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Die rechtliche Prüfung angemessener und geeigneter Sanktionen stellt ebenfalls eine große Hürde dar.

„Also ich glaube, in den letzten zehn Jahren hat mein Arbeitgeber JEGLICHEN Arbeitsrechtsprozess verloren, weil sie einfach keine Ahnung haben, wie sie das machen.“ (MM)

Geäußert wird die Sorge, dass die verursachende Person bei einer Klage gegen die Sanktion vor Gericht Recht bekommt und somit das Signal gesendet wird, dass der Verursacher eben tun und lassen könne, was er will (Die Auswertung der Kündigungsschutzfälle im Kapitel 4 macht deutlich, dass diese Sorge durchaus berechtigt sein, das Risiko aber durch bestimmte Vorkehrungen auch vermindert werden kann.).

„Ja, aber wir müssen das prüfen, dass das rechtlich Bestand hat! Sozusagen, dass uns das nicht um die Ohren fliegt, wenn die dann vor das Arbeitsgericht ziehen […]. Also da schütteln wir schon manchmal mit dem Kopf, muss ich ganz ehrlich sagen, dass das so schwierig ist zu sanktionieren.“ (MM)

„Und das ist ein GANZ schlechtes Signal letztendlich. Da muss man jetzt gucken, wie man da raus kommt. Weil das wäre so ein Signal: ‚Naja, du kannst machen was du willst, danach musst du nur wieder klagen irgendwie. Und dann hat das auch keine Konsequenzen. Dann kommst du wieder raus.‘

Das wäre VERHEEREND jetzt in dem Fall, finde ich.“ (MM)

Besonders schwer zu ahnden sind in diesem Kontext anonyme Meldungen.

„Also wenn sich jemand wirklich belästigt fühlt, nützt es auch nichts, wenn ich anonym weiß, in der Abteilung gibt es jemanden, […] da kann ich nicht eingreifen.“ (L)

Um aktiv gegen die verursachende Person vorzugehen, muss den Erfahrungen von Leitungs- und An-sprechpersonen nach die betroffene Person bereit sein, das Verfahren mitzutragen und ggf. auch vor Gericht auszusagen. Die verursachende Person wird zu den Vorwürfen angehört und erfährt dadurch letztendlich auch, von wem die Beschwerde ausging. Viele Betroffene haben aber aufgrund verschiedener Ängste (vgl.

Kapitel 6 und 7.3) den Wunsch, anonym zu bleiben. Dies erklärt auch, warum am Ende zumeist keine offi-ziellen Sanktionen erfolgen (s. auch Kapitel 5 und 6).

„Also das ist auch ganz wichtig, weil letztendlich das Opfer muss wissen, wenn wir arbeitsrechtliche oder disziplinarische Schritte ergreifen, brauchen wir das Opfer als Zeugen oder Zeugin. Und wenn jemand sagt, das ist zwar alles schlimm, was mir passiert ist, aber ich bin nicht bereit in einer öffentlichen Ver-handlung vor dem Arbeitsgericht oder vor dem Verwaltungsgericht als Zeugin oder Zeuge auszusagen, dann muss ich mein Handeln anders abstimmen. […] Und deswegen ist es bei uns so üblich, wir bespre-chen das mit dem Opfer, was es für Konsequenzen haben soll.“ (L)

Wichtig sei in diesen Fällen, trotzdem strukturelle und schützende Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn eine individuelle Sanktionierung nicht möglich sei. Auch hier gebe es Möglichkeiten der Intervention:

„Sie können immer etwas tun. Sie können auch in der nächsten Teambesprechung sagen: ‚Übrigens, heute reden wir mal über das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Derjenige, der gemeint ist, weiß ganz genau, dass er gemeint ist‘, also so. Das ist so viel, was unter, also unter diesen formalen Sanktionie-rungen liegt.“ (E)

Im Kontext der Frage nach Sanktionierung wurde auch die Angst vor Fehlbeschuldigungen thematisiert.

Diese Befürchtung würde in vielen Fällen als Argumentationslinie genutzt, keine Sanktionen zu ergreifen, da ein_e Arbeitgeber_in verpflichtet sei, seine Beschäftigten auch vor Fehlbeschuldigungen zu schützen.

„Es gab auch immer diese Argumentationsschiene, von Arbeitgeberseite: ‚Ja, einerseits sind wir natürlich für die Opfer oder Betroffenen verpflichtet, aber wir haben natürlich unseren Arbeitnehmern gegenüber, und solange das nicht erwiesen ist, haben wir natürlich da auch eine Schutzpflicht. Vielleicht ist er ja zu Unrecht […] bezichtigt worden.‘“ (E)

Die meisten Teilnehmenden der Fokusgruppen betonten in diesem Kontext, dass es wichtig sei, die angeb-lich verursachende Person zu den Vorwürfen anzuhören und Sanktionen erst nach einem Beweis zu ergrei-fen. Ergänzend sollten Verursacher_innen bei einer Sanktion immer auch Angebote bekommen, das eige-ne Verhalten zu reflektieren und ihr Verhalten zu verändern. Hier wurden beispielsweise verpflichtende Gespräche im Rahmen einer Gewaltberatung bei wiederholten Vorfällen als sinnvoll erachtet.

164 Ergebnisse der Fokusgruppen

„Also das muss man koppeln finde ich. Also Maßnahme mit einem Angebot und einer Option, wie ich mich ändern kann. Wie ich mein Verhalten überdenken kann.“ (G)

In den Diskussionen wurde über verschiedene konkrete und geeignete Formen der Sanktionierung dis-kutiert. Der Schwerpunkt lag dabei auf den klassischen arbeitsrechtlichen Sanktionen der Ermahnung, Ab-mahnung, Versetzung und Kündigung. Darüber hinaus wurden noch weitere Sanktionen ergänzt.

