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Luther als Maßstab der Kritik an der lutherischen Kirche

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 105-108)

III. Lutherbild in der Unparteiische Kirchen- und Ketzer-Historie

2. Die Lutherdarstellung Arnolds in der UKKH

2.6 Luther als Maßstab der Kritik an der lutherischen Kirche

Für Arnold war Luther nicht nur eine Gestalt der Kirchengeschichte wie andere, sondern Bezugspunkt für seine Kritik an der lutherischen Kirche und Referenz in der Begründung eigener Positionen. Tatsächlich legt er die mystische und spiritualistische Ansicht, die er beim jungen Luther gefunden hatte, als Maßstab auch an die lutherische

687 UKKH, II, 16, 9, §3, S. 550.

688 UKKH, II, 16, 4, §13, S. 487.

689 UKKH, II, 16, 4, §13, S. 487.

690 UKKH, II, 16, 13, §2, S. 610.

691 UKKH, II, 16, 13, §3, S. 610.

692 „Anderswo klagt er gleichfalls: das Evangelium allein mache faule, fressige Christen, die da meinen, sie dürften nichts Gutes tun. Item er klagte schon anno 1538 über den verkehrten Sinn der Lutheraner: Es missbrauchen heutiges Tages die Meisten der christlichen Freiheit, und sagen Gnade, Gnade, darum dürften wir weder Gutes tun noch Böse leiden. Diese machen aus Gnade Mutwillen, das ist, eine eigene Lust zu tun was sie wollen, und aus der Vergebung der Sünden eine Freiheit zu sündigen, wie jetzt allzu viele tun.“ (UKKH, II, 16, 13, §2, S. 610.)

693 UKKH, II, 16, 13, §3, S. 610: „Welches den damaligen im Grund Verderbten Bösen Zustand der Lutheraner, darunter die Wittenberger die ersten und vornehmsten sein wollen, genugsam vor Augen stellt, als an dessen Besserung Lutherus selber verzagt hat, und kurz darauf gestorben ist“.

Kirche an. Er konzentriert sich auf die eigentliche Absicht Luthers, und damit unterscheidet er „zwischen dem, was Luther wollte, und dem was dann tatsächlich erreicht wurde“694.

Zuerst überprüft Arnold die lutherische Kirche im Hinblick auf die Buße. Nach Arnold versuchte Luther anfänglich „die wahren früchte des evangelii, nemlich busse und erneuerung bey allen zu erwecken“695. Das Verständnis von dieser wahren Heiligung habe Luther „aus der heiligen schrifft wieder hervorgebracht“696, und dabei habe Luther im Anfang den „grund der wahren gerechtigkeit und seligkeit warhafftig gezeiget“697. Also haben „etliche der ersten Lehrer dabey gleich auff eine veränderung des lebens gedrungen“698. In diesem Sinn versteht Arnold die Reformation Luthers als „eine allgemeine Buß- und Erweckungsbewegung“699.

Arnold zufolge geschah es leider bald, „daß in dem wahren Christenthum, an den meisten orten, wenig oder nichts in der that gebessert worden, … weil die lehrer insgesamt zeitlich auffs disputiren und streiten verfielen, die wahre besserung zur gottseligkeit drüber fahren liessen“700. Die Menschen seien „in ihren hertzen wenig oder nichts gebessert gewesen“701. Die Lutheraner hätten sogar die Buße zur Besserung verachtet: „Aber viel [Lutheraner] ietztund sagen allein von vergebung der sünden, und sagen nichts oder wenig von busse, so doch ohne busse keine vergebung der sünden ist.

Es kann auch vergebung der sünden nicht verstanden werden ohne busse. Und so man die vergebung der sünden prediget ohne busse, folget, daß die leute wehnen, sie haben schon vergebung der sünden erlangt und werden dadurch sicher und fruchtloß“702. Die Lutheraner haben damit „die wahre krafft der metanoia oder veränderung derer hertzen, wie sie das evangelium mitbringet“703, verleugnet.

Dies hat aus Arnolds Sicht zur Folge, dass man „bald die wiedergeburt bloß und allein nach dem gemeinen irrthum in dem opere operato der tauffe suchte und alle gerechtigkeit und heiligung darinnen setzte“704. Daneben gab es „die sogenannten

694 BERHARDLOHSE, Martin Luther. Einführung in sein Leben und Werk, München 1981 [31997], S. 189.

695 UKKH, II, 16, 6, §1, S. 509.

696 UKKH, II, 16, 9, §1, S. 549.

697 UKKH, II, 16, 9, §1, S. 549.

698 UKKH, II, 16, 6, §2, S. 509.

699 JOHANN F. G. GOETERS: Gottfried Arnolds Anschauung von der Kirchengeschichte und ihrem Werdegang, in: BERNDJASPERT und RUDOLFMOHR (Hgg.), Traditio, Krisis, Renovatio aus theologischer Sicht. Fs. Winfried Zeller, Marburg 1976, S. 256.

