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Gestaltungskriterien für Lehr-Lern-Situationen

Im Dokument Berufliche Rehabilitation (Seite 65-69)

6 Arbeitsschwerpunkt: Curricular-didaktische Innovationen

6.5 Innovationen im Bereich der ökonomischen Basisbildung

6.5.2 Gestaltungskriterien für Lehr-Lern-Situationen

A Grundsätzliches zum handlungsorientierten Unterricht Handlungs- und problemorientiertes Lernen

Mit dem Konzept eines handlungsorientierten Unterrichts verbindet sich grundsätzlich die Anforderung, den Unterricht als einen aktiven Konstruktionsprozess der Lernenden anzulegen. In diesem Sinne sollen sich die Lernenden Begriffe, Theorien, Modelle, Stra-tegien oder Techniken immer als Lösungen spezifischer Handlungs- oder Orientie-rungsprobleme erarbeiten. Ein wirkliches Verständnis dieser Lerninhalte kann nur er-reicht werden, wenn sie aus dem Zusammenhang der jeweils korrespondierenden Probleme oder Aufgabenstellungen heraus entwickelt werden. In diesem Sinne sollten praxisrelevante Arbeitsaufgaben und Probleme den Ausgangspunkt des Lernprozesses darstellen.

Situiertes Lernen

Die zentrale didaktische Herausforderung besteht darin, Lerngegenstände nicht isoliert oder in ihrer fachsystematischen Ordnung und damit losgelöst aus ihrem jeweiligen praktischen Zusammenhang zu präsentieren, sondern sie umgekehrt so in sinnvolle Si-tuationen einzubetten, dass sie den Lernenden Anlässe zum aktiv-problemlösenden Lernen bieten und dass sie im Zuge dieses problemlösenden Handelns orientierungs- und handlungsrelevant werden (Vermeidung trägen Wissens).

Komplexe Ausgangssituationen

Den Ausgangspunkt situierten, problemlösenden Lernens sollen komplexe Lehr-Lern-Situationen bilden. Das Merkmal der Komplexität verweist dabei auf die Anforderung, den lebensweltlichen Sinngehalt und die wesentlichen strukturellen Zusammenhänge des jeweiligen Lerngegenstandes in der Lernsituation abzubilden. Hierbei wird es sich in der Regel um berufliche Orientierungs- oder Handlungszusammenhänge handeln;

denkbar wären allerdings auch gesamtwirtschaftliche Probleme oder solche aus der Perspektive privater Konsumenten.

B Modellierung:

Zielgeleitete Modellierung

Die PowerBikes GmbH ist kein naturalistisches Abbild eines ganz bestimmten realen Fahrradgroßhandels, sondern eine didaktische Konstruktion zum Zwecke des Lernens.

In diesem Sinne muss es unser Modellunternehmen erlauben, solche Strukturen, Pro-zesse, Phänomene und Probleme abzubilden, mit denen sich die TN auseinanderset-zen sollen. Gut ist das Modell nicht dann, wenn es ein reales Unternehmen möglichst genau nachbildet, sondern dann, wenn in ihm das erfahren werden kann, was die Teil-nehmer lernen sollen. Dabei darf es natürlich nicht dazu kommen, dass Merkmale des Modellunternehmens im Widerspruch zueinander stehen (20 Angestellte und 2 Arbeiter;

Lohnkosten höher als Umsatz o. ä.) oder dass Merkmale im Widerspruch zur Alltagser-fahrung stehen (z. B. kostengerechte „Mondpreise“).

Lernziele, Probleme und Aufgabenstellungen festlegen

Für den Modellierungsprozess muss geklärt werden, welche Lernziele (Begriffe, Model-le, Verfahren, Einstellungen) die Lernenden erwerben sollen und über welche Probleme oder Aufgabenstellungen diese situativ dargestellt werden sollen.

