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2. THEORETISCHER HINTERGRUND

2.3 M ATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE B EGABUNG

2.3.2 Mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten: Einflussfaktoren, Korrelate, empirische

2.3.2.1 Mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten und Intelligenz

Der Zusammenhang zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten und allge-meiner Intelligenz kann als weitgehend gesichert angesehen werden (z.B. POLLMER, 1992).

Tatsächlich gehören Mathematiknoten zu den Fächern, die den höchsten Zusammenhang mit Intelligenztestwerten aufweisen (r = .60 - r = .70) (vgl. SÜLLWOLD, 1977, S. 257). HELLER

(1993) kommt zu dem Schluss, dass für naturwissenschaftlichen Erfolg kognitive Fähigkeiten von großer Bedeutung sind und in der Literatur häufig unterschätzt werden (S. 143). POLLMER

(1992) geht davon aus, dass es sich bei mathematischer Begabung ausschließlich um eine besonders hohe intellektuelle, im weiteren Verlauf spezialisierte Begabung handelt. Der enge Zusammenhang zwischen Leistungen in speziellen Mathematik-Leistungs-Tests (z.B. SAT-M, Scholastic Aptitude Test – Mathematics, s. BENBOW, 1992) und allgemeinen Intelligenz-tests spricht für diese Ansicht. Zahlreiche Untersuchungen dokumentieren die überdurch-schnittliche Intelligenz, die mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Leistungsvermögen einhergeht. ROE (1953) erhob Intelligenzwerte von 64 renommierten Wissenschaftlern und berichtet über einen mittleren IQ von 160, woraus sie schließt, dass mit wissenschaftlichem Erfolg offenbar eine eindeutig überdurchschnittliche Intelligenz einhergeht. Zu ähnlichen In-telligenzwerten kam COX (1926) aufgrund von post-hoc Schätzungen der Intelligenzquotien-ten berühmter Wissenschaftler anhand biographischer DaIntelligenzquotien-ten, welche sich nach Angabe der Autorin auf einen IQ von mindestens 164 belaufen. Aufgrund des post-hoc-Untersuchungsdesigns ist die Interpretierbarkeit der Ergebnisse zwar eingeschränkt, sie do-kumentieren aber eindrücklich die von anderen Autoren berichteten Werte. MACKINNON und HALL (1968) fanden bei einer Untersuchung an Mathematikern und Naturwissenschaftlern einen durchschnittlichen IQ um 133, während andere Untersuchungen, insbesondere bei Ma-thematikern, von deutlich höheren Intelligenzwerten berichten (IQ = 149, HELSON &

CRUTCHFIELD, 1970; IQ = 144, BIRX, 1988). Einige Autoren nehmen für mathematisch-naturwissenschaftliches Leistungsvermögen ein Schwellenmodell an. Nach den Annahmen von ALBERT und RUNCO (1986) ist ein IQ von mindestens 145 notwendig, um sich in der Wissenschaft nachhaltig zu etablieren (S. 349). Die oben berichteten Untersuchungen weisen zwar eindrücklich auf die hohe Intelligenz von Personen mit Fähigkeiten in diesem Bereich hin, das Zutreffen eines Schwellenmodells bleibt jedoch fraglich. Zum einen ist die Bandbrei-te berichBandbrei-teBandbrei-ter InBandbrei-telligenzwerBandbrei-te relativ groß, zum anderen widerlegen die Ergebnisse einer um-fangreichen Längsschnittuntersuchung an mathematisch besonders begabten Jugendlichen, die von BENBOW und ihren Kollegen durchgeführt wurde, die Annahme, dass ab einem

ge-wissen Intelligenzniveau Intelligenz keinen erklärenden Beitrag mehr zu mathematisch-naturwissenschaftlicher Leistung liefert (BENBOW & ARJMAND, 1990; BENBOW, LUBINSKI &

