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Die gesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung und die Arbeiterorganisationen in Deutschland und die Arbeiterorganisationen in Deutschland

öffentlichen deutschen Arbeitsnachweise

39. Die gesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung und die Arbeiterorganisationen in Deutschland und die Arbeiterorganisationen in Deutschland

Die nach der Konferenz im Gewerkschaftshause Berlins am 10. Feb-ruar eingesetzte Kommission (Sp. 491 ff.), die mit der Aufgabe der weiteren Beratung und endgültigen Bestimmung des Vorgehens in Sa-chen des Arbeitsnachweises betraut war, hat vom 18. bis 20. Februar im Hause des Deutschen Holzarbeiterverbandes in Berlin ihre Bera-tungen gepflogen und ist, um dies sofort hervorzuheben, zu einer Ei-nigung der sämtlichen gewerkschaftlichen Richtungen, die gegen 3 Millionen deutsche gewerbliche Arbeiter umfassen, gelangt. Vertreten waren die freien Gewerkschaften, der Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften, die Deutschen Gewerksvereine H.=D. und die Polni-sche Berufsvereinigung durch je drei Bevollmächtigte, ebenso die Ge-sellschaft für Soziale Reform (durch ihre beiden Vorsitzenden und den Generalsekretär); den Verhandlungen wohnten außerdem zum Zwecke der Information ein Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes und Beamte des Verbandes Deutscher Arbeitsnachweise bei. In der Bera-tung trat immer wieder der dringende Wunsch nach einem einigen Zu-sammengehen aller Arbeiterorganisationen nicht nur in der Forderung der Regelung des Arbeitsnachweises, sondern auch auf anderen Ge-bieten, insbesondere des Arbeitsrechts (Vereins- und Versammlungs-recht, KoalitionsVersammlungs-recht, Arbeitskammern) zutage, und sämtliche Rich-tungen sprachen ihre Bereitwilligkeit zu weiteren Verhandlungen nachdrücklichst aus. Andererseits aber war nicht zu verkennen, daß eine Einigung gerade auf dem viel und lang umstrittenen Felde der Arbeitsvermittlung erhebliche Schwierigkeiten bot, da hier die Vertre-ter der einzelnen Verbände durch frühere Kongreßbeschlüsse, durch Rücksichten auf organisatorische Bedürfnisse, durch die Erfahrungen der Praxis sich gebunden fühlten. Mit anerkennenswerter Entsagung stellte man jedoch schließlich die trennenden Punkte in den Hinter-grund, um das allen gemeinsame große Ziel einer gesetzlichen Rege-lung und eines großzügigen Ausbaues der ArbeitsvermittRege-lung auf der Grundlage der Selbstverwaltung unter gesetzlicher Beaufsichtigung aller Arbeitsnachweise ohne Ausnahme zu erreichen. Nach einem Vorschlage der Gesellschaft für Soziale Reform wurden folgende Leitsätze einhellig zum Beschluß erhoben:

Leitsätze für die gesetzliche Regelung des Arbeitsnachweises. Die Erfahrungen in der Arbeitsvermittlung, besonders seit dem Kriegsausbruche, haben große Mängel des Arbeitsnachweises darge-tan, die eine energische Reform im Interesse unserer gesamten heimi-schen Volkswirtschaft notwendig erscheinen lassen. Diese Reform muß schon jetzt während des Krieges in Angriff genommen werden, da nach Beendigung des Krieges für Millionen von Arbeitern, die aus dem Militärverhältnisse heraustreten, Beschäftigung gefordert wird.

Für die Bewältigung dieser Aufgabe ist eine geordnete Arbeitsvermitt-lung notwendig.

Der Arbeitsnachweis wird seine Aufgaben nur dann erfüllen können, wenn er Angebot und Nachfrage auf dem gesamten Arbeitsmarkte re-gelt. Außer dieser seiner wichtigsten Aufgabe wird er die Unterlage schaffen müssen für eine zuverlässige Arbeitslosenzählung und der Arbeitslosenversicherung durch Staat und Gemeinde als wichtige Kontrolleinrichtung und Hilfsorganisation zu dienen haben.

Die Vorbedingung für eine ersprießliche Tätigkeit des Arbeitsnach-weises wird eine einheitliche Organisation sein, die unter Berücksich-tigung der Berufsverhältnisse örtlich gegliedert sein muß. Die örtli-chen Organisationen müssen zu Bezirksverbänden zusammengefaßt sein, die wiederum in Verbindung mit einer Reichszentrale stehen. In einer solchen Organisation läßt sich der wechselnde Anspruch des Ar-beitsmarkts erkennen und lassen sich die in unserem heutigen Wirt-schaftssystem notwendigen Verschiebungen der Arbeitskräfte dirigie-ren.

Für die Neuorganisation des Arbeitsnachweises durch ein Reichsge-setz wird namentlich zu fordern sein:

1. Im ganzen Reiche ist für jede größere Gemeinde mit ihren Vororten sowie für je einen Bezirk von kleineren Gemeinden ein Arbeitsamt zu errichten. Die Arbeitsämter sind für bestimmte Landesteile bzw.

