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4 HAG AG und General Foods bis 1989

4.2 Das Unternehmen Kaffee HAG

4.2.4 Kaffee HAG mit Ludwig Roselius dem Jüngeren

4.2.4.3 Das Ende der Ära Roselius

Ludwig Roselius wird als ein feinsinniger und zurückhaltender Mensch130 und als promo-vierter organischer Chemiker mit hoher fachlicher Qualifikation beschrieben.131 Weniger durch die eigene Neigung,132 sondern wie es das väterliche Testament bestimmt hatte, trat er 1959 im Alter von 30 Jahren in den Vorstand der HAG AG ein.133 Sein Vater hatte das Leben seines Sohnes über den eigenen Tod hinaus weitgehend vorbestimmt. Ludwig Roselius der Jüngere wurde von den Vorstandsmitgliedern Müller, Nolting-Hauff und Rickens, die schon für seinen Vater tätig waren, eingearbeitet. Diese Herren waren alle noch sehr von der Arbeit mit seinem Vater geprägt und nahmen auch im Hinblick auf das Alter die Rolle ein, den Sohn ihres verstorbenen Vorgesetzten sozusagen als „Paten“ in die Geschäfte einzuführen, mit der Absicht, die Verantwortung schrittweise auf ihn zu übertragen.

1962 übernahm Ludwig Roselius der Jüngere den Vorstandsvorsitz,134 ohne vorher au-ßerhalb des Unternehmens praktische kaufmännische oder Managementerfahrung gesammelt zu haben.

Die Republik Costa Rica eröffnete 1968 ein Konsulat in Bremen und konnte Roselius da-für gewinnen, Wahlkonsul da-für das Land zu werden. Neben der konsularischen Funktion wur-de Roselius gebeten, für die Förwur-derung wur-des Hanwur-dels und wur-des Warenaustauschs beratend tätig zu sein.135 Roselius der Jüngere hatte ähnliche Begabungen wie der Vater, zum Beispiel den Kunstsinn und das Interesse für Röstkaffee, das allerdings mehr von der Wissenschaft um die

127 O. V., „Das Topgespräch“, in: HAG hefte, Nr. 2, 1978, S. 1

128 O. V., „Abschied ohne Dramatik“, in: manager magazin, 7, 1979, o. S.

129 O. V., „Fiebich: Vorstandsbericht Rekord minimalster Aussage“ in: Handelsblatt, 13.08.1979, o. S.

130 Gohlke, Martin: Rotes Herz – Tiefer Riss, Bremen 2003, S. 53

131 Wiborg, Klaus, „Hanseaten verkaufen sich teuer“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.1979, o. S.

132 O. V., „Weltruf durch entschärfte Bohnen“, in: Wirtschaftswoche Nr.16, 7.4.1977, S. 57

133 Wiborg, Klaus „Hanseaten verkaufen sich teuer“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.1979, o. S.

134 O. V., „General Foods` großer Schluck“, in: Lebensmittel-Zeitung, 5.10.1979, S. 30f.

135 O. V., „Costa Rica – Die reiche Küste“, in: haghefte, Nr. 57, Oktober 1968, S. 2

Kaffeebohne geprägt war.136 Deshalb gründete er ebenfalls einen Wissenschaftlichen Beirat mit renommierten Professoren. Dieser bestand in der Regel aus Professoren für Lebensmittel-chemie, BioLebensmittel-chemie, Toxikologie und Neurologie. Dieser Beirat wurde in jedem Geschäftsbe-richt mit der gleichen Aufmerksamkeit erwähnt wie der Aufsichtsrat und der Vorstand.137 Im Bereich der Kaffeeforschung war die HAG AG von 1960 bis 1980 führend unter den großen Kaffeeanbietern in Deutschland.

