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Hintergrund: Endzeitbewusstsein

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 34-37)

II. Lutherbild vor Gottfried Arnold

2. Das Lutherbild der Wittenberger theologischen Lehrer

2.1 Das apokalyptische Lutherbild

2.1.1. Hintergrund: Endzeitbewusstsein

Die Vorstellung von Luther als Engel der Apokalypse steht in enger Verbindung mit dem Endzeitbewusstsein unter Lutheranern. Im konfessionellen Zeitalter war es zwar nicht das Hauptanliegen der Lutheraner, über die Endzeiterwartung ihrer Zeit zu reflektieren.189 Sie beschäftigten sich mehr mit dem Aufbau der lutherischen Dogmatik im Zusammenhang mit den innerlutherischen Lehrstreitigkeiten und den Kontroversen

189 HARTMUTLEHMANN, Endzeiterwartung im Luthertum im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert, in:

Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland: wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; Bd. 197), hg. von HANS-CHRISTOPHRUBLACK, Heidelberg 1992, S. 545.

mit dem Katholizismus und Kalvinismus. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die zeitgenössischen Lutheraner von intensiven apokalyptischen Erwartungen aufgrund der Erfüllung biblischer Weissagungen auf die Endzeit tief geprägt waren.190

Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kamen Himmelsphänomene und Katastrophen vor, in denen man Anzeichen der Endzeit an Hand der biblischen apokalyptischen Weissagungen fand: Sonnen- und Mondfinsternisse (Joel 2,1f) und Erscheinungen von Kometen und neuen Sternen (Lk 21,25)191, Katastrophen wie Pest und Krieg (Jer 24,10; Mk 13,7-8; Lk 21,9-11)192. Die ungewöhnlichen Natur- und Geschichtsereignisse führten die Menschen dazu, dass sie sich fühlten, als lebten sie am Ende der Weltgeschichte.

Des Weiteren steht das Endzeitbewusstsein der Lutheraner in enger Verbindung mit der Bedrohung der Türken und mit der Identifizierung des Papstes als Antichrist. Diese Vorstellung reichen zurück bis zu Luthers Lebzeiten. Seit Mitte 1520 ist Luther überzeugt, im Papsttum dem Wirken des Antichristen schlechthin gegenüberzustehen.

Die Gleichsetzung des Papstes mit dem Antichrist hat er seit seiner Schrift Adversus execrabilem Antichristi bullamöffentlich mit aller Schärfe vertreten.193 Seit dem Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts hat Luther angesichts der Türkengefahr die Parallelität vom Papst und den Türken betont. Ebenso hat Luther in seinen späteren Verhandlungen mit Vertretern der griechisch-orthodoxen Kirche von einem doppelten Antichristen gesprochen, dem geistlichen im Papst und dem weltlichen in den Türken.194 Aufgrund vieler Flugblätter verbreitete sich schnell die Vorstellung Luthers, dass der Papst der Antichrist sei.

Mit dem Interim von 1548, das die Auseinandersetzung mit dem Papsttum erneut anheizte, und dem wachsenden Druck der Gegenreformation auf den Protestantismus wurde der Begriff Antichrist zum meistgebrauchten Begriff evangelischer Polemik. Vor

190 HARTMUT LEHMANN, a.a.O., S. 545-554; ders., Das Zeitalter des Absolutismus (Christentum und Gesellschaft 9), Stuttgart 1980, S. 105-113; THOMAS KAUFMANN, 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende im deutschen Luthertum, in: Jahrhundertwenden (Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), hg. von MANFRED JAKUBOWSKI-TIESSEN, HARTMUT LEHMANN, JOHANNES SCHILLING und REINHARTSTAATS, Göttingen 1999, S. 73-128; ROBINB. BARNES, Der herabstürzende Himmel: Kosmos und Apokalypse unter Luthers Erben um 1600, in: Jahrhundertwenden (Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), hg. von MANFREDJAKUBOWSKI-TIESSEN, HARTMUTLEHMANN, JOHANNESSCHILLING

und REINHARTSTAATS, Göttingen 1999, S. 129-145.

191 VOLKERLEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag: Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548-1618, Göttingen 1999, S. 88-92.

192 A.a.O., S. 96-103.

193 GOTTFRIEDSEEBAß, [Art.] „Antichrist, IV. Reformations- und Neuzeit“, in: TRE 3 (1978), S. 28-43;

hier 29.