Einzelstaaten zu Verbänden (Bezirks- bzw. Landesarbeitsämtern) zusammenzufassen. Die Zentrale bildet das Reichsarbeitsamt.

2. Dem Arbeitsamte sind alle Arbeitsnachweise in seinem Bezirke zu unterstellen.

3. Das Arbeitsamt wird zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus Ver-tretern der Arbeiter und Unternehmer auf Grund einer Verhältnis-wahl. Die Grundsätze der Wahlordnung sind durch Gesetz festzu-legen. Das Arbeitsamt steht unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden.

4. Die gleiche Vorschrift gilt auch für die Verwaltung der Landes- bzw. Bezirksämter und für das Reichsarbeitsamt, mit der Maßgabe daß die Verwaltungsmitglieder der örtlichen Arbeitsnachweise die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zu den Landes- bzw. Be-zirksämtern und diese wiederum die Vertreter zum Reichsar-beitsamt zu wählen haben.

5. Dem Arbeitsamte sind alle An- und Abmeldungen über Eintritt und Austritt aus dem Arbeitsverhältnis zu melden, es dient zugleich als Meldestelle für Krankenversicherung.

Dem Arbeitsamte sind für die vom Reichsarbeitsamte geführte Sta-tistik der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosigkeit durch die Ar-beitsnachweise des Bezirks die geforderten Angaben zu übermit-teln.

Dem Arbeitsamte sind alle im Bezirke von den Arbeitsnachweisen nicht erledigten Anforderungen an Arbeitskräften oder Überange-bot zu melden, um, wenn möglich, einen Ausgleich in anderen Be-zirken herbeizuführen.

6. Im Bezirke des Arbeitsamts sind öffentliche Arbeitsnachweise möglichst mit beruflicher Gliederung zu errichten und von den Gemeinden zu unterhalten. Ihre Verwaltung wird aus Vertretern der Unternehmer und der Arbeiter zu gleichen Teilen gebildet, die durch eine Verhältniswahl bestimmt werden. Für die Berufsabtei-lungen sind besondere Fachausschüsse in gleicher Weise zu bilden.

7. Die Arbeitsvermittler werden von der Verwaltung des Arbeits-nachweises gewählt. Sie müssen, soweit die Berufsabteilungen in Frage kommen, mit den Verhältnissen des Berufs vertraut sein, für den der Arbeitsnachweis errichtet ist.

8. Die Arbeitsvermittlung hat unentgeltlich zu geschehen. Ausländi-sche Arbeitskräfte dürfen nur herangezogen werden, wenn keine einheimischen auf dem Arbeitsmarkte vorhanden sind.

9. Sind für ein bestimmtes Gewerbe Tarifverträge abgeschlossen, so kann durch Beschluß der Verwaltung bestimmt werden, daß die Arbeitsvermittlung nur zu den tariflichen Arbeitsbedingungen er-folgt.

Für Arbeitsnachweise, die von Tarifgemeinschaften ins Leben ge-rufen und verwaltet werden, gelten im übrigen die von der Tarif-gemeinschaft getroffenen Bestimmungen, die jedoch, soweitsie den Arbeitsnachweis betreffen, der Genehmigung des Reichsar-beitsamts bedürfen.

10.Dem Arbeitsamt obliegt die Beaufsichtigung und Kontrolle aller Arbeitsnachweise ohne jede Ausnahme. Es sind hierüber entspre-chende Vorschriften durch Gesetz zu erlassen. Ebenso sind Maß-nahmen zu treffen, um zu verhindern, daß der Arbeitsnachweis sei-nem eigentlichen Zwecke, der Arbeitsvermittlung, entfremdet wird.

Insbesondere darf der Arbeitsnachweis nicht dazu ausgenutzt wer-den, die Organisationsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers oder Ar-beiters zu beschränken.

Diese Leitsätze sind durch eine Abordnung je eines Vertreters der freien Gewerkschaften, der Christlichen Gewerkschaften, der Deut-schen Gewerksvereine und der PolniDeut-schen Berufsvereinigung inzwi-schen der zuständigen Amtsstelle übergeben worden; außerdem wer-den sie als Petition mit einer eingehenwer-den Begründung an Bundesrat und Reichstag gesandt, endlich wollen die Organisationen der Arbei-ter die ihnen nahestehenden Fraktionen des Reichstags für ein Vorge-hen in der Richtung der Leitsätze gewinnen. So tritt zum ersten Male seit langen Jahren die gesamte deutsche organisierte Arbeiterwelt ei-nig und geschlossen für eine große, grundlegende Aufgabe der Sozial-politik ein, deren glückliche Lösung zugleich im höchsten Interesse des öffentlichen Wohles liegt, ja geradezu eine Reichs- und Staats-notwendigkeit ist. Daß Vertreter der Gesellschaft für Soziale Reform an diesem Werke mitgearbeitet haben, erfüllt uns mit aufrichtiger Ge-nugtuung.

Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt. 24. Jahrgang, Nr. 22, 25.Februar 1915, Sp. 515 f.

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