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Ergebnisdiskussion zum 2. Strang: die Akademisierung und ihre

5 TEIL V

5.2 Ergebnisdiskussion zum 2. Strang: die Akademisierung und ihre

In diesem zweiten Strang wird vor dem Hintergrund von Identität(-sentwicklung) und Habi-tus die Bedeutung des Studiums eruiert. Zunächst erfolgt die Ergebnispräsentation zu Stu-dienwahlmotiven, Karrierevorstellungen und beruflichen Perspektiven sowie die Bewertung

des Studiums durch die Studierenden. Sich daran anschließend werden die von Studierenden ausgemachten Problemfelder im Akademisierungsprozess dargestellt. Für die folgenden Aus-führungen wird aufgrund des deutlich differierenden Antwortverhaltens die Unterteilung in die Berufserfahrenen und die NovizInnen vorgenommen.

Das Novum, Studierende der Physiotherapie zu sein, verbinden insbesondere die berufser-fahrenen PhysiotherapeutInnen mit hohen Ambitionen für ihre beruflichen Weiterent-wicklungsmöglichkeiten. Im Hinblick auf ihre Studienmotivation und die damit verbunde-nen Karrierevorstellungen ließen sich für die Berufserfahrenen drei unterschiedliche Typen herausarbeiten (vgl. Kapitel 4.2.1. Studienmotivation und Erwartungen an das Studium): die

„Suchende EnthusiastIn“, die „Abwartende Realistin“ und die „Aufstiegsorientierte“. Unabhängig je-doch vom Typ sind der von ihnen angesprochene Sackgassencharakter des Berufes, die feh-lende vertikale Aufstiegsmöglichkeit, der zwar über Fortbildungen erworbene, jedoch nicht identitätsstiftende Wissenszuwachs aber auch die Burn-out-Symptomatik durch den Klien-tInnenkontakt die zunächst primär angebrachten motivationalen Faktoren für die Aufnahme des Studiums. Es zeigt sich, dass die berufserfahrenen TherapeutInnen deutliche Aufstiegs-chancen im Sinne von Leitung, Forschung, Lehre und einer neuen Konturierung ihres eige-nen Berufes mit dem Studium verbinden sowie die Veränderung ihrer Identität explizieren.

Während der Typ der „Suchenden EnthusiastIn“ versucht, die Puzzlestücke bzw. die nebenein-anderstehenden Wissensfragmente in der Physiotherapie zusammenzufügen und dem Studi-um eine identitätsstiftende und das Selbstverständnis verändernde Funktion zuschreibt sowie die Veränderung ihrer Welt- und Selbstsicht betont, so hat der „aufstiegsorientierte Typ“ eine deutlich karriereorientierte Weiterentwicklung vor Augen. Diese geht einher mit der Hoff-nung, mit der Absolvierung des Studiums einen neuen gesellschaftlichen Status erwarten zu können - also im Sinne des Durchlaufens einer Statuspassage - verknüpft mit dem Recht auf eine legale „Auszeit“ durch das Studium, im Sinne eines sog. Moratoriums. Die „Abwartende RealistIn“ erhofft sich ebenfalls eine Veränderung ihrer beruflichen Perspektiven und die Er-schließung neuer Horizonte, ist aber sehr viel unentschlossener, welcher Weg nach dem Stu-dium eingeschlagen werden könnte. Es schwingt die Hoffnung mit, über das StuStu-dium neue Facetten des Berufes zu explorieren und somit den Spaß am „alten“ Beruf wiederzuerlangen.

Wie der Typ der „Suchenden Enthusiastin“ schreibt auch sie dem Studium die Festigung ihre Identität als PhysiotherapeutIn zu.

Es kristallisiert sich heraus, dass die Mehrzahl der Berufserfahrenen das Studium eher als eine Art „Weiterbildung“ betrachtet, trotzdem oder gerade deswegen damit eine vertikale Auf-stiegsmöglichkeit verbindet. Auffällig ist, dass insgesamt die KlientInnenarbeit bzw. die Ver-besserung dieser nicht mehr im Vordergrund steht, sondern deutlich die Erschließung neuer Arbeitsfelder.