Zentrale Geschäftsprozesse identifizieren und analysieren

Als grundlegender Rahmen für die Modellierung von Lernsituationen sollen Geschäfts-prozesse dienen. Zunächst ist zu fragen, welches die wesentlichen GeschäftsGeschäfts-prozesse in einem Großhandelsunternehmen sind. Bezogen auf diese Geschäftsprozesse ist dann zu klären, welche Begriffe, Rechtsnormen oder kaufmännischen Verfahrenswei-sen zum Verständnis und zur Bewältigung dieser Prozesse zu erarbeiten sind, und es ist zu klären, welche berufstypischen Störungen und Probleme am Beispiel dieser Pro-zesse behandelt werden können.

Störungen auftreten lassen

Im kaufmännischen Bereich bietet es sich an, zunächst von relativ störungsfreien Pro-zessverläufen auszugehen, dann taktische Anpassungsleistungen einzubeziehen (ge-ringfügige Störungen im Ablauf), dann Anpassungen im Bereich des operativen Mana-gements (Variation der Umweltbedingungen: Preiserhöhung auf dem Beschaffungs-markt, Ausfall eines Lieferanten, Veränderungen des Nachfrageverhaltens), strategi-sche Entstrategi-scheidungen in Abstimmung mit anderen Unternehmensbereichen (z. B. Sor-timentsveränderungen, Verringerung der Lagerbestände) und schließlich normative Entscheidungen, die nur aus der Perspektive des Gesamtunternehmens zu treffen sind (z. B. Veränderung der Aufbauorganisation).

Wertströme abbilden und buchen

Alle betrieblichen Geschäftsprozesse betreffen immer auch den Wertschöpfungspro-zess einer Unternehmung und können nicht optimiert werden, ohne dabei den Bezug zur Wertschöpfungsebene herzustellen. Vor diesem Hintergrund sollte die Wertschöp-fungsebene bei allen Geschäftsprozessen explizit thematisiert und dargestellt werden.

Dies schließt auch die Frage der buchhalterischen Erfassung und Auswirkungen der jeweiligen Geschäftsvorgänge mit ein, erschöpft sich jedoch nicht mit diesem Aspekt (KLR, Statistik, graphische Darstellungen).

Volkswirtschaftliche Bezüge herstellen

In allen Lernfeldern sollen auch volkswirtschaftliche Bezüge hergestellt werden. Dies sollte überwiegend aus einer betrieblichen Perspektive im Sinne einer Abklärung ge-samtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen erfolgen.

Variation des Modellunternehmens

Es soll nicht durchgängig in allen Phasen mit derselben Struktur der PowerBikes gear-beitet werden. Anzustreben ist die Erweiterung des Großhandels um ein produzieren-des Tochterunternehmen, um den TN die Planung von Produktionsprozessen und de-ren Kostenrechnung zu ermöglichen. In Bezug auf den Bereich E-Commerce soll wei-terhin eine Ergänzung um die Planung eines E-Shops erfolgen. In Bezug auf den Be-reich EU-Kompetenzen erfolgt eine Ausdehnung der Geschäftstätigkeiten ins europäi-sche ggf. überseeieuropäi-sche Ausland.

C Verknüpfung des Lernens im Lernbüro mit dem begleitenden Unter-richt

Raum für systematisierende Lernphasen

Im handlungsorientierten Unterricht kommt der begrifflichen Reflexion und Systema-tisierung der Lernerfahrungen eine zentrale Bedeutung zu, um ein Lernen am Modell zu ermöglichen und damit das erworbene Wissen und Können zu verallgemeinern (zu dekontextualisieren) und für andere Zusammenhänge nutzbar (transferierbar) zu ma-chen.

Weitere Fallbezüge (Transfer)

Unter dem Aspekt des Transfers ist es wichtig, über das Modellunternehmen PowerBi-kes hinaus auch weitere Beispiele einzuführen, auf die das neu erworbene Wissen ü-bertragen werden kann. Die Fähigkeit zum Transfer ergibt sich nicht automatisch, son-dern Transfer muss am konkreten Fall gelernt werden.

Systematische Ergänzungen und Erweiterungen ermöglichen

Daneben muss es auch weitere Phasen vorwiegend begrifflich strukturierten Lernens geben, die der systematischen Ergänzung, Vervollständigung, Vertiefung oder Ausweitung der erworbenen Kenntnisse oder Fähigkeiten dienen. In diesen Phasen wird es weder möglich noch notwendig sein, jeden Inhalt aus seinem konkreten Hand-lungs- oder Problembezug heraus aufzubauen. Wesentlich ist allerdings, dass sich sol-che Lernphasen an handlungs- und problemorientiert aufgebaute Strukturen anschlie-ßen können.

