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4 HAG AG und General Foods bis 1989

4.7 Wirtschaftliche und kulturelle Wechselwirkungen in der Folge

4.7.4 Die geplante „Kaffee-Revolution“ in 1983/84

Das zweite Halbjahr 1983 brachte für den deutschen Kaffeemarkt deutliche Veränderun-gen. Der Marktführer Jacobs stellte nach und nach sein Röstkaffeesortiment auf Kaffee mit einer Kurzzeitröstung um. Diese technische Maßnahme hatte den Effekt, dass eine 400-Gramm-Packung Röstkaffee mit Kurzzeitröstung das gleiche Volumen hatte wie eine 500-Gramm-Packung mit herkömmlichem Röstverfahren. Jacobs versprach sich von diesem inno-vativen Schritt eine Ausweitung des Kaffeemarkts und deutliche Marktanteilsgewinne.

Bei HAG GF überlegte man Anfang August noch, ob man diesem Schritt folgen sollte.307 Da das Verfahren der Kurzzeitröstung in den USA seit Jahren praktiziert wurde,308 konnte sich HAG GF diese Chance, eine größere Bedeutung im Kaffeemarkt zu erlangen, nicht ent-gehen lassen. Kurze Zeit später folgte man Jacobs. Melitta wagte ebenfalls diesen Schritt.

Eduscho und Aldi blieben bei ihrem bisherigen Röstverfahren. Sie stellten die vermeint-liche „Kaffeerevolution“ vielmehr als einen Akt der Verbrauchertäuschung dar. Ein Großteil der Presse schloss sich dieser Meinung an. Diese Verunglimpfung verunsicherte die Verbrau-cher, die mit Kaufzurückhaltung vor dem Hintergrund einer ohnehin schon geringeren Ergie-bigkeit des Kaffees reagierten.

Bei HAG GF deutete man die schnelle Reaktion auf den Marktführer Jacobs als ein Merkmal für eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit. Andererseits führten die Kosten bei der Umstellung des gesamten Sortiments auf das neue Röstverfahren, verbunden mit einem inten-siven Preiswettbewerb, zu erheblichen Mehrbelastungen, so dass es zu einem negativen Be-triebsergebnis kam.309 Unter Berücksichtigung von Sondererträgen konnte noch ein positiver Jahresüberschuss erreicht werden. Tchibo führte Mitte Januar 1984 die gleiche Technologie unter dem Namen „Ultra“-Kurzzeitröstung ein, unterstützt von dem bisher größten Marke-tingetat.310

Die Erfahrungen mit der Kurzzeitröstung machten aus Sicht von General Foods Anfang 1984 eine komplette Überarbeitung der strategischen Planung notwendig. Zu diesem

307 O. V. „Jahresüberschuß fällt doppelt so gut aus wie erwartet“, in: Handelsblatt 4.8.1983, o. S.

308 O. V. „Salz im Kaffee“, in: manager magazin, 10/1984, S. 13ff.

309 HAG GF AG, Bericht über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens, 4. Quartal 1983, 22. Februar 1984, S. 3

310 Brech, Jan, „Neue Packungsgröße und Preise“, in: Die Welt, 10.1.1984, o. S.

punkt war man der Meinung, mit Hilfe der neuen Rösttechnologie zu einer verbesserten Kos-tenstruktur zu gelangen und schon für 1984 ein positives Ergebnis erzielen zu können. Im Rahmen einer differenzierten Analyse versuchte man zunächst, die Umsatz- und Gewinnbe-deutung der einzelnen Geschäftssegmente zu ermitteln, die dann spezifische „Rollen“ erhiel-ten. Das Gesamtgeschäft gliederte sich mit folgenden Umsatzanteilen in sechs Segmente auf:

