sportliche des Berufes formen mit dem zentralen Moment der Bewegung und des körperlichen Kontaktes ein diffus positives Bild von dem Beruf der PhysiotherapeutIn. Ein Teil der TherapeutInnen dagegen bringt eigene Erfahrungen und recht konkrete Vorstellungen und Bilder von dem zu erlernenden Beruf mit. Als bemerkenswert, weil typenübergreifend, lässt sich die Orientierung am Erfolg durch die Behandlung bzw. des direkten Wirksamwerdens (sie bewegen, legen „Hand“ an und „pa-cken zu“) durch therapeutische Intervention festhalten. Das Bild, das durch die Physiothera-peutInnen mit Praktikumserfahrung gezeichnet wird, wurde im wesentlichen durch das posi-tive Charisma der TherapeutInnen beeinflusst. Äußerungen wie, das sind alles „voll die Hel-den, die auch wirklich heilen können“, charakterisieren dieses auf eindrucksvolle Weise. Die PhysiotherapeutInnen, die bereits vor zehn bis 20 Jahren ihre Ausbildung absolviert haben, sind teilweise vor der Aufnahme der Ausbildung noch durch das „alte, Turnvater-Jahn-mäßige“ Bild geprägt worden. Nachfolgend sind die wesentlichen Merkmalsausprägungen der einzelnen Typen von Motiv und Bild zusammengefasst. Die Frage, die sich unmittelbar im Anschluss stellt, ist die nach der Veränderung dieses Bildes durch Ausbildung, Berufseinstieg bzw. Berufstätigkeit.

4.1.2.5 Zusammenfassende Übersicht : Motiv + Bild kombiniert

Typen: Diffus Helfend Sportlich Konkret

Motiv für die

Ausbildung Diffus, nicht

vorhan-den, abgrenzend Helfen wollen, altruistische Intenti-on

Verbindung von

Sport und Medizin geprägt durch die genaue Vorstellung

Wenn man diese Berufswahlmotive einmal vergleicht mit dem Antwortverhalten beispiels-weise kanadischer Physiotherapiestudierender (in Kanada ist die Ausbildung grundsätzlich auf akademischem Niveau angesiedelt), so lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. In der Veröffentlichung von Öhman/Solomon/Finch (2002) gaben die befragten Studierenden als motivationale Faktoren, warum sie sich für den Beruf „Physiotherapie“ entschieden hatten, die guten Jobzugangsmöglichkeiten und ein entsprechendes Gehalt sowie ein gutes Ansehen des Berufes an. Weitere Aspekte waren die interessanten Inhalte des Berufes, das Helfende, das Interesse an Sportverletzungen und die Beeinflussung durch die „peers“. Gerade in erste-ren Parametern unterscheiden sie sich wesentlich hinsichtlich ihrer Berufswahl von den Phy-siotherapieschülerInnen in Deutschland. Weiterhin kommen Öhman et al. zu dem Schluss, dass den BerufsaspirantInnen in Kanada transparent ist, was sich hinter dem zu erlernenden Beruf verbirgt - auch hier ein deutlicher Unterschied zu den deutschen KollegInnen.

4.1.3 Bewertung der fachschulischen Ausbildung durch die Studierenden