Handlungssituationen durchgängig bearbeiten (keine „Beulen“)

Systematische Ergänzungen und Vertiefungen sollen den Zusammenhang der prob-lemorientierten Erarbeitung grundlegender Strukturen nicht zerreißen, sondern erst im Anschluss hieran in spezifischen Auswertungsphasen erfolgen.

Anwenden und Üben integrieren

Phasen der Übung (Anwendung in strukturgleichen Situationen) und des Transfers (Anwendung in strukturell variierenden Situationen) sind in alle Lerneinheiten zu integ-rieren.

Ansteigende Komplexität

Unter lernpsychologischen Gesichtspunkten gilt ein Schwierigkeitsgrad der Lernhand-lungen als erstrebenswert, der knapp oberhalb des aktuellen Leistungsstandes der Ler-nenden liegt. Im Zuge des Lernprozesses sollte die Komplexität des Lerngegenstandes nach und nach erhöht werden. Dies kann dadurch erfolgen, dass zusätzliche Entschei-dungsvariablen einbezogen werden oder dadurch, dass die Lernenden zunehmend mehr Aspekte beachten und in ihren Entscheidungen berücksichtigen müssen.

Aufbau von Methodenkompetenz

Methodische Kompetenzen unterschiedlicher Art (soziale Kompetenzen, Lern- und Ar-beitstechniken, sprachliche Kompetenzen, DV-Fähigkeiten und kommunikative Kompe-tenzen) sollen in die Lernfelder integriert werden. Der Erwerb dieser Kompetenzen er-folgt jedoch nicht beiläufig, sondern es ist erforderlich, dass diese Kompetenzen ge-zielt angebahnt, unterstützt und abgefordert werden.

Prüfungsaufgaben einbeziehen

Im Zusammenhang der systematisch-ergänzenden Lernangebote und der Anwen-dungsaufgaben erscheint es sinnvoll, im Zusammenhang der einzelnen Lernfelder auch Prüfungsaufgaben mit einzubeziehen, um die Auszubildenden frühzeitig mit den Be-sonderheiten der Prüfungsform vertraut zu machen und das hierfür charakteristische Definitions- und Merkmalswissen in den Sinnzusammenhang der Lernsequenzen zu stellen.

Kriterien der Leistungsmessung und -beurteilung festlegen

Für jedes Lernfeld müssen die erwarteten Kompetenzen auch in operationalisierter Weise definiert werden, d. h. es muss angegeben werden, welche Leistungen die Aus-zubildenden nach Abschluss einer Lernsequenz zu erbringen in der Lage sein sollen.

Die zentrale didaktische Herausforderung im Projekt bestand also darin, relevante Lern-gegenstände so in sinnvolle situative Kontexte zu (re)integrieren, dass sie

o den Lernenden Anlässe zum aktiv-problemlösenden Lernen bieten,

o im Zuge dieses problemlösenden Handelns orientierungs- und handlungsre-levant werden und so

o von den Lernenden aktiv und sinnbezogen angeeignet werden können.

Die Gestaltungskriterien lassen sich folgendermaßen zusammenfassend bündeln:

Abbildung 6: Kriterien zur Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen im Projekt KEm IBW

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Gestaltungskriterien für Lehr-Lern-Situationen

¾ Ziele klären: Kompetenzen und Verständnis

¾ Kernprozesse und Kernkonzepte identifizieren

¾ Situationen, Störungen und Probleme identifizieren, über die ein Zugang zu den Prozessen und Konzepten ermöglicht wird

¾ Modellierung sinnvoller, komplexer Handlungs- und Problemsituationen + narrative Einbettung

¾ problemorientiertes Lernhandeln ermöglichen und unterstützen

¾ Dekontextualisierung: Reflexion, Systematisierung und Ergänzung

¾ Rekontextualisierung: Üben und Anwenden ermöglichen

¾ Selbst- und Fremdevaluation einbeziehen

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