Von seinem langjährigen Vorstandskollegen Kauler wurde er mit den Worten beschrie-ben: „Ein Mann, mit dem man nicht streiten kann.“138 Entscheidungen und Konflikten ging der HAG-Erbe eher aus dem Weg. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zu seinem mit einer eher dominanten Persönlichkeit und scheinbar hohen Dynamik ausgestatteten Vater. Ludwig Roselius der Jüngere sah sich nicht als Unternehmer der Gründerjahre, als eine „Ein-Mann-Denk-Gesellschaft“ noch funktionierte.139 Seine Führungsvorstellung von Kollegialität im Vorstand und der Glaube an Arbeitsteilung sollten dazu führen, dass auch Mitarbeiter auf den darunter liegenden Ebenen im Rahmen ihrer Verantwortung selbstständig handelten. Daher war es für ihn auch sehr bedeutsam, ein qualitatives Führungsgremium zu einem harmoni-schen, möglichst effektiven Ganzen zusammenzufügen.140

Nach den erfolgreichen 1960er-Jahren für die HAG AG verlief das folgende Jahrzehnt für das Unternehmen zunächst ernüchternd und später desillusionierend. Ein Misserfolg war die Neueinführung der Marke dospresso, die mit einem erheblichen Werbeaufwand begleitet wurde. Die Aufhebung der Preisbindung führte ab 1974 zu einer Verschärfung des Wettbe-werbs auf der Anbieterseite und gleichzeitig zu einer Konzentration auf der Nachfragerseite.

Beide Entwicklungen führten für die HAG AG zu Nachteilen. Die Verschärfung des Wettbe-werbs führte zum Verlust der Marktführerschaft bei Kaffee HAG und KABA in 1975. Der Konzentration auf der Handelsseite begegnete die HAG AG langsamer als der Wettbewerb, was Nachteile bei den Großvertriebsformen des Handels nach sich zog. Für Kaffee Onko war nicht genügend investiert worden, nicht nur in diesem Jahrzehnt, so dass diese Marke ohne ein klares Markenprofil in dem veränderten Handelsumfeld im Prinzip nicht mehr benötigt wurde und nur noch mit finanziellen Zugeständnissen an den Handel verkauft werden konnte.

Damit war die Marke mit einem Gesamtmarktanteil von rund drei Prozent bei sehr guter Qua-lität über die Funktion eines Kostendeckungsprodukts nicht hinausgekommen.141

136 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut , „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 37

137 HAG AG Bremen, Bericht über das 68. Geschäftsjahr 1974, S. 3

138 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 43

139 Nowack, Gerhard: Ludwig Roselius, in: Adamietz, Horst, Bremer Profile, Bremen 1972, S. 176

140 Nowack, Gerhard: Ludwig Roselius, in: Adamietz, Horst, Bremer Profile, Bremen 1972, S. 176f.

141 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 40

Kaffee HAG hatte das Image einer Marke für Alte und Kranke, schrieb die Presse in 1981.142 Die Erfolge in den 1960er-Jahren, verbunden mit dem Glauben der Konjunkturunab-hängigkeit der Marke, hatten das Unternehmen offensichtlich „blind gemacht für die Bedürf-nisse des Marktes und die Aktivitäten der Konkurrenz, die insbesondere mit ihren milden und Schonkaffees HAG den Rang abliefen.“143 Die Öffnung für jüngere Käuferschichten bei Kaf-fee HAG wurde in 1977 ebenfalls erst in einer Defensivsituation gestartet. Das gleiche Ver-halten offenbarte sich bei KABA mit der Löslichkeit des Produkts in kalter Milch erst ab 1976.

Die Preishausse auf den Rohkaffeemärkten Mitte der 1970er-Jahre zeigte, dass die Ge-winnschwelle bei der HAG AG zu hoch angesetzt war. Die Verbraucher honorierten insbe-sondere die hohe Kaffeequalität von Onko nicht ausreichend, weil ihnen diese Produkteigen-schaften über Werbung nicht deutlich genug gemacht worden waren.

Zusätzlich zeigte der Wettbewerber Jacobs ein immer offensiveres Marktverhalten, das zwar überwiegend gegen Tchibo ausgerichtet war, aber auch die HAG AG traf. Klaus J. Ja-cobs hatte in 1970 von seinem Vater die Führung des Unternehmens übernommen und sehr gut ausgebildete Marketingfachleute von amerikanischen Markenartikelherstellern eingestellt.

1974 begann Jacobs mit einer neuen, zwölf Jahre dauernden und sehr erfolgreichen Werbe-kampagne für das Spitzenprodukt Jacobs Krönung, das sich zu einem der größten Markenar-tikel im deutschen Lebensmitteleinzelhandel entwickelte.

