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Entstehung und historische Entwicklung

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 43-46)

II. Lutherbild vor Gottfried Arnold

2. Das Lutherbild der Wittenberger theologischen Lehrer

2.2 Luthers rechtmäßige Berufung

2.2.1 Entstehung und historische Entwicklung

Zu Luthers Lebzeiten und in der ersten Generation nach seinem Tod des 16. Jahrhundert stand die Legitimität Luthers zur Reformation nicht in Frage. Die formale Frage nach der Rechtmäßigkeit von Luthers Berufung zur Reformation fand sich nicht in den dogmatischen Lehrbüchern des 16. Jahrhunderts wie den Loci communes von Philipp Melanchthon (1497-1560), den Loci theologici von Martin Chemnitz (1522-1586) und den Compendium locorum theologicorum236 von Leonhart Hütter (1563-1616). Die

235 HANS-JÜRGENSCHÖNSTÄDT, Antchrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617, Wiesbaden 1978, S. 286.

236 LEONHARTHÜTTER, Compendium locorum theologicorum ex scripturis et libro concordiae. Kritisch (Lateinisch-deutsch-englisch) Ausgabe und Kommentierung mit einem Nachwort, in: Doctrina et Pietas:

Zwischen Reformation und Aufklärung Texte und Untersuchungen, hg. von JOHANNANSELMSTEIGER, Bd. 3, Stuttgart 2006. Hütters Compendium gehört tatsächlich zum Lehrbuch des 17. Jahrhunderts (Die

Anhänger Luthers in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wie Mathesius und Spangenberg schilderten Luthers Berufung nur im Zusammenhang mit der Vorstellung von Luther als Gottes Werkzeug als Prophet, Apostel, dritter Elia und Engel der Apokalypse.237 Selbst wenn sie in ihren Lutherdarstellungen auf eine unmittelbare Berufung Luthers zu sprechen kamen238, beschrieben Mathesius und Spangenberg Luther aus geschichtlicher Sicht als Werkzeug Gottes, weil sie ihm persönlich noch kennen gelernt hatten. Daher erschien es ihnen nicht nötig, eine außerordentliche oder ordentliche Berufung Luthers betonen zu müssen.

Die Frage nach der formalen Lehrautorität Luthers für die Kirche tauchte ernsthaft erst im Verlauf der durch die Konkordienformel verfestigten Grundlage der lutherischen Orthodoxie und der theologischen Auseinandersetzung mit dem Katholizismus im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert auf. In der Konkordienformel, die in allen lutherischen Gebieten neben der Bibel als Richtschnur der Theologie gelten sollte, nahmen Luther und seine Lehre eine Sonderstellung für die Lehrbildung und Lehrentscheidungen in der Kirche ein. Luther wurde als Lehrautorität zitiert, und die Probleme zwischen Lutheranern wurden durch die Interpretation der Theologie Luthers gelöst.239 Luther hatte durch die Reformation die Wahrheit des göttlichen Wortes wieder ins Licht gebracht und die wahre Lehre in seinen Schriften aus Gottes Wort begründet240. Demzufolge gewann die Lehre Luthers in der Konkordienformel eine Sonderstellung, obwohl seine Lehre an Gottes Wort gemessen wurde.241

So ging man davon aus, dass die Lehre Luthers mit dem Wort Gottes übereinstimmte.

Selneccer und Gloccer haben die Lehre Luthers als das reine Wort Gottes angesehen242. Diese Gleichsetzung verstärkte sich im Verlauf des Streites mit dem Kalvinismus und

erste Publikation: 1610 in Wittenberg). In Locus 16.de ministerio & Ordine Ecclesiasticostellt Hütter dar, dass Gott das Predigtamt ein setzt (S.228) und daher die Kirchendiener die Lehre richtig und rein führt und behalt, obwohl die Kirchendiener am Leben und Wandel tadelhaft ist (S. 230). Allerdings wurde die formale Frage nach der rechtmäßigen Berufung Luthers zur Reformation in diesem Lehrbuch nicht behandelt. In Bezug auf der Berufung zum Predigtamt äußert sich nur die mittelbare Berufung: „Wie vielerley ist der Beruff zum Predig=Ampt? Zweyerley. Der eine / geschichte ohne Mittel / wie die Propheten und Aposteln von Gott selbst / ohne Mittel sind beruffen worden / mit welchen solcher Beruff auch auffgehöret hat. Darnach geschicht der Beruff zum Predigampt durch Mittel / als wann heut zu Tage die gantze Kirchen / die da bestehet auff den dreyen Häuptständen / Geistlichen / Weltlichen und Haußstande / Prediger beruffet.“ (S. 232) „Ein Prediger ist eine solche Person / welche auß Gottes Befehl durch die Kirche ordentlicher Weise beruffen ist / GOttes Wort rein und lauter zu predigen / und die Sacrament nach der Einsetzung Christi außzutheilen.“ (S. 233)

237 Vgl. HANSVOLZ, a.a.O., S. 52-56; WOLFGANGHERRMANN, a.a.O., S. 60.

238 ROBERTKOLB, a.a.O., S. 215.

239 BENGTHÄGGLUND, a.a.O., S. 107-108.

240 A.a.O.

241 WALTERMOSTERT, [Art.] „Luther, Martin III. Wirkungsgeschichte“, in: TRE 21 (1991), S. 568.

242 „Gottes Wort und Luthers Lehr wird vergehen nimmermehr“ „Was Lutherus einmal gelehrt, bei dem bleiben wir unverkehrt“ „Der jüngste Tag wird kommen bald, da wird Gott wecken Jung und Alt. Nach seinem Wort und meiner Lehr Gott richten wird in aller Ehr.“ Vgl. ERNSTWALTERZEEDEN, a.a.O., S. 66.

