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Kontinuität und Diskontinuität in Arnolds Lutherdarstellung

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 152-157)

VI. Die Lutherinterpretation des späten Arnold

4. Kontinuität und Diskontinuität in Arnolds Lutherdarstellung

verstehen. Hier zitiert Arnold ebenfalls Luthers Magnificat (1521).1022 Diese vom Heiligen Geist vermittelte mystische Innerlichkeit wie auch die geistliche Erfahrung findet Arnold beim späten Luther wieder im Kommentar zu den Stufenpsalmen (1540)1023, in der Predigt zur Epistel am 4. Sonntag nach Trinitatis 1535 zu Röm 8,18-22 (1535)1024 und in der Marginalglosse zu Jacobs Kampf Gen 32,241025.

Zusammenfassend ist der dem Erfahrungsbegriff Arnolds zugrunde liegende Kernpunkt die innerliche, mystische Vereinigung der Seele mit Gott. Sie hat eine ästhetische Seite, sie ist ein Empfinden, Schmecken und Fühlen mit geistlichem Sinn. In diesem Sinn ist der Erfahrungsbegriff Arnolds eine innerliche Empfindlichkeit. Zu „eine[m]

rechtschaffenen vollkommenen Menschen“1026 wird man durch Erfahrungen von Anfechtung und Kreuz. Die geistlichen Erfahrungsdinge sind Gottes Wirkungen im Herzen des Menschen, „wodurch das göttliche Bild und die erste Unschuld nach und nach herwiedergebracht werden muß“1027. Das Ziel der Erfahrungstheologie beim späten Arnold ist die innerliche und mystische Gottesbegegnung zur Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit.1028

Arnold über Luther abgeschlossen ist, kann man nun deutlich zwischen Kontinuität und Diskontinuität in seiner Lutherdarstellung unterscheiden. Arnolds grundlegende Beurteilung Luthers hat sich bis zum Schluss nicht geändert: Der frühe Luther findet sein uneingeschränktes Lob.

a) Für Arnold waren die ersten sieben Jahre Luthers „die blühende jugend der neugebohrnen christlichen religion“1029(UKKH). Der frühe Luther hat „lauter worte der wahrheit“1030 verkündigt, und ihm wurde die „unmittelbahre / und also unfehlbare eingebung des H. Geistes“1031 gegeben(Fernere Erläuterung). Der frühe Luther gewann also die „lauter[e] wahrheiten des Evangelii“1032: „Nehmlich es ist offenbar / daß ihn GOtt durch seinen Geist mit einer hochtheuren erkantnis seines wahren Evangelii oder willens von der menschen herwiederbringung durch den glauben beschencket / die er auch auff gar herrliche und durchdringende art vortragen konnte. So wenig / als nun diese kräfftige gottsgelehrte und weise lehrart jemanden von natur bekannt oder in der krafft möglich ist / und wenn er auch alle worte Pauli und Lutheri äusserlich nachspräche“(Vorrede zurKirchenpostille)1033. b) Nach Arnolds Meinung hat der frühe Luther die Erkenntnis des wahren

Evangeliums durch die Gnade Gottes erlangt, d.h. die Erkenntnis von der Herwiederbringung des Menschen zur Ebenbildlichkeit Gottes. Daher hat der frühe Luther auf die wahre Heiligung gedrungen und die wahre Buße verlangt. Der frühe Luther war ein Bußkämpfer (Leben der Gläubigen).1034

c) Dem frühen Luther sind „die besten Eigenschafften eines wahren Lehrers“1035 zuteil geworden: „Göttliche Krafft und Regierung / Erkändnüß des wahren Evangelii / […]

/ Anfechtungen und Verfolgungen / Demuth und Hertzhafftigkeit / Offenhertzigkeit / Genügsamkeit / Redlichkeit / Bescheidenheit“(Supplementa)1036.

Entscheidend aber ist Arnolds veränderte Haltung gegenüber dem späten Luther. Es findet sich bei dem späten Arnold keine grundsätzliche Kritik am späten Luther:

a) In seiner UKKH hatte Arnold großen Wert auf die Unterscheidung vom frühen

1029 UKKH, II, 16, 5, §17, S. 499.

1030 GOTTFRIEDARNOLD, Fernere Erläuterung, VI, §1, S. 36.

1031 GOTTFRIEDARNOLD, Fernere Erläuterung, VI, §1, S. 36.

1032 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §6.