700 UKKH, II, 16, 6, §3, S. 510.

701 UKKH, II, 16, 6, §4, S. 510.

702 UKKH, II, 16, 9, §1, S. 549-550.

703 UKKH, II, 16, 9, §3, S. 550.

704 UKKH, II, 16, 9, §3, S. 550-551.

theologischen systemata, die von Lutheri sinn vollkömmlich abweichen“705 und hätten

„die Schul=lehrer aus ihrer thörichten vernunfft speculiret und phantasiret“706. Dem frühen Luther aber hätte diese äußerliche Lehre ohne die Veränderung des Herzens und das darauf aufgebaute theologische System noch ferngelegen707.

Die Unterscheidung, „zwischen dem, was Luther wollte, und dem was dann tatsächlich erreicht wurde“708, zeige sich auch im Verständnis des Glaubensbekenntnisses sowie beim Katechismus bei den Lutheranern. Arnold zufolge finde man im Katechismus

„keine sonderbahre nachricht“709, sondern man sei meistens nur „mit dem äusserlichen hersagen, nachsprechen und auswendig lernen vergnügt“710. Die Bibel trete also hinter dem Katechismus zurück. Diese Gefahr des Buchstabenglaubens zeige sich auch in den symbolischen Büchern wie Cofessio Augustana,Kleiner und Großer Katechismus und Schmalkaldischen Artikel, in denen die lutherische Lehre formuliert wurde und auf die lutherische Kirche aufgebaut ist711. Nach Arnold habe die lutherische Kirche „die symbolische[n] bücher neben die schrifft“712 als einen „canonem oder regel der Lutherischen lehre“713 gesetzt. Diese Schriften seien „die allerrichtigste wage und regel“714 der lutherischen Kirchen geworden.

Für Arnold aber waren diese Bekenntnisschriften nichts anderes als von Menschen geschriebene Bücher. Diese Bekenntnisschriften sowie der kleine Katechismus und die theologischen Systeme in den Lehrbüchern hätten nur der Veräußerlichung des Glaubens gedient und zu einer zwanghaften Bindung der Gewissen geführt715. Für Arnold scheint diese verschriftliche Lehre als „gar scholastisch oder schulfüchsisch, in

705 UKKH, II, 16, 9, §3, S. 550.

706 UKKH, II, 16, 9, §3, S. 551.

707 Arnold sucht die Schuld zumal bei Melanchthon: „Ich halte gäntzlich dafür, daß die vielen ernstlichen bekäntnüsse und straff=reden Lutheri wider die unversitäten und schul=theologie, Aristotelische philosophie und andere teuffels=brut des Antichrists ihm offt sind ausgepresser worden, wenn der gute mann gesehen, daß Melanchthon allen diesen greuel durch die hinterthür herein gebracht, da jener sie kaum forne ausgetrieben“. (UKKH, II, 16, 9, §9, S. 554.)

708 BERHARDLOHSE, Martin Luther. Einführung in sein Leben und Werk, München 1981 [31997], S. 189.

709 UKKH, II, 16, 11, §2, S. 573.

710 UKKH, II, 16, 11, §2, S. 573.

711 UKKH, II, 16, 18, §3, S. 669: „…man dies symbolischen bücher canonicos oder eine regel und richtschnur der lehre genennet, da man doch die schrifft allein sonst davor angenommen gehabt…. So scheute man sich nicht solcher bücher von Gott unmittelbahr eingegebene schrifften auszugeben… Denn diese norm und richtschnur der lehre ist damals durch eingebung oder dicticrung des heiligen Geistes von Melanchthone geschrieben worden“.

712 UKKH, II, 16, 18, §4, S. 669.

713 UKKH, II, 16, 18, §4, S. 669.

714 UKKH, II, 16, 18, §4, S. 669.

715 UKKH, II, 16, 9, §8, S. 553. „Da gleichwohl hernach auch behauptet werden wollte: wer diesem und jenem menschenbuch oder satzung nicht folgte, der könnte nicht selig werden u.s.w. In welcher betrachtung der bekannte Andreas Osiander wider Melanchthonem öffentlich schrieb vom gewissens=zwang mit dem religionseyd“.

welcher nichts von der wahren gottseligkeit zu sehen ist“716. Arnold kommt zu einer negativen Bewertung der Bekenntnisschriften, die sich im Laufe der Reformation herausgebildet hatten. Bei ihm galten sie als ein Hindernis nicht nur für die Religions-und Gewissensfreiheit, sondern er sah in ihnen auch die Ursache für das dauerhafte Verderben der Kirche717. Folglich fand Arnold, dass die Institutionalisierung der Kirche zu keiner Verbesserung des Lebens und der Kirche, vielmehr zu einer zwanghaften Bindung der Gewissen geführt habe. Die Institutionalisierung der lutherischen Kirche war für Arnold der Abfall vom wahren Christentum. Rückkehr zum wahren Christentum war für ihn nur möglich als eine Rückkehr zu den Anfängen der Reformation, die ursprünglich eine Rückkehr zu den urchristlichen Verhältnissen sein wollte.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 105-108)