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Zwischen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und internen Beschwerdestellen wurde in vielen Gruppendiskussionen nicht konsequent unterschieden; die Begriffe wurden oft synonym verwendet. Das kann auch damit zu tun haben, dass in einigen der befragten Unternehmen die Gleichstellungsbeauftragte

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auch zusätzlich die Funktion der offiziellen Beschwerdestelle übernimmt und es hier im Alltag zu Über-schneidungen kommt. Allerdings ist ein solches Doppelmandat aufgrund möglicher Rollenkonflikte nicht empfehlenswert, denn der Auftrag der Gleichstellungsbeauftragten ist die vertrauliche und parteiliche Be-ratung, während die Beschwerdestelle nach § 13 AGG neutral prüfen und bewerten soll.

Insofern treffen aber die meisten bereits genannten Punkte zur internen Beschwerdestelle auch auf die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte zu. Darüber hinaus wurden an dieser Stelle noch weiterführende Punkte benannt.

Grundsätzlich wurden Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte als geeignete Anlaufstelle bei sexueller Be-lästigung am Arbeitsplatz erachtet, wenn sie vorhanden seien. Entscheidend sei jedoch, ob der jeweiligen Person vertraut und sie als parteilich erlebt werde.

Gleichstellungsbeauftragten komme oft eine wichtige Rolle bei der Implementierung präventiver Maß-nahmen zu und sie verfügen für das Vorgehen nach sexueller Belästigung am Arbeitsplatz über spezifi-sches Wissen über interne Strukturen, Vorgehensweisen im Betrieb und Erfahrungen mit Fällen von se-xueller Belästigung am Arbeitsplatz. Dadurch könnten sie gerade auch verunsicherte Betroffene intern unterstützen. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte benennen dabei als zentrales Ziel der Beratung Be-troffener: „darauf zu achten, dass ihre Rechte gewahrt werden.“ (G) Sie richteten die Beratung nach eigenen Angaben daher parteilich an den Bedürfnissen der Person aus, die das weitere Vorgehen bestimmen soll.

Dennoch wurde in den Fokusgruppen sichtbar, dass Mitarbeiter_innen befürchten, dass Gespräche nicht vertraulich behandelt würden und über deren Kopf hinweg sofort Konsequenzen erfolgen könnten. Es be-stehen zudem deutliche Wissenslücken über das Vorhandensein und die Vorgehensweise von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten als Ansprechperson bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, die sich auch in den Befragungen mit den Betroffenen bereits angedeutet hatten.

„Und dass da wahrscheinlich wichtig wäre, bei der Gleichstellungsbeauftragten, oder bei ihm, dass man eben wirklich weiß: Okay […], erstmal passiert vielleicht gar nichts.“ (WM)

Daher sei der Verweis auf die Schweigepflicht und die Steigerung der Bekanntheit der Gleichstellungsbe-auftragten wichtig. Das Vorgehen müsse möglichst transparent und für Betroffene kontrollierbar gestaltet sein.

Allerdings wird auch an den Möglichkeiten und Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten gezweifelt:

„Aber ich frage mich dann: Was können die machen?“ (B)

Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte hätten oft einen schweren Stand bei Vorgesetzten und müssten sich sehr stark durchsetzen. Sie könnten nicht selbständig Maßnahmen und Sanktionen im Unternehmen aussprechen und werden zum Teil bei Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nur unzureichend informiert oder hinzugezogen.

„Man muss sich da extrem durchsetzen, denn […] ich habe immer gesagt: Ich weiß, dass man mich am liebsten von hinten sieht und nicht von vorne. (Lachen) Also, wenn ich quasi den Raum verlassen habe und nicht, wenn ich reingekommen bin. […] Und da muss man […] wirklich sehr hart im Nehmen teilweise sein, um sich durchzusetzen auch gegenüber Führungskräften.“ (E, ehemalige Frauenbeauftragte)

Das Problem der geschwächten Position wird auch von den Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten selbst thematisiert. Sie machen die Erfahrung, dass Führungspersonen sie nicht ernst nehmen, sich nichts sagen

lassen wollen und ihnen vorwerfen, sie würden sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz überdramatisieren.

Sie wünschten sich klarere Kompetenzzuweisungen, Mitsprache oder zumindest Information über erfolgte Sanktionen sowie die Einbeziehung und Information zu Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, um bei weiteren Meldungen adäquat agieren zu können.