Auch eine die Außenaufsicht auf den Beruf skizzierende Physiotherapeutin (durchaus dem Typ „suchende EnthusiatIn“ entsprechend), die zu einem Zeitpunkt, als die Studienmöglich-keit „Physiotherapie“ in Deutschland noch nicht existierte ein „artfremdes“ Studium (welches sie als sog. „Schonraum“ bezeichnet) aufgenommen hatte, berichtet davon, dass sie immer auf der Suche nach dem eigentlichen Sinn der Physiotherapie war - und bestätigt somit die langfristige Existenz der suchenden Enthusiastin. Darüber hinaus belegt es, was auch die Stu-dierenden heute berichten: die Suche nach ihrer wahren Identität, denn sie beschreibt sich zunächst mit den ihr zugeschriebenen Rollenerwartungen als „ArbeiterIn“, die sie aber kei-nesfalls sein möchte und nicht mit ihrer empfundenen Identität einhergeht. In den Reflexio-nen beschreibt die externe ExpertIn ebenfalls die Begrenztheit der beruflichen Weiterent-wicklung über Fortbildungen und die zunehmende Unzufriedenheit mit dem Beruf. Die in dem folgenden Zitat angesprochene intensive KlientInnenarbeit vor dem Hintergrund einer die interpersonellen Kontakte nicht reflektierenden Ausbildung, die die einzelne TherapeutIn

deutlich auf die eigene Intuition im Umgang mit KlientInnen sowie die Überlegung zur eige-nen Rolle im therapeutischen Geschehen verweist, wird vordergründig. Ebenso wird der Charakter der Fließbandarbeit oder auch der der empfundenen „Reparaturwerkstatt“- (meta-phorisch sehr interessant) transparent. Darüber hinaus wird neben den empfundenen engen Grenzen des Berufes mit dem letzten Satz des Zitates der Verweis auf ein nicht vorhandenes kollektives physiotherapeutisches Selbstverständnis transparent- und dieses berichten sowohl die Studierenden der Physiotherapie heute als auch die KollegInnen, die vor einigen Jahr-zehnten ihre Ausbildung absolvierten.

Text: Expert\ax- 1, Position: 35 – 35, Code: berufliche Identität

„Nun war ich natürlich noch in einer Phase, mich fachlich sehr zu, zu spezialisieren, ...also legte, so zu sagen, in Sachen Fachkompetenz auch sehr nach, und hatte dann aber so das Gefühl, meine Güte, es ist immer mehr des selben. Natürlich haben mich diese Methoden immer weiter gebracht und ich hab so meinen Werkzeugkasten gefüllt und hab ein Gespür dafür bekommen, welches Kind, oder ich würd fast sagen, welche Familie welche Therapie braucht, oder Behandlung braucht, aber ich wurde eigentlich immer unzufriedener, weil ich merkte, die wirklichen Probleme, die diese Fami-lien, die ja sehr erwartungsvoll in so einem sozialpädiatrischen Zentrum sind, also sprich- die ambu-lanten Praxen hatten die an vielen Punkten durchlaufen- und sie kamen mit hohen Erwartungen zum Teil auch eben in diese stationäre Aufnahme... Und ich fühlte mich ein bisschen wie eine Re-paraturwerkstatt, zu der jemand kommt oder Kinder gebracht werden, und dann hieß es, machen Sie mal. Und wir tun auch so, als wenn wir den Reifen auswechseln können...von daher war dann spürbar für mich 'ne Unzufriedenheit, spürbar auch, dass ich mit fachlichen Fortbildungen nicht mehr die Befriedung finde und diese Antworten finde auf die Fragen, die sich dann entwickelt hat-ten. Und ich kam mir auch immer exotischer vor in diesem Physio-Kontext.“

Im Vergleich zu den berufserfahrenen KollegInnen verbinden die NovizInnen der gebilde-ten Typen „PragmatikerIn“, „Mitnahme“ und „Unterforderte KritikerIn“ (vgl. Kapitel 4.2.2.2.

