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Kritik an der „Vergötterung“ Luthers

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 97-101)

III. Lutherbild in der Unparteiische Kirchen- und Ketzer-Historie

2. Die Lutherdarstellung Arnolds in der UKKH

2.4 Das Bild des späten Luthers

2.4.2 Kritik an der „Vergötterung“ Luthers

Zunächst übt Arnold Kritik an der Luther-Vergötterung durch die Anhänger Luthers nach dessen Tod: „Erstlich bekennen die verständigen, und zwar rechtschaffene liebhaber Lutheri selber gerne, daß ihn einige allzuhoch und fast über menschliche condition erhoben haben, … Diejenigen, welche seine autorität und namen so heraus streichen, daß sie kein bedencken tragen, ihn über alle masse und beschaffenheit des menschlichen geschlechts zu erheben, … Und gewißlich, da dieser mann schon kurtz nach Lutheri tode diese subtile abgötterey unter einigen gemercket“627. Arnold findet, dass die Lutheraner den Namen Luthers allzu erhoben und fast vergöttlicht haben, ohne Rücksicht auf seine menschliche Gestalt. Des weiteren erwähnt Arnold, dass die

622 UKKH, II, 16, 5, §20, S. 500.

623 UKKH, II, 16, 5, §20, S. 500.

624 UKKH, II, 16, 5, §20, S. 501.

625 UKKH, II, 16, 5, §20, S. 501.

626 UKKH, II, 16, 5, §21, S. 501.

627 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501.

Lutheraner „Lutheri erste theure lehre nicht im geringsten weiß[en]“628, hängen sie doch

„an der person und namen selbst ohne verstand“629. Arnold kritisiert das übertriebene Lob Luthers durch die Lutheraner: „Paulus hätte mit seinem lehren die leute kaum so bewegen können, als die worte des Apostolischen Lutheri“630. Damit hätten sie Luther mit dem Apostel Paulus gleichgesetzt.

Die Lutheraner des 16. und 17. Jahrhuderts haben Luther wie einen Apostel verehrt.

Nach Luthers Tod haben sie ihre eigene Theologie von Luthers Theologie her gestaltet.

Diese entwickelte sich vor allem im Verlauf der innenlutherischen Streitigkeiten des 16.

Jahrhunderts. In diesen Streitigkeiten galt den Lutheranern Luthers Theologie als die rechte, wahre Lehre. Luther wurde die Autorität als der einzige Lehrer der Kirche zuteil.

Damit kam ihm die Funktion eines unfehlbaren Lehramtes für die Kirche zu. Diese Sicht der Lutheraner hatte zur Folge, dass man sich ausschließlich für die Lehre Luthers interessierte. Luther sei gesendet, um die Kirche zu reformieren. Er habe die Kirche und das wahre Evangelium wiederhergestellt.

In den Kontroversen mit katholischen Theologen versuchten die Lutheraner durch biblische Zeugnisse nachzuweisen, dass Luther als Professor der Theologie und ordnungsgemäß berufener Prediger Pflicht und Recht zur Reinigung der Kirche von ihren Schäden gehabt habe. Man identifizierte Luther mit biblischen Figuren wie Noah, Mose, den Propheten und Aposteln631, um Luther als Gottes Werkzeug und die Reformation als heilsgeschichtliche Erfüllung zu verstehen. Ihrer Auffassung nach galt Luther als Prophet und Apostel. Dieses Lutherverständnis zeigte sich schon bei Luthers Nachfolgern im 16. Jahrhundert632, wie Arnold erwähnt633.

628 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501.

629 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501.

630 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501.

631 In Bezug auf das Lutherbild als Apostel und Prophet wies Karl Holl (1866-1926) aufgrund der Luthers Selbstzeugnisses überzeugend darauf hin: Luther war als ein „Ecclesiasten von Gottes Gnaden“, ein

„Propheten der Deutschen“, ein „Apostel und Evangelisten in deutschen Landen“ und ein alttestamentliches Geistesverwandtes wie Jesaja und Jeremia. (KARL HOLL, Luthers Urteile über sich selbst, in: Gesammelte Aufsätze, Bd. I, S. 392.) Hans Preuß (1876-1951) erwähnt auch in seiner Monographie (HASPREUß, Martin Luther. Der Prophet, Gütersloh 1933, S. 96-131) aufgrund der Luthers Quellens überzeugend, dass Luther selbst ein Selbstbewusstsein als Evangelist (S. 102), Apostel (S. 103-105) und Prophet (S. 107-119) hatte. Beruhend auf vieler Zeugnisse Luthers über sich selbst stellt Preuß schließlich fest, dass Luther „sich als besonderer beauftragter Bote Gottes, d. h. aber als Prophet, gefühlt, gewußt“ (S. 119) hat; Zur Information über die Zeitgenossen Luthers vgl. HEINRICHBORNKAMM, Luther im Spiegel der deutschen Geistgeschichte, Göttingen21970, S. 13. Anm. 1.