Katholizismus. Die Lutheraner versuchten, die Lehre Luthers als die Wahrheit darzustellen und zu begründen und die Positionen der Gegner zu entkräften und zu widerlegen. In dem Verlauf dieser Auseinandersetzungen gewann Luther die formale Autorität, der einzige Lehrer der wahren Kirche zu sein. Die Lutheraner waren davon überzeugt, Luthers Lehre sei die rechte, wahre christliche Lehre zum Heil des Menschen, um die katholische Kirche von der falschen Lehre zu reinigen und das Evangelium wiederherzustellen. Die Lutheraner waren davon überzeugt, dass Luther die Autorität rechtmäßigen Lehramtes besaß, die sie doch dem Papst bestritten. Mit dieser Autorität des rechtmäßigen Lehramtes hat Luther die von der katholischen Kirche verfälschte Lehre gereinigt und die wahre Kirche wiederhergestellt243.

Gegen dieses Lutherverständnis erhoben die Katholiken jedoch heftigen Widerspruch.

Sie bestritten die Rechtmäßigkeit von Luthers Berufung zum Kirchenreformator. Nach Ansicht der Katholiken war Luther von der Wahrheit der katholischen Kirche und dem Papsttum abgewichen, hatte die Kirche gespalten und eine neue Kirche gegründet244. Auch fanden sie in Luthers Rede und Charakter die menschlichen Schwächen, die nicht dem Werkzeug Gottes angemessen waren. Daher waren die Katholiken fest davon überzeugt, dass Luther nicht zur Reformation berufen war und seine Lehre daher keine Legitimität hatte, ja dass er ein Werkzeug des Teufels war245.

Der katholische Theologe Roberto Bellarmini (1542-1621)246 hat diese katholische Position in seinem Hauptwerk, Disputationes des controversiis christianae fidei adversus huius temporis haereticos (1586-1593, 3Bde.), breit ausgeführt. Als die erste umfassende Darstellung der theologischen Kritik am Protestantismus seitens der katholischen Theologie, bezog sich das Werk vor allem auf die gegenreformatorische Ekklesiologie und die Kritik an der äußeren Kirche und der Hierarchie. In seinem Kirchenbegriff ging es um die Dreiheit Glaube, Sakramente und Anerkennung des römischen Papstes. In dem Buch behauptet Bellarmini, dass die Autorität des Papstes der letzte Garant der Wahrheit ist247. Luther dagegen sei die Legitimität zur Reformation weder durch ein Schriftstück mit Siegel noch durch ein göttliches Wunder zuteil geworden248.

243 HANS-JÜRGENSCHÖNSTÄDT, Antchrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617, Wiesbaden 1978, S. 286.

244 A.a.O.

245 A.a.O.

246 HERIBERT SMOLINSKY, [Art.] „Bellarmini, Robert“, in: RGG4 1 (1998), S. 1285-1286; GUSTAVO

GALEOTA, [Art.] „Bellarmini, Roberto“, in: TRE 5 (1980), S. 525-531.

247 HERIBERTSMOLINSKY, a.a.O., S. 1285-1286.

248 Zitat nach der deutschen Übersetzung bei ERNSTWALTERZEEDEN, Martin Luther und die Reformation

Auch der katholische Theologe Martin Becan (1563-1624)249 zeigte sich in seiner Disputation de vocatione ministrorum (1616)250 davon überzeugt, Luther sei von Gott nicht rechtmäßig zur Reformation berufen und gesendet worden. Obwohl Luther vom katholischen Bischof zum Priester ordiniert worden sei und von ihm die Macht empfangen habe, die Konsekration der Eucharistie in der Messe gültig zu vollziehen, habe er dennoch von ihm weder Macht noch Befugnis erhalten, die Religion und den Zustand der Kirche in Sachsen und seinen Nachbarländern zu reformieren und die katholische Lehre anzugreifen251. Auch sei Luther nicht unmittelbar von Gott berufen und gesendet gewesen, weil sich bei ihm keine evidenten Zeichen und Wunder als unmittelbare Berufung zeigten, und er dem Volk viel Lügen, Irrtümer und falsche Dinge vorgetragen habe und mit einer Nonne verheiratet gewesen sei252. Deswegen sei Luther einschließlich seiner Anhänger vom Teufel gesandt.

Gegen diese Kritik der Katholiken stellten sich die lutherischen Dogmatiker Johann Gerhard253, Abraham Calov254 und Johann Andreas Quenstedt255 in ihren Hauptwerken die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Luthers Berufung zum Prediger und Lehrer.

Damit wiesen sie auf die Legitimität Luthers zur Reformation der Kirche sowie auf seine Lehrautorität hin.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 43-46)