1033 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §7.

1034 GOTTFRIEDARNOLD, Das Leben der Gläubigen, S. 423ff.

1035 GOTTFRIEDARNOLD, Von Lutheri Lob, Num. XIV, in: Supplementa, S. 134.

1036 GOTTFRIEDARNOLD, Von Lutheri Lob, Num. XIV, in: Supplementa, S. 134.

Luther, den er als geistlichen Reformator mit Lob bedachte, zum späteren gelegt, der mit seinen rechthaberischen Streitereien und seiner engen Kooperation mit der weltlichen Macht von seinen reformatorischen Idealen abgefallen sei.

In seiner Lebensbeschreibung Luthers im Leben der Gläubigen wird zwar immer noch der frühe Luther hervorgehoben und gelobt und auch die einstige Kritik am späten Luther nicht zurück genommen, aber sie wird doch in gewisser Weise relativiert. Die äußere Umstände von Luthers Wirken, z.B. dass er die Obrigkeit in die Verantwortung für die Kirche mit einbezog, sind jetzt für Arnold keine Gegenargument mehr gegen Luthers Theologie.

Das gelingt Arnold, indem er stärker zwischen dem äußerlichen und dem innerlichen Zustand Luthers unterscheidet. Nach wie vor kritisiert Arnold etwa, dass der späte Luther mit der Obrigkeit paktierte.1037 Doch hier geht es Arnold vorrangig um den innerlichen Zustand Luthers, d.h. die innerliche Bewegung Luthers zu Gott hin, während er die äußeren Umstände dahinter zurücktreten ließ.1038 Unter diesem Gesichtspunkt stellt Arnold auch den späten Luther geradezu wie einen mystischen Pietisten dar, der sich dem Zug Gottes öffnet und dabei stark auf sein eigenes Innenleben konzentriert ist und schließlich damit auf die Vollkommenheit durch die mystische Vereinigung mit Jesus Christus zielt.1039 Unter dem Gesichtspunkt des innerlichen Zustands spricht Arnold jetzt sogar beim späten Luther von dessen

„Krafft= und Safft=Theologie“1040, die er in einer Reihe von Zitaten zu Wort kommen lässt.

b) In Arnolds Vorrede zur Edition von Luthers Kirchenpostille (1710) geht es auf diesem Weg noch einen Schritt weiter: Für die Wertschätzung von Luthers Lehre ist es gleichgültig, ob es sich um frühe oder späte Schriften Luthers handelt. Die ‚reine Wahrheit‘ findet sich auch in seinen späten Schriften. Nach Arnolds Meinung kann man in der Kirchenpostille die Wahrheit des Christentums finden1041, weil sie die helle Einfalt des wahren Evangeliums und die rechte Lehre und die große Gottseligkeit enthalte und zu unterscheiden lehre.1042

1037 GOTTFRIEDARNOLD, Das Leben D. Martini Lutheri, in: Das Leben der Gläubigen, S. 473.

1038 GOTTFRIEDARNOLD, Das Leben D. Martini Lutheri, in: Das Leben der Gläubigen, S. 404. Im Titel der Einleitung der Lutherdarstellung äußert Arnold schon deutlich seinen Gesichtspunkt für das Leben Luthers: „Das Leben D. Martini Lutheri, in beständiger Absicht auf den innern Grund vorgestellet“.

1039 GOTTFRIEDARNOLD, Das Leben D. Martini Lutheri, in: Das Leben der Gläubigen, S. 404-536.

1040 GOTTFRIEDARNOLD, Das Leben D. Martini Lutheri, in: Das Leben der Gläubigen, S. 461; Vgl.

VOLKERKEDING, Theologia experimentalis: Die Erfahrungstheologie beim späten Gottfried Arnold, S. 13.

Anm. 106.

1041 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §5.

1042 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §4. Nach Arnolds Auffassung erkennt diese

Gegen Arnolds Unterscheidung des frühen und späten Luther und seine Bevorzugung des frühen Luther in derUKKH waren schon früh Gegner aufgetreten, die das bestritten hatten. Arnolds Gegner argumentierten, gerade Luthers späte Schriften seien besser als die frühen Schriften, denen noch manche „papistische Unreinheit“ anhafte.1043 Arnold hält die Priorität der frühen Schriften Luthers fest.