194 A.a.O., S. 30. Luther hielt den Papst als den Geist des Antichrists und die Türken als den Körper des Antichrists. (WA TR 1 Nr. 330. „papa est spiritus Antichristi, et Turca est caro Antichrist. Sie helffen beyde einander wurgen, hic corpore et glaudio, ille doctrina et spiritu.)

allem die Interimszeit löste im Zusammenhang mit apokalyptischen Vorstellungen eine neue Hochkonjunktur in der Verwendung des Begriffs ‚Antichrist‘ aus, wobei sich neben Nikolaus von Amsdorf, Johann Funk und Andreas Osiander vor allem Matthias Flacius Illyricus hervortat.195 Anknüpfend an verschiedene Äußerungen Luthers setzte sich bei den Theologen mehr und mehr die Annahme zweier letzter großer Antichriste durch: dem Papst und den Türken. Gleichwohl wurde die Lehre von dem doppelten Antichrist, vom geistlichen und weltlichen, vom okzidentalen und orientalen Antichrist zur opinio communis protestantischer Theologen.196

Durch diese Strömungen fühlten sich Luthers Zeitgenossen sowie seine Anhänger als lebten sie, in den letzten Zeiten der Weltgeschichte.197 Die Lutheraner stellten so in ihren Flugschriften ihre eigene Zeit als die letzte Zeit dar. 198 Auf diesem Zusammenhang hat Volker Leppin in seiner grundlegenden Studie zum Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548-1618 zu Recht hingewiesen: „Die Reformation ist kein ausschließlich immanent verstehbares Ereignisses innerhalb von Welt- und Kirchengeschichte, sondern sie ist der Beginn der Endzeit, das Ende jeder Geschichte. Ganz anders als etwa im Rahmen der Elia-Weissagung kommt so der Reformationszeit und dem Auftreten Luthers entscheidende eschatologische Relevanz zu: Angelpunkt der implizierten Geschichtssicht ist die Reformation.“199

Mit diesem endzeitlichen Bewusstsein versuchte die Generation nach Luther an Hand der biblischen apokalyptischen Weissagungen Luther und sein Wirken neu zu verstehen.

Sie sahen den Beginn der Endzeit der Weltgeschichte in dem Auftreten Luthers und seiner Tätigkeit gegen den Papst als Antichrist und verstanden dabei Luthers Verkündigung des Evangeliums als ein der Wiederkunft Christi beim Jüngsten Tag voraus laufendes Wirken Gottes200. Die Lutheraner verbanden Aussagen über den Engel in Apokalyse 14 und 18, das Licht in Sacharia 14,7, über Elia in Maleachi 3,23 und über das Geschrei in Daniel 11,14 zu einem apokalyptischen Gesamtbild: Gott wähle ein Werkzeug in der letzten Zeit der Geschichte aus, um die reine evangelische Wahrheit

195 HANS PREUß, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter bei Luther und in der konfessionellen Polemik, Leipzig 1906, 220-222.

196 GOTTFRIEDSEEBAß, a.a.O., S. 34.

197 JOHANNESSCHILLING, Der liebe Jüngste Tag. Endzeiterwartung um 1500, in: in: Jahrhundertwenden.

Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von MANFREDJAKUBOWSKI -TIESSEN, HARTMUT LEHMANN, JOHANNES SCHILLING und REINHART STAATS, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 155), S. 22-26.

198 VOLKERLEPPIN, a.a.O., S. 295-307.

199 A.a.O., S. 206.

200 GOTTFRIEDSEEBAß, [Art.] „Apokalyptik/Apokalypsen VII“, in: TRE 3 (1978), S. 281.

wiederherzustellen, vor dem Jüngsten Gericht die letzte Enthüllung des Antichrists im Papsttum zu vollbringen. Es ist selbstverständlich, dass sich diese apokalyptische Deutung der Geschichte wesentlich auf Luther bezieht.201

So bezeichnete man Luther als wiederkehrenden Elia oder dritten Elia202 und Engel der Apokalypse. Wie nach LK 1,17 und Mt 11,10 und 17,10ff. die Eliaweissagung mit dem Auftreten Johannes des Täufers als des zweiten Elias konkret-geschichtlich erfüllt worden war, so verstand man Luther als dritten oder letzten Elia vor dem Jüngsten Tag.

Der Engel der Apokalypse (14,6), der vor dem Ende der Welt allen Menschen das ewige Evangelium verkünde und zur Verehrung des wahren Gottes aufrufe, das sei Luther, der von Gott beauftragt war, Deutschland mit dem Evangelium zu beschenken.203 Auf diese Weise wurde Luther mit dem apokalyptischen Engel der Heilsgeschichte identifiziert.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 34-37)