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Jüngere Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen sind psychisch stärker beeinträchtigt als ältere

B) Barthel-Index

4. Ergebnisse und Diskussion

4.5 Jüngere Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen sind psychisch stärker beeinträchtigt als ältere

Die subjektive psychische Belastung der jüngeren Eltern (40 bis 55 Jahre) war auf nahezu allen SCL-90-R-Skalen stärker ausgeprägt als die der älteren Eltern (56 bis 77 Jahre). Lediglich für die Skala Paranoides Denken fand sich kein Unterschied zwischen jüngeren und älteren Eltern. Tabelle 4.10 zeigt die Skalencharakteristika für die Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen in Abhängigkeit von deren Alter. Zur Veranschaulichung sind die altersabhängigen Unterschiede in Abbildung 4.13 auf der folgenden Seite dargestellt.

Tab. 4.10. Mittelwert, Standardabweichung, Median und Range der SCL-90-R-Skalen der Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen in Abhängigkeit vom Alter der Eltern

Jüngere Eltern1 (n=42) Ältere Eltern2 (n=40)

Skala M SD Median Range M SD Median Range

Somatisierung 0,72 0,55 0,67 0-2,08 0,51 0,46 0,46 0-1,92 Zwanghaftigkeit 0,82 0,57 0,70 0-2,20 0,54 0,44 0,45 0-1,40 Unsicherheit 3 0,60 0,48 0,56 0-2,00 0,44 0,50 0,28 0-2,00 Depressivität 0,95 0,67 0,77 0-2,39 0,52 0,46 0,42 0-1,77 Ängstlichkeit 0,60 0,54 0,45 0-2,20 0,36 0,41 0,20 0-1,80 Aggress./Feinds.4 0,57 0,43 0,50 0-1,67 0,40 0,67 0,17 0-3,67 Phobische Angst 0,20 0,28 0,14 0-1,14 0,08 0,16 0 0-0,57 Paranoides D.5 0,48 0,53 0,33 0-2,33 0,41 0,63 0,25 0-3,00 Psychotizismus 0,24 0,32 0,10 0-1,20 0,11 0,14 0 0-0,50 Kennwert

GSI 0,63 0,41 0,48

0,13-1,58 0,41 0,35 0,29 0,02-1,34

PSDI 1,62 0,44 1,54

1,08-2,61 1,46 0,56 1,26 1-3,25 PST 33,45 18,22 32,00 8-72,00 23,05 14,35 22,00 2-51,00

Anmerkung. 1 bis einschließlich 55 Jahre; 2 ab 56 Jahren; 3 Unsicherheit im Sozialkontakt; 4 Aggressivität/

Feindseligkeit; 5 Paranoides Denken.

Abb. 4.13. Mediane der SCL-90-R-Skalen der Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen in Abhängigkeit vom Alter der Eltern

Die Unterschiede in der Belastung der Eltern in Abhängigkeit ihres Alters spiegelten sich auch in den Kennwerten der SCL-90-R wieder. In allen drei Kennwerten wiesen die jüngeren Eltern höhere Werte und somit eine höhere Belastung auf (GSI: Z = -2,612, p = 0,0045; PST: Z

= -2,362, p = 0,009; PSDI: Z = -2,585, p = 0,005). Hinsichtlich der Ausprägung posttraumatischer Belastungsreaktionen unterschieden sich jüngere und ältere Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen hingegen nicht in ihrer Beeinträchtigung. Es fanden sich keine Unterschiede für die IESRSkalen (Intrusionen: t(62) = 0,254, p = 0,400; Vermeidung: Z = -0,796, p = 0,413; Übererregung: Z = -0,851, p = 0,198; Summenwert: t(62) = -0,743, p = 0,230).

Tabelle 4.11 zeigt die Skalencharakteristika.

