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4 HAG AG und General Foods bis 1989

4.2 Das Unternehmen Kaffee HAG

4.2.4 Kaffee HAG mit Ludwig Roselius dem Jüngeren

4.2.4.1 Die Jahre von 1959 bis 1969

nur lückenhaft die Jahresergebnisse, indem lediglich das Wachstum zum Vorjahr genannt wurde.64 Die Umsatzzahlen in der folgenden Tabelle sind daher Näherungswerte.

Jahr Umsatz in Mio. DM % Wachstum Mitarbeiter ca.

1955 71,5 630

1956 80,4 12,4 735

1957 91,5 13,8 867

1958 95,5 4,3 970

1959 105,5 10,0 1.070

1960 120,3 14,0 1.200

Tabelle 6: Umsatzentwicklung, Wachstum und Mitarbeiterzahl der HAG AG von 1955 bis 1960

Die Anzahl der Mitarbeiter wurde in den Geschäftsberichten auch nur sehr verkürzt oder verschlüsselt wiedergegeben, so dass diese Werte zum Teil gerundete Zahlen sein müssen.

Die günstige Geschäftsentwicklung ging einher mit einer notwendigen Anpassung der Mitar-beiterzahl. 1954 hatte das Unternehmen schon wieder eine Belegschaft von mehr als 500 Mit-arbeitern.65 Im Durchschnitt wurde die Anzahl der Mitarbeiter in diesem Zeitraum pro Jahr um ca. 100 erhöht, wie aus Tabelle 6 zu entnehmen ist.66 1958 hatte das Unternehmen knapp 1.000 Mitarbeiter.

im Sinn einer großen Unternehmensfamilie. Sie gehörten mehr oder weniger auch zu dieser Familie.

Die HAG AG musste für 1960 zum ersten Mal als Aktiengesellschaft den Jahresumsatz von 120 Millionen DM und ein Wachstum von 14 % gegenüber Vorjahr bekannt geben,68 im Gegensatz zu anderen Wettbewerbern, die sich alle im Privatbesitz eines Eigentümer-Unternehmers befanden und ihre Unternehmenszahlen nicht veröffentlichen mussten. Zu die-sem Zeitpunkt gab es noch rund 2.000 Unternehmen für die Kaffeeverarbeitung, von denen keines mehr als 10 % Marktanteil hatte.69

4.2.4.1.1 Marken- und Sortimentspolitik

Ludwig Roselius übernahm nach einer Einarbeitungsphase die Verantwortung für die Produktion. Er ließ die Produktionsanlagen nach neuesten technischen und physiologischen Erkenntnissen modernisieren. Neue Anlagen, die speziell auf die Entkoffeinierung, Dämpfung und Röstung ausgerichtet waren, ermöglichten ab 1961 die Produktion eines Kaffee HAG, dem zusätzlich zu den bereits bewiesenen positiven Effekten auf das Herz-Kreislauf- und Nervensystem auch die für Magen, Darm, Galle und Leber gefährlichen Röstreizstoffe70 ent-zogen worden waren. Aus Markensicht mit Gesundheitspositionierung hatte man damit einen doppelten Nutzen erreicht.

Nahezu zeitgleich mit dieser Qualitätsverbesserung gab es 1961 eine vollständige Mar-kenerneuerung von Kaffee HAG. Das seit 1906 unveränderte Packungsbild erschien Ludwig Roselius zu antiquiert. Deshalb beauftragte er wie damals der Vater Graphiker und Werbe-agenturen damit, ein neues Verpackungsdesign zu entwerfen, das dem verbesserten Produkt und der Zeit entsprach und wieder über viele Jahre Bestand haben sollte.71 Der bisher auf der Frontseite gezeigte Rettungsring wurde verkleinert auf der Seitenfläche der Packung aufge-bracht, die Packung selbst bekam eine neue Optik, die eine angenehme Atmosphäre und über die Darstellung der Bohnen Kaffeequalität vermitteln sollte.72 Auch die Kommunikation wur-de geänwur-dert. Nicht mehr wur-der Gesundheits- bzw. Krankheitsverhinwur-derungsgedanke stand im Vordergrund der Argumentation, sondern der zeitgemäße Kaffeegenuss ohne Koffein.73 Es soll an dieser Stelle nicht darüber diskutiert werden, warum dieser Bruch mit allen bisherigen Elementen stattfand. Es ist davon auszugehen, dass Marktforschungserkenntnisse vorlagen,

68 Schwarze, Thomas: Kaffee HAG Bremen, 1906-1979, S. 54

69 Büro Dr. Ludwig: HAG AG, November 1970, HAG-B-B4

70 Roselius, Wilhelm: Niederschrift der wissenschaftlichen Gespräche mit Generalkonsul Dr. h.c. Ludwig Rose-lius, o. O. 1974, S. 34

71 Nowack, Gerhard: Ludwig Roselius, Unternehmer, Mäzen, Sportler, in: Adamietz, Horst (Hrsg.), Bremer Profile, Bremen 1972, S. 174

72 Abbildung 109 im Anhang

73 Schwarze, Thomas: Kaffee HAG, 1906-1979, S. 45

wie sich die Marke für jüngere Zielgruppen stärker öffnen ließ. Sicher ist allerdings auch, dass die grundsätzliche Umgestaltung der Verpackung den bisher einzigartigen Markenauftritt veränderte und ein mehr generischer goldbrauner Ton der Kaffeebohnen als Basisfarbe domi-nierte.