„[…] ich möchte nicht, wenn jemand bei mir war, wenn man sich entschieden hat, den Weg zu gehen über Personalreferenten, über Gespräche mit dem, der übergriffig geworden ist […], NICHT zu irgendei-nem Geschäftsführer gehen müssen, wenn es dann tatsächlich um irgendwelche Sanktionen geht, der mir dann sagt […]: ‚War es denn wirklich SO schlimm?‘ […] Sondern ganz klar diese Kompetenz und diese Befugnisse auch […], nochmal raus zu heben und zu sagen: ‚Gut, das ist eine Stabsstelle, die eigent-lich autark läuft. Das, was ich dann mache, ist, ich informiere dich darüber. Und du überlegst dir dann die Sanktionen.‘ Ja. Aber alles, was an Informationen über mich kommt, das ist gesetzt, und das ist nicht anzuzweifeln. Also so dieses Selbstverständnis. Und das fehlt bei mir.“ (G)

Für männliche Betroffene könnte eine Hürde darin bestehen, dass sie sich selbst nicht als Zielgruppe der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten angesprochen fühlen. Hier sei es hilfreich, wenn es auch ent-sprechende Ansprechpersonen für männliche Betroffene gebe.

d) Vorgesetzte

Rechtlich haben Vorgesetzte in ihrer Arbeitgeber_innenfunktion gemäß Art. 12 AGG generell eine Fürsorge-pflicht und müssen – auch unabhängig von innerbetrieblichen Beschwerdestellen – aktiv werden, wenn sie von einem Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erfahren. Deren Rolle im Hinblick auf Interven-tion wurde aber in den Fokusgruppen deutlich kritischer gesehen als ihre Rolle im Hinblick auf die inner-betriebliche Prävention (s. o.). Obwohl Vorgesetzte offiziell die verantwortlichen und entscheidungstragen-den Ansprechpersonen im Unternehmen, auch bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, sind, wurentscheidungstragen-den hierzu in allen Fokusgruppen – außer jener der Leitungspersonen selbst – deutliche Vorbehalte geäußert.

Diese beruhten vor allem auf schlechten Erfahrungen oder auf antizipierten negativen Reaktionsweisen der Führungspersonen. Grundsätzlich wurde jedoch betont, dass es abhängig von der Person der Vorge-setzten sei und bei einer vertrauensvollen Beziehung hier durchaus Unterstützung möglich sei. Viele be-fürchteten aber, dass bei einer Beschwerde bei Führungspersonen eher bagatellisierende und abwertende Reaktionen zu erwarten seien. Eine Beraterin aus dem externen Unterstützungssystem berichtete sogar von Beispielen, in denen Betroffene während des Beschwerdegespräches nicht ernst genommen oder durch die vorgesetzte Person belästigt worden seien.

„Und habe auch gemerkt, wie der Geschäftsführer da noch versucht hat, das alles so abzutun und zu sagen, / da ging es halt um einen Kollegen, der sie MASSIV sexuell bedrängt hat, und man ihr gar nicht richtig Glauben geschenkt hat.“ (E)

Kritisch wurde zudem reflektiert, dass Führungskräfte ein starkes Interesse daran hätten, die sexuelle Be-lästigung am Arbeitsplatz im Unternehmen möglichst klein zu halten und zu tabuisieren, aus Angst ein schlechtes Bild nach außen abzugeben.

„Bloß kein schlechtes Licht. Aus meinem Bereich […] Um Gottes Fall nicht in die Presse oder sonst irgend-wie nach draußen gehen.“ (MM)

Auch berichteten Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte von Erfahrungen mit Vorgesetzten, die sich nicht an interne Leitlinien hielten, sondern Vorfälle in Ihren Abteilungen verschwiegen und bagatellisier-ten. Gerade wenn andere vorgesetzte Personen die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verursacht hätten, wird befürchtet, dass diese Vorfälle verschwiegen und gedeckelt würden.

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„Und genau das passiert aber eigentlich nicht, sondern dann haben wir das Gefühl, BÜNDE entstehen da und das wird eher vertuscht oder versucht […] irgendwie zu regeln.“ (MM)

„Und da wird viel gedeckelt. Gerade, wenn es um Hierarchien geht.“ (MM)

Darüber hinaus wurde betont, dass ja gerade Vorgesetzte selbst auch oft die verursachenden Personen sind.

Des Weiteren wurde befürchtet, dass Vorgesetzte mitunter nicht die erforderlichen Kompetenzen zum Um-gang mit Betroffenen und Verursachenden von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz hätten und nicht ausreichend Wissen über Dynamiken von und das Vorgehen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorliege.