Es steht fest, dass die frühen Schriften Luthers sowie die Kirchenpostille im Blick auf die Erbauung gehaltvoller seien als die späten.1044 Es sei jedoch gleichgültig, ob ein Gedanke in den ersten oder letzten Schriften Luthers steht, entscheidend sei, ob es in Gottes Wort und Willen gegründet ist. Wenn die Unterscheidung zwischen den frühen und späten Schriften Luthers wichtiger sei als die Beurteilung des Inhalts der Schriften, könne man draus erkennen, dass es dem Autor nicht um die Wahrheit des Evangeliums, sondern um andere verborgene Absichten gehe. Daraus könne man auf eine unlautere Absicht des Autors schließen.1045 Daraus ergibt sich für Arnold, dass er die Unterscheidung zwischen frühem und spätem Luther bereits in der Kirchenpostille so weit relativiert hat, dass sie keine tragende Bedeutung mehr hat.1046

d) In der Theologia experimentalis gibt Arnold die Unterscheidung zwischen frühen und späten Luther ganz auf. Hier stellt er im Blick auf seine Erfahrungstheologie Luther als Seelsorger und Prediger. Die Bindung des äußeren Wortes an die innere geistliche Erfahrung zeigt sich sowohl in der Römerbriefvorlesung1047 als auch im Genesiskommentar1048. Arnold findet nun auch in Schriften des späten Luther Äußerungen innerlicher und mystischer Erfahrung. So zitiert er LuthersVorwort des

Einfalt des wahren Evangelium nur der erleuchtete Mensch, der „die würckungen des glaubens=geistes von menschlichen tand und wahn und das eigene wircken der natur von GOttes krafft in der versöhnung und erneuerung“(§4) unterscheiden kann. Solcher Mensch erfährt Arnolds zufolge im Herzen die innerliche und mystische Vereinigung mit Gott. Solches Bild fand Arnold im frühen Luther.

1043 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §23.

1044 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §25.

1045 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §24. „Erstlich wird ein jeder wahrheit-liebender leser gerne zugestehen / daß es ihm bey untersuchung und liebe der lauteren wahrheit einerley seyn müsse und könne / wenn / wie und wo dieselbe gesaget werde / und also / ob sie in denen ersten oder letzten büchern Lutheri zu finden sey / wenn sie nur in GOttes wort und willen gegründet ist: und also sind auch hier viel predigten aus den letzten jahren zugethan. Bestreitet aber oder verwirfft jemand eine gewisse göttl. wahrheit unter dem vorwand / sie stehe in denen ersten schrifften Lutheri / und setzet also Lutherum posteriorem dem priori, wie man redet entgegen: So entdeckt er schon seinen übeln grund und sinn / daß es ihm nicht um die lautere sache des evangelii / und also um busse und glauben / sondern um andere absichten zu thun sey.“

1046 GOTTFRIEDARNOLD, Vorbericht, in: Kirchenpostille, §24.

1047 Vgl. WA 56, S. 387-388; RUHLAND, Luther und die Brautmystik nach Luthers Schrifttum bis 1521, S.

71-74.

1048 GOTTFRIEDARNOLD, Einleitung, in: Theologia experimentalis, Frankfurt 1714, §8.

Kommentars zu den Stufenpsalmen (1540)1049, in dem Luther die geistliche Erfahrung durch die Wirkung des Heiligen Geistes begründet.

Als Beispiel dafür, dass für Arnold in der Theologia experimentalis die Unterscheidung zwischen frühem und spätem Luther keine Rolle spielt, soll folgendes Zitat aus Luthers später Genesisvorlesung stehen: „Das Bild Gottes fänget an in diesen Leben herwiederbracht zu werden durchs Evangelium: wenn es aber im Reich des Vaters vollendet wird / so wird der Wille recht frey und gut / das Gemüthe recht erleuchtet seyn. […] Je mehr nun ein Mensch in der Gnade des Lebens wächst / je mehr erfährt er hievon“1050. Arnold greift also auf den späten Luther zurück, um zentrale Aussagen seiner Anthropologie darzustellen.

1049 GOTTFRIEDARNOLD, Einleitung, in: Theologia experimentalis, Frankfurt 1714, §15.

1050 GOTTFRIEDARNOLD, Einleitung, in: Theologia experimentalis, Frankfurt 1714, §55.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 152-157)