Die HAG AG war zu dieser Zeit in der Produktentwicklung, in der Produktionstechnolo-gie und der Produktionskapazität für entkoffeinierten Kaffee noch weit voraus. Wie groß der Unterschied zwischen der technischen Fähigkeit des Unternehmens und der Marketingbedeu-tung war, zeigt sich daran, dass sowohl Tchibo als auch Aldi aus Mangel an eigenen Kapazi-täten ihren Kaffee in Lohnfertigung bei der HAG AG entkoffeinieren ließen.144

Mit der geringeren Dividende von 4 % konnte sich der Unternehmer nicht zufriedenge-ben. Vielmehr war absehbar, dass die bisherige Arbeitsweise das Unternehmen in der Zukunft in existenzielle Probleme führen würde. Der deutliche Personalabbau von 1974 bis 1979 konnte die fundamentalen Probleme des Unternehmens nicht lösen. Deshalb bestand die Not-wendigkeit zu grundsätzlichen Entscheidungen.

Aus einem fokussierten Unternehmen mit zwei einzigartigen Marktinnovationen und ei-ner optimal aufeinander abgestimmten Wertschöpfungskette mit herausragender Profitabilität war ein vom finanziellen Ergebnis her durchschnittliches und nach Diversifikation strebendes

142 O. V., „General Foods formiert sich neu: Ein Vertrieb für alle Produkte“, in: Lebensmittel Zeitung, 22.

Januar 1981, o. S.

143 O. V., „Vertrieb für alle Produkte“, in: Lebensmittelzeitung, 23. Januar 1981, o. S.

144 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 40

Unternehmen mit einem Sortiment von über 80 Artikeln145 für den Lebensmitteleinzelhandel geworden.

In Marketing- und Vertriebsfragen verließ Roselius sich auf die Kompetenz seines Vor-standkollegen für diesen Bereich. Der Vater hatte die Gabe, sich mit hervorragenden Spezia-listen zu umgeben, wenn ihm selbst Kenntnisse fehlten. Im Gegensatz zu seinem Sohn gab er die Führung des Unternehmens aber zu keinem Zeitpunkt aus der Hand.

Die Abstimmung der Bestandteile der Wertschöpfungskette innerhalb des Unternehmens war optimierungsfähig. Die hervorragenden Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung wa-ren entweder nicht relevant oder wurden nicht entsprechend ausgelobt und den Konsumenten über Verbraucherwerbung deutlich gemacht.

In dieser Phase hätte Ludwig Roselius seine Haltung als Eigentümer-Unternehmer deut-lich und entschieden zum Ausdruck bringen müssen. Aber in dieser schwierigen Phase wurde er der zugewiesenen Rolle als „Principal“, der dem „Agent“ deutliche Anweisungen gibt und ihn angemessen kontrolliert, nicht gerecht. Roselius beschränkte sich auf die Rolle als Vor-standsvorsitzender und befasste sich mit Produktion, Technik und Einkauf. Der Vorstand Kauler hatte freie Entscheidungsbefugnisse in allen Marketing- und Vertriebsfragen, er wurde im Umkehrschluss aber von Roselius dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Gewinnzie-le nicht mehr realisieren ließen.

Aufgrund der genannten Fakten gelangten die Verantwortlichen 1978 zu der Erkenntnis, dass Veränderungen im Marketing und Vertrieb notwendig waren. So wurde unterhalb von Kauler Mitte 1978 ein im Markenartikelgeschäft erfahrener Marketingdirektor eingestellt.

Zeitgleich wurde ein amerikanisches Unternehmensberatungsunternehmen mit einer Portfo-lio- und Strukturanalyse zur Unterstützung der Unternehmensstrategie für das nächste Jahr-zehnt beauftragt.146

Für Roselius und die Aufsichtsratsmitglieder führte die beschriebene Situation wohl auch zu der Erkenntnis, dass eine Neubesetzung des Vorstandsressorts für Marketing und Vertrieb notwendig war. Bezeichnenderweise wurde Roselius von einem Redaktionsteam der Mitar-beiterzeitschrift „haghefte“ Ende 1978 zur Werbung gefragt, ob denn die Konsumenten auch von der guten Qualität der HAG-Produkte wüssten.147 Das war ein deutlicher Hinweis auf die Strategie des Gründers, der immer betont hatte, dass die Qualität eines Produkts allein nicht ausreicht, sondern das Produkt auch dem Verbraucher durch Werbung bekannt sein müsste.