Mangelndes Wissen könne, wie auch in der Fokusgruppe von Leitungspersonen selbst reflektiert wurde, ein Problem darstellen:

„Und für mich war es anfangs auch ein Schock. Für mich war es auch das erste Mal, dass jemand an mich herangetreten ist und mir sowas berichtet hat. Und da ist man dann im ersten Moment dann auch erst einem, okay, wie gehe ich jetzt damit um? Was mache ich jetzt daraus? Ist es jetzt wirklich eine sexuelle Belästigung gewesen oder sind die zwei vielleicht nicht zurechtgekommen, weil er vielleicht sehr streng war in der Einarbeitung und […] es kann ja auch sein, dass sie ihm was reindrücken möchte.“ (L)

Generell wird es als sehr wichtig erachtet, dass Leitungspersonen in der Lage sind, fachlich und reflektiert auf Übergriffe in ihrem Unternehmen zu reagieren und hier nicht nach persönlicher Wahrnehmung und Sympathie zu agieren.

„Auch wenn sie eine Person nicht mögen oder sie schon immer nervig fanden oder schon immer sehr empfindlich, reflektieren sie sich, wenn die zu ihnen kommt. Weil, darum geht es nicht, ob sie die mögen oder nicht.“ (E)

„Es steht völlig außer Frage, dass ich vom Vorgesetzten erwarte, sollte so etwas passieren, dass er die Eier in der Hose hat, dass er eben auch dazu steht und eben nicht denkt: ‚Ja, aber ich bin jetzt / mit dem gehe ich immer Golfen oder was auch immer, wir sind schon seit Jahren befreundet.‘ Das darf dann halt einfach nicht relevant sein. Also das, finde ich, versteht sich aber auch von selbst.“ (WM)

Aufgrund problematischer Erfahrungen und Befürchtungen wurde von Betroffenen und Personen aus dem externen Unterstützungssystem empfohlen, sich vor einer Beschwerde bei Vorgesetzten rechtliche Beratung einzuholen und, wenn möglich, das Gespräch nicht alleine zu führen.

„Und diese Art von Empowerment im Hintergrund zu haben: Nein, du gehst da niemals alleine hin, wenn, gehst du mit einer Anwältin hin. Die sind auch zu zweit und die sind absolut erfahren, die wissen, was sie reden und die wissen, was sie tun. Geh nicht alleine da hin, nehm´ dir eine Anwältin mit, egal, was es kostet. Und das muss man dann halt einfach mal investieren.“ (E)

Grundsätzlich sind Vorgesetzte die Ansprechpersonen, die in jedem Fall hinzugezogen werden müssen, um Maßnahmen im Unternehmen und gegen die verursachende Person einzuleiten. Die Leitungsperso-nen selbst, die im Rahmen der Fokusgruppen sehr engagiert und reflektiert auftraten, sehen sich ebenfalls als zuständige und geeignete Ansprechpersonen. Aufgrund der rechtlichen Schutzpflichten des AGG (§ 12 AGG) und der möglichen Konsequenzen hätten sie ein klares Interesse, Beschwerden ernst zu nehmen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu beenden.

„Wenn es natürlich eher diese sexuelle Komponente kriegt, dann natürlich gleich dreimal, weil dann bin ich ja im AGG, wo ich als Arbeitgeber wirklich konkrete Pflichten habe. Und wenn ich mich da nicht kümmere, hat es je nach Grad der Belästigung ja auch Auswirkungen, dass ich mich letztendlich vielleicht schadenersatzpflichtig mache oder jemand bei ganz schwerwiegenden Belästigungen, der sogar ein Leistungsverweigerungsrecht hätte, wenn ich mich nicht kümmere.“ (L)

Gerade in kleinen Unternehmen sind in der Regel auch keine weiteren Stellen vorhanden, sodass hier eine andere persönliche Nähe hergestellt werden müsse, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im Alltag schnell aufzudecken.

Geht die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jedoch von einem Vorgesetzten aus, soll auch nach Einschät-zung der Führungskräfte die Beschwerde beim nächsthöheren Vorgesetzten erfolgen. Hier müsse sicher-gestellt sein, dass die zuständigen Personen den Mitarbeitenden auch bekannt und für diese erreichbar sind.

Generell legen die kritischen Äußerungen zur faktischen Umsetzung der Interventionen durch die Füh-rungskräfte, aber auch die geäußerten Unsicherheiten und Wissenslücken nahe, dass verpflichtende Schu-lungen in diesem Bereich erforderlich sind, wie das auch bereits im Zusammenhang mit Prävention sowie in den Vertiefungsinterviews mit Betroffenen angesprochen worden war.