SANJANI, 1999). Ziel dieser Untersuchung war es, Prädiktoren für späteren wissenschaftlichen Erfolg heraus zu kristallisieren. Die Stichprobe bestand aus 3000 Jugendlichen, die über die höchsten mathematischen Fähigkeiten, erfasst anhand eines Testverfahrens zu mathematischer Begabung (SAT – M, s.o.), verfügten. Untersucht wurde insgesamt eine Million Jugendliche, so dass die obersten drei Prozent in die Untersuchung eingegangen sind. Alle ausgewählten Jugendlichen verfügten über weit überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten in allen Bereichen. Nach Aussage der Autoren lässt sich die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten bereits ab einem Alter von 12-13 Jahren zuverlässig vorhersagen, was sich auch in den Inte-ressen der untersuchten Jugendlichen deutlich widerspiegelte. Zudem konnte im Gegensatz zum diskutierten Schwellenmodell und den Ergebnissen aus manchen anderen Untersuchun-gen nachgewiesen werden, dass intellektuelle Leistungsfähigkeit auch innerhalb des obersten Prozents der Bevölkerung noch einen moderierenden Einfluss auf akademische Leistung hat (BENBOW, 1992). In einer breit angelegten prospektiven sowie retrospektiven Untersuchung an insgesamt über 9000 Schulabgängernfanden TROST und SIEGLEN (1992) heraus, dass die 166 erfolgreichsten Personen in Wissenschaft, Ingenieurwesen und Business sich bereits zu Schulzeiten durch hervorragende Problemlöse- und quantitative Fähigkeiten ausgezeichnet hatten. TROST (1993) schließt daraus, dass eine herausragende Intelligenz bzw. überdurch-schnittliche kognitive Fähigkeiten die wichtigsten Prädiktoren für außergewöhnliche Leistun-gen in Wissenschaft und Forschung darstellen (S. 332). KRAWIETZ (1995) nahm eine verglei-chende Untersuchung an Lehramtsstudenten aus den Bereichen Natur- und Sprachwissen-schaften vor und berichtet, dass die Studenten der Naturwissenschaft insgesamt eine höhere Intelligenz (IST-70, AMTHAUER, 1970) aufwiesen als die Sprachwissenschaftler.

Über bessere Fähigkeiten zum analogen Schließen bei den Endrundenteilnehmern des Bundeswettbewerbs Mathematik im Vergleich zu einer Kontrollgruppe berichtet HEILMANN

(1999). Die Endrundenteilnehmer erwiesen sich dabei als schneller in der Aufgabenbearbei-tung (η2 = .02, kleiner Effekt) und machten auch weniger Fehler (η2 = .13, mittlerer Effekt).

Diese Ergebnisse bestätigen die einer früheren Studie von VAN DER MEER (1985) an mathe-matisch-naturwissenschaftlich besonders leistungsfähigen Jugendlichen. Im Widerspruch zu den Ergebnissen von BENBOW und ihren Kollegen (s.o.) konnte die Autorin keine Unterschie-de zwischen EndrunUnterschie-denteilnehmern und späteren Siegern feststellen, wofür sie als Erklä-rungsmöglichkeit das insgesamt hohe Intelligenzniveau der hochausgelesenen Stichprobe

anführt. Nach VAN DER MEER (1985) spielen bei mathematischer Begabung insbesondere flui-de intellektuelle Prozesse eine Rolle. Fluiflui-de Intelligenz beinhaltet vor allem angeborenes, nicht wissensabhängiges Leistungsvermögen. Als Indiz hierfür ist die Tatsache zu sehen, dass hohes mathematisches Leistungsvermögen in der Regel bereits im Vorschulalter zu beobach-ten ist (VAN DER MEER, 1985). Im Bereich naturwissenschaftlicher Fähigkeiten ist davon aus-zugehen, dass kristalline Intelligenz ebenfalls eine Rolle spielt, da, wie bereits erwähnt, für herausragende Leistungen im Bereich Physik oder Chemie zuvor ein umfangreiches Wissen erworben werden muss. Als ein weiteres bedeutsames Merkmal, das mit herausragender ma-thematisch-naturwissenschaftlicher Leistung einhergeht, sieht VAN DER MEER (1985) neben der Problemlösefähigkeit die Fähigkeit zum Erkennen relevanter Problemstellungen und – lösungen an.