0,67*

Skala 1 Skala 2 Skala 3 Skala 4 Skala 5 Skala 6 Skala 7 Skala 8 Skala 9 jüngere Eltern1 (n=42 ) ältere Eltern2 ( n=40 )

Anmerkung. 1Jüngere Eltern=bis einschließlich 55 Jahre; 2ältere Eltern=ab 56 Jahren; ** p < 0,01;

* p < 0,05; Skala 1: Somatisierung, Skala 2: Zwanghaftigkeit, Skala 3: Unsicherheit im Sozialkontakt, Skala 4: Depressivität, Skala 5: Ängstlichkeit, Skala 6: Aggressivität/Feindseligkeit, Skala 7:

Phobische Angst, Skala 8: Paranoides Denken, Skala 9: Psychotizismus.

Tab. 4.11. Mittelwert, Standardabweichung, Median und Range der IES-R-Skalen der Eltern von Patienten mit schizophrenen Störungen in Abhängigkeit vom Alter der Eltern

Jüngere Eltern1

(n=37)3 Ältere Eltern2

(n=27) 3

IES-R-Skala M SD Median Range M SD Median Range

Intrusion 16,68 9,14 18,0 0-35 16,11 8,26 17,0 0-30

Vermeidung 12,32 9,17 12,0 0-34 10,81 8,33 10,0 2-33

Übererregung 13,35 9,14 14,0 0-35 11,11 7,05 9,00 1-25 Summenwert 42,35 24,34 42,0 0-98 38,04 20,83 38,0 9-83

Anmerkung. 1 bis einschließlich 55 Jahre; 2 ab 56 Jahren; 3 Eltern, die spontan ein Ereignis benannt haben.

Es bestand kein Unterschied zwischen jüngeren und älteren Eltern hinsichtlich gegenwärtiger psychischer Symptome von Krankheitswert, also einer SKID-I-Diagnose (χ2(1) = 0,802, p = 0,185). Jüngere Eltern wiesen hingegen häufiger eine Lebenszeitdiagnose einer Angststörung (χ2(1) = 5,055, p = 0,0125) und einer Major Depression auf (χ2(1) = 8,721, p = 0,0015) und waren hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit (GAF) stärker beeinträchtigt (Median = 62,50 vs. 70,00; U = 529,00, p = 0,002).

Bis auf eine schwache signifikante positive Korrelation zwischen dem GAF-Wert und dem Alter der Patienten (rs GAF = 0,235, p = 0,034) bestand kein Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung der Eltern und dem Alter der erkrankten Kinder (rs GSI = -0,214, p = 0,053; rsIntrusionen = -0,083, p = 0,513; rsVermeidung = -0,067. 0,596; rsÜbererregung = -0,053, p = 0,677; rs

Diagnose = -0,018, p = 0,875). Hinsichtlich psychischer Störungen der Eltern fand sich ein Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Lebenszeitdiagnose und einem jüngeren Alter der Patienten (Z = -2,102, p = 0,036).

4.5.1 Zusammenfassung und Diskussion

Einige Ergebnisse stützen die angenommene Hypothese:

Jüngere Eltern

 berichteten mit Ausnahme posttraumatischer Belastungsreaktionen nahezu durchgehend eine stärker ausgeprägte psychische Belastung als ältere Eltern;

 sie waren hinsichtlich ihrer allgemeinen Leistungsfähigkeit stärker beeinträchtigt als ältere Eltern und

 erfüllten über die Lebensspanne häufiger die Kriterien für eine Angststörung oder eine Major Depression.

Es bestand dagegen kein Unterschied zwischen jüngeren und älteren Eltern hinsichtlich gegenwärtiger psychischer Symptome von Krankheitswert, also einer SKID-I-Diagnose.

Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte nicht außer acht gelassen werden, dass für die Skalen Aggressivität/Feindseligkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt und Zwanghaftigkeit von Hessel, Schumacher et al. (2001) eine alterskorrelierte Abnahme (für die Skala Zwanghaftigkeit im mittleren Lebensalter) berichtet wurde. Für die gefundenen Unterschiede in der vorliegenden Untersuchung könnten also auch generelle Alterseffekte ausschlaggebend sein. Dagegen sprechen allerdings die Befunde von Hessel, Geyer und Brähler (2001), die für die Globalen Kennwerte keine signifikanten Alterseffekte nachwiesen und für die Skalen Somatisierung, Zwanghaftigkeit und Phobische Angst eine Zunahme der Beschwerden mit steigendem Alter bei über 60-Jährigen berichteten. Dennoch ließ sich die Hypothese nicht für alle Bereiche psychischer Belastung der Eltern stützen.

