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Arnolds offene Haltung zum Zugang zur Kirche

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 112-116)

IV. Lutherbild im Verlauf der Wandlung Arnolds von 1700 bis 1701

1. Arnolds offene Haltung zum Zugang zur Kirche

Arnold ging in Quedlinburg nicht zur Beichte und zum Abendmahl739, führte ein zurückgezogenes Leben, und er verzichtete auch bewusst auf das Pfarramt und den Ehestand740. Diese Haltung zeigt sich sehr deutlich in seiner Schrift Erklärung vom gemeinen Sectenwesen (6.6.1700)741, in der er seine separatistische Haltung offen rechtfertigte.

Arnold betrachtet Beichtstuhl, Altar, Taufstein und Kanzel als ‚vier Hauptgötzen‘ für

737 [Dünnhaupt Nr. 24.]

738 HANSSCHNEIDER, Der radikale Pietismus im 18. Jahrhundert, in: GdP, Bd. II, S. 117.

739 JÜRGEN BÜCHSEL, Vom Wort zur Tat: Die Wandlungen des radikalen Arnold. Ein Beispiel des radikalen Pietismus, in: DIETRICHBLAUFUß und FRIEDRICHNIEWÖHNER (Hgg.), Gottfried Arnold. Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 61), Wiesbaden 1995, S. 154-155.

740 HANSSCHNEIDER, Der radikale Pietismus im 17. Jahrhundert, in: GdP, Bd. I, S. 412.

741 [Dünnhaupt Nr. 23.]

das unwissende Volk.742 Auch lehnt er die Teilnahme am Gottesdienst und am Abendmahl als christliche Pflicht ab743, da die wahre Religion die Verbindung der Seele mit Gott ist744 und der wiedergeborene Christ ein inneres, immerwährendes Abendmahl feiert745.

Aufgrund dieses theologischen Standpunkts aber war Arnold als Separatist verdächtig.

Vor allem wurde er von der Äbtissin in Quedlinburg provoziert. Gegen den Separatismusverdacht gab Arnold noch eine kleine Schrift unter dem Datum der Vorrede vom 12. November 1700 heraus, die aus einem Brief an den Konsistorialpräsidenten von Fuchs und drei Predigten aus dem Jahr 1700 bestand: Der richtigste Weg durch Christum zu Gott746.

In dieser Schrift (Zuschrift) erklärt Arnold, dass er kein Separatist sei. Er erklärt zuerst, dass er in Lehre oder Praxis nie von der Heiligen Schrift abgewichen ist: „Maßen ich nochmahls mit gutem Gewissen vor GOtt und Menschen bezeuge / daß ich weder iemahls gemeinet gewesen / noch auch itzund bin / viel weniger künfftig seyn werde / entweder bey mir selbst offenbahrlich=irrige Lehren zu hegen / oder anderen im geringsten beyzubringen: Sondern daß ich vielmehr bey dem / was ich aus und nach der H. Schrifft gelehret worden bin / ernstlich und beständig durch GOttes Gnade zu verbleiben gedencke“747.

Danach, als eine Antwort auf die Kritik an derUKKH unterscheidet Arnold seine eigene Meinung von der objektiven historischen Darstellung: „Und weil ich vermöge meiner ehemahls gehabten Historischen Profession auff der Universität zu Giessen die Historie derer Religions=Streitigkeiten untersuchen und letzlich in der unpartheyischen Kirchen= und Ketzer=Historie entdecken müssen / solches aber nicht von allen gleich nach der Wahrheit aufgenommen und gebrauchet worden ist: So bekenne ich hiemit nochmals / daß ich die darinn befindliche Meinungen nicht als gewisse Lehr-Sätze oder auch als meine eigene Meinungen wiederholet und gebilliget, sondern bloß und allein ex officio Historici, gleich anderen Scribenten / als ein Referente erzehlet / die Wiederlegungen aber denen Herren Theologis überlassen habe“ 748 . Seine Kirchengeschichtsschreibung in derUKKH sei nur aufgrund von historischen Tatsachen

742 GOTTFRIEDARNOLD, Erklärung vom gemeinen Sectenwesen, I, 6, S. 16.

743 GOTTFRIEDARNOLD, Erklärung vom gemeinen Sectenwesen, II. Gottesdienstbesuch; III. Abendmahl.

744 GOTTFRIEDARNOLD, Erklärung vom gemeinen Sectenwesen, II, 24, S. 33.

745 GOTTFRIEDARNOLD, Erklärung vom gemeinen Sectenwesen, III, 1, S. 34.

746 GOTTFRIEDARNOLD, Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott: Bey öffentlichen Versammlungen in dreyen Sermonen oder Predigten angewiesen, und auff Begehren ausgefertiget von Gottfried Arnold:

Nebenst Einer näheren Erklärung von seinem Sinn und Verhalten in Kirchen-Sachen, Franckfurt 1700.