Darüber hinaus kann als gesichert angesehen werden, dass ein positiver Zusammenhang zwischen mathematischer Begabung und räumlichem Vorstellungsvermögen besteht (z.B.

HELLER, 1993). FENNEMA und SHERMAN (1977) fanden Korrelationen um r=.50 zwischen der Mathematikleistung und räumlichen Fähigkeiten bei Schülern der 9.-12. Klasse. Auch in der schon erwähnten Untersuchung an Lehramtsstudenten der Naturwissenschaft sowie der Sprachwissenschaft erfasste KRAWIETZ (1995) neben der allgemeinen Intelligenz auch das räumliche Vorstellungsvermögen mittels eines Untertests des IST 70 sowie von im Raum zu rotierenden Schlauchfiguren. Sowohl Naturwissenschaftler als auch Naturwissenschaftlerin-nen erzielten neben einem höheren Gesamtwert im IST 70 auch bessere Leistungen im räum-lichen Vorstellungsvermögen als die Sprachwissenschaftler. Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Bereich der Naturwissenschaft konnte KRAWIETZ dagegen nicht nachweisen.

Bei einer anschließenden Bestimmung von Diskriminierungsvariablen zwischen den Studen-ten der beiden Fachrichtungen erwies sich der Gesamtwert im IST 70 als die am besStuden-ten, die Werte im Test zum räumlichen Vorstellungsvermögen als die am zweitbesten geeignete Vari-able. Räumliches Vorstellungsvermögen zeigte in dieser Untersuchung zumindest bei den Frauen einen sehr robusten Zusammenhang mit naturwissenschaftlichem Leistungsvermögen.

Auch bei einer Analyse mittels einer nach der allgemeinen Intelligenz parallelisierten Stich-probe unterschieden sich Naturwissenschaftlerinnen von Sprachwissenschaftlerinnen in die-sem Bereich. Auch andere Autoren berichten über einen Zusammenhang zwischen mathema-tischen und räumlichen Fähigkeiten (KARLINS, SCHUERKOFF & KAPLAN, 1969; BENBOW &

ARJMAND, 1990; BENBOW, LUBINSKI & SANJANI, 1999). In der Untersuchung von BENBOW

und ihren Kollegen wiesen mathematisch hochleistende Jugendliche nicht nur herausragende räumliche Fähigkeiten sowie Fähigkeiten zu mathematischem Problemlösen auf, sondern

schnitten auch in verbalen Begabungstests deutlich überdurchschnittlich ab, was auf das Nichtvorhandensein einer mathematischen Spezialbegabung hindeutet.

Einige Autoren gehen sogar soweit, räumliches Vorstellungsvermögen als maßgeblich für das Zustandekommen herausragender mathematischer Leistungen anzusehen (BURNETT, LANE & DRATT, 1979). BURNETT und Kollegen berichten von einer Untersuchung an 264 Studierenden mit hohen quantitativen Fähigkeiten in einem Schulleistungstest. Männer erziel-ten in diesem Test zwar durchschnittlich höhere Werte, der Geschlechtsunterschied ging aber verloren, wenn räumliches Vorstellungsvermögen, in dem die Männer ebenfalls durchweg höhere Fähigkeiten aufwiesen, als Kovariate hinzugezogen wurde. Die Autoren räumen je-doch selbst ein, dass anhand dieses Vorgehens keine Aussagen über die Wirkrichtung des Zusammenhangs getroffen werden können und ihre Schlussfolgerung daher eher hypotheti-schen Charakter hat.

Nicht in allen Untersuchungen konnte ein Zusammenhang zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichem Leistungsvermögen und überdurchschnittlichen kognitiven Fähig-keiten so eindeutig nachgewiesen werden, was einige Autoren dazu veranlasste, auch andere Faktoren als maßgeblich in Betracht zu ziehen. MUCHINSKY und HOYT (1974) konnten z.B.

