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Historische Entwicklung

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 37-41)

II. Lutherbild vor Gottfried Arnold

2. Das Lutherbild der Wittenberger theologischen Lehrer

2.1 Das apokalyptische Lutherbild

2.1.2. Historische Entwicklung

wiederherzustellen, vor dem Jüngsten Gericht die letzte Enthüllung des Antichrists im Papsttum zu vollbringen. Es ist selbstverständlich, dass sich diese apokalyptische Deutung der Geschichte wesentlich auf Luther bezieht.201

So bezeichnete man Luther als wiederkehrenden Elia oder dritten Elia202 und Engel der Apokalypse. Wie nach LK 1,17 und Mt 11,10 und 17,10ff. die Eliaweissagung mit dem Auftreten Johannes des Täufers als des zweiten Elias konkret-geschichtlich erfüllt worden war, so verstand man Luther als dritten oder letzten Elia vor dem Jüngsten Tag.

Der Engel der Apokalypse (14,6), der vor dem Ende der Welt allen Menschen das ewige Evangelium verkünde und zur Verehrung des wahren Gottes aufrufe, das sei Luther, der von Gott beauftragt war, Deutschland mit dem Evangelium zu beschenken.203 Auf diese Weise wurde Luther mit dem apokalyptischen Engel der Heilsgeschichte identifiziert.

Spangenberg (1528-1604)206 in der Mitte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie interessierten sich für die geschichtliche Person Luthers nur in so weit, als er für sie das erwählte Werkzeug Gottes vor dem Jüngsten Tag für die Wiederherstellung der evangelischen Wahrheit und die letzte Enthüllung des Antichrists im Papsttum war. Sie versuchten die heilsgeschichtliche Person Luthers als Gottes Werkzeug dadurch aufzuzeigen, dass sie die apokalyptischen Weissagungen mit der geschichtlichen Bedeutung Luthers verbanden und Luther mit einem apokalyptischen Engel wie auch mit Elia, Moses, Paulus und einem Propheten verglichen.207 In diesem Zusammenhang wurden dann auch die menschlichen Eigenschaften Luthers wie seine Frömmigkeit, unermüdliche Tätigkeit und sein Mut als ein Vorbild für Zeitgenossen hervorgehoben208. Im Luthertum aber hat sich die Vorstellung von Luther im ausgehenden 16. Jahrhundert und im frühen 17. Jahrhundert umgewandelt. Die Lutheraner richteten ihr Augenmerk nicht mehr auf die Persönlichkeit Luthers, sondern auf seine Lehre. Die Akzentverschiebung entwickelte sich in den innerlutherischen Lehrstreitigkeiten, aber auch in der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus.

Im Laufe der innerlutherischen Lehrstreitigkeiten und bei der Ausarbeitung der Konkordienformel bekamen die Lehre und die Schriften Luthers eine immer größere Bedeutung bei der Lehrbildung und Lehrentscheidung der Kirche. Die Lutheraner betrachteten Luther als einen Mann, der „die reine Lehre des göttlichen Wortes in vorbildlicher Weise erklärt und ausgelegt hatte“209. Und Luthers Lehre war nach ihrer

Martin Luthers / Anfang / Lere / Leben / Standhafft bekentnuß seines Glaubens / vnd Sterben / Ordentlich der Jarzal nach / wie sich solches alles habe zugetragen […] Nürnberg 1566. In der fünfzehnten Predigt schilderte er den Reformator als apokalyptischen Engel, letzten Elias oder Prophet in der letzten Zeit der Welt: „Die Offenbarung S. Johannis erwehnet auch des falls vnd vntergangs der grossen vnd Geistlichen Babylon/ welches wie die alte Hiericho/ mit Posaunen eingeblasen/ vnnd mit dem Geistlichen feldgeschrey eingeschrieren vnnd gefellet ist. Propheceen kommen vom heiligen Geist her/ welche man erst verstehet/ wenn sie inns werck kommen/ vnnd erfüllet werden. Nun ist D. Martinus ein geborner Bergman zu Eißleben/ Drumb erkleret vnd bezeuget vns die erfarung/ das Gott durch Bergleut groß wunder am ende der Welt stifften/ vnd die Romische Babylon/ wie sie Petrus nennet/ hab fellen lassen.

Helias war ein Prophet vnd Bergprediger inn der schmeltzhütten zu Sarepta / Nun nennet der theure Man Herr Melanchthon / vnsern Doctor postremae aetatis Heliam, den letzten Heliam / von dem für vnd in der Christenheit inn weissagung blieben / das vorm ende dieser Welt Enoch vnnd Helias wider kommen / vnnd als die seligen zween ölbeume / den frieden vnd zukunfft Jesu Christi / mit grosser freidigkeit predigen würden.“(S. 187.)