„Studienmotivation und Erwartungen an das Studium-NovizInnen“) mit der Aufnahme des Studiums insgesamt als pragmatisch zu bezeichnende Studienmotive. Auf der einen Seite möchten sie gerne „dabei sein, wenn sich die Physiotherapie professionalisiert“, sie möchten nichts verpassen, wenn sie die qualifikatorischen Voraussetzungen „mitbringen“, auf der an-deren Seite kritisieren sie die intellektuell nicht ausfüllende Ausbildung und verbinden unbe-wusst die Möglichkeit der eigenen persönlichen Reifung durch das Studium. Die bevorzugten nächsten Karriereschritte sind ganz deutlich: Forschend tätig zu werden und eine Weiter-entwicklung im Sinne des Masters zu überlegen, in gleichem Maße, wie in die therapeutische Tätigkeit einzusteigen. An dieser Stelle erscheint nachdenkenswert, ob den BerufsnovizInnen, die zunächst über noch keine Erfahrung im dauerhaften, alltagspraktischen KlientInnenkon-takt verfügen, vor dem Hintergrund der Überlegung, mit einem Bachelorstudium reflektierte PraktikerInnen auszubilden, solche möglicherweise unrealistischen Zielsetzungen durch das Studium vorrangig transportiert werden sollten. Hinzukommt, dass die BerufsnovizInnen Er-fahrungswissen im Vergleich zu evidenzbasiertem Wissen abstufen. ErEr-fahrungswissen als sol-ches erfährt kaum eine Würdigung und führt dazu, dass die NovizInnen den KlientInnenkon-takt zunächst als nachrangig einstufen. Aber erst durch die Verknüpfung von Erfahrungswis-sen und wisErfahrungswis-senschaftlichem WisErfahrungswis-sen entsteht ProfessionswisErfahrungswis-sen. Hier steht zu vermuten, dass sich die Einstellung der Lehrenden im Sinne der Prägung der Fachkultur niederschlägt. Ohne Zweifel ist evidenzbasiertes Wissen als eine der tragenden Säulen effektiver und effizienter physiotherapeutischer Handlungspraxis Voraussetzung, jedoch ist hier ein recht vehementer

„Ruck“ in diese Richtung zu verzeichnen, der es fraglich erscheinen lässt, ob er der Entwick-lung des Berufsstandes gerecht wird. Es muss überlegt werden, ob den Studierenden als we-sentliche neue Sichtweise auf den therapeutischen Prozess die der Statistik, Nachweisbarkeit

und Betriebswirtschaftlichkeit vermittelt werden sollte. Wirklich problematisch erscheint, dass einige BerufsnovizInnen sich als die „DenkerInnen“ der nächsten Generation heranwach-sender PhysiotherapeutInnen sehen. Genau an diesem Punkt wird der Auftrag, den die Stu-diengänge für die reflektierte Praxis im Sinne der „higher education“ haben, nur bedingt ein-gelöst. Dieses lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass das Studium ein Novum ohne akademische Tradition darstellt und der Bruch mit alttradierten Wissensbeständen zwangsläu-fig zur Verunsicherung und auch zu selbst- und fremdinitiierten Selbstfindungsprozessen führt.

Auf der anderen Seite ist den BerufsnovizInnen das therapeutische Setting sekundär relevant.

Verwissenschaftlichung im Sinne der Akademisierung kann an dieser Stelle verglichen werden mit der Entwicklung technokratischen Wissens - und dieses erinnert stark an das Phänomen der Absorption der Inhalte während der beschriebenen Fort- und Weiterbildungen (vgl. hier-zu Kapitel 4.3.6 „Professionalisierung und Fort- und Weiterbildung“)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass NovizInnen und Berufserfahrene unterschiedli-che Schwerpunkte setzen - und sich dieses in ihrem Habitus wiederfinden lässt.