bei einer Untersuchung an 127 etablierten Ingenieuren keinen Zusammenhang zwischen quantitativen und verbalen Fähigkeiten mit beruflichem Erfolg aufzeigen. Da es sich bei allen Versuchsteilnehmern um bereits etablierte Ingenieure handelte, fand die Untersuchung des Zusammenhangs intellektueller Fähigkeiten mit beruflicher Leistung auf einem sehr hohen Niveau statt, so dass davon auszugehen ist, dass alle untersuchten Personen als Absolventen eines Ingenieurstudienganges bereits über ein überdurchschnittliches intellektuelles Leis-tungsvermögen verfügten. Zudem lässt sich der fehlende statistische Zusammenhang schon allein aufgrund der Tatsache erklären, dass weder hinsichtlich des beruflichen Erfolges (Aus-wahlkriterium) noch der intellektuellen Fähigkeit Variationen innerhalb der Stichprobe zu erwarten sind. Eine Kontrollgruppe oder Vergleichsgruppen anderer Berufsbereiche wurden nicht untersucht, da das vornehmliche Interesse der Untersuchung in der Vorhersagekraft ver-schiedener Leistungstests für späteren Berufserfolglag. RAHN (1985; 1986) kam jedoch eben-falls nach einer Befragung von 147 Bundessiegern im Bundeswettbewerb Mathematik der Jahre 1971-1984 sowie 781 Landes- und Bundessiegern im Schülerwettbewerb Jugend forscht der Jahre 1966-1984 zu dem Schluss, dass Intelligenz bei der Ausbildung mathema-tisch-naturwissenschaftlicher Expertise zwar eine Voraussetzung, aber als zweitrangig anzu-sehen sei und dass nicht-kognitive Persönlichkeitseigenschaften, Interessen und Zielsetzung einen wesentlicheren Einfluss ausübten. DAHME und RATHJE (1988) sowie RATHJE (1994)

beziehen eine ähnliche Position. Die Autoren gelangen ebenfalls nach einer Untersuchung von Jugend-forscht-Teilnehmern zu der Ansicht, dass nicht das intellektuelle Leistungsver-mögen sondern Motivationsfaktoren den engsten Zusammenhang mit einer erfolgreichen Teilnahme an diesem Wettbewerb aufweisen. Da kognitive Fähigkeiten in diesen Untersu-chungen nicht direkt erfasst wurden, kann es sich bei den Aussagen der Autoren jedoch nur um Vermutungen handeln. In einer vorangegangenen Untersuchung an Jugend-forscht-Teilnehmern, in der zumindest bei einem Teil der Stichprobe (N = 50) eine Intelligenzdia-gnostik erfolgte, bekleideten die Wettbewerbsteilnehmer einen Prozentrang von 93 und erwie-sen sich damit nicht als hochbegabt, aber deutlich überdurchschnittlich intelligent (DAHME, 1981). Da kein Code-System verwendet wurde, ließen sich die Daten leider ebenfalls erhobe-nen, weiteren Persönlichkeitsmerkmalen nicht zuorderhobe-nen, so dass Zusammenhänge nicht un-tersucht werden konnten. Zudem wurden nur teilweise Vergleichsgruppen herangezogen, die auch nicht näher beschrieben werden, was eine weiterführende Interpretation der Ergebnisse unmöglich macht. Eine Metaanalyse zur Prognostizierbarkeit wissenschaftlich-technischer Leistungen anhand verschiedener Personvariablen von FUNKE, KRAUSS, SCHULER und STAPF

(1987) scheint die Relevanz nicht-kognitiver Persönlichkeitsmerkmale zu bestätigen. Nach dieser Analyse war allgemeine Intelligenz der am wenigsten geeignete Prädiktor für gezeigte Leistungen. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass in vielen der ausgewerteten Untersu-chungen bis dahin ungeprüfte Neukonstruktionen zur Erfassung intellektueller Fähigkeiten eingesetzt wurden und zudem durch Effektmittelung bei mehrdimensionalen Verfahren Ver-deckungseffekte nicht auszuschließen seien. Insbesondere ist nach FUNKE ET AL. zu berück-sichtigen, dass durch Selektionseffekte die Varianz im intellektuellen Fähigkeitsbereich der untersuchten Stichproben eingeschränkt war, wodurch eine Unterschätzung des Einflusses kognitiver Variablen aufgetreten sein könnte.