206 Bei Spangenberg findet sich schon das Lutherbild als den Engel der Apokalypse im Titel der neunten Predigt von seinen 21 LutherpredigtenTheander Lutherus: „Von dem werten Gottesmann Doctor Martino Luthero, das er ein rechter Engel des Herrn und eben der Engel, davon Apokalypse 14 geschrieben stehet, gewesen sei.“ Vgl. WOLFGANG HERRMANN, Die Lutherpredigten des Cyriacus Spangenberg, in:

Mansfelder Blätter 39 (1934/35), S. 65.

207 HANSVOLZ, Die Lutherpredigten des Johannes Mathesius, S. 63-78; WOLFGANGHERRMANN, a.a.O., S.

62-69.

208 WOLFGANGHERRMANN, a.a.O., S. 61.

209 Vgl. BENGT HÄGGLUND, Die Rezeption Luthers in der Konkordienformel, in: Luther und Bekenntnisschriften, hg. von HEINRICHFOESTER, Erlangen 1981, S. 107-108. In der Konkordienformel

Auffassung in der lutherischen Bekenntnisschriften von der Confessio Augustana bis zu den Schmalkaldischen Artikeln zusammengefasst210. Allmählich sah man Luther als Lehrer der Kirche. Infolge desssen trat das Interesse an Luthers Persönlichkeit immer mehr zurück. Man konzentrierte sich nun auf Luthers Lehre aus Sicht der Lehrautorität der Kirche. Diese Vorstellung über Luther entwickelte sich noch weiter im Laufe der kontroverstheologischen Auseinandersetzung mit dem Katholizismus. Die Lutheraner interessierten sich ausschließlich für die Lehre Luthers zum Aufbau der lutherischen Dogmatik. Für die Lutheraner blieb Luther freilich die Autorität von symbolischem Wert und dogmatischer Kraft.

Diese Akzentverschiebung findet sich auch in dem apokalyptischen Lutherbild. Zwar erkannten die Lutheraner Luther noch als ein von Gott erwähltes Werkzeug in der letzten Zeit der Weltgeschichte an, aber Luther wurde nicht mehr zu einer endzeitlichen Gestalt stilisiert. Die Lutheraner betrachteten Luther als denjenigen, der die Kirche und die rechte Lehre, d.h. das Evangelium, in der letzten Zeit der Weltgeschichte wiederhergestellt hat. Ein Kennzeichen dafür findet sich in der Instruktion und Ordnung des Reformationsjubiläums 1617: „Ewer Christliche Liebe / volle mit gebürlicher Andacht vnd Ehrerbietung anhören / ein Stück aus dem vierzehenden Capittel des Buchs der Offenbarung S. Johannis / Darinnen der Heilige Geist deutlich geweissaget / wie zu den letzten Zeiten / wann der Antichrist zuvor hart vnd lang gewütet / der Allmächtige einen Engel / daß ist einen freudigen Lehrer / Prediger vnd Reformatorem senden / denselben das ewige Evangelium allerley nationen verkündigen / vnnd durch die Predigt des Evangelii die grosse Stadt Babylon / das ist das Römisch Babsthumb stürtzen / vnnd für demseldigen trewhertzig warnen lassen wolle / welches alles in den nehesten hundert Jahren durch D. Luthern Seeligen vnnd seine trewe Nachfolger / die Evangelische Theologen / Lehrer vnnd Prediger in vielen Königreichen / Chur=vnd Fürstenthumen / Landen vnnd Herrschafften / zu förderst aber in Deutschland reichlich erfüllet worden“211.

Die Vorstellung von Luther als Wiederhersteller der Lehre führte sogar zur göttlichen Lehrautorität Luthers, die sich in den Münzen des Reformationsjubiläums 1617 findet:

betrachteten die Lutheraner den Reformator als ein Mann, der „die reine Lehre des göttlichen Wortes in vorbildlicher Weise erklärt und ausgelegt hatte“ (S. 107) und seine Lehre als eine Zusammenfassung der lutherischen Bekenntnisschriften von Confessio Augustana bis zu den Schmalkaldischen Artikeln.

210 BENGT HÄGGLUND, Die Rezeption Luthers in der Konkordienformel, in: Luther und Bekenntnisschriften, hg. von HEINRICHFOESTER, Erlangen 1981, S. 107.

211 Instruction vnd Ordnung / nach welcher in Unsern von Gottes Gnaden / Johanns Georgen / Hertzogen zu Sachen / […], Dreßden 1617, A 4.

„Gottes Wort ist Luthers Lehr, darum vergeht sie nimmerm(ehr)“212 und „Mart. Luther:

Elias ultimi seculi“213.