Produktbereich 1983 Umsatz Mio. DM

1 Markenartikel Kaffee 384,8

2 Markenartikel Nicht-Kaffee 91,7

3 Großverbrauchergeschäft 117,6

4 Handelsmarken 33,2

∑ Gesamtdeutschland 627,3

5 Auslandstöchter 120,7

6 Intercompany 163,5

∑ HAG gesamt 911,5

Tabelle 14: Umsatzaufteilung von HAG GF 1983 in Produktbereiche 311

In einem zweiten Schritt wurden für jedes Segment Ziele in Bezug auf Gewinnanteile, Anteile an gebundenem Kapital und Verzinsung des Kapitals definiert. Die Vision für das Unternehmen sollte sein, an erster Stelle die Hauptmarke Kaffee HAG zu fördern. Alle ande-ren Segmente sollten sich diesem Ziel unterordnen bzw. zu dem Ziel beitragen, eine Verzin-sung von 10 % auf das eingesetzte Kapital zu erreichen.312

Darüber hinaus wurde eine Projektliste vereinbart, die für eine Überarbeitung des strate-gischen Plans notwendig war. Alle Führungskräfte, die an den Vorstandsvorsitzenden berich-teten, mussten bestimmte Projekte im eigenen Verantwortungsbereich in einem festgelegten Zeitplan abarbeiten. Diese ersten Ansätze des strategischen Plans übertrafen sogar die Ziel-vorgaben. Zeitgleich zeigten sich folgende Entwicklungen bei Röstkaffee mit der Kurzzeitrös-tung:

• Im Einzelhandel wurde Kaffee in erheblichem Umfang deutlich unter dem Einstands-preis verkauft, sodass sich Industrie und Handel in einer freiwilligen Vereinbarung zu-sammen mit dem Bundeskartellamt darauf verständigten, systematische Verkaufsprei-se unter dem Einstandspreis zu unterlasVerkaufsprei-sen.

• Jacobs stellte Anfang 1984 schließlich auch das Hauptprodukt Jacobs Krönung auf die Kurzzeitröstung um.

• Der Kaffeemarkt entwickelte sich in den ersten Monaten aber stark rückläufig.

311 HAG GF AG, Strategic Plan,C `83 ICY Basis, S. 6

312 HAG GF AG, Strategic Plan,C `83 ICY Basis, S. 5

• Die Anbieter mit Kurzzeitröstung wurden aufgrund der Mengenentwicklung unruhig und begannen, an der Eignung der Maßnahme zu zweifeln.

Abbildung 32: Mengenentwicklung aller Röstkaffee-Wettbewerber Januar-April 1984313

Der Gesamtmarkt für Röstkaffee zeigte einen Rückgang in den ersten vier Monaten 1984 von 7 %. Bis auf Melitta hatten alle Anbieter mit Kurzzeitröstung zweistellige Rückgänge zu verzeichnen. Der Rückgang bei HAG GF war jedoch mit 27,4 % am höchsten von allen Marktteilnehmern, weil entkoffeinierter Kaffee überproportional rückläufig war.314 Die bei-den Wettbewerber Aldi und Eduscho, die keine Umstellung in der Rösttechnologie vorge-nommen hatten, verzeichneten dagegen zweistellige Zuwachsraten.

HAG GF begann deshalb zum Ende des Quartals damit, neben der 400-Gramm-Packung wieder die 500-Gramm-Packung einzuführen, um dem Konsumenten die Wahl zu überlas-sen.315 Die Anbieter Tchibo und Melitta taten das Gleiche. Ab Juni 1984 stellte dann auch Jacobs das Sortiment wieder auf die ursprüngliche Röstung um. Damit war die angekündigte

„Kaffee-Revolution“ letztlich auch an der eigenen Leistungsfähigkeit gescheitert. Der Kaf-feekonsum hatte sich nicht erhöht.