632 Vgl. A. ED. FÖRSTEMANN (Hg.), Oratio in funere Reverendi Viri D. Martini Lutheri […]. Deutsche Übersetzung nach D. Caspar Cruciger, in: Denkmale, dem D. Martin Luther von der Hochachtung und Liebe seiner Zeitgenossen errichtet und zur dritten Säcularfeier des Todes Luther´s, Nordhausen 1846.

Hier begegnet man schon in der Leichenrede Luthers 1546 von Philipp Melanchthon (1497-1560). Gott habe Luther ebenso wie die biblischen Propheten und Aposteln und Kirchenväter der Kirchengeschichte als Werkzeug für die Verkündigung des reinen Evangeliums erweckt (S. 108-123.). Johannes Bugenhagen (1485-1558) hat auch Luther als die prophetische Gestalt angesehen. In seiner Luther-Leichenpredigt

In der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts betrachtete man Luther als „den heiligen mann, den göttlichen Lutherum“634, den apokalyptischen Engel635. Man war fest davon überzeugt, dass Luther der Engel der Apokalypse 14,6 war, der vor dem Ende der Welt mitten durch den Himmel fliege, allen Menschen ein ewiges Evangelium verkündet und zur Verehrung des wahren Gottes aufrufe636. Ebenso galt Luther als dritter und letzter Elia. Wie die Eliaweissagung nach LK 1,17 und Mt 11,10; 17,10ff mit dem Auftreten Johannes des Täufers als des zweiten Elia konkret geschichtlich erfüllt worden war, trat Luther als der dritte oder letzte Elia vor dem Ende der Zeit auf.

Die Lutheraner beschrieben Luther als Prophet, Apostel und apokalyptischen Engel, um zu beweisen, dass die Lehre Luthers und die Reformation von Gott gekommen sei:

Luther sei Verkündiger der alleinseligmachenden Wahrheit gewesen637. Daraus ergab sich eine Vergötterung Luthers bei den Lutheranern. Nach Arnolds Ansicht führte dies direkt zu einer „abergläubische[n] verehrung seiner person“638. Man habe Luther eine allzu große Verehrung639 entgegen gebracht: „Der Geist Jesu Christi hat uns durch diesen werthen Doctor und seine freunde seliglich verkündigen lassen“640. Die

erwähnte Bugenhagen, dass Gott Luther auf der Welt „wider so mancherlei schändliche Abgötterei und Menschensatzung“(S. 88.) und „wider die Teufelslehren in aller Welt“(S. 88.) aufgestellt hat. Durch Luther hat Gott der Kirche und der Welt „im Euangelio das hohe, große, himmlische Geheimniß“(S. 88.) offenbart. Nach seiner Meinung war Luther der Lehrer und Prophet, der von Gott gesandte Reformator.

Man begegnet auch bei Johannes Mathesius (1504-1565). Im 1566 hat Mathesius veröffentlicht die Lutherpredigten, die sich aus siebzehnten Predigten bestanden. In den Lutherpredigten verstand sich Luther als der von Gott gesandte Prophet Deutschlands gegen den Antichrist am häufigsten. (Zum Lutherbild bei Mathesius vgl. HANS VOLZ, Die Lutherpredigten des Johannes Mathesius: Kritische Untersuchungen zur Geschichtsschreibung im Zeitalter der Reformation (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 12), Leipzig 1930, S. 72-76.

633 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501f. „Diesen Titel findet man nun häufig, sonderlich bei denen Theologen, da sie ihn nennen der Christenheit getreuen Apostel und Evangelisten, der von der Heil. Dreifaltigkeit selber als ein Evangelist der Christenheit vorgestellt gewesen. Der ein Prophet und Teuschen Apostel, der 5te und letzte Elias, der wagen lsraelis und seine reute, Gottes herzlicher Engel und ein Mann nach dem Wunsch Gottes gewesen… Dahin gehört auch, wenn man ihn mit Mose, Elia, Johanne, Paulo und andern in ganzen Büchern verglichen“.

634 UKKH, II, 16, 5, §23, S. 502.

635 UKKH, II, 16, 5, §23, S. 502. Zur ausführlichen Darstellung über das apokalyptische Lutherbild vgl.

„3.1 Das apokalyptische Lutherbild“ des vorliegenden zweiten Kapitel.

636 UKKH, II, 16, 5, §23, S. 502. „Was aber insgemein bißhero vor auslegungen von ihm [Luther] über das XIV cap. Der offenbahrung Joh. v. 6. Gemachet worden, und wie man ihn zu demjenigen engel machen wollen, der mitten durch den himmel mit dem ewigen evangelio geflogen sey, ist zur gnüge bekannt“.