145 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 42

146 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 42

147 O. V., „Das Topgespräch“, Interview mit Dr. Roselius, in: haghefte, Nr. 4, 1978, S. 2

Die Sicherung der ererbten und erarbeiteten Vermögenswerte sowie der Erhalt der 1.800 Arbeitsplätze waren in Gefahr. Eine HAG-interne eigene Lösung hätte bedeutet, mit den Ar-beitnehmervertretern über weitere drastische Kostensenkungsprogramme zu verhandeln und sehr harte Auseinandersetzungen mit der Belegschaft ausfechten zu müssen. Diesen Konflik-ten, bei denen es um Menschenschicksale ging, die ihn sehr berührKonflik-ten, wollte oder konnte er sich vielleicht nicht mehr stellen, denn gesundheitliche Probleme setzen ihm offensichtlich Grenzen in der Belastbarkeit.148

Daraus ergab sich das Motiv, mit dem Wettbewerber Jacobs über eine Zusammenarbeit zu verhandeln. Es wurden offensichtlich sowohl Verhandlungen mit Jacobs geführt als auch eine Anfrage beim Bundeskartellamt gestellt, ob eine Fusion nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten erlaubt worden wäre. Das Bundeskartellamt beantwortete die Anfrage wahr-scheinlich negativ, weil der Marktanteil beider Unternehmen zusammen im Röstkaffeemarkt 29 % betragen hätte. Daraufhin wurden die Verhandlungen abgebrochen. Unbekannt ist, ob auch mit der Nestlé-Gruppe Verhandlungen geführt wurden. Ein Engagement von Nestlé bei der HAG AG sei allerdings im Gespräch gewesen, hieß es von Nestlé.149 Der Vorsitzende der Geschäftsführung der deutschen Nestlé-Gruppe äußerte sich im Oktober 1979 gegenüber der Presse, Nestlé hätte die HAG AG wegen der Einwände des Bundeskartellamts nicht kaufen können. Nestlé und HAG hätten zusammen mehr als 40 % Marktanteil auf dem Löskaffee-markt gehabt.150

Von Ludwig Roselius war eine deutsche Lösung angestrebt worden, die sich aber nicht realisieren ließ. Roselius hatte seit Anfang des Jahres 1979 offenbar eine Doppelstrategie ver-folgt: Auf der einen Seite stand die Abberufung des bisherigen Vorstands Kurt Kauler und Neubesetzung der Marketing-Vertriebsverantwortung im Vorstand. Die Neubesetzung mit Uwe Karsten vom englischen Getränkehersteller Schweppes wurde im Spätsommer 1979 be-kannt gegeben und als zukunftsweisende Entscheidung der Öffentlichkeit präsentiert. Auf der anderen Seite hatte er seit Februar des Jahres mit General Foods über den Verkauf verhandelt, wie später bei der Verkaufspressekonferenz mitgeteilt wurde. In diesem Fall hatte er bei bei-den Aktivitäten Erfolg.

In der Wirtschaftspresse wurde Ludwig Roselius mit dem Vater mit den folgenden For-mulierungen verglichen: „Dr. Roselius fehlte es an dem unternehmerischen Mut und wohl auch Weitblick des alles überragenden Vaters.“151 Aus diesem niemals gebannten Schatten

148 Gohlke, Martin: Rotes Herz - Tiefer Riss, Bremen 2003, S. 75

149 O. V., „Auch Nestlé wollte bei HAG einsteigen“, in: Bremer Nachrichten, 4.10.1979, o. S.

150 O. V., „Nestlé konnte HAG nicht kaufen“, in: Börsenzeitung Frankfurt, 3.10.1979, o. S.

151 Käckenhoff, Uwe/ Raithel, Helmut, „Schlecht gemischt“, in: manager magazin, 10, 1979, S. 37

seines Vaters trat er erst mit dem Verkauf des Unternehmens heraus.152 Seine Entscheidung zum Verkauf des Unternehmens war eine Unternehmerentscheidung von großer Weitsicht und ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein für die Mitarbeiter und für ihn persönlich wohl auch ein „Befreiungsschlag“153 für ein weiteres Leben nach eigenen Bedürfnissen.