In der Beurteilung ihres Studiums - grundsätzlich sind alle Studierenden durch den Wissenszuwachs begeistert - erwähnen sie ähnliche Dimensionen wie bei der Beurteilung der fachschulischen Ausbildung, auch hier sind die zentralen Foki die Persönlichkeit der Lehren-den, der Theorie-Praxis-Bezug, die Lehrmethoden sowie der Zuschnitt und die Vermittlung der Inhalte. Genau diese sind wiederum als die zentralen identitätsstiftenden Momente zu verstehen. Hervorgehoben werden von den Studierenden insbesondere ihre Erwartungen an die sog. teaching skills und das pädagogisches Wissen der Lehrenden: Authentizität, pädago-gische Ausbildung, fächerübergreifende Lehre, Wissen bzgl. der eigenen Disziplin. Sie for-dern Exzellenz in der Lehre. Wie bereits angedeutet, durchzieht dieser Aspekt sowohl die physiotherapeutische Ausbildung wie auch das Studium. Die Zufriedenheit mit dem Studium hängt unter anderem sehr stark davon ab, wie sehr sich die Lehrenden mit der „Physiothera-pie“ identifizieren und wie stark sie in diesem Beruf verwurzelt sind. Die Studierenden benö-tigen Lehrende in Vorbildfunktion, um ihre Verunsicherung in dieser Umbruchsituation ab-bauen und den eigenen Selbstfindungsprozess begünstigen zu können.

An allen Studienstandorten hat sich herauskristallisiert - und dieses ist unabhängig von der Berufserfahrung zu sehen - dass wiederum die sozialwissenschaftlichen Fächer bzw. ihr Zu-schnitt und auch die praktische Relevanz für die Physiotherapie die größten Schwierigkeiten bedeuten und bereiten. Dieses liegt einerseits darin begründet, dass die Studierenden ihre Wurzeln deutlich im medizinischen Kontext begreifen (welches als Fakt durch die Ausbil-dung transportiert und sozialisiert ist) und andererseits darin, dass auch im Studium die Be-zugswissenschaften wie beispielsweise die Psychologie auf die Physiotherapie „gestülpt“ wer-den, ohne jedoch den alltagspraktischen Bezug und die direkte Umsetzung in der therapeuti-schen Situation aufzuweisen. Gerade die sozialwissenschaftlichen Inhalte, und hier inkludiere ich auch das Wissen über moralisch-ethische Hintergründe, stellen sich als die zentralen Kernelemente oder Schwachpunkte, sei es in der Ausbildung oder im Studium, dar - denn sie sind genau die Begründungsparameter, die die Studierenden für das berufliche Scheitern in der Alltagspraxis verantwortlich gemacht haben.

Insbesondere die NovizInnen gehen in ihren Äußerungen so weit, dass sie den Sinn der Leh-re in den sozialwissenschaftlichen Fächern anzweifeln, wenn sie von „physiotherapiefLeh-rem- „physiotherapiefrem-den“ Professionen unterrichtet werden - in deren Bezügen und Relevanzen sie sich nicht wiederfinden können. In der Verknüpfung mit ihrer Identität wünschen sich die Studierenden authentische DozentInnen, die ausgestattet mit einer entsprechenden Berufserfahrung, den Zuschnitt auf die Berufsgruppe schaffen. Die im Moment von den Studierenden an dieser Stelle verlangte Transfer- und Konstituierungsleistung kann nicht gelingen. Die ihnen

über-lassene Gestaltungszumutung, nicht nur eine neue Identität als Studierende zu entwickeln sondern auch die inhaltliche Neuorientierung führen zu hochgradiger Verunsicherung - die-ses aber nicht nur auf der Seite der Studierenden – sondern auch bei den „nicht studierenden BerufspraktikerInnen“ (vgl. hierzu Kapitel 4.2.4.2. „Schwierigkeiten im Umgang mit Schüle-rInnen in der Ausbildung und TherapeutInnen ohne fachhochschulische Sozialisation“). Das Studium wird also nicht nur als das Durchlaufen einer Statuspassage im positiven Sinne gese-hen, sondern als ein Wendepunkt und/oder Bruch mit alttradierten Wissensbeständen, die eine hohe Anpassungsleistung durch das Individuum nach sich ziehen. Dieses mag als ein Grund für die möglicherweise überwiegend kritischen Äußerungen bei der Beleuchtung des Studiums gesehen werden.

Die Studierenden der eher medizinisch ausgerichteten Studiengänge (vgl. Kapitel 1.8 „Stu-diengänge für die Physiotherapie in Deutschland“) äußern sich insgesamt sehr viel moderater und zufriedener mit ihrem Studium, da sie sich durch den medizinischen Wissenszuwachs und die vermittelten Forschungsperspektiven mit ihrer medizinisch verorteten Identität wie-derfinden.