747 GOTTFRIEDARNOLD, Die Zuschrift, in: Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott, S. 4.

748 GOTTFRIEDARNOLD, Die Zuschrift, in: Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott, S. 4f.

entstanden.

Schließlich erklärt Arnold seine Bereitschaft zur Kirche und zum Abendmahl zu gehen.

Er geht auf seine Haltung gegenüber kirchlichen Ordnungen ein: „Hiernechst kan…ich von meinem äuserlichen Verhalten in geistl. Dingen dieses mit Wahrheit unterthänig versichern / daß / wie ich nach dem Inwendigen wünsche und suche dem Evangelio gemäß zu wandeln / so auch in äuseren Bezeigungen nach Christlicher Freyheit mich keiner Gottgefälligen Ordnung entziehe. Wie ich denn…die gemeinen Kirch-Versammlungen niemahls gäntzlich verlassen, viel weniger an sich selbst vor nunütz oder schädlich … geachtet“749 habe. Damit stellt Arnold seine Bereitschaft fest, bei einem Pfarrer seiner Wahl zum Abendmahl zu gehen, da er es nun nicht von der Obrigkeit gezwungen tun müsse. Durch diese Schrift versichert Arnold, er sei kein Separatist und sei auch bereit, öffentlich am Abendmahl teilzunehmen.

Um dem Vorwurf zu begegnen, er besuche keine Gottesdienste, fügte Arnold auch drei Predigten mit genaue Orts- und Zeitangaben bei, die er im Jahr 1700 in Aschersleben, in der Schlosskirche zu Quedlinburg und in Halberstadt gehalten hatte. Als Antwort auf diese Schrift wurde Arnold zugesichert, dass er sich den Pfarrer und die Kirche für die Teilnahme am Abendmahl selber aussuchen könne.

Arnolds milde und offene Haltung zum Zugang zur Kirche zeigt sich noch deutlicher in der Schrift Fernere Erläuterung seines sinnes und verhaltens beym Kirchen- und Abendmahlgehenunter dem Datum der Vorrede am 1.3.1701.750

Während Arnold in der Erklärung vom gemeinen Sectenwesen erklärte, weltliche und kirchliche Ordnung seien überflüssig für die Vollkommenen, die die Weisungen Christi im Herzen tragen751, erklärt er nun in dieser Schrift Fernere Erläuterung die Notwendigkeit und Nützlichkeit von äußeren Ordnungen, vor allem um die Schwachen und Unwissenden zu führen.752

So erklärt sich Arnold, „unter Göttlicher geduld umb der gemeinen Ruhe, oder anderer heilsamen absichten willen“ auch in den Gottesdienst zu gehen753. Er leugnet nicht mehr die Notwendigkeit von Gottesdiensten: „Vors andere wird auch wegen deß orts nicht gestritten / ob zu solchen untadelichen zusammenkunfften die einmahl erbauten kirchhäuser gebrauchet werden mögen: sintemahl auch dieses nach weiser ordnung

749 GOTTFRIEDARNOLD, Die Zuschrift, in: Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott, S. 5.

750 [Dünnhaupt Nr. 30.]

751 GOTTFRIEDARNOLD, Erklärung vom gemeinen Sectenwesen, IV, 2, 42, S. 96.

752 JÜRGENBÜCHSEL, Vom Wort zur Tat: Die Wandlungen des radikalen Arnold, in: Dietrich Blaufuß / Friedrich Niewöhner (Hgg.), Gottfried Arnold (1666-1714). Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714 (Wolfenbütteler Forschungen, 61), Wiesbaden 1995, S. 156.