637 Die Grundlage, was die Lutheraner Luther hoch verehrten, findet Arnold darin, dass die Lutheraner

„durch ihn [Luther] von der sclaverey des Pabsts ziemlich befreyet worden, die sie mit grossem verdruß erfahren hatten“. Vgl. UKKH, II, 16, 5, §24, S. 503.

638 UKKH, II, 16, 5, §24, S. 502.

639 Einige Beispiele dafür erwähnt Arnold: Melanchthon hatte seine Studenten vor Luther angehalten aufzustehen, wenn er dascollegio betrat, obwohl Luther das nicht wollte. Auch folgten Melanchthon und die anderen Lutheranhänger der Autorität Luthers und dessen Meinung in allen Dingen: „Wir haben in dieser gefahr keinen trost als deinen zuspruch. Item: Wir folgen deiner autorität auch in den größten dingen“(UKKH, II, 16, 5, §24, S. 502.).

640 UKKH, II, 16, 5, §24, S. 503.

Lutheraner wären daher „Christi und Lutheri Schüler zugleich, oder Christ=Lutherisch“641.

Diese Luther-Verehrung ist nach Arnolds Ansicht dadurch zu erklären, dass „die verderbte natur immer so gerne an den creaturen und äusserlichen dingen kleben bleibet, und hingegen das warhafftige gut und einige nothwendige darbey vergißt“642. Darin erkannte Arnold ein Zeichen des Verfalls. Für ihn war es deutlich, dass Luther weder ein Apostel oder Prophet noch ein fünfter Evangelist war, auch nicht der letzte Elia oder der apokalyptische Engel.

Des weiteren kritisiert Arnold an dieser Lutherverehrung, dass die Lutheraner nicht mehr auf die Führung des Heiligen Geistes vertrauten, sondern sich nur noch an Luthers Worte hielten643. An die Stelle der innerlichen Autorität des Heiligen Geistes sei die äußerliche Autorität des Namens Luthers und dessen Ansehen getreten. Auch dies war für Arnold ein Zeichen des Verfalls.

In Arnolds mystischem Spiritualismus gilt allein die Autorität des Heiligen Geistes.

Arnold zufolge könne also der Name Luthers und seine Schriften nicht zur Grundlage einer Lehre gemacht werden, obwohl man in der Nachfolge Luthers gerade das versuchte, man solle aber „nicht an den Luther, sondern an Christum selbst“644 glauben.

Luther sei nur ein Mensch, weder Gott noch Christus645. Er könne „nicht zu einem allgemeinen lehrer“646 oder zur Richtschnur gemacht werden, weil man „ohne seine anweisung oder autorität, dennoch rechtschaffen gewesen“647 sei. Man solle Luther

„nicht aus blindem beyfall“ nachfolgen, sondern „aus trieb seines gewissens und überzeugung der schrifft“648. Hier zeigt sich, dass Arnold das Gewissen als Regel und Richtschnur für die Wahrheitserkenntnis ansieht.

So habe Luther in seinem Urteil über biblische Schriften offensichtlich geirrt und sei nicht der Aurtorität des Heiligen Geistes gefolgt.649 Als Beispiel hierfür führt Arnold Luthers Urteil über den Jakobusbrief und die Offenbarung des Johannes an: Luther habe den Jakobusbrief „nicht allein vor sträflich, und keine Apostolische schrifft [ge]hält[en], sondern durchaus eine zusammen geflickte lehre von mancherley

641 UKKH, II, 16, 5, §24, S. 503.

642 UKKH, II, 16, 5, §22, S. 501.

643 UKKH, II, 16, 5, §24, S. 503.

644 UKKH, II, 16, 5, §23, S. 502.

645 UKKH, II, 16, 5, §25, S. 503.

646 UKKH, II, 16, 5, §25, S. 503.

647 UKKH, II, 16, 5, §25, S. 503.

648 UKKH, II, 16, 5, §25, S. 503.

649 UKKH, II, 16, 5, §25, S. 503.

stücken“650. Auch habe Luther Kritik an der Offenbarung des Johannes geübt, weil sie

„nicht vom glauben und Christlicher lehre, sondern allein von der historie handele, und als weder Apostolisch noch Prophetisch sey, ja daß sie nicht von H. Geist sey“651. Arnold hielt dieses Urteil Luthers für einen Fehler. Es zeige sich deutlich, dass Luther

„theils mit anfang von vielen noch keinen gewissen verstand und grund gehabt, theils nachgehends bey so vielen versuchungen an der vorigen lauterkeit und glaubens=freudigkeit abgenommen“652 hat. Luther „hätte zwar im geist angefangen … nun aber, weil er die auffrührer hätte heissen todt schlagen, sey der geist von ihm, wie vom Saul gewichen“653. In diesen Äußerungen kann man deutlich Arnolds mystischen Spritiualismus erkennen.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 97-101)