In diesem Vorgang konnte die Legitimität Luthers als die göttliche Lehrautorität auch durch eine detaillierte Exegese der Apk 14,6-7 bewiesen werden. Dies findet sich in der Predigt von Johann Gerhard (1582-1637) für die Reformationsjubiläumsfeier 1617:

Gerhard stellt fest, dass die Lehre Luthers mit der Bibel übereinstimmt, und fährt dann fort, dass Luther „aus den stockdicken Finsternüssen der Bäpstischen Corruptelen vnd Jrrthumen die Lehr des Evangelij wiederumb ans Liecht gebracht vnd also freylich der Engel gewesen / von welchem allhier in diesem Text so viel hundert Jahr zuvor geweissaget“214. Auch in seinem Lehrbuch hat Gerhard auf Apk 14,6-7 zurückgeriffen, um Luthers Lehrautorität abzusichern.215 Dem Angriff des katholischen Theologen Bellarmins setzt Gerhard hier entgegen, Luthers Auftreten als der einzige Kirchenlehrer sei nachweisbar aus den biblischen Vorhersagen einschließlich der Auslegung von Apk 14, 6-7.

Die Bibelauslegung Gerhards hat Abraham Calov (1612-1686) direkt übernommen. In Calovs exegetischem Hauptwerk Biblia illustrata Alten und Neuen Testament (1672 – 1676)216 und in seiner Disputation De Luthero Ante Lutherum (1683)217 findet sich jeweils eine Exegese von Apk 14, 6.7, in der der apokalyptische Engel auf Luther gedeutet wird. Arnolds Lehrer Johann Deutschmann wiederum folgte Calov. 1683 schrieb Deutschmann eine Disputation über die Lutherdarstellung: Dissertatio

212 ERNSTWALTERZEEDEN, Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums, Bd.

2, Freiburg 1952, S. 69.

213 A.a.O.

214 JOHANN GERHARD, Die Andere Evangelische Jubelpredigt / Aus dem 14. Cap. der Offenbahrung Johannis / Am andern Feyertage Gehalten von JOHANNE GERHARDO, der H. Schrifft Doctorn vnd Professorn, auch damals der Universitet RECTORN [In: Drey Christliche Frewden= Lehr vnd Lobpredigten . . ., Jena 1618], B3a ff.

215 JOHANN GERHARD, Loc. XXIII, Cap. 11 de notis ecclesiae a Bellarmino in specie; Sectio 12: de duodecima Ecclesiae nota, quam Bellarminus adsignat, quae est lumen propheticum. §§287-292. Zum deutschen Text für das apokalyptische Lutherbild vgl. ERNSTWALTERZEEDEN, Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums, Bd. 2, Freiburg 1952, S. 94-97.

216 ABRAHAMCALOV, Biblia Novi Testamenti Illustrata : In Quibus Emphases vocum ac mens dictorum genuina, è fontibus, contextu, & analogia Scripturae eruuntur: II. Versiones praecipuae cum Graeco textu, vindicata ubique huius sinceritate, conferuntur: III. Expositiones cum veterum tum recentiorum interpretum expenduntur, veriores Patrum ipsorummet, B. Lutheri, & aliorum Theologorum propriis verbis stabiliuntur: IV. Dubia textualia, Historica, Genealogica, & alia, expediuntur: V. Contradictiones apparentes discutiuntur: VI. Quaestiones variae, Theoreticae & Practicae, solvuntur: VII. Loca Cllassica pleraque ex professo tractantur: VIII. Corruptelae Haereticorum, & aliorum luculenter retunduntur: IX.

Grotianae depravationes, & pseudermeneias iusto examini sistuntur & exploduntur; Adeoque Id Imprimis Sedulo Agitur, Ut Unicus Literalis Scripturae Sensus Undiquaque Adseratur, Et Confirmetur, Praemissis librorum singulorum praeloquiis, & partitionibus, nec non capitum quorumvis argumento, & distributione, insertis etiam, ex vvoto Eruditorum, Annotatis Grotii Universis ... / Opera & Studio D. Abraham Calovii, P. P. In Acad. Witteberg. Primarii ... / Dresdae et Lipsiae 1719, S. 1862-1866.

217 ABRAHAMCALOV, Dissertatio Theologica, De Luthero Ante Lutherum, Wittenbergae 1683.

Theologia de Luthero Angelo illo Apocalyptico cap. XIV. v. 6,7.218 Wenn man berücksichtigt, dass Arnold später diese Dissertation Deutschmanns in der UKKH bei seiner Kritik gegen das apokalyptische Lutherbild der lutherischen Orthodoxie zitiert219, kannte Arnold vermutlich schon diese Schrift in seiner Studienzeit.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 37-41)