Sanktionen sollten aus Sicht der Teilnehmenden frühzeitig ergriffen werden und daher auch bei geringe-ren Belästigungshandlungen, bei denen es der verursachenden Person möglicherweise nicht klar war, Grenzen aufzeigen, etwa in Form von Ermahnungen, die dokumentiert werden. Sollte sich die Handlung dennoch wiederholen oder die Belästigungshandlung schwerwiegender sein, könne eine Abmahnung aus-gesprochen werden. Allerdings wurde hier Unsicherheit geäußert, wo die Schwelle für eine sofortige Ab-mahnung anzusetzen sei. Eine AbAb-mahnung wurde aber als wichtig gesehen, und die Analyse der Rechts-fälle bestätigt dies, um bei einem wiederholten Vorfall in der Lage zu sein, die verursachende Person rechtssicher zu kündigen (zur Frage der Abmahnerfordernis in der Rechtsprechung vgl. Kapitel 4.2).

„Und die Abmahnung, wie gesagt, das denke ich, weiß derjenige, wenn er tatscht, dass er es nicht darf.

Aber es ist halt einfach rechtlich erforderlich, um dann, wenn er weitermacht, den nächsten Schritt gehen zu können.“ (L)

Bei schwerwiegenden und wiederholten Vorfällen wird eine Kündigung als richtige Konsequenz er achtet.

„Und überall da, wo jeder wissen muss, das toleriert kein normal denkender Arbeitnehmer / äh Arbeit-geber, gibt es eine Abmahnung oder im schlimmsten Fall, also da wo wir gekündigt haben, da sind teilweise nackte Tatsachen zu Tage getreten, da kann man nicht mehr abmahnen. Also das muss jedem einleuchten, dass da […] eine Kündigung letztendlich die Folge sein kann und sein wird.“ (L)

„Wenn sich die Unternehmensführung dazu äußert, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bei uns keinen Platz hat, und es geht über eine einmalige Verwarnung hinaus, die auch zu einer Abmahnung führen kann, dann ist das Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden. PUNKT.“ (WM)

Eine Betroffene, die sich aufgrund von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz entschied, nicht weiterhin im Unternehmen zu bleiben, berichtete, dass für sie klar war, dass sie nicht weiter mit der verursachenden Person zusammenarbeiten könne und es hier eine klare Sanktion bedurft hätte:

„Also ich hätte mir schon eigentlich gewünscht, dass er auch persönlich irgendwie Konsequenzen davon-trägt […]. Also ja, ich hätte mir gewünscht / Also ER hätte gehen sollen, meiner Meinung nach.“ (B)

Arbeitgeber_innen sehen aber gerade hier oft die Schwierigkeit, sich rechtlich soweit abzusichern, dass die Kündigung bei einer Klage auch Bestand hat. Darüber hinaus wurde von den Führungskräften betont, dass die Kündigung nicht als Strafe gesehen werden sollte, sondern die letzte Möglichkeit sei, wenn alle anderen Maßnahmen nicht mehr greifen.

„Wenn ein Unrechtsbewusstsein da ist und in Zukunft nicht mehr passieren wird, dann gibt es auch keinen Grund, den Mitarbeiter zu entfernen. Und irgendwann muss man dann auch einen Haken an die Vergangenheit machen können.“ (L)

Eine Versetzung als Sanktion oder Maßnahme wurde in verschiedenen Fokusgruppen skeptisch gesehen.

Grundsätzlich sei es zwar zu befürworten, wenn die verursachende und nicht – wie es oft passiere – die

betroffene Person versetzt werde, allerdings sei eine Versetzung bei wiederholter Belästigung kein geeigne-tes Mittel.

„Wenn es jetzt wirklich klare Vorwürfe sind, dann kann ich den halt schlecht umsetzen, weil dann macht er es vielleicht in der anderen Station auch so.“ (MM)

„Versetzung des Belästigenden: Entweder, er ist über Gespräch, Ermahnung, Abmahnung in der Lage, sein Verhalten zu ändern. […] Ist er es nicht, dann gehört er laut dem, wofür unser Unternehmen steht, nicht mehr ins Unternehmen. Also […] auch einen Belästigenden zu versetzen, weiß ich nicht, ob das zielführend sein soll.“ (G)

Die Auseinandersetzung in den Fokusgruppen mit Sanktionierungsmaßnahmen zeigt auf, dass zwar theo-retisch Führungskräfte durchaus über zu treffende Sanktionen informiert sind, dass aber in der Umset-zungspraxis Unsicherheiten bestehen, die nur zum Teil überwindbar scheinen. Zur Frage der Angemessen-heit könnte durchaus durch weitergehende Informationen mehr RechtssicherAngemessen-heit geschaffen werden.

Auch können rechtssichere Kündigungen durch bestimmte Vorkehrungen ermöglicht werden. Insbeson-dere aber die Schwierigkeit der Nachweisbarkeit der Handlungen bleibt als Problem bestehen, wenn es sich um 1:1 Situationen von sexueller Belästigung handelt und die betroffene Person nicht vor Gericht aussa-gen möchte. Versuche, die Verantwortung für Sanktionierunaussa-gen abzugeben und Betroffene in die Ent-scheidung der Wahl der Sanktionen einzubeziehen, werden der objektiven Leitungsverantwortung nicht gerecht, sondern verschieben den Konflikt nur auf die Betroffenen.