• Keine Ergebnisse gefunden

4 TEIL IV

4.2 Ergebnisse des 2. Stranges: Akademisierung und ihre Auswirkungen

4.2.3 Bewertung des Studiums

4.2.3.2 Kritische Anmerkungen der Studierenden zum Studium

4.2.3.2.3 Lehrmethoden

Die Studierenden zeigen eine hochgradige Ambivalenz hinsichtlich der von ihnen gewünsch-ten Lehrmethoden. Auf der einen Seite wünschen sich diejenigen, die neben ihrer fachschuli-schen Ausbildung das Studium absolvieren aber auch diejenigen, die die dreisemestrige Voll-zeitvariante des Studiums besuchen, mit neuem Wissen „gefüttert“ zu werden, obwohl sie während ihres Studiums durchaus auch die neuen Lehrmethoden wie die des problemorien-tierten, selbstgesteuerten Lernens in Anspruch genommen bzw. kennen gelernt haben. Bei

dieser Art des selbstgesteuerten, selbstorganisierten Lernens haben sie jedoch vermehrt das Gefühl (gehabt), dass die Lehrmethoden nicht absichtlich eingesetzt wurden, sondern in einer Art Notlösung verwendet worden sind - in Ermangelung der DozentInnen, die sie hätten an-leiten können; somit waren sie gezwungen, sehr viel in Eigenarbeit zu erarbeiten, ohne jedoch eine Rückmeldung zu erhalten. Sie wünschen sich Frontalunterricht, der sie zum Denken an-regt anstatt Problematisieren ohne wirkliches Problem sowie wiederum die Herstellung phy-siotherapeutischer Bezüge. Gerade im Hinblick auf die Arbeitsbelastung, die einige der Stu-dierenden mit 46 Stunden in der Woche bewältigen müssen, wünschen sie sich eine effizien-tere Gestaltung des Studiums. Aus einer relativen Überforderung heraus erachten sie einen Unterricht, der sie selbst entlastet, indem sie konsumieren können, als sinnvoll.

Text: A\A, Code: Studium\Kritik

„Futter, als Frontalunterricht, und dann so'n bisschen praktisch dazu, das wäre für uns wahr-scheinlich das Beste gewesen. Wir haben dann aber mit einer Schildkröte gespielt, die dann uns zu-geworfen wurde und wir mussten dann immer irgendwas rausrufen, und wir machten immer Praxis und müssen uns immer öffnen und immer kritisieren und, das war zu viel, uns zu nervig, zu päda-gogisch, immer alles ein Stück weit zu hinterleuchten, war uns zu viel Gelaber und zu viel Diskus-sion um den heißen Brei. Wo gar kein Konflikt war, wurde dann ein Konflikt gelöst und das war für uns ein bisschen kompliziert. Weil, wir sind eher so Leute, die dann mal auf den Tisch hauen.

Das haben wir als sehr anstrengend empfunden, weil, man muss bedenken, wir haben einen, einen Wochenrhythmus von 46 Stunden etwa, das ist viel, das ist Futter, das ist ganz schön viel. Und wenn man dann nebenbei noch arbeitet und vielleicht auch noch Hobbys hat oder ein Privatleben, dann ist das kompakt, und wenn man dann in sein Seminar kommt, wo man nicht Futter kriegt oder Frontalunterricht, sondern irgendwie seine Gefühle nach außen kehren soll vor einem Dozen-ten,, wo die Chemie nicht ganz rüberspringt, nicht stimmig ist, dann geht das nach hinten los.“

Ein weiterer, zwar nicht explizit ausgesprochener Punkt ist der der Nicht- Entwicklung eines studentischen Habitus. Dieses deuten nicht nur die vorgenannten Studierenden aufgrund ih-rer Arbeitsbelastung an, sondern auch diejenigen, deren Lehrveranstaltungen blockweise und berufsbegleitend organisiert sind und teilweise bis zu 12 Stunden Vorlesung in sozialwissen-schaftlichen oder medizinischen Fächern pro Tag vorgeben - wobei die medizinischen Fächer einen sehr viel stärkeren Anwendungsbezug aufweisen und der Physiotherapie insgesamt nä-her sind. Eine richtige Verortung als Studierende kann demzufolge nicht stattfinden, denn die Assoziation, StudentIn zu sein würde eine freie Zeiteinteilung ohne Anwesenheitspflicht be-deuten (vgl. Friebertshäuser 1992) sowie eine mögliche, interessengemäße Steuerung der Teilnahme an Vorlesungen.