Was jedoch durch die Struktur der Studiengänge nur bedingt gelingt, ist die Identifizierung mit einer studentischen Kultur. Anwesenheitspflicht, z. T. relativ verschulte Studiengangs-strukturen schränken diese Entwicklung sehr ein.

Durch die Sozialisation als Studierende geprägt, machen sie in ihrer Reflexion im Wesentli-chen drei Problemfelder im Akademisierungsprozess aus:

• die flächendeckende Einführung akademischer Ausbildungen in der Physiotherapie,

• die Schwierigkeiten im Umgang mit nicht fachhochschulisch sozialisierten TherapeutInnen

• die Theorie-Praxis-Divergenz.

Nur etwas mehr als ein Viertel aller interviewten Studierenden befürwortet eine grundständi-ge physiotherapeutische Ausbildung, wie sie im Ausland für den Berufsstand üblich ist. Ihre Begründungsmuster beziehen sich auf die Entwicklung des gesamten Berufsstandes, der Sta-tusveränderung durch wissenschaftlich untermauerte Wissensbestände und die damit mögli-cherweise verbundene Akzeptanz im Ausland. Auch beide hinzugezogenen externen Exper-tInnen begründen mit ebengleichen Argumenten die Einführung einer flächendeckenden akademischen Ausbildung.

Die übrigen Befragten sind entweder gegen die Einführung grundständiger, sowohl Theorie und Praxis umfassender Studiengänge oder aber sie sind hochgradig ambivalent. Mannigfalti-ge BegründunMannigfalti-gen werden hier anMannigfalti-gebracht (vgl. Kapitel 4.2.4.1 „Einführung der flächende-ckenden Akademisierung“). Die Hoffnung, die jedoch latent in jeder Aussage mitschwingt, bezieht sich auf die Tatsache, über die individuelle Weiterentwicklung einen besseren Status zu erlangen als es dem Rest der Berufsgruppe möglich ist - und sich somit deutlich abgrenzen zu können. Argumentiert wird primär von den BerufsnovizInnen, dass es ja auch noch

„HandwerkerInnen“, „ArbeiterInnen“ geben muss und dass „man nicht unbedingt studiert haben muss, um ein Bein zu behandeln“ und „die kann man ja gar nicht alle auf ein akademi-sches Niveau heben“. In einigen Fällen schwingt deutlich die Herabwertung der therapeuti-schen Intervention mit. Studium - von den Studierenden gleichgesetzt mit Theorie - und Pra-xis, so wird es offensichtlich vermittelt, erscheinen für sie als nicht zusammenzugehörig.

Auch hier wird wieder eindeutig die durch die Implementierung der Studiengänge verursachte Verunsicherung transparent, und es obliegt wiederum dem Individuum - mit wenig Unter-stützung durch die akademischen Welt - diesen Selbstfindungsprozess und die realistische

Verortung zu gestalten. Darüber hinaus wird die wahrgenommene Mehrdimensionalität des Studiums für die eigene persönliche Entwicklung transparent. Im Gegensatz zu den Novi-zInnen halten die eher verhaltenen Stimmen der Berufserfahrenen - zumeist die Studierenden des medizinisch ausgerichteten Studienganges „Vertiefung“ (vgl. Kapitel 1.8 „Studiengänge für die Physiotherapie in Deutschland“) die Einführung grundständiger Studiengänge deswe-gen für überdenkenswert, weil sie die Fülle des medizinischen Wissens für nicht verarbeitbar in einem grundständigen Studium halten. Auch hier deutet sich bereits wieder die primär me-dizinisch verortete Identität an. Es lässt sich an dieser Stelle nicht nur vermuten, dass die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Physiotherapiegesellschaft droht, sondern dass sie be-reits eingetreten ist. Nicht nur über das vorstehend erwähnte Abgrenzungsphänomen ihren BerufskollegInnen gegenüber, sondern verbal expliziert, existiert dieses Phänomen bereits.