Darüber hinaus wurde 1963 erreicht, dass durch eine schonendere Veredelung der Boh-nen der Geschmack und das Aroma noch besser zur Entfaltung kamen.74 Diese Maßnahmen zusammen führten zu erheblichen Umsatzsteigerungen insgesamt, aber insbesondere bei Kaf-fee HAG. Der Umsatz von KafKaf-fee HAG hatte sich von 1960 und 1965 verdreifacht und mach-te 1965 die Hälfmach-te des Gesamtumsatzes von 224 Millionen DM aus. Die andere Hälfmach-te setzmach-te sich aus Onko und KABA zusammen.75

Die Marke KABA dominierte bis Ende der 1950er-Jahre den Markt für kakaohaltige Milchzusätze. 1955 wurde die Verpackungsgestaltung grundlegend geändert. Man wollte das Gesicht der Schönheitskönigin der 1930er-Jahre nicht mehr abbilden und entschied sich für ein Packungsbild mit vier Palmen auf gelbem Grund, eine Abbildung, die vor dem Krieg be-reits auf einer Seite der Packung gezeigt wurde.76

Erst als Nestlé 1958 mit der Marke Nesquik auf den Markt kam und die Charakteristik des Markts veränderte, verlor KABA zusehends Marktanteil. Der Gründer Ludwig Roselius hatte stets die Meinung vertreten, dass kalte Milch dem Magen schaden könnte, deshalb wur-de KABA ausschließlich für die Auflösung in heißer Milch beworben und mit gesundheits-fördernden Additiven ausgestattet. Man kann sagen, dass noch 60 Jahre nach dem Tod von Dietrich Roselius die Todesursache das Produktionsregime der Gesundheitsorientierung ge-prägt hat. KABA richtete sich auch an ältere Konsumenten. Nesquik setzte dagegen auf die Auflösung des kakaohaltigen Milchzusatzes in kalter Milch und positionierte das Produkt ausschließlich für Kinder und Jugendliche.77 Drei Jahre nach der Einführung von Nesquik gab es noch einen Abstand KABA zu Nesquik von 70 zu 20 %, der Abstand nahm allerdings von Jahr zu Jahr ab. Deshalb brachte die HAG AG 1963, sechs Jahre nach der Nesquik-Einführung ebenfalls ein in kalter Milch aufzulösendes KABAFIT auf den Markt. KABAFIT sollte den sich öffnenden Markt der kakaohaltigen Erfrischungsgetränke bedienen. Während KABA als nahrhaftes Gesundheitsprodukt für das Frühstück oder das Abendbrot für Kinder und Erwachsene positioniert war, ging es bei KABAFIT um einen Durstlöscher für zwischen-durch mit einem reduzierten Schokoladengeschmack. Nachdem der Testmarkt in 1963

74 Roselius, Ludwig, „Auch 1963 voran mit vereinten Kräften!“, in: haghefte, XXVII, Februar 1963

75 Büro Dr. Ludwig, HAG AG, November 1970, HAG-B-B8

76 Abbildung 108 im Anhang

77 Karsten, Uwe/ Hartzel, Hans-Jürgen: Kaba – Management of Business, 1.7.1983, S. 1

reich verlaufen war, wurde das Produkt 1964 flächendeckend eingeführt. KABAFIT wurde zwar ein Erfolg, konnte die Marktanteilsgewinne von Nesquik allerdings nicht aufhalten.

Deshalb startete man in 1966 eine intensive Verkaufsförderungskooperation mit Walt-Disney-Figuren. Diese mehrjährige Verkaufsförderungsmaßnahme war ein Erfolg, sie war aber nicht ausreichend, die wachsende Anziehungskraft und Bedeutung des Hauptwettbewer-bers Nesquik zu stoppen.

4.2.4.1.2 Unternehmensentwicklung

Durch den kontinuierlichen Umsatzzuwachs hatte die HAG AG 1965 bereits wieder 1.860 Mitarbeiter.78 In 1969 hatte die HAG AG die Anzahl auf über 2.900 Mitarbeiter aufge-stockt. Allein in Bremen waren über 1.500 Mitarbeiter beschäftigt. Es gab aber auch eine über 1.000 Mitarbeiter starke Verkaufsorganisation. Insbesondere weibliche Angestellte für die Buchhaltung wurden wegen eines Umstellungsproblems bei der Einführung der elektroni-schen Datenverarbeitung benötigt. Weil sich die Beschaffung dieser kaufmännielektroni-schen Arbeits-kräfte als schwierig erwies, eröffnete die HAG AG einen Betriebskindergarten mit sehr güns-tigen Tarifen. Diese zu der damaligen Zeit außergewöhnliche Maßnahme zeigte ihre Wirkung auf dem Bremer Arbeitsmarkt. In einer Phase mit Personalengpässen schloss die Arbeitneh-mervertretung mit der Geschäftsleitung einen Manteltarifvertrag ab, der nach eigenen Aussa-gen ein herausraAussa-gendes Beispiel für die außerordentlich erfolgreiche Tariftätigkeit der Ge-werkschaften in diesen Jahren war.79

Der Umsatz des Unternehmens verdreifachte sich während eines Jahrzehnts, wie sich aus der folgenden Tabelle entnehmen lässt. Wie in der Zeit zwischen 1925 und 1934 war dieses Jahrzehnt mit Ludwig Roselius dem Jüngeren noch einmal äußerst erfolgreich für die HAG AG. Das Unternehmen hatte mit einer Ausnahme während des gesamten Jahrzehnts zweistel-lige Wachstumsraten zu verzeichnen.

78 Büro Dr. Ludwig, HAG –B –B 8

79 Gohlke, Martin: Rotes Herz – Tiefer Riss, Bremen 2003, S. 70

Jahr Umsatz Mio. DM 1960 120 1961 130 1962 145 1963 165 1964 197 1965 224 1966 253 1967 289 1968 337 1969 384

Tabelle 7: Umsatzentwicklung der HAG AG von 1960 bis 196980

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass nicht nur die HAG AG Wachstum erzielte, sondern der Gesamtmarkt für Kaffee in diesem Jahrzehnt erheblich zunahm. Der Rohkaffee-import entwickelte sich von 1960 bis 1965 sehr positiv, in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts war die Erhöhung allerdings im Durchschnitt nur noch weniger als 2 %. Das Gleiche gilt in leicht veränderter Form auch für den Pro-Kopf-Verbrauch. Diese Abschwächung war auch auf die Verschlechterung der Konjunktur im Jahr 1967 zurückzuführen.

Rohkaffee-Import in Tonnen Rohkaffee pro Kopf in kg

1953 75.417 1,5

1960 191.005 3,5

1965 271.100 4,6

1970 295.789 4,9

Tabelle 8: Rohkaffee-Importe von 1953 bis 197081

Die Abschwächung des Pro-Kopf-Verbrauchs im gesamten Kaffeemarkt und das kontinu-ierliche zweistellige Wachstum bei Kaffee HAG hatte den Vorstandsvorsitzenden Ludwig Roselius zu der Meinung geführt, dass insbesondere die Spezialmarke Kaffee HAG nahezu konjunkturunabhängig sei.

Auch die Finanzergebnisse in den 1960er-Jahren waren sehr positiv. 1961 wurde zum ers-ten Mal eine Dividende von 12 % auf das Stammkapital von 10 Millionen DM gezahlt.82 1963 wurde das Stammkapital aus Gesellschaftsmitteln auf 20 Millionen erhöht, wodurch sich aber die bisherigen Besitzverhältnisse nicht veränderten.83 Ludwig Roselius besaß über 95 % des Stammkapitals. Zusätzlich wurde erheblich in die Ausweitung und Modernisierung der Pro-duktionskapazitäten investiert. Trotz Erhöhung des Stammkapitals wurden auch 1966 eine

80 Geschäftsberichte der HAG AG von 1960 bis 1969

81 Deutscher Kaffeeverband, Jahresbericht 2004, S. 20

82 Büro Dr. Ludwig, HAG AG, November 1970, HAG-B-F6

83 Büro Dr. Ludwig, HAG AG, November 1970, HAG-B-F7

Dividende von 12 % ausgezahlt, 1967 zu den 12 % noch ein Bonus von 3 %.84 In 1969 wurde das Stammkapital ein weiteres Mal um 10 Millionen DM auf 30 Millionen DM erhöht, wieder aus Mitteln der Gesellschaft. Ausgeschüttet wurden wieder 12 % Dividende auf das erhöhte Stammkapital. Es lässt sich festhalten, dass das Unternehmen am Ende der 1960er-Jahre na-hezu 400 Millionen DM Umsatz erzielte und Kaffee HAG in ca. 50 Ländern verkauft wurde.

Die HAG AG und ihre angeschlossenen Unternehmen waren erfolgreich.