Text: A\B, Position: 69 – 69, Code: Studium\Bewertung

„Dann mussten wir halt hier wieder Anwesenheit nachweisen, aber ansonsten ist es nicht so locker wie ein normales Studentenleben.“

Text: D\R, Position: 76 – 76, Code: Studium\Kritik

„Was ich sehr anstrengend finde, sind die Frühjahrblöcke, da werden so 10, 12 Stunden am Tag durchgeschreddert, das ist für die medizinischen (Fächer), da ist das kein Problem, weil man dann auch mal Praxisteile hat, aber wir kommen nun mal nicht unbedingt aus der Sozial, sozialen Rich-tung, das heißt, mir 5 Stunden Pädagogik anzuhören und dann noch mal Sozialmedizin und dann vielleicht noch mal irgendwie so was, das ist anstrengend, das ist richtig anstrengend, da kann ich

nun mal nicht aus meiner Berufserfahrung schöpfen, da muss ich mich hinsetzen und mir das Zeug anhören und auch einbimsen, es hilft nichts.“

Auch in dem vorstehenden Zitat wird deutlich, dass die Studierenden eine Verortung ihrer Profession im medizinisch ausgerichteten System und nicht im sozialen System haben. Sie be-schreiben die Mühe, die sie mit den sozialmedizinischen Inhalten haben, sie können nicht aus ihrem Erfahrungsschatz rekrutieren, sondern müssen völlig neu lernen, gegebenenfalls sich die Inhalte „einbimsen“, auswendig lernen. Diesen Sachverhalt betonen insbesondere die PhysiotherapeutInnen, die sich für die medizinisch ausgerichtete Variante des Studiums ent-schieden haben. Sie verdeutlichen, dass sie zunächst keinen direkten Praxisbezug in den sozi-alwissenschaftlichen Fächern zu ihrer beruflichen Tätigkeit herstellen können und unterstrei-chen insbesondere, dass aber gerade der Praxisbezug der vermittelten Wissensbestände für die Physiotherapie wichtig und entscheidend ist. Die Ausdrucksweise „10 bis 12 Stunden“

Vorlesung in den Sozialwissenschaften „herunterzuschreddern“ zeigt darüber hinaus, dass die primäre Verortung als StudentIn nicht gegeben ist, sondern aufgrund der inhaltlichen Fülle eigentlich keine Zeit bleiben kann, das Studentenleben zu genießen.

Eine gänzlich andere Problematik bzw. Kritik greifen die Studierenden auf, die das Studium nach holländischem Modell absolvieren. Sie identifizieren sich zunächst nicht als „deutsche“

PhysiotherapeutInnen, sondern als holländische - und betonen die Abgrenzung gegenüber den deutschen KollegInnen. Ihre hauptsächlichen Kritikpunkte belaufen sich auf eine fehlen-de gemeinsame Fachsprache, die unabhängig von jeglicher Konzeptgebunfehlen-denheit eingeführt werden sollte. Sie beschreiben ihre Probleme, wenn sie nach niederländischem Modell studie-ren, welches orthopädisch/manualtherapeutisch ausgerichtet ist und dann mit ihren deut-schen KollegInnen kommunizieren müssen. Ihnen ist die deutsche, konzeptgebundene Spra-che in der therapeutisSpra-chen Anwendung nicht bekannt, obwohl sie zum Teil über das gleiSpra-che therapeutische Repertoire verfügen, das sie anhand von Prinzipien erlernt haben. Hier heben sie einen Schwachpunkt der deutschen Physiotherapie hervor, der zu mannigfaltigen Proble-men im therapeutischen Alltag führt. Es scheinen Verständigungs- und Verständnisprobleme zwischen den TherapeutInnen der unterschiedlichen Fachrichtungen zu existieren. Weiterhin kritisieren sie die deutsche Regelung, dass ihre Studieninhalte in der spezifischen Richtung der „Manuellen Therapie“ nicht gleichgesetzt bzw. als Äquivalent gesehen werden zur in Deutschland zertifizierten Fortbildung „Manuelle Therapie“, die eine höhere Vergütung der therapeutischen Leistung nach sich zieht. Diese zertifizierte Fortbildung wird auf dem freien Fort- und Weiterbildungsmarkt angeboten und ist kostenintensiv. Die Studierenden vermu-ten hier zugrundeliegende monetäre Interessen der Fortbildungsanbieter und/oder Verbände.

Text: B\H, Position: 73 – 73, Code: Studium\Kritik

Das Problem ist für uns zunächst gewesen und wird vielleicht im Anfangsbereich noch sein, dass wir viele Dinge gemacht haben, die die Deutschen eben unter einen bestimmten Namen packen und wir aber eigentlich gar nicht wissen, wie wir es verbinden sollen, ne, das heißt, wir haben's schon ir-gendwo gemacht, aber uns fällt einfach schwer, dann mit den Deutschen zu kommunizieren, weil da hängt's immer, im Endeffekt. Das im Endeffekt unser Lehrprogramm umgestellt wird, verlangt ei-gentlich keiner, nur es sollte noch ein bisschen mehr an Deutschland angepasst werden, dass wir da-mit besser umgehen können, denk ich.“