Insgesamt macht hier ein Typus von PhysiotherapeutInnen eine Ausnahme (gleichzusetzen mit der „Enthusiastischen Idealistin“ des ersten Stranges). Überaus verantwortungsbewusst geht dieser Typ mit der drohenden Zwiespaltung um und sieht die persönliche Einbringung darin, den BerufskollegInnen die Angst vor dem Studium zu nehmen.

Das jedoch größte Problemfeld lässt sich unter der Überschrift des Theorie-Praxis-Bezuges subsummieren. Dieses ist nicht verwunderlich, verfügt die Physiotherapie in Deutschland über kaum eigenständige Theoriebildung. Aber auch der Theoriebegriff an sich bleibt diffus - zum Einen wird das medizinische Faktenwissen mit Theorie gleichgesetzt, zum Anderen das Studium als Ganzes, dann wieder nur die Inhalte der Sozialwissenschaften.

Auch die Bedeutung der Theorie als „Denkwerkzeug zur Analyse der Praxis und ihrer Bruta-litäten“ findet keine Entsprechung. Hier zeigt sich bereits eindrücklich, was sich in anderen handlungsorientierten Disziplinen (bspw. Pflege, Sozialarbeit, Erwachsenenbildung etc.) nach 10 Jahren akademischer Erfahrung als ähnliche Ergebnisse herauskristallisiert hat. Für die Physiotherapie aber bedeutet es, sich zunächst einmal Begrifflichkeiten wie Theorie, Kon-zept, Modell, Grundannahme und Bezugsrahmen zu nähern - und von vornherein einen Zu-schnitt auf die Physiotherapie zu versuchen. Die von den Studierenden getätigten Aussagen zur Theorie, die u. a. krank machend ist, Identitätsstiftung verhindert, praxisfremd und Bei-werk ist, verdeutlicht das Klaffen der Schere in dieser Disziplin vom Beginn der Etablierung der Studiengänge an. Darüber hinaus wird genau an dieser Stelle wiederum die physiothera-peutische Identität transparent. Physiotherapie ist Praxis - die sich „auch nicht an der Univer-sität lehren lässt“. Selbst die „DenkerInnen“ der kommenden Generation argumentieren mit der medizinisch orientierten Praxis, dem „Hand“-anlegen, der Hand als „Werkzeug“, den Techniken als „Werkzeugkasten“ als wesentlichen identitätsstiftenden Momenten für ihren Beruf.

Was insbesondere von einigen NovizInnen der „dreisemestrigen“ Studiengänge (genannt

„Ergänzung“- vgl. Kapitel 1.8. „Studiengänge für Physiotherapie in Deutschland“) in diesem Zusammenhang erwähnt wurde, ist, dass der fehlende Praxisbezug im Studium sie verunsi-chert und sie nicht recht erkennen lässt, was das Studium für ihre weitere Entwicklung bedeu-ten wird. Aufgrund der Kürze des Studiums verstärkt sich bei einigen Studierenden das be-reits durch die Ausbildung entwickelte defizitäre Gefühl, welches sich deutlich auf die mögli-che Festigung ihre physiotherapeutismögli-chen Identität durch das Studium niederschlägt, da die Inhalte aufgrund der zeitlichen Begrenzung „wieder“ nur angerissen werden können.

Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf die Studienmotivation und Karrierevorstellun-gen eine deutliche HeteroKarrierevorstellun-genität in der Gruppe der Studierenden festhalten Die Berufserfah-rung vor Aufnahme des Studiums prägt eindrücklich die Karrierevorstellungen. Im Hinblick auf die Entwicklung einer „neuen“ Identität als Studierende spielt nicht so sehr die Berufser-fahrung die entscheidende Rolle, sondern inwiefern es durch den gemeinsamen Sozialisati-onsprozess gelingt, einen neuen Habitus zu entwickeln oder den alten zu festigen. Die von

den Studierenden eingekreisten Problemfelder im Akademisierungsprozess verdeutlichen die Schwierigkeiten, mit denen sie sich auch in Bezug auf ihre Selbstfindung konfrontiert sehen.

5.3 Ergebnisdiskussion zum 3. Strang: Professionalisierung und