4.2.5 Ludwig Roselius verkauft an General Foods am 27. 09. 1979

In einem Bericht über das 1. Halbjahr hatte der Vorstand der HAG AG die Mitarbeiter am 12. September 1979 über die Geschäftsentwicklung informiert. Es kam in dieser Information eine grundsätzliche Zufriedenheit über die Umsatz- und Ertragsentwicklung zum Ausdruck, obwohl es erhebliche Schwankungen im Rohkaffeegeschäft gab und die Planbarkeit des Ge-schäfts sehr begrenzt war.154 In dieser Phase gab es bereits konkrete Einblicke in die Ge-schäftszahlen der HAG AG durch Mitarbeiter von General Foods bzw. deren beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Prüfung der Daten vollzog sich außerhalb des Unter-nehmens, so dass nur ganz wenige HAG-Mitarbeiter über diesen Vorgang informiert waren.

Am 27. September 1979 gab die HAG AG bekannt, dass 97,2 % des Aktienkapitals, das Ludwig Roselius gehörte, an die General Foods Corporation verkauft worden war. Mit einem minutiös von General Foods vorbereiteten Zeitplan wurde am 26. und 27. September die Transaktion durchgeführt. Den Verantwortlichen von General Foods war sehr wichtig, dass

• jeder Beteiligte vollständig und korrekt informiert werden sollte,

• identische Informationen zum gleichen Zeitpunkt an den Unternehmensstandorten Bremen und Elmshorn weitergegeben wurden,

• eine positive Stimmung bei HAG in Bremen erzeugt werden sollte,

• eine positive Presseberichterstattung erreicht und

• ein vorzeitiges Bekanntwerden der Unternehmensstransaktion vermieden werden sollte.

Diese Absichten hatten vor allem die Funktion, gegenüber Mitarbeitern, aber auch gegen-über der Öffentlichkeit eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Der Transaktionskos-tentheorie folgend sollten mit diesem Maßnahmenbündel ex post die Anpassungs- und Kon-trollkosten in der Integrationsphase niedrig gehalten werden.

Am Vormittag des 27. September wurde der Kaufvertrag in der Bremer Bank unterzeich-net. Anschließend informierten Ludwig Roselius und der Aufsichtsratsvorsitzende Sieber den Betriebsratsvorsitzenden und den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, beide

152 Wiborg, Klaus, „Hanseaten verkaufen sich teuer“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.1979, o. S.

153 Gohlke, Martin: Rotes Herz – Tiefer Riss, Bremen 2003, S. 75

154 Aushang HAG, Bericht des Vorstands über die wirtschaftliche Lage und die Entwicklung des Unternehmens im 1. Halbjahr 1979

nehmervertreter. Danach wurden die 20 Top-Führungskräfte der HAG AG von Ludwig Rose-lius informiert und die Manager von General Foods stellten in einer Multimedia-Präsentation die General Foods Corporation dar. Es wurde auch eine vierseitige „HAG extra Information“

in der Werkskantine verteilt. Im Sprachgebrauch von Ludwig Roselius auf der Titelseite wur-de niemals das Wort Verkauf erwähnt, sonwur-dern von einem Anschluss an die international täti-ge General Foods-Organisation täti-gesprochen.155 Es ging ihm darum, vorrangig eine „erfreuli-che Nachricht von richtungweisender Bedeutung“156 zu machen. Am Nachmittag fand die Pressekonferenz statt.

Der Verkauf des Bremer Traditionsunternehmens entsprang keiner akuten wirtschaftli-chen Notlage, aber die HAG AG war auf dem deutswirtschaftli-chen Markt im Hinblick auf Marktanteile und finanzielle Möglichkeiten in die Defensive gedrängt worden. Die bis zu diesem Zeitpunkt noch günstiger verlaufende Geschäftsentwicklung auf den ausländischen Märkten konnte die schwieriger werdenden Wettbewerbsbedingungen nicht kompensieren. Die Verkaufsgründe bestanden deshalb in der langfristigen Sicherung des Unternehmens auf dem deutschen Markt, verbunden mit größeren Exportchancen im internationalen Wettbewerb. Es war im Markt bekannt gewesen, dass die HAG AG eine Partnerschaft suchen würde.

Darüber hinaus war Roselius sehr daran interessiert, die HAG AG in der bestehenden Form zu erhalten. Im Gegensatz dazu sprachen die Größenverhältnisse auf dem deutschen Markt eindeutig für die HAG AG, so dass bei einer möglichen Zusammenführung beider Un-ternehmen HAG im Vorteil war. Man kann sich deshalb vorstellen, dass die Ablehnung des Bundeskartellamts bezüglich einer „deutschen Lösung“ für die Mitarbeiter der HAG AG ein Vorteil war, ohne dass es ihnen bewusst war.