In der vorliegenden Untersuchung ließ sich weder in den posttraumatischen Belastungsreaktionen noch hinsichtlich des Vorliegens gegenwärtiger krankheitswertiger psychischer Störungen ein altersspezifischer Effekt nachweisen. Jüngere Eltern sind vermutlich durch die neue Situation und entsprechende Orientierungs- und Hilflosigkeit belastet, ältere Eltern womöglich durch die Erkrankungsdauer des Kindes und der daraus resultierenden chronischen Anforderungssituation.

Für die bei jüngeren Eltern häufigeren Lebenszeitdiagnosen einer Angststörung und einer Major Depression lassen sich verschiedene Erklärungsmöglichkeiten diskutieren. Die Definition einer „Lebenszeitdiagnose“ bezieht sich auch auf einen nicht allzu lange vergangenen Zeitraum

vor der „4-Wochenprävalenz“ und könnte die stärkere psychische Belastung der Eltern in den Monaten vor der aktuellen Klinikaufnahme des Kindes widerspiegeln.

Zwischen dem Vorliegen einer Lebenszeit-Diagnose bei den Eltern und einem jüngeren Alter der Patienten hatte sich ein schwacher signifikanter Zusammenhang ergeben (rs = -0,197, p = 0,036).

Es gibt Hinweise, dass jüngere Patienten häufiger suizidal sind als ältere Patienten (Dassori, Mezzich & Keshavan, 1990), was für deren (jüngere) Eltern zu einer höheren subjektiven psychischen Belastung führen könnte. Allerdings bestand zwischen gegenwärtigen psychischen Beschwerden der Eltern und dem Alter der Patienten größtenteils kein Zusammenhang (rs Diagnose aktuell = -0,018, p = 0,875; rs GSI = -0,214, p = 0,053; rs Summenwert IES-R = -0,075, p = 0,556; rs GAF = 0,0235, p = 0,034).

Eine andere Erklärungsmöglichkeit für die höhere Lebenszeitprävalenz jüngerer Eltern für eine Major Depression und Angststörungen könnte eine nur noch unscharfe Erinnerung an solche Krankheitsepisoden bei älteren Menschen und/oder eine generelle Schwierigkeit dieser sein, sich psychische Beschwerden einzugestehen und zu berichten. Dagegen spricht aber, dass sich kein Unterschied in der Häufigkeit gegenwärtiger psychischer Beschwerden von Krankheitswert zeigte. Zudem müssen die Befunde der vorliegenden Untersuchung vor dem Hintergrund eines möglichen Kohorteneffektes betrachtet werden, da für die Angststörungen diskutiert wird, dass diese in jüngeren Kohorten häufiger auftreten (vgl. Riedel-Heller, 2004). Für Depressionen ist die Forschungslage nach Riedel-Heller (2004) uneindeutig.

Die jüngeren Eltern hatten vor dem aktuellen Klinikaufenthalt häufiger mit ihrem erkrankten Kind in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Das Zusammenleben mit dem Patienten allein hatte wie bereits berichtet, keinen unabhängigen Einfluss auf die subjektive psychische Belastung der Eltern.

Eine weitere Stressquelle für jüngere Eltern stellt die Erfahrung dar, sich in einer Lebensphase, in der eigentlich die Ablösung der Kinder erwartet wird, um ein erwachsenes psychisch krankes Kind kümmern zu müssen. Insbesondere Mütter erlebten eine starke Belastung und ein Gefühl persönlichen Versagens, wenn ihre Kinder hinsichtlich der Aufgabe, ein unabhängiger Erwachsener zu werden, nicht „on time“ waren (vgl. Hagestad, 1986).

Eventuell sind jüngere Eltern stärker von diesem Konflikt betroffen als ältere, die sich schon längere Zeit mit der für sie unerwarteten Entwicklung ihrer Kinder auseinander setzen konnten (Medianältere Eltern = 7; Medianjüngere Eltern = 1; Z = -4,205, p < 0,001).

4.6 Eltern von ersthospitalisierten Patienten mit schizophrenen Störungen