753 GOTTFRIEDARNOLD, Fernere Erläuterung, IV, §5, S. 19.

ausser dem gemeinen aberglauben und Päbstischen sauerteig in christlicher freyheit beruhet.“754

Er interpretiert sein früheres Fernbleiben als göttliche Führung: „Es ist wahr / ich habe freylich dazumahl / nach meinem damahligen erkänntniß und gewissen bekannt / daß ich das Abendmahl in den kirchen nicht mit halten könnte noch dürffte; ja ich würde mein gewissen schwer belediget haben / wann ich zur selben zeit ohne Göttliche gewißheit hingegangen wäre.“755 Allerdings wollte er nun zum Abendmahl wieder gehen: „Gott pfleget nach und nach / den an sich selbst rechtmäßigen eiffer über das gmeine elend in heilige ordnung und temperatur zu bringen.“756 Damit sucht er nun die

„rechte mittelstrasse“757: „Und darum sind so wenig / welche die rechte mittelstrasse durch den H. Geist treffen / und bey dem haupt=werck der wiedergeburt / in denen neben=dingen treue haußhalter seyn / so daß sie dieselben nach gestalten sachen auff Göttliche anleitung thun oder lassen könten“758.

Es ist sehr auffällig, dass es in dieser Schrift Fernere Erläuterung seines sinnes und verhaltens beym Kirchen- und Abendmahlgehen (1701) auch ein Kapitel (VI) über Luther gibt: „Von denen zeugnissen Lutheri / und meinem bißherigen verhalten in kirchen=sachen“759. Seine Lutherdarstellung aber ist grundsätzlich nur eine Erläuterung des Lutherbildes derUKKH.

Arnold unterscheidet hier wieder zwischen dem frühen und dem späten Luther.760 Luther hat „lauter worte der wahrheit“761 verkündigt, und ihm wurde die „unmittelbahre / und also unfehlbare eingebung des H. Geistes“762 gegeben. Also wurde er anfänglich unter Bedrängnis und Anfechtungen „immer ins gebet und ins inwendige [ge-]trieben / [und hat] wider das äusserliche abergläubische wesen geeifert / und die seelen allein auff das inwendige reich ernstlich gewiesen“763.

Es ist aber offensichtlich, dass Luther „nach und nach in autorität und beyfall der

754 GOTTFRIEDARNOLD, Fernere Erläuterung, V, §4, S. 22.

755 GOTTFRIEDARNOLD, Fernere Erläuterung, VI, §18, S. 43.

756 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VII, §23, S. 63.

757 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VII, §27, S. 65.

758 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VII, §27, S. 65.

759 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VI. „Von denen zeugnissen Lutheri / und meinem bißherigen verhalten in kirchen=sachen“.

760 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VI. Hätte man Arnold zufolge „in anziehung dieser stellen untadelich / und nach seinem gewissen vor dem allsehenden GOtt verfahren / so würde es zum wenigsten in ansehung Lutheri diesen nutzen haben / daß man sähe / wie weit der sel. Mann zuletzt durch die hefftigen disputen von seinem ersten und der lauteren krafft und freyheit des Evangelii von Christo in uns / unvermerckt abgekommen sey“ (§2, S. 37)

761 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VI, §1, S. 36.

762 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VI, §1, S. 36.

763 Gottfried Arnold, Fernere Erläuterung, VI, §3, S. 37.

Grossen / auch mithin in eiffer und wortkriege wider viele gerieth“764. Beim späten Luther „entzog sich freylich die krafft des Evangelischen geistes mercklich“765. Arnolds Meinung nach wurde Luther zwar „in seinen besten jahren“766 von der evangelischen Freiheit geführt, aber haben die „harten expressionen und scheltworten“767 nach der Auseinandersetzung mit Karlstadt und Zwingli Spaltungen einen immer größeren Raum eingenommen. Der frühe Luther erlangte die lautere Wahrheit „von dem Evangelio durch wahre bekehrung“768, jedoch kann man im späten Luther „eine menschliche schwachheit“769 erkennen.

Hier stellt sich eine Frage: Warum hat Arnolds offene Haltung zum Zugang zur Kirche das Lutherbild nicht beeinflusst? Insofern man Arnold zufolge Luther und die Reformation aus der historischen Perspektive770 sieht, gibt es bei Arnold keine Veränderung des Lutherbildes zwischen der UKKH und der Fernere Erläuterung.

Gemeinsamkeit dieser beiden Schriften ist, dass Arnold den frühen Luther vor dem späten bevorzugt. Wenn man Arnold zufolge „des Hn. Lutheri ersten lauteren sinn von dem Evangelio durch wahre bekehrung erlange / so wird er nach und nach fähig werden“771. Für Arnold wurde der frühe Luther vom Heiligen Geist regiert, der späte Luther war davon abgewichen.

Im Dokument Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold (Seite 112-116)