Die HAG AG pflegte schon seit Jahrzehnten einen regelmäßigen Geschäftskontakt mit General Foods über die Vermarktung von entkoffeiniertem Kaffee in den USA. Ludwig Rose-lius wurde mit folgenden Worten zitiert: „Dieser Abschluss bedeutet einen weiteren wichtigen Schritt in der nunmehr 50jährigen freundschaftlichen Beziehung zu General Foods.“157 Diese bestanden vor allem in der technischen Kooperation bei der Herstellung des koffeinfreien Kaffees. Es war gegenseitiges Vertrauen vorhanden, das sich eher günstig auf die Transakti-onskosten im Sinn von Such- und Anbahnungskosten ausgewirkt haben dürfte. Es waren die Kontakte im Forschungsbereich, die schon länger zwischen General Foods und HAG

155 HAG extra, 27. September 1979, S. 1

156 HAG extra, 27. September 1979, S. 1

157 Wessendorf, Winfried, „Amerikaner kaufen Kaffee HAG“, in: Die Welt, 28.09.1979, o. S.

den hatten, die die Brücke für die erfolgreich abgeschlossenen Verkaufsverhandlungen bilde-ten.158

Wesentlich in diesem Zusammenhang erscheint die Tatsache, dass die Fusion in einer Transaktionsatmosphäre getätigt wurde, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt war und Konflikte und Unsicherheit möglichst vermeiden sollte. Die Arbeitnehmervertreter im Auf-sichtsrat und der Betriebsrat hatten zwar Gerüchte über einen möglichen Verkauf des Unter-nehmens gehört, der Inhaber hatte aber immer konkrete Aussagen über einen solchen Schritt verweigert. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Schnakenberg und der Betriebrats-vorsitzende Siebert wurden vielmehr auf eine Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses des HAG-Aufsichtsrats verwiesen. Diese Sitzung fand dann aber nicht mehr statt.159 Nachdem am 27. September 1979 die Verträge in der Bremer Bank unterzeichnet worden waren, wur-den in der Betriebskantine Monitore aufgebaut, um wur-den Mitarbeitern während der Mittagspau-se Filme über General Foods zu zeigen. Als der Betriebsrat mehr interessiert nach dem Motiv für die Monitore fragte, wurde ihm von einem der General Foods-Führungskräfte erläutert, dass das Unternehmen verkauft sei. Der Betriebsrat stoppte diese Aktivität und erzwang eine sofortige Aufsichtsratssitzung der Arbeitnehmervertreter beim Arbeitsdirektor und Vor-standsmitglied Rolf Oßenbrügge. Ludwig Roselius erläuterte schließlich allen Mitarbeitern in einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung in der Betriebskantine den Verkauf des Unternehmens,160 was im gemeinsamen Ablaufplan nicht vorgesehen war. Es ist davon aus-zugehen, dass es dem bisherigen Eigentümer unangenehm war, den Mitarbeitern die Informa-tion über den Verkauf persönlich mitzuteilen. Die HAG-Mitarbeiter sollten vielmehr über die

„HAG extra Information“ um die Mittagszeit schriftlich von dem Unternehmensverkauf an General Foods erfahren.

Die unerwartete Mitteilung über den Verkauf der HAG AG dürften die Mitarbeiter trotz aller gegenteiligen Bemühungen in der Anbahnungsphase eher als einen Vertrauensbruch wahrgenommen haben. Die Arbeitnehmervertreter bezeichneten den Gemütszustand der Mit-arbeiter zusammenfassend mit folgenden Worten: „Die Kollegen sind derart schockiert, dass sie wie gelähmt sind.“161

158 O. V., „Überraschung in Bremen: HAG-AG an General Foods verkauft“, in: KTM, Nr. 19, 5.10. 1979, S. 3-4

159 Wiemers, Eckhard, „HAG AG: Handel mit Herz?“, in: Welt der Arbeit, 11.10.1979, o. S.

160 Wiemers, Eckhard, „HAG AG: Handel mit Herz?“, in: Welt der Arbeit, 11.10.1979, o. S.

161 Schuller, Axel, „General Foods: Wert der Böttcherstraße erkannt“, in: Weser-Kurier, 28.9.1979, o. S.