Die erneute Umstellung auf 500-Gramm-Packungen waren mit erheblichen Zusatzkosten für HAG GF und andere Wettbewerber verbunden. Geringere Roherträge und Marktanteils-verluste waren die weiteren Konsequenzen. Durch die Rückkehr zu der Normalröstung gelang es den „Verlierern“ der ersten vier Monate, im Laufe des Jahres wieder Boden gut zu machen, allerdings waren die Verluste im Gesamtjahr nicht mehr aufzuholen. Dagegen konnten die beiden Anbieter, die die vermeintliche Kaffeerevolution nicht mitgemacht hatten, deutliche Marktanteilsgewinne verbuchen, wie die folgende Abbildung aufzeigt.

313 G & I – Haushaltspanel-Ergebnisse, Bericht an den Aufsichtsrat der HAG GF AG, 14. Juni 1984

314 HAG GF AG, Bericht über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens, 4. Quartal 1983, 22. Februar 1984, S. 1

315 HAG GF AG, Bericht über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens, 1. Quartal 1984, Mai 1984, S. 3

Marktanteilsentwicklung Röstkaffee

0 5 10 15 20 25

1982 1983 1984

% Menge

HAG GF Jacobs Tchibo Eduscho Aldi

Abbildung 33: Marktanteile Menge in % Röstkaffee von 1982 bis 1984316

Bei der HAG GF AG führte diese Entwicklung zu einem Verlust in 1984. Im Geschäfts-bericht konnte diese Entwicklung nicht mehr vollständig eingesehen werden, weil in 1984 die Eigentumsverhältnisse der HAG GF Vertriebs GmbH & Co oHG verändert wurden. Diese bisherige Tochter gehörte ab 1984 zu 90 % der amerikanischen Konzernzentrale und ihre Er-gebnisse wurden daher nicht mehr im Geschäftsbericht der AG aufgeführt.

Auch wenn die Entwicklung durch den Wettbewerber Jacobs ausgelöst worden war, das Verhältnis zwischen der Brüsseler und der amerikanischen Zentrale und der Bremer HAG GF-Organisation wurde durch die unerwarteten Verluste in 1984 getrübt, denn es war ein Rückschlag auf dem Weg zu einer finanziellen Gesundung des Unternehmens. In der Unter-nehmensführung in Bremen hatte man im ersten Halbjahr 1984 versucht, die finanziellen Auswirkungen durch Gegenmaßnahmen neutralisieren zu können. Schließlich musste man Mitte 1984 der Zentrale die Auswirkungen für das Gesamtjahr melden. Durch diese Informa-tionsasymmetrie fühlte sich die Zentrale nicht ausreichend und rechtzeitig über die kurzfristi-gen Entwicklunkurzfristi-gen und finanziellen Auswirkunkurzfristi-gen informiert. Die Vertrauensbasis war ge-stört. Uwe Karsten übernahm die Verantwortung für die Negativentwicklung und reichte aus persönlichen Gründen Ende Juli 1984 und damit zeitlich vor der Jahreshauptversammlung seinen Rücktritt ein. Das war eine sehr kurzfristige Entscheidung, denn ein Nachfolger stand nicht unmittelbar bereit. Aus diesem Grund nahm mit Bernd Zurstiege der Vorstand Vertrieb interimistisch die Aufgaben des Vorstandvorsitzenden wahr. Der Führungsmannschaft wurde allerdings bekannt gegeben, dass Sylvester Hinkes zum Jahresende die Führung des

316 Marktanteile Deutschland West 1980-1998 Röstkaffee, GFK Haushaltspanel

nehmens übernehmen würde, zur Freude der Führungskräfte, die von General Foods gekom-men waren.

Die Europa-Zentrale von General Foods entsandte zusätzlich im Oktober mit Mark Sloan den bisherigen Direktor für strategische Planung und Entwicklung in Brüssel als Vorstands-mitglied nach Bremen für die Bereiche Marketing und internationales Geschäft. In einer Hausmitteilung wurde als Begründung angegeben, dass sich der Aufsichtsrat von dieser Beru-fung neue Akzente im Marketing verspräche.317 Der bisher für Marketing verantwortliche Geschäftsführer der oHG, Hans-Jürgen Hartzel, wurde